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Morgenausgabe

Tr. 521

A 262

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag 6. November 1930

Groß Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.

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Braunschweiger Gericht drückt sich! Der Kampf um Defterreich.

Urteilsverkündung in 12 Tagen.- Franzen vollständig überführt.

Braunschweig , 5. November.

In dem Prozeß des Ministers Dr. Franzen gegen den sozialdemokratischen ,, Volksfreund" in Braunschweig , dem durch eine einstweilige Verfügung verboten wurde, die beleidigenden Angriffe gegen Dr. Franzen zu wieder holen, wurde nach achtstündiger Verhandlung vom Gerichtshof die Urteilsverkündung auf den 17. November festgesetzt.

*

Die Richter von Braunschweig haben sch auf eine höchst einfache Art und Weise aus der Affäre gezogen. Sie haben sich 12 Tage Bedentzeit genommen. Die einstweilige Verfügung, die dem Braunschweiger

Der

,, Boltsfreund" verbot, die Wahrheit über Franzen zu sagen, ist in einer Biertelstunde erlassen worden. Bunsch des Herrn Franzen genügte. Für die Beweiswürdigung der gestrigen Verhandlung braucht die Braunschweiger Justiz zwölf Lage!

In diesen zwölf Tagen aber bleibt diese unbegründete einstweilige Verfügung in Kraft! Weil dem so ist, bedeutet die Festsetzung des Verkündigungstermins auf den 17. No­vember eine glatte Rechtsverweigerung!

Herr Franzen aber das steht nach diesem Prozeß feft ist der Begünstigung schuldig, und es fehlt ihm der moralische Mut, zu seinen Handlungen zu stehen! ( Bericht siehe 2. Seite.)

Das rote Wien demonstriert.

Riefenaufmarsch vor dem Rathaus.

Wien , 5. November. ( Eigenbericht.) Wer gemeint haben sollte, daß sich die österreichische Arbeiterschaft durch die Provokationen der Seimwehr. regierung in ihrem Kampfesinnt und in ihrer Ent. schlossenheit beizten lassen Lönnte, dem dürfte der Anblick der sozialistischen Massendemonstration auf dem Rathaus, plak am Mittwochabend und des darauf folgenden Mar. sches über die Ringstraße eines anderen belehrt haben. Trok strömendem Regen hatten sich etwa 200 000 Men­schen vor dem Rathausplat und in den anliegenden Straßen eingefunden. Die Demonstration war eigentlich als eine Kundgebung der sozialistischen Jugend und der Arbeitersportler gedacht, aber auch Zehntausende anderer Genossen und Genossinnen waren dem Ruf gefolgt, ob. wohl zur selben Zeit in den verschiedensten Bezirken weit über 100 Massenversammlungen der Partei in ge schlossenen Räumen tagten, die alle überfüllt waren.

Stürmisch begrüßt und unter begeistertem Beifall sprachen zu den Massen vor dem Rathaus die Genossen Hermann Müller- Franken und Julius Deutsch , der Führer des Republikanischen Schutzbundes. Nach der Kundgebung zog stundenlang ein Demon­strationszug mit Fackeln über die Ring- und Mariahilfer Straße. An der Spike sah man neben den Führern der

österreichischen Partei Hermann Müller und den Sekretär der Internationale Friedrich Adler .

Die Provokation wird fortgefeht.

Wien , 5. November. ( Eigenbericht.) Die Deffentlichkeit steht unter dem Eindruck der frivolen Aktion der Regierung und zugleich der argen Blamage, die sie sich geholt hat. Die Neue Freie Presse" nennt das Vorgehen der Re­gierung eine kompromittierung des Entwaffuungs­gebantens und erklärt weiter, daß der Eindruck der ein. feitigen Entwaffnungsaltion ungünstig sei.

Auch am Mittwoch wurden in zahlreichen Orten Haus­suchungen vorgenommen. In Wien selbst die Depots der Feuerwehr durchsucht, ohne daß irgendetwas gefunden wurde. In Linz wurde in den Gemeindebetrieben gehaussucht. wurden

So

im Gaswert durch Pioniere und Polizeiabteilungen die Kofs­und Kohlenlager durchgeschaufelt, allerdings ergebnislos. Polizei und Militär mit fünf Maschinengewehren zog am Mittwoch auf dem alten Egerzierplatz auf und richtete die Maschinen­gewehre gegen eine dortige Fabrit. Darauf legte die Belenschaft die Arbeit nieder und kehrte während der ganzen Dauer der Haus­fuchung nicht in den Betrieb zurück. Die Durchfachung blieb voll. fommen ergebnislos. Eine amtliche Meldung hat am Dienstag von einem angeblichen Fund von Handgranaten in Linz gesprochen. In Wirklichkeit handelt es sich um hölzerne Attrappen, wie sie zu Wurfübungen des Schutzbundes verwandt wurden Wirfliche Granaten wurden in ganz Oberösterreich , nicht gefunden. Die Stadt Steyr ist auch am Mittwoch noch von Militär besetzt.

Eine Feldlanonenbatterie ist in Stene eingetroffen und hat vier Geschütze in Stellung gebracht,

die erst auf Brotest des Bürgermeisters mit Reisig vertet wurden In Wiener Neustadt wurden wieder Hausdurchsuchungen Borgenommen. Besonders arg hat man es an den beiden Tagen in

der Steiermart getrieben. In Leoben , dem Siz der Alpinen Montangesellschaft murde den ganzen Tag eine Durch fudung ber Arbeiterfammer und des Arbeiterfonfumpereins por einige Spaten und Beilpicel gefunden. genommen. Es wurden

Terrorzug durch Warschau .

Die Polizei fleht Schmiere..

Warschau , 5. November. Gestern abend haben Stoßtrupps der Regierungs. Partei schwere Ausschreitungen begangen. Mit Knüppeln, Revolvern und Tränengranaten ausgerüstete Burschen berjuchten mehrmals den Bürgerklub zu stürmen, wo eine Wahlversammlung der Nationaldemokraten tagte. Studenten verteidigten die Eingänge. Während des Handgemenges schossen die Angreifer mehrmals. Zahl reiche Personen wurden verletzt, darunter sieben schwer. Der Stoßirupp marschierte dann unter verschiedenen Hoch- und Niederrufen

unangefochten durch die Stadt

bis Dor die Redaktion der

"

nationaldemokratischen Gazeta Warszawska", wo man die Fensterscheiben einschlug, da das Haustor der rechtsstehenden Zeitung ABC", die übrigens von den Behörden verboten worden ist. Sie drangen in die Verwaltung ein und

geschlossen war. Dann marschierten die Burschen vor das Gebäude

schlugen dort alles furz und flein.

Darauf zogen sie weiter in das Parteilokal der Nationaldemokraten, das im zweiten Stod eines Hauses einer Hauptstraße Warschaus , der Jerufalemsallee, liegt. Die Burschen zerbrachen die be1, 3ertrümmerten die Wanduhren und zer festen die Bilder, schlugen alle Fensterscheiben ein und schleuderten das gesamte Wahlpropagandamaterial auf die Straße. Dann zerstreuten sich die Terroristen, ohne weiter gestört Die ,, Gazeta Warszawska" betont, daß sich

zu werden.

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die Polizei passiv verhalten

habe, ja, als der Stoßtrupp in das Parteilokal eindrang, sollen sich sogar die Polizisten ruhig mit einem Manne unterhalten haben, der dem Blatt als Leiter der Attion" bezeichnet worden ist.

Bedeutung für ganz Europa . Von Karl Kautsky .

Wien , 4. November. Auf den ersten Blick scheint die Wahl vom 9. November nur lokale Bedeutung zu haben. Was hat das kleine Ländchen Desterreich für die Welt zu bedeuten? Und doch sieht ganz Europa dem Resultat der kommenden Wahl mit größter Spannung entgegen und mit Recht.

Sie ist eine der wichtigsten Teilerscheinungen in einer gewaltigen historischen Bewegung, die vor zwei Menschen­altern in allen zivilisierten Teilen Europas vor sich ging und die bezeichnet wird durch den Berfall des eine Zeitlang sieg reichen Liberalismus und den Aufstieg der Sozial demokratie

Intellektuellen sahen, soweit sie politisch dachten, bis in die Das industrielle Kapital und die ihm anhängenden siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein im Absolutismus mit seiner Bürokratie und der ihm dienenden Staatsfirche fomie im feudalen Grundbesig den Hauptfeind. Gegen ihn mobilisierte der Liberalismus zeitweise nicht nur Kleinbürger und Bauern, sondern sogar Lohnarbeiter. Er haßte natürlich proletarische Revolutionen und sozialistische Bestrebungen, jedoch begünstigte er oft Versuche der Prole­tarier, innerhalb der kapitalistischen Produktion ihre Lage zu verbessern. Er trat nicht bloß für politische Freiheit ein, sondern auch für Freihandel, für niedere Preise der Lebens­mittel, für Arbeitergenossenschaften, ja, wo seine Politiker ein bißchen Grüße im Kopf hatten, auch für Gewerkschaften und Arbeiterschutzgeseze.

Die Bourgeoisie Englands in den sechziger und siebe 3iger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren stolz darauf, wie weit alles das dort entwickelt war. Und sie gaben den organisierten Arbeitern 1867 das Wahlrecht zum Par [ ament, was weit mehr bedeutete als das allgemeine Wahlrecht, das Bismard im gleichen Jahr für den nord­deutschen Reichstag durchfezte und jenes allgemeine Wahl­recht das Louis Napoleon den Franzo en nach seinem Staats­ftreich 1851 verlieh. Denn in Deutschland und Frankreich war das Parlament ohnmächtig und die industrielle Arbeiter schaft gegenüber den Bauen eine kleine Minderheit. Jahrzehnt hindurch währt, bringt nicht, wie viele von uns

Die große Krise der siebziger Jahre, die noch das folgende erwartet hatten, den Zusammenbruch des Kapitalismus, wohl aber den Niedergang des Liberalismus. Der trat gerade in dem Zeitpunkt ein, in dem das industrielle Kapital anfing, den Staat zu beherrschen.

Nun begann die Bourgeoisie in den Organen der Staats­gewalt nicht mehr den Feind zu sehen, sondern den Ver­bündeten. Sie befreundete sich nicht bloß mit der Uebermacht der Bürokratie, sondern sogar mit der Staatskirche. Jetzt regten sich aber auch Zweifel bei der Bourgeoisie an der freien Konkurrenz und sie suchten sie zu ersetzen durch Kar­telle und Staatshilfe, vor allem in der Form von 3öllen. Bei diesen Bestrebungen nach Erlangung von Monopolgewinnen fanden sie sich mit den Monopolisten des Grundbesizes. Sie verstanden sich jetzt dazu, Industriezölle mit Agrarzöllen zu vereinen.

Die Kosten für alles das sollten die Lohnarbeiter tragen. Bisher hatten die Dekonomen des Kapitalismus seine Be­rechtigung damit begründet, daß er die Produktivität der Arbeit hebe und damit alles, was die Menschen brauchten, verbillige, wodurch er die Reallöhne steigere und die Kultur überhaupt hebe. Jegt wurde das Heil der Wirtschaft in der tünstlichen Hochhaltung der Preise gesehen, aber auch in der der Profite, was am leichtesten erreicht wurde durch Nieder­haltung der Löhne.

Der Arbeiter, nicht der Feudalherr, wurde jetzt als der schlimmste Feind der Bourgeoisie angefehen. Nicht bloß der revolutionäre, der sozialistische Arbeiter der war es ftets, sondern auch der Gewerkschafter, ja selbst der Genossen­schafter.

100 Bergleute eingefchloffen. niederhalten, ebenio aber auch die Intereffen der Kapi­

Schlagweiterfatastrophe in USA .

Athens ( Ohio ), 5. November. In der benachbarten Ortschaft Millfield ereignete ich in der der Sunday Creek Kohlengesellschaft gehörigen Kohlengrube eine Schlagwetterexplosion. Zur 3eit der Explosion waren 300 Bergleute einge fahren, von denen mehr als die Hälfte bisher gerettet werden konnte. Unter den Geretteten befinden sich zahl reiche Verletzte. Die Grube steht in Flammen. Nach den letten Meldungen sind noch mehr als 100 Berg Ieute in der brennenden Grube einge= schlossen, davon befinden sich einige in Stollen, die mehrere Kilometer weit von dem Schachteingang cut­fernt liegen.

Die Staatsgewalt sollte die Arbeiter gewaltsam talisten gegenüber dem Ausland, wo es anging, gewaltsam vertreten.

Das Zeitalter, das wir hier schildern, war das des Imperialismus, des Wettrüftens, der Kolonialkriege, der Kriegsdrohungen in Europa . Wie mit dem Großgrund befiz, der Staatskirche, der Bürokratie, befreundete sich die Bourgeoisie jetzt auch mit dem Wettrüsten. Das war sehr dumm und furzsichtig, nicht nur vom Standpunkt der Ar­beiterschaft, sondern vom Standpunkt der Gesamtinteressen der kapitalistischen Produktion aus gesehen. Diese gedeiht am besten bei hohe Löhnen guter Boltsbildung, geistiger Selb­ständigkeit der Arbeiter großer Kraft ihrer Organisationen. Night minder bedarf sie steter Herabsetzung der Broduktions fosten und der Preise, vor allem der Lebensmittel und der Stohstoffe, mie der Maschinen sowie möglichster Verminderung der unproduktiven Auslagen namentlich für Heeresrüstungen. Die kapitalistische Produktionsweise gedeiht also furz gejagt