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Morgenausgabe

Nr. 519

A 261

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch

5. November 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Heimwehr auf Waffenfuche. Brünings Programm.

Bundesheer und Gendarmerie im Faschistendienst.

Wien , 4. November. ( Eigenbericht.) Die bereits am Montag vorauszusehenden Haus durchsuchungen in sozialdemokratischen Lokalen sind am Dienstag in ganz Desterreich in Parteisekretariaten, Arbeiterheimen, Konsumbereinen usw. mit einem Riesen aufgebot von Polizei, Gendarmerie und Militär, die mit Maschinengewehren und spanischen Reitern aufmarschiert wvaren, erfolgt. Um 10 Uhr vormittags erschien im sozialdemokratischen Parteihaus in Wien ein starkes Polizeianfgebot und wies dem Obmann des Republika. nischen Schutzbundes, dem Genossen Heinz, einen Polizei auftrag zur Durchsuchung des Hauses vor.

Der Auftrag war nicht, wie das Gesek vor: schreibt, vom Gericht ausgestellt.

Genosse Heinz protestierte gegen diese gesetzwidrige Haus­suchung. Da aber der Polizeibeamte darauf bestand, wurde ihm freigegeben, die Haussuchung vorzunehmen.

Es wurde nun das ganze Parteihaus vom Keller bis zum

Boden durchsucht.

Im Keller wurden auch Mauern durchbrochen und Kriminalbeamte trochen durch die Löcher, um sich zu überzeugen, daß in den Mauern nichts verborgen ist. Die Altion im Barteihaus dauerte bis gegen ein Uhr. Um diese Zeit

jog die Polizei ab, ohne auch nur die Spur einer Waffe gefunden zu haben.

Sur gleichen Zeit erschienen größere Bolizeiaufgebote auch in den Arbeiterheimen der einzelnen Bezirke und in einer ganzen Reihe von Parteisetretariaten, wo überall die Kanzleie räume, Schreibtische und die ganzen Häuser durchsucht wurden, ohne daß auch nur irgendeine Waffe gefunden worden wäre! In der Provinz wurden überall unter riesigem Militäraufgebot mit Ma schinengewehren und Gendarmerie die Durchsuchungen genommen.

In Wiener- Neustadt befindet sich seit der Burgenlandfrise in Berwahrung der Gemeindeverwaltung im Rathaus eine größere Anzahl von Waffen, die unter gemeinsamem Verschluß der Vertrauensmänner der Sozialdemokraten und der Christlich­Sozialen flanden.

Als am Dienstag früh Gendarmerie und Staatspolizei erschien und die Auslieferung der Waffen verlangte, erklärte der sozialdemo fratische Bürgermeister Dfenböd, daß er ohne Auftrag der Lan­desregierung die Waffen nicht ausfolgen tönne. Er per langte, daß der chriftlich- soziale Landeshauptmann Dr. Buresch be fragt werde. Der Kommandant der Gendarmerie ertlärte aber, er habe einen

höheren Auftrag als von der Landesregierung. Nun wurde das Lotal gewaltsam aufgebrochen und natürlich nur die Waffen gefunden, von denen sowohl die Landesregierung als auch die Bundesregierung wußten. Während dieser Amtshand­lung im Rathaus in Biener- Neustadt war in der ganzen Stadt Militär aufmarschiert, Maschinengewehre waren vor dem Rathaus aufgestellt, die Telephonzentrale war von der Bundespolizei bejezt und alle Gespräche aus dem Rathaus wurden überwacht. In St. Pölten wurde sogar das Kinderfreundeheim nach Waffen durchsucht,

allerdings vergeblich. Dort wurde auch im Garten nach Waffen gegraben. Einzig beim Arbeiter Schüzenverein wurden einige Jagdwaffen gefunden, die dem Verein erlaubt sind. Aus ganz Desterreich merden ähnliche Amtshandlungen gemeldet.

In Wien wurde das sozialdemokratische Parteihaus und einige Gasthäuser, in denen Sozialdemokraten verfehren, besezt und die Straßen von Militär abgesperrt. Am ärgften trieb man es in ber Steiermart. In Graz waren schon am Montagabend riesige Mengen Gendarmerie zusammengezogen. Nun wurde am Dienstag um sechs Uhr morgens

Parteihaus, die Arbeiterbäckerei und die Redaktion der sozialdemo­trafischen Volkszeitung" von Gendarmerie durchsucht. Es wurden einige Gewehre gefunden, die nach den Erklärungen des Tiroler Landeshauptmanns unter die von der Bundesregierung anerkannte Tiroler historische Waffenfreiheit fallen.

Die ganze riesige Affion hat mit einer ungeheuren Blamage geendet. Auch die bürgerlichen Blätter stellen die Erfolglofig­telt fest.

Die Neue Freie Presse", die durchaus nicht sozialistenfreundlich ist, erklärt, daß wenigstens in Wien der ganze Vorstoß ein abso­Luter Mißerfolg war, und daß es eine einseitige Ent. waffnungsaktion ist, die vollkommen im Widerspruch zu einer wirklichen Entwaffnung beider Teile steht. Es müsse auch der ernsteste 3 weifel an der Gefeßlichkeit der ganzen Attion gehegt werden.

Am Dienstagnachmittag ist der Wiener Landtag zufammen­getreten, in dem die Sozialdemokraten zunächst eine Reihe fon fiszierter Artikel der Arbeiterzeitung" und anderer Blätter durch

Berlesung immunisierten. Darauf wurde eine Anfrage an den Bürgermeister eingebracht, die sich gegen die Um gehung des Aufmarsch verbots durch die Heimwehren wendet und die Ungefehlichkeit und Verfassungswidrigkeit der heutigen Haus­durchfuchungen

ohue richterlichen Befehl darlegt. Eine dritte Interpellation erörtert einen neuen Waffenschmuggel des Innenministers und Heimwehrführers Starhemberg.

Das Gesamtergebnis.

Wien , 4. November. ( Eigenbericht.) Das gesamte Ergebnis der großen Regierungsaktion, die die Sozialdemokraten und ihre Attion auf innere Abrüstung vor der Deffentlichkeit herabsetzen und die Arbeiter zu Unbesonnenheiten provozieren sollte, besteht selbst nach christlich- sozialer Dar­ftellung in 4000 Gewehren und 20 Maschinengewehren in ganz Defterreich. In Wirklichkeit sind aber nur 3000 Gewehre in ganz Defterreich beschlagnahmt worden, von denen 2900 in Wiener Neustadt von der Burgenlandtrise her und in Steyer von einft beschlagnahmten Heimwehrwaffen her in paritätischer Verwaltung und der Regierung schon längst bekannt waren, sowie 4 Maschinengewehre, ein für den Riesenapparat geradezu lächerliches Ergebnis, um so mehr, da die in Tirol beschlagnahmten Waffen dem von der Regierung aner­fannten Brauch der Tiroler Waffenfreiheit nicht zuwiderlaufen. Die Leifung des Republikanischen Schutzbundes hat noch heufe vormittag den Behörden jehr genaue Angaben über Waffenlager der Heimwehr gemacht. Die Sicherheitsbehörden" haben sich aber geweigert, diese Anzeigen in Empfang zu nehmen. Im Wiener Landtag haben die Sozialdemokraten auch eine Anfrage eingebracht, in der darauf verwiesen wird, daß am Sonnabend und am Montagfrüh von Wien eine große Menge von Waffen und Ausrüstungsgegenständen auf der Donau für den Bundesführer der Heimwehr und Minister Starhemberg nach Linz gebracht wurde.

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Wien , 4. November. ( Amtlich.) Innenminister Fürst( diese amtliche Meldung verlegt die Ber faffung, die Adelstitel verbietet! Red. d. V.) Starhemberg hat die Ausweisung des Majors Pabst aufgehoben, zumal die gegen ihn erstattete Strafanzeige vom Staatsanwalt zurüdgelegt worden ist.

Der oberste Führer der Putscharmee, der 13fache Schloß befizer Fürst" Starhemberg , ist auf Vorschlag des christlich- sozialen Bundeskanzlers Baugoin vom chriftlich­sozialen Bundespräsidenten Mitlas zum Innenminister ge­macht worden. Er hat wiederholt öffentlich erklärt, daß die Heimwehr sich auch durch das neue Parlament nicht aus ihren Machtstellen werde verdrängen lassen. Wenige Tage vor der Parlamentswahl läßt dieser Innenminister alle Waffen, die in Gewahrsam von Arbeiterorganisationen sind, durch Militär und Gendarmerie beschlagnahmen Waffenlager der Faschisten bleiben unberührt.

die

Arbeiterwaffen sind staatsgefährlich- Heimwehrwaffen find legal: das ist der Rechtszustand unter der Regierung

das Parteihaus und das Lokal des Schutzbundes von Militär befeht, die Schreibtische erbrochen, aber nichts gefunden. In Brud wurde die Wohnung des Landtagsabgeordneten a 1. fisch von der Polizei besetzt und Wallisch gehindert, die Wohnung zu verlassen. Aehnlich erging es in Leoben , wo in die Gebäude der Arbeiter! a mmer, der Arbeiter bäder ei usm. eingedrungen Baugoin- Starhemberg. und sogar die Fußböden aufgerissen wurden, ohne daß In der Erkenntnis dieses Zustandes geht das Bolt man irgendetwos fand. In Innsbrud wurde ebenfalls das Deutschösterreichs am Sonntag zur Wahl.

Sozialdemokratie hat freie Hand.

Die Reichsregierung hat am Dienstag abermals den Reichsrat als Forum für die Bekanntgabe und die Be­gründung ihrer allgemein- politischen Absichten benutzt. Der Reichskanzler Brüning hat das Finanz- und Wirtschafts­programm der Reichsregierung politisch begründet. Die Sozialdemokratie steht diesem Programm mit stärksten Be­denten gegenüber.

Nach wie vor hofft die Regierung, eine Rostensenkung in der gesamten Wirtschaft durch Preissenfung und ein seitige Steuerberabfegungen herbeizuführen. Das Wesentliche dabei ist, daß sie auf Preissenfungen hofft, und nur auf dem indirekten Wege darauf hinzuwirken ver­fucht. In der Frage der Lohnsenkung verhält sie sich, wie frühere Ausführungen des Reichsarbeitsministers Stegerwald und seine Rede im Reichsrat beweisen, weit­aus attiver und entschiedener. Hier hofft sie nicht nur, hier handelt sie auch! Wir vermissen jedoch eine gleiche Aktivität und tatsächliche Handlungen in der Frage der Preissentung. Einige fleine Ansätze, so bei, den Kohlenpreisen, ver­mögen nicht, den Eindruck zu erschüttern, daß die Regierung bisher nichts Entscheidendes zur Herbeiführung der Preis­jentung unternommen habe!

Aus den Worten des Reichskanzlers geht das Eingeständ­nis hervor, daß vor allem bei den Kosten der Lebens haltung bisher nichts Entscheidendes zur Senfung ge­schehen ist. Der Reichstanzler hat dafür neue Maßnahmen auf agrarpolitischem Gebiet angekündigt, Er hat sich nicht darüber geäußert, ob diese Maßnahmen die bisher einge­schlagene Richtung in der Agrarpolitit weiter verfolgen wird. Die bisherige Agrarpolitik, die in der Hauptfache Zollpolitif war, hat nicht nur auf ein Festhalten der Agrarpreise, sondern darüber hinaus auf eine Aufwärtsbewegung hinwirken wollen. Das wirtschaftliche Gesamtinteresse erfordert jedoch nicht nur, daß die Zwischenhandelsspanne erheblich gesenkt wird, es erfordert vielmehr eine energische und deutlich fühl­bare Preissenkung beim legten Verbrauch

Die Programmrede des Reichskanzlers ließ außerdent ein positives Arbeitsbeschaffungsprogramm vermissen. Man fann darüber hinaus aus der Erklärung des Kanzlers, daß die Regierung zunächst teine Einzelmaß­nahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorlegen wolle, den Schluß ziehen, daß die Reichsregierung zunächst auch dem preußischen Arbeitsbeschaffungsprogramm, das von weitesten Kreisen der Bevölkerung gebilligt wird, nicht näherzutreten wünscht. Die Stellungnahme, die das neue Programm dem Wohnungsbau gegenüber einnimmt, ist gleichfalls nicht geeignet, der Massenarbeitslosigkeit entgegen­zumirfen.

So beruht die Gesamtheit dieses Programms im wesent­lichen auf Hoffnungen. Auf der Hoffnung, daß durch in­direkte und psychologische Einwirkungen die Preissenkung von felbft in Gang fommen möge und auf der Hoffnung, daß die Senkung einzelner Steuern zu einer Belebung der Wirt­fchaft aus sich selbst herausführen möge. Solange die Hoff­nungen nicht von einer aktiven Wirtschaftspolitik begleitet werden, bleiben alle Vorausseßungen für den Aus­weg aus der Krise unsicher.

Wenn unter diesen Umständen das Programm glaubt, die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung vom Reichsetat loslösen zu können, so liegt darin ein sehr starkes Gefahrenmoment!

Das Programm der Regierung wird zunächst im Reichs­rat umfämpft sein. Die Interessen, der Länder werden dort sehr energisch vertreten werden. Die Interessen der Gemeinden jedoch, in die dies Programm außer­ordentlich stark eingreift, haben im großen und ganzen im Reichsrat teine Vertretung. Die Interessen der Gemeinden aber sind im wesentlichen identisch mit den sozialen Interessen der breiten Majjen der Bevölkerung!

Um so stärker müssen die Masseninteressen bei der Be­ratung des neuen Programms im Reichstag vertreten fratti on ist diesem Programm gegenüber in ihrer Stellung werden. Die sozialdemokratische Reichstags= vollständig frei. Sie wird sich bemühen, die Interessen der breiten Massen des Voltes zu wahren, Verbesserungsvor schläge durchzusetzen und das Beste aus diesem Programm zu machen. Ihre Verbesserungsversuche werden, wie die letzte Entschließung der Deutschen Bollspartei erkennen läßt, auf große Widerstände stoßen. Von rechts her wird der Versuch unternommen werden, noch einseitiger die Unternehmer­