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Brüning im Reichsrat.

Fortsetzung von der 1. Seite.)

gesetzt ist, dafür zu sorgen, daß von dieser Freiheit der richtige Gebrauch gemacht wird und Sicherungen dafür getroffen werden, daß diese Freiheit unter allen Umständen erhalten bleibt.

Die Freiheit ist auch mit Opfern verbunden.

Das Ziel unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik ist, die Aktions­fähigkeit unserer Außenpolitik zu erweitern. Wir müssen das Vertrauen zu unserer Wirtschaft wiedergewinnen. Ausland und Inland, vor allem aber die Wirtschaft erwarten, daß das Finanz- und Wirtschaftsprogramm in fürzester Frist Gesetz werde.

Ein gewisser Zug der Resignation und Müdigkeit, der durch unsere Wirtschaft geht, muß beseitigt werden. Wir haben die fefte Zuversicht, daß es bei Anspannung aller Kräfte Deutschland   gelingen wird, den Anschluß an die weltwirtschaftliche Umstellung zu finden und daß Deutschland   dabei weniger leiden wird als andere Länder.

Der Streit bei den kommenden Verhandlungen wird im Reichs­rat gehen um die hundert Millionen Kürzung an den Länderüberweisungen, um das Bauprogramm der Reichsregierung, um die Sentung der Realsteuern und um den endgültigen Finanzausgleich, den wir in Form eines Rahmengesetzes Ende dieser Woche Ihnen zuleiten werden. Es wird möglich sein, die Realsteuern zu fenten.

Das soll der Schlußstein sein zu den Preissenkungsmaßnahmen der Regierung, denn damit soll das Argument beseitigt werden, das jetzt gegen die Preissenfung im Kleinhandel und bei den Lebensmitteln angewandt werden wird.

Wir bedürfen zur Durchführung der Preissentung der Unterstützung Der Deffentlichkeit und der Presse. Wir sind auch über­zeugt, daß es möglich sein wird, den Wohnungsmarkt in Gang zu bringen. Wir müssen in diesem oder im nächsten Jahre zu einer lleberleitung des Wohnungsmartts von der rein staatlichen linterſtügung zur Privatwirtschaft fommen, weil wir sonst in zwei oder drei Jahren vor einem jähen Absturz stehen und jahrelang Hunterttausende arbeitsloser Bauarbeiter haben würden. Unbedingt notwendig ist rücksichtslose Sparsamkeit auf allen Gebieten,

denn mit weiteren Steuererhöhungen können wir den Finanz­bedarf nicht mehr decken.

Auch in der Tabatbesteuerung haben wir jetzt das Optimum erreicht. Die einzige Steuer, die noch erhöht werden fönnte, wäre die Umfassteuer, aber eine solche Erhöhung wäre unvereinbar mit unserer Preissenfungsaktion. Zur Kürzung der Beamten­gehälter mußten wir greifen, weil einfach ein anderer Weg nicht vorhanden war. Wir haben das gewiß nicht leichten Herzens getan, aber wir meinen, daß die Beamtenschaft sich durch dieses Opfer am stärksten in das Boltsganze einfügen wird. Nach einiger Zeit wird man erkennen, daß durch diese Notmaßnahme die Reichsregierung dem Berufsbeamtentum feinen Schaden, sondern einen vollen Dienst erwiesen hat.

Wir müffen an den Reichstat die Biffe richten, innerhalb vierzehn Tagen die Gesamtheit dieser Gesetze zur Berabschiedung zu bringen.

Das ist gewiß eine außerordentlich schwierige Arbeit, aber sie ist notwendig zur Wiederberuhigung der öffentlichen Atmosphäre in Deutschland   und zur Anturbelung der Wirtschaft, die die Boraus fegung ist für eine Preissenfung und für eine Einschrän fung der Arbeitslosigkeit,

Wir haben uns damit beschäftigt, wie der Arbeitslosigkeit gesteuert werden kann, aber die Reichsregierung lehnt es ab, in diefer Stunde Einzelmaßnahmen vorzuschlagen, weil Voraus­fetzung die Beschaffung von Kapital und Kredit ift.

Das wird nur möglich sein, wenn es gelingt, vorher in fürzester Frist, dieses Gesetzgebungswert zu erledigen. Der Reichsrat befindet fich in einer großen geschichtlichen Stunde seiner Tätigkeit. Gie wissen alle, daß schnelles Handeln notwendig ist und

daß davon ein großes Stück der Zukunft des deutschen   Volkes

abhängt.

Reichsfinanzminister Dietrich erläuterte dann die vorliegenden Gefeßentwürfe im einzelnen. Es handelt sich dabei um den Etat, um das Gehaltskürzungsgefeß, um das Gesetz zur Sentung des Perfonalaufwands, um die Ausgaben­begrenzung im Haushalt, um die Fortsetzung der bisher als Not verordnung verfügten Zuschläge zu den höheren Einkommensteuer­stufen, um die Fortsetzung der Erhöhung der Tantiemesteuer, um die Sentung der Realsteuern und die Bereinfachung des Steuer­systems. Die Vorlage zur Erhöhung der Tabaksteuer wird in den nächsten Tagen eingehen.

Im neuen Haushalt fonnten infolge der Beitragserhöhung bei Der Arbeitslosenversicherung 267 Millionen gefpart werden. Die Gehaltsfürzungen bedeuten für das Reich einschließlich der Post eine Ersparnis von 124 Millionen, für Länder, und Gemeinden eine solche von 270 Millionen. Davon sollen 170 Millionen den Ländern und Gemeinden verbleiben, während 100 Millionen an den Ueber­weisungen gefürzt werden sollen. Es muß unter allen Umständen eine Entlastung der Wirtschaft erfolgen. Es ist populär und sehr bequem zu sagen, man decke die Staatsausgaben durch Be­lastung der vorhandenen Objekte. Es ist aber Demagogie, zu glauben, daß eine solche Politit zu dem Ziel der Belebung der Wirt schaft und der Verringerung der Arbeitslosigkeit führen fönne. Die deutsche Finanz- und Wirtschaftslage ist schwierig, gibt aber feine Beranlaffung, den Ratastrophenpotitifern nachzulaufen, Bor allem ist Wiederherstellung des Bertrauens nötig.

Dr. Ste

Reichsarbeitsminister Dr. Stegerwald:

Die Deffentlichkeit beschäftigt sich mit der Verselbständigung der Arbeitslosenversicherung. Die Abhängigmachung der Versiche rung vom Etat ist an ch richtig. Strittig ist nur die Summe, die dafür eingestellt werden soll.

Wir rechnen damit, daß im nächsten Jahre 900 000 Menjden unter die Krisenfürforge fallen und daß die Wohlfahrtsunter­flügung am 1. April 1931 etwa 700 000 bis 800 000 Erwerbs. lofen zugute fommen wird.

Benn die Sanierungspolitit der Reichsregierung überhaupt einer Sinn haben soll, dann muß im nächsten Jahre mit einer Bermin derung der Arbeitslosigkeit gerechnet werden. Wird der Beitragssatz von 6% Prog. beibehalten, dann müßten wir im nächsten Jahre mit den Mitteln sicher ausreichen.

In der Wohnungspolitit ist gleichfalls die Voraus fegung, daß die Sanierungspolitik der Regierung zum Ziele führt. Gelingt das nicht, so können wir weder mit der alten noch mit der neuen Wohnungspolitit etwas erreichen.

Ueber die Lohnpolitik besteht augenblicklich große Ver­

Im goldenen Prunkwagen

Die Kommunistin Allexandra Kollontan fährt zum schwedischen König

Ueber diese Fahrt der Bolschewiffin zum König veröffentlicht die bürgerliche Presse den folgenden Bericht:

Der König von Schweden empfing im Röniglichen Schloß zu Stockholm   in Audienz zur lleberreichung der Kreditivbriefe den außerordentlichen und bevollmächtigten Minister der Bereinigten Somjetrepubliken Frau Kollontay. Frau Kollontan wohnte in Stockholm   in dem bekannten Grand Hotel, dem elegantesten und teuersten Hotel in Schweden  . Als

der berühmte Siebenglaswagen", der goldene Prunkwagen, bespannt mit vier feurigen Hengsten, danto

vor dem Hotel vorfuhr, hatte sich eine ansehnliche Zuschauermenge versammelt.

Als die Galaequipage die Einfahrt paffierte, ging die Schloß­wache unter Gewehr, und die Musik der Göta Garde bfies den Parademarsch. In den Treppen und Vestibülen waren die Trabanten in Harnischen   und Lederkost i men aus der Beit Carl XI.   und Cart XII. aufgestellt. Rammerherren und Rammerjunter bildeten Spalier mit dem ersten Hofmarschall an der Spize. Im nächsten Salon hatten sich der Oberst tammerherr, die diensttuenden Kabinettstammer: herren und Adjutanten versammelt.

Der diensttuende Oberkammerherr führte Frau Kollontan zum König, dem sie ihre Kreditivbriefe überreichte, worauf er sich einen Augenblick mit ihr unterhielt. Nach der Audienz wurden auch die übrigen Mitglieder der Sowjetgefandtschaft vorgestellt.

Auf der Nückfahrt wurde Frau Kollontah von dem Baron de Geer im Prunkwagen begleitet.

Bon anderer Seite wird zu diesem Bericht noch gemeldet, daß Frau Kollontan nahegelegt worden sei, auf das altertümliche 3eremoniell zu verzichten. Frau Kollontan habe das ausdrüc.

Frau Kolloniany ließ nicht nur die Zuschauer, sondern auch den König etwas warten. Sie tam etwas verspätet in einem wundervollen Pelz, es soll Chinchilla   gewesen sein, und auf ihrer Brust blikte ein Schmud( oder war es sogar ein Orden, wie manche behaupten). Sie lächelte holdselig in die Kameras der Photographen und Filmleute und sprach ein paar wohlflingende Phrasen zu ihrem Begleiter vor dem Mann mit der Lautlich abgelehnt. filmtamera, während die Damen in der Zuschauermenge von ihrem Hut und ihrem eleganten Zafttleid tuschelten. Dem offiziellen Hofbericht ist dann noch folgendes zu entnehmen:

Die kommunistische Preise, die gewohnheitsmäßig zefert, wenn fozialdemokratische Minister repräsentieren wobei es feine goldenen pruntwagen und feine Chinchillapetze gibt hat diesen inter­effanten Hofbericht ihren Lefern vorenthalten.

Stegerwald fährt nach London  

Labour fämpft für europäische Kohlenregelung

London  , 4. November.  ( Eigenbericht.)

Er wird mit

immer wieder die Arbeiter, die die Kosten des Streites und des Die englische Arbeiter­Ronkurrenzfampfes zu tragen haben. regierung ist der Ansicht, daß durch die Beseitigung des Konkurrenz tampfes der europäischen   Kahlenindustrie gedient werden fann. Jetzt nachdem die Reichstagswahlen stattgefunden und die politische Lage Deutschlands   gefestigt ist, lag tein Anlaß mehr vor, die von England por Monaten bei Deutschland   angeregte Konferenz hinauszuschieben und wie Bergbauminister Shinwell am Sonntagabend mitteilte, wird Deutschlands   Arbeitsminister Stegerwald in den nächsten Tagen in London   zu Besprechungen eintreffen. Margareth Bondfield über die Regelung der Arbeitszeit verhandeln und mit Shinwell über ein internationales Kohlentontor. Die führenden englischen Kohlenproduzenten stehen den Plänen der eng lischen Regierung sympathisch gegenüber und es wäre Aufgabe Boden für eine internationale Regulierung des Kohlenmarktes vor­zubereiten. Der letzte Schritt liegt selbstverständlich im Ermessen der beiderseitigen Industrie. Gelänge es aber, eine Einigung zwischen der deutschen   und der englischen Kohlenindustrie herbeizuführen, fo wäre damit der Weg frei für ein europäisches Kohlenabkommen, das naturgemäß auf andere Industrien abfärben und sich auch politisch auswirken müßte.

Die Regelung der Arbeitszeit im Bergbau und die chaotischen Zustände auf dem europäischen   Kohlenmarkt wurde bereits im Mai bei der letzten Tagung des Internationalen Arbeits amts zwischen dem englischen Arbeitsminister, Frau Bondfield, und den Vertretern Deutschlands   betrachtet und erörtert. Dabei fam auch eine Einladung nach London   zur Sprache, die vor der deutschen   Reichstagswahl der englische Bergbauminister Shinwell beabsichtigte dem deutschen   Arbeitsminister zugehen zu laffen. Sinn und Zweck der Londoner   Besprechungen sollte nicht nur die inter­nationale Regelung der Arbeitszeit sein, sondern auch die des Rohlenmarties. Gegenwärtig bekämpften sich auf dem europäischen   Markt die hauptsächlichsten Rohlenproduzenten Europas  : England, Deutschland   und Polen  . England und Deutschland   unter- Stegerwalds, auch in Deutschland   bei den deutschen   Produzenten den bieten sich besonders bei den französischen   Abnehmern, und ähnliches ist auf dem skandinavischen Markt zu beobachten, wo alle drei Länder um den Absatz ringen. Der Wirrwarr geht sogar fo­weit, daß die englische Kohle in Hamburg   billiger verkauft wird als deutsche   Kohle. Die Industrien verlieren dadurch Geld und Zeit, die Untosten werden gesteigert, was sich zuletzt in den Kämpfen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausdrückt. Zuletzt sind es doch

Krieg.

wirrung. Ganz zu Unrecht wird der Regierung vorgeworfen, daß| langte in einer Rede eine energische Solidaritätserklärung der fran­fie Lohnfenfungspolitit treibe. Dabei wird vergessen, daß| zösischen Regierung für Polen  . Frankreichs   Grenze fei an der in anderen Ländern, wo der Staat sich gar nicht um die Löhne Weichsel   Rühre man sie an, dann entfeffele man einen neuen fümmert, auch eine starte Lohnfenfung eingetreten ist im freien Spiel der Kräfte. Wenn die Reichsregierung ihre Machtmittel zur Stabilisierung der seitherigen Löhne einsetzen wollte, so stände sie vor einer taum lösbaren Aufgabe. Ueberlaffen wir die Lohynentwicklung dem freien Spiel der Kräfte, fo tönnten bei der deutschen   Neigung zu Extremen Störungen der öffentlichen Ordnung im Gefolge von Streits und Aus­sperrungen eintreten, daß das Sanierungswerk dadurch ernstlich ge­fährdet werden könnte.

Für die deutsche Reichsregierung bleibt daher nur der dritte Weg der Lohnpolitit offen, nämlich mäßigend und regulierend ein­zugreifen.

Hierauf murde gegen 12 Uhr mittags die öffentliche Reichsrats fisung geschlossen und die Beratung in vertraulicher Sigung fort gefeßt.

Frankreichs   Weichselgrenze.

Blum und Daladier gegen die Weberpatrioten.

Paris  , 4. November.  ( Eigenbericht.)

Die außenpolitische Debatte in der Kammer wird in der heutigen Morgenpresse durch eine Reihe programmatischer Erklärungen eingeleitet. Der große patriotische Stimmführer Franklin- Bouillon, der heute nachmittag als Hauptinterpellant auftreten wird, ver­

Léon Blum fordert, daß die Aussprache in der Kammer zu einem Marfstein für die Friedenspolitik werde. Schon jetzt sei es gelungen, die tollen Hunde der Kriegsheße" in die Defensive zu drängen. Heute gebe es niemand mehr, der von einem reinigenden Stahlgewitter, von einem frisch- fröhlichen Krieg zu Menschheit sei. Aber man müsse auch den Rüstungsschreiern, die reden wage. Ueberall wisse man, daß der Krieg eine Geißel der dem arbeitenden Bolt Milliarden und aber Milliarden abpresen wollten, endlich den Mund stopfen.

Der radikale Parteiführer Daladier   betont in der Republique", daß zwischen Deutschland   und Frankreich   feine einzige Lebens­wichtige Frage mehr stehe, die die volle Berständigung unmöglich machen fönnte. Vor allem müsse man abrüsten und das Deutsch  land im Friedensvertrag gegebene feierliche Versprechen erfüllen. Was solle man tun, wenn Deutschland   bei einem etwaigen Miß­erfolg der Abrüstungstonferenz seine Reichswehr Der: Doppeln würde? Bolle man den Krieg erklären? Wolle man vor allem das Militärbündnis mit Polen  , das in zwei Jahren ablaufe, wieder erneuern mit dem Bersprechen, wegen des polnischen Korridors einen neuen Krieg zu beginnen? Gerade im Korridor fönne man durch ein System von Freizonen oder durch Einrichtung eines gemeinsamen Berwaltungs­appartes sofort eine wesentliche Entspannung schaffen.