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BERLIN Mittwoch

5. November

1930

Der Abend

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Nr. 520

B 259

47. Jahrgang

66 Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezcile

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Polnisches aus Desterreich

Der Heimwehrfürst läßt Arbeiterführer verhaften

V. Sch. 28 ien, 5. November.( Eigenbericht.) Die Heimwehrregierung greift zu immer stärkeren Mitteln, um die sozialdemokratische Arbeiterschaft zu provozieren. Heute früh ist der Genosse Paul Schle= singer, Abgeordneter von Wiener- Neustadt und Ver­trauensmann der dortigen Metallarbeiter, wie man so. cben erst erfährt, fest genommen worden.

Gestern abend hatte der Rechtsvertreter des Repu­blikanischen Schukbundes in Wien der Wiener Polizei­direktion Waffenlager der Heimwehr in Wien und Wiener Neustadt mit genauen Angaben der Adressen usw. angezeigt, der Polizeikommissar jedoch erklärte, daß er diese Mitteilungen nicht entgegennehme.

Wien , 5. november. Die Haussuchungen nach Waffen wurden heute in den Arbeiter­heimen und sozialistischen Parteihäusern fortgefeht.

In Bruck an der Muhr hat eme große Abteilung. Militär, pon Gendarmerie unterstützt, die sozialistischen Parteilokalitäten und auch einzelne Privathäuser der Parteijunktionäre durchsucht. Die Stadt zeigt ein starkes militärisches Aussehen. Unter der Arbeiterschaft herrscht große Unruhe, doch ist es zu Zwischenfällen bis jetzt nicht gekommen. Im ganzen Industriebezirk von Wiener- Neustadt wurden Brotestversammlungen der Arbeiterschaft gegen die Haus­fuchungen abgehalten.

Arbeiterzeitung" mit weißen Stellen.

Neue Beschlagnahme in Wien .

Wien , 5. November.

Die Wier.cr ,, Allgemeine Zeitung " ist gestern wegen ihrer Kritik an den Haussuchungen bei der Sozialdemokratischen Partei wieder beschlagnahmt worden. Die zweite Auflage erschien mit zahi­teiden weißen Stellen.

Die Arbeiter- Zeitung " bezeichnet in einer Extraausgabe die Haussuchungen in ganz Desterreich als einen von Baugoin und Stathemberg versuchten Wahlschlager, der angesichts des Aufgebots der bewaffneten Staatsgewalt gegenüber einem geradezu täglichen Ergebnis daneben gegangen sei. Das Blatt ermahnt die Parteigenossen erneut, jede unbesonnenheit zu vermeiden, die Ant­wort vielmehr am 9. November mit dem Stimmzettel zu geben.

Brückner organisiert Keilerei.

Eine Perle des Dritten Reiches".

Schweidnih, 5. November.( Eigenbericht.) In einer nationalsozialistischen Bersammlung in 3obten, in der am Dienstag der berüchtigte Gauleiter und jetzige Reichstags­abgeordnete Brüdner sprach, kam es zu schweren 3u­jammenstößen zwischen Nationalsozialisten und einigen Ur­beitern. Brüder hatte in seinem Referat die Führer der Sozialdemokratie und des 3entrums in der infamſten Weise verleumdet und beschimpft. Bon Reichskanzler Brüning sprach er nur als von der 3 enteums- Brillen­schlange". Lumpen, Landesverräter, Berbrechergesindel" waren die politischen Argumente des nationalsozialistischen Reichs­lagsabgeordneten..

das

In der Diskussion trat ihm der sozialdemokratische Parteisekretär Hoppe entgegen. Die Nationalsozialisten versuchten ihn niederzu­schreien, als er das wahre Gesicht der Nationalsozialisten zeichnete. Ein Arbeiter hatte sich am Saalende auf einen Stuhl gestellt, um besser verstehen zu können. Diejen harmlosen Vorgang benutzte der überempfindliche Bersammlungsleiter, um den sich vollkommen ruhig verhaltenden Arbeiter aus dem Saale zu weisen. Der Arbeiter fam der Aufforderung nicht sofort nach. Die Polizei hatte wegen des teinerlei Störung verursachenden Borfalls feinen Grund einzu­schreiten. Da übernahm Brückner die Versammlungsleitung und gab der SA. den Befehl zur Räumung des Saales. Auf den Ruf SA, tehrt!" schlug diese mit Gläsern und Stühlen auf die vollkommen ruhigen Versammlungsbesucher ein. In dem nun ent­stehenden Kampfe gab es zahlreiche Berlehte auf beiden Seiten. Zwei Nationalsozialisten mußten ins Krankenhaus über­geführt werden. Die Verantwortung für den blufigen Vorgang frägl einzig und allein der nationalsozialistische Heher Brüdner.

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Franzen überführt!

Berliner Polizeibeamte vor dem Braunschweiger Gericht: Franzen gab Guth für Lohfe!

Fall Franzen" geführt hätten.

Das Ganze sei ein harmloser Borgang gewesen,

handlung gegen den jozialdemokratischen Bolfsfreund" statt, gegen Vor dem Landgericht in Braunschweig fand heute die Ver-| Vorgänge am Tage der Reichstagseröffnung in Berlin , die zu dem den der Dr. Franzen eine einstweilige gerichtliche Ber­fügung erwirkt hatte, dahingehend, daß dem Volksfreund" untersagt wurde, beleidigende Behauptungen gegen Dr. Franzen aufzustellen und weiter zu verbreiten, bis der Hauptprozeß eine endgültige Entscheidung brächte. Der Bolfsfreund", vertreten durch den früheren jozialdemokratischen Ministerpräsidenten, Rechts­anwalt Dr. Jasper, ftellte gegenüber der einstweiligen Berfügung den Antrag, fie aufzuheben und die Kosten des Verfahrens dem Minister Dr. Franzen aufzuerlegen..

1. Die Verhandlung, die unter Leitung des Landgerichtsdirektors Bosse im Großen Schwurgerichtssaal stattfand, war von Publikum und Presse außerordentlich stark besucht.

Dr. Franzen, der am Tage vorher im Braunschweigischen Landtage erklärt hatte, daß er nicht beabsichtige, die Verhandlung auf das Vorhandensein der formalen Beleidigung zu beschränken, sondern daß er den größten Wert auf die tatsächliche Feststellung lege, daß sich die Beleidigungen auf falsche Behauptungen stützten, hatte eine Reihe von Zeugen geladen, um den Fall Franzen" möglichst zu flären. Außer den vom Gericht geladenen Zeugen, dem Polizeimajor Heinrichs aus Berlin , dem preußischen Landtagsabgeordneten Lohse( Natsoz.) und dem Landwirt Guth aus Schleswig- Holstein , waren vom Antragsteller Dr. Franzen geladen: die nationalistischen Reichstagsabgeordneten Thor­dem Bolizeihaupt mählen und Meyer Quadde mit

mann a. D. Migge aus Berlin . Vom Antragsgegner waren ge= laden: Bolizeiwachtmeister We ehrmann und Kriminal= assistent Graf aus Berlin .

Franzen war auf Anforderung des Gerichts selbst zur Ver­handlung erschienen. Er wurde unterstützt durch den Rechtsanwalt Rustenbach. Neben dem Rechtsanwalt Dr. Jasper waren vom Volksfreund" der verantwortliche Redakteur, braunschweigischer Landtagsabgeordneter Thielemann und der Geschäftsführer des Boltsfreund" erschienen.

Rechtsanwalt Rustenbach gab zunächst bezüglich der im Volksfreund" erschienenen Artikel eine ausführliche Darstellung der

Hitler bei Weißenberg

Gehen Sie, Herr Hitler : Wenn das Hafenfreuz nicht mehr zieht, dann versuchen Sie es ruhig mit meinem weißen Käse- es ist genau das gleiche!"

"

der zu einer wüsten Pressehetze gegen Dr. Franzen vom sozial­demokratischen Boltsfreund" aufgebauscht worden sei, und zwar nicht nur von ihm allein, sondern auch von anderen im Freistaat Braunschweig erscheinenden sozialdemokratischen Kopfblättern diejes Berlages. Es seien in diesen Zeitungen Behauptungen tatsächlicher Art aufgestellt worden, die die Person Dr. Franzens in der öffent­lichen Meinung herabsetzten. Dr. Franzen habe zunächst geschwiegen, da, der Mond ja auch nichts dafür könne, wenn der Hund ihn anbellt. Dann aber habe er nich reiflicher Ueberlegung die Zivil= flage erhoben, weil es sich beim Volksfreund" um eine offene Handelsgesellschaft handele, gegen die eine Beleidigungsflage ein juristisches Unding sei und weil der verantwortliche Redakteur Thiele-. mann als Abgeordneter den Schutz der Immunität genieße, eine Klage gegen ihn also, wenn nich: unmöglich, so doch schwer durch­zufechten sei.

Rechtsanwalt Dr. Jasper behauptete dagegen, daß die Tal­sachen. die zu den Beleidigungen geführt hätten, erweislich seien. Dann gab Dr. Franzen eine Darstellung der ganzen Vor­fälle am Abend des 13. Oktober auf der Polizeiwoche am Pots­ damer Platz in Berlin . Diese unterscheidet sich nicht von dem, was er darüber bisher behauptet hat. Dr. Franzen erklärt, daß er den verhafteten Landwirt Guth nicht gleich identifiziert habe,

Polizeihauptmann Wehrmann als Zeuge gab eine wesent lich andere Darstellung der Vorgänge auf der Wache. Vor allem sagte er aus, daß Dr. Franzen den Landwirt Guth unzweifel­haft als den Abgeordneten Lohse identifiziert habe. Auf die direkte Frage: Erkennen Sie den Verhafteten, ist das der Abgeordnete Lohfe?" habe Dr. Franzen, ohne 3ögern geantwortet: Ja!" Bei dieser Behauptung bleibt der Zeuge auch auf energischen Borhalt von Dr. Franzen. Dieselbe Aussage macht ungefähr der folgende Zeuge, der Kriminalassistent Graf. Auf die direkte Frage, ob der Verhaftete der Abgeordnete Lohse sei, habe Dr. Franzen gesagt: Ja, das ist der Abgeordnete Lohse. Er ist ein Parteifreund von uns!" Erst später habe Dr. Franzen ihm persönlich gesagt: Ich wollte den Guth nicht bloßstellen auf der Wache vor allen diesen Menschen. Es ist nicht Lohse." Hierauf trat eine Banje ein.

Mißtrauensantrag abgelehnt.

Labour Mehrheit 31 Stimmen.

London , 5. November. ( Eigenbericht.) Der konservative Mißtrauensantrag gegen die Ar­beiterregierung wurde nach einer erregten Nachtsihung mit 281 gegen 250 Stimmen abgelehnt. Darauf wurde die Thronrede gutgeheißen.

Die Labourpartei stimmte völlig geschlossen ab, auch die Opposition der Partei stimmte für die Regierung. Von den Liberalen stimmten sechs Abgeordnete für die Regierung.

Textillohntarif gekündigt.

Die Unternehmer bei der Abbauattion.

Köln , 5. November.( Eigenbericht.) Der Arbeitgeberverband für die oberbergische Textil­industrie hat den Lohntarif und das Arbeitszeitabkommen für die Textilindustrie im oberbergischen Bezirk zum Jahresende ge­fündigt. Das Ziel der Unternehmer dürfte eine Herabsehung der ohnehin erbärmlichen Löhne sein.