Nr. 521 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag. 6 November 1930
betrieb
Großstadtverkehr, Großstadtund Großstadtlärm. Und nur einige hundert Schritte seitroärts liegt unberührt Don der Unrast unserer Zeit die Dorfschmiede auf dem Richardplatz. Gerade an sonnigen Herbsttagen strömt diese uralte, einstige Dorfaue einen seltsamen Zauber aus. Das goldgelbe Laub der Kastanien und Rüstern schroebt in müdem Tanz zu Boden und bedeckt den Platz mit einem raschelnden Teppich. Auf blaugestrichenen Bänken sitzen rund um den Kinderspielplatz Invalidenrentner, alte Mütterchen mit weißem Haar und sonstige„ kleine Existenzen". Während die Jugend in der Mitte des Platzes mit lebhaftem Geschrei schnell fortschreitende Sandbauten aufführt, führen die Alten eine in Ge
bärden und Stimmaufroand Kro recht gemessene Unterhaltung. Ein Blinder mit der typischen, gelben Armbinde diskutiert mit einem gelähmten Alten, der sich selbst im Rollstuhl hierhergebracht hat. Allen sieht man an, wie gern sie die letzte, roarme Herbstsonne genießen.
Inmitten dieses Platzes, der von einem beschheidenen Verkehr( meistens Fuhrmerken) umkreist roird, steht grau und still die alte Dorfschmiede; ein Komplex pon aneinander geschobenen, recht verwitterten Häuschen, auf deren langgezogenen Dächern das schönste Moos grünt. Auf der einen Seite baut sich der Hof por, das ganze Anwesen streng mit Steinmauer, Bretterzaun und Stacheldraht nach außen abschließend. Eine mehr als hundertjährige Rüster strebt in schiefem Wuchs nach
Dachstuhlbrand in Charlottenburg .
Am Mittwoch wurde die Feuerwehr nach der Spreestraße 57 in Chariottenburg alarmiert, wo im Dachstuhl des Wohnhauses aus noch unbekannter Ursache Feuer ausgebrochen war. Zwei Lösch züge waren bis in die Mittagstunden hinein mit den Lösch- und Aufräumungsarbeiten beschäftigt.
In der Villenkolonie Grunewald brach gestern abend furz nach 18 Uhr in der Caspar Theiß Straße 18 ein Dachstuhlbrand aus, zu dessen Bekämpfung die Wehren von Schmargendorf , Wilmersdorf und zwei Züge aus Berlin anrückten. Das Feuer war in dem als Wohnung ausgebauten Da ch stuhl des Gartenhauses entstanden. Die Flammen griffen so schnell um sich, daß die Wehren gleich mit fünf Schlauchleitungen gegen das Feuermeer, das einen weithin sichtbaren Feuerschein verbreitete, vorgehen mußten. Nach mehrstündiger Löschtätigkeit fonnten
Seemann
C.Wöhrle
Unternehmer
Ludwig nahm zwar die Prügel in Empfang. Er hatte aber längst aufgehört, seinem Vater deswegen mit Klagen zu fommen. Nur abends, wenn er in die Falle troch, rieb er sich heimlich den aufgeschundenen, verbeulten, verstriemten Körper. Grün und blau und braun war er an manchen Stellen, alles Beichen fortgesetzfer Mißhandlung. Ja, der Alte schlug manchmal unbarmherzig!
Aber der Junge beschloß, an seinem Beiniger eines Tages furchtbare Rache zu nehmen. Und zwar an dem Tage, an dem er fräftig genug sein würde, den Alten zu überwältigen! Das war wieder ein Gedanke, der ihn das schauerliche Jegt vergessen ließ und der ihm neue Kraft und neuen Auftrieb gab.
Aushalten! Abwarten! Und ermüdet streckte er seine abgeraderten Knochen auf dem harten Lager aus, und schlief tief und traumlos den Schlaf der Jugend
Mit den Monaten und Jahren entfremdete sich Ludwig dem Elternhaus immer mehr, trozdem er doch inmitten feiner Geschwister und dem Vater lebte und Tag für Tag ihre Erlebnisse hörte. Aber ihre Sorgen und ihre Lustigkeiten waren nicht die feinigen. Das alles ging ihn ja gar nichts an. Es führte im Grunde feine Brücke mehr von ihm zu ihnen.
Nun war auch schon sein dritter Bruder, Albert, der Schule entwachsen und fam als Lehrling in eine Eisenhandlung. Der tünftige Kaufmann tat sehr großfpurig zu feinen Geschwistern und schnitt mächtig auf. So mächtig und über alles Maß hinaus, daß Bater Eisermann öfters eingreifen mußte, um die Großmäuligkeit feines Sprößlings zu dämpfen. Im Grunde feines Herzens war er jedoch davon überzeugt, Albert mürde ein guter Kaufmann werden. Die erfte Grundbedingung faufmännischen Erfolges war ja, den Kunden einzuseifen, ihn etwas vorzuschwägen. Demnach mußte sein Albert eine glänzende Zukunft haben!
,, Der Junge macht sicher mal fein Glüc!" jagte er vormegnehmend zu seiner Kundschaft, und erzählte des weitern allen Hausfrauen, die Arbeit brachten, er halte bald Hochzeit.
|
außerhalb. Um die Mitte ihres Stammes ist eine lange Kette geschlungen, die sie zu ihrem ursprünglichen Standort bekehren soll. Einige Schritte weiter ragt wie ein Museumsstück mitten am Weg ein mit Eisenklammern zusammengehaltener Holzbock, der noch heute vom Schmied zum Gewindebohren benutzt wird. Tritt man durch die nur angelehnte Brettertür in den Hof, so bietet sich einem als erster Anblick ein riesiger Berg von alten Hufeisen dar. Auch das Innere der schwarzgeräucherten Schmiede steht im Zeichen des Hufeisens. Der Schmied selbst steht in einem Nebengelaß, das ebenfalls bis an die Decke mit sortierten Hufeisen, diese noch neu und ungebraucht, angefüllt ist.
die Züge gegen 23 Uhr wieder abrücken. Der Schaden ist sehr hoch. Die Entstehungsursache ist noch Gegenstand der polizeilichen Untersuchung.
Gestern abend wurde auf die Frau des Kaufmanns Wasner aus Pankow , Amalienpart 3 a, ein verwegener Raubüberfall verübt. Frau W. hatte für ihren Mann einige größere Beträge einfajfiert und frug das Geld in einer Aftentasche. Als sie gegen 20 Uhr durch die wollantstraße ging, stürzte sich in der Nähe des Elisabethfriedhofes, einer in den Abendstunden sehr ruhigen Stelle, ein Mann auf sie. Er versetzte der Frau mehrere Schläge gegen die Brust und entriß ihr die Aktentasche. Trotz der Hilferufe der Ueberfallenen gelang es dem Räuber, der offenbar den Weg über eine freie Baustelle genommen hat, zu entkommen. Die geraubte Tasche enthielt außer 2500 mart Bargeld zwei Schecks über 1031 Mart sowie ein Bant- und Scheckbuch.
,, Na, viel Glüd in der neuen Ehe, Herr Eisermann!" jagten die Frauen und lachten.
Und bei diesem Weiberlachen zog sich der heiratslustige Schuhmachermeister am Bart und dachte: ,, Der Teufel fenne sich aus in den Weibern !"
Doch weiteren Gedanken in dieser Richtung enthob er fich meist durch einen Schluck aus dem gläsernen Tröster.
*
An Vaters Hochzeitstag hatte Ludwig frei. Sein Meister war selbst als Hochzeitsgaft zugegen. Als er einige Bläser hinter der Binde hatte, wurde er gesprächig und rühmte Ludwigs Geschicklichkeit.
,, Der Junge hat was los, wird bestimmt ein tüchtiger Handwerker werden!"
Das war das erste Lob, das der eingeschüchterte Junge über sich sprechen hörte.
Es flang ihm zwar gut in den Ohren. Aber da erinnerte er sich der vielen Schläge, die ihm dazu verholfen hatten, und sofort wurde der meisterliche Lobspruch bedeutungslos. Morgen würde ihn das Vieh ja doch wieder schlagen.
Die neue Mutter trat ihr Amt mit viel Geräusch an. Aber alle ihre Bersuche, die jüngeren Kinder in ihre Gemalt zu bekommen, scheiterten, mochtert sie noch so gut gemeint sein. Sie vermochte nicht, sich durchzusehen und sich Respekt zu verschaffen. Sie war und blieb eben die Stiefmutter.
Paul, der Aelteste, jah sich die Sache mit der neuen Mutter wie von ungefähr an. Wie man Personen betrachtet, die einem eigentlich gar nichts angehen. Er sagte Sie zu ihr und behandelte sie sehr von oben herab.
Auf ähnliche Art schnappte auch Albert ein, der Kaufmannsstift. Er sagte: Alles was recht ist, aber die Frau ist mir viel zu jung, als daß ich mir von ihr was fagen ließe!"
Ludwig indeffen nahm eine neutrale Haltung ein. Er ließ sich zwar ihre Sorglichkeit gefallen, fonnte jedoch keine Sympathie für sie aufbringen.
Die Frau, die sehr unter diesen äußeren und inneren Widerständen litt, flagte ihr Leid dem Manne. Doch auch da fand sie feine Hilfe. Er zuckte nur verlegen die Achseln und sagte: Sieh zu. Maria, wie du mit den Bengeln fertig mirst, ich will nichts davon hören!"
Aber schließlich ermannie er sich doch auf und wari Paul, als der einmal zu frech wurde, furzerhand aus dem Hause. Doch die andern jungen Leute", für die dieses Erempel
|
Rechtzeitige Vorarbeiten sind vonnöten.
Wie wir von unterrichteter Seite hören, besteht die Absicht, die Institution der Berliner kunstwochen" im Frühsommer 1931 wieder aufleben zu lassen. So ficher wir zur Stunde dringendere Sorgen haben als die Beschäftigung mit künstlerischen Sommerplänen, so ist doch zu sagen, daß mit den Vorarbeiten, wenn nicht die Fehler von 1930 wiederholt werden sollen, nicht früh genug begonnen werden fann nicht früh genug mit der Aufstellung eines fünstlerischen Gesamtplanes und mit der Werbung im Ausland.
-
Es handelt sich um zweierlei: erstens darum, in der Jahreszeit des erfahrungsgemäß flauesten Theater- und Konzertgeschäfts die produttiven Kunstkräfte Berlins zu repräsentativen Höchstleistungen zusammenzufassen. Und zweitens, durch Veranstaltungen außerordentlicher Art den Fremdenzuftrom zu beleben. Man wird, um auswärtigen Besuchern etwas Besonderes zu bieten, sich nicht auf die einheimischen Attraktionen zu beschränken haben; aber wenn Berliner Kunst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden soll, müssen vor allem auch die volkstümlichen Elemente viel stärker als bisher im Programm vertreten sein. Die Idee der Kunstwochen war ursprünglich aus den ,, Berliner Festspielen" her vorgegangen. An diesen Ursprung darf nichts mehr erinnern. Schon die Ankündigung von Sommerfestspielen müßte heute im Ausland wie in Deutschland eher befremdend, ja verlegend als werbend wirken. Aber wenn es in sachlicher Arbeit gelingt, die künstlerische Aktivität der Reichshauptstadt zugleich im Dienst ihrer wirtschaftlichen Interessen anzuregen und zu steigern, dann könnten diese Kunstwochen gerade auch in schweren Zeiten für uns von Wert sein.
3n 5% Stunden vom Bodensee zur Zuiderfee.
Das Flugschiff Do X( D 1929) ist am gestrigen Mittwochnachmittag um 17 Uhr( 16.30 Uhr holländische Zeit von der hollän difchem Marineflugftation Schellingwoude an der Zuidersee bei Amsterdam glatt gelandet.
Damit ist der erste Fernflug des Riesenflugschiffes der Dornier- Werke, das bisher das Bodenseegebiet nicht verlassen hatte, in vollem Umfange geglüdt. Die Reise des Do X rheinabwärts Dollzog sich programmgemäß und ohne jeden 3wischenfall. Um 15.03 1hr wurde Roblenz, 15.27 Uhr Bonn , wenige Minuten später Köln und um 15.50 Uhr Düsseldorf passiert, wobei die Bordſtation jedesmal die Standorte durch Funksprüche meldete. In der holländischen Marineflugstation Schellingwoude bei Amsterdam , war man inzwischen durch die Funtsprüche von Bord über die Annäherung des Do X unterrichtet, und es wurden alle Vorbereitun gen zum Empfang getroffen. Aus Amsterdam waren riesige Scharen Schaufustiger herbeigeeilt, die die Ufer der Zuidersee, in der Umgebung des Flughafens dicht besetzt hielten. Hunderte vou Wafferfahrzeugen, Dampfern, Motorbooten und Seglern treuzten bei Schellingwoude in Erwartung des deutschen Riesenflugzeuges, to daß die holländischen Strompolizeibehörden scharfe Absperrmaß nahmen treffen mußten, damit eine breite Wasserfläche freigehalten wurde, auf der die Landung erfolgen sollte. Gegen 17 Uhr( mitteleuropäische Zeit), als schon die Dämmerung einfegte, erdröhnte von ferne her, immer mehr anschwellend, der Donner der zwölf Motoren des Dornier- Flugschiffes, Do X erschien in ruhigem ficheren Fluge über der Zuidersee, und nach einer Schleife über Amsterdam erfolgte unter dem ohrenbetäubenden Jubel der Tausende und dem Heulen der Sirenen und Dampfpfeifen die glatte Landung in unmittelbarer Nähe des großen Flugbootschuppens von Schellingwoude.
Do X hat für die 880 Kilometer lange Strecke vom Bodensee nach Amsterdam rund 5% Stunden gebraucht, hat also eine Durch
statuiert worden war, nahmen es sich nicht besonders zu Herzen.
Besonders Albert war nach wie vor von geradezu hohnvoller Gehässigkeit. Bei jeder Gelegenheit versuchte er, die Stiefmutter zu reizen und zu verwunden. Und es gelang ihm nur zu gut!
Weinend saß die Frau, die in den Vierzigern war, manche Stunde und beklagte ihr bitteres Los.
Der Alte sah selber, daß der Karren von Grund aus verfahren war.
Noch schlimmer wurde es, als ein Jahr später der Stiefmutter ein Mädchen geboren wurde. Da waren die Jungen außer Rand und Band. Jegt lärmte und triezte Albert erst recht und zog auch den vierten Bruder, Stephan, auf seine Seite. Der war erst vor furzem aus der Schule gekommen und vom Vater bei einem Schuhmachermeister in der inneren Stadt in die Lehre gegeben worden. Wenn die beiden da waren, hatte die Stiefmutter die Hölle im Hause.
Unter folch unguten Verhältnissen wuchs Ludwig heran, wurde groß und start, ein hübscher Junge mit zartem Gesicht und dichten, schwarzen Haaren, die wie Bürsten aufrecht standen. Im stillen gestand er sich ein, daß die Stiefmutter tüchtig und von wirklich rührender Fürsorge war. Aber er fonnte thr feinen freundlichen Blick geben, ihr fein lobendes Wort sagen. Es war noch das Blut seiner Mutter, das alles an ihm wie zugeschnürt hielt.
Bater Eisermann liebte seinen Sohn Ludwig seines stillen Wesens halber besonders; aber manchmal wollte es ihm doch scheinen, als ob der Junge etwas beschränkt wäre. Doof", wie er jagte. Er äußerte diese Befürchtungen auch den Kunden gegenüber die zu ihm in den Laden kamen. Aber die also Angesprochenen jagten meder Ja, noch Nein. Was sollten sie auch. Sie fannten ja Ludwig gar nicht.
Ludwig Eisermanns drittes Behrjahr ging zu Ende. Wieder einmal stand er wie immer bis spät abends an Jeiner Hobelbant und arbeitete an einem Schrant, den er noch fert gstellen sollte.
Das Gehäuse war fertig, die Rückwand eingezogen. Er ging eben daran, die Türen in das Gehäuse einzupassen.
Der Junge war übermüdet. Kaum fonnte er die Augen noch offen halten bei dem trüben, funzeligen Lampenlicht. Da passierte es ihm, daß er die linke Tür zu kurz riß. Beim Einpassen nachher erwies sie sich als zu flein.
( Fortseßung folgt.)