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Max Hochdorf  : Sinclair Lewis  

ihr Leben ruiniert. Gefängnis wird Ihnen nicht erfpart bleiben, wie ich den Alten tenne..."

Aus Stockholm   wird gemeldet, daß der amerikanische   Schrift| iogt heute nicht mehr: der Dantee. Man flüstert mur noch: Der Bühne, den alten, schmierigen Ober, die Blumenfrau, die Schoko­steller Sinclair Lewis   den Nobelpreis für 1930 erhielt. Babbitt  . Und jedermann weiß, was gemeint ist.

Die schwedischen Kunstrichter haben lange und mühselig die europäische   Literatur abgesucht, bis sie diesmal einen würdigen Mann entdeckten. Allgemein wurde erwartet, daß das Los jetzt einen Amerikaner treffen würde. Denn die Romanliteratur des neuen Kontinents erregte während des letzten Jahrzehnts in Europa  großes Aussehen. Man wunderte sich, daß dieses aus allen Rassen der Welt zusammengemischte Volf so großzügige und großartige Talente hervorgebracht hatte. Man hatte vermutet, daß in den Ber: einigten Staaten nur eine bürgerliche, ju spießbürgerliche Unter haltungsschriftstellerei gepflegt werde. Und dann traten plötzlich die großen und sehr energischen Sozialfritiker auf, Romanschriftsteller mie Artur Dreijer, der aus dem Osten Europas   Zugewanderte und jenseits des Ozeans heimisch gemordene Davijohn, der sehr radikale Upton Sinclair   und schließlich Sinclair Lewis  , der jetzt den Barbeer errang.

Der amerikanische Nobelpreisträger, der jetzt mit allen euro­ päischen   Ehren bedacht wurde, ist ein mutiger, aber auch ein sehr talentierter Mann. Er schreibt außerordentlich breit, ganz geschult an den mustergültigen Modellen des europäischen   Wirklichkeits­romans. Er hat in der besten, begüterten Gesellschaft seiner Heimat gelebt und sie veranlaßt ihn zu durchaus satirischer Betrachtung. Upton Sinclair   ist bitter und unerbittlich, ein Antläger und Ent­farver von Uebelständen, Sinclair Lewis  , dessen Romane viel mehr in Europa   als jenseits des Atlantik gelesen werden, ist gemütlicher. Er verurteilt nicht in Grund und Boden den spekulativen Yankee­geist, er macht sich nur über ihn luftig, wie gebildete Männer es in behaglichen Klubs tun dürfen. Trotzdem wurde Sinclair Lewis  feinen Landsleuten, schon von Anfang seiner Kartere ab, verhaßt. Er hatte einen amerikanischen   Nationaltyp getroffen und wunder­noll charakterisiert, den Babbitt  . Der Roman, der Sinclair Lewis Weltruhm einbrachte, erzählt denn auch von der Rasse der Babbitts.

Was ist ein Babbitt? Es ist der sentimentale Spekulant. der Boden und Güter an sich bringt. Man würde ihn im Inflations­deutsch einen Raffle nennen. Der Babbitt   frißt sich immer mehr in den amerikanischen   Grund und Boden hinein. Er zerstört die Jungfräulichkeit der Erde. Er verwandelt Steppenöde in Städte und Siedlungen. Doch er tut alles das strupellos. Nicht der Gemein­finn und nicht die Freude, seinem Nebenmenschen zu nüßen, treibt ihn zu den fühnen Geschäften. Und alles will er in seine Tasche tugieren. Er normalisiert Schönheit, Kultur, Geist und sogar die Liebe. Der Babbitt   ist gefräßig, aber fein Feinschmecker. Er wirft mit der sozialen Phrase um sich in Kirchen und Stadtparlamenten, doch im tiefsten Winkel feines Kopfes und Herzens liebfost er die Idee: mie drüde ich meine geschäftlichen Rivalen an die Wand, ehne daß ich belangt werden fann?

Weil Sinclair Lewis   diefen beinahe sympathischen Egoisten und Philister so naiv betrachtete, weil er nicht so emphatisch anklagte und verfluchte wie Dreifer, Upton Sinclair   und ihre Nachahmer es taten, traf er den amerikanischen   Durchschnittstyp der Bour­geoisie niel echter und gründlicher als die Inuiten Pathetiker. So fonnte es geschehen, daß ein Romantitel zur Bezeichnung für eine ganze Standes affe auf alle Ewigkeit ausgenutzt wurde. Man

Man

Der Vorwärts" druckte einen der unterhiltsamsten Romane von Sinclair Lewis   ab. Die auffallendsten Personen darin werden geliefert aus der weitvertbreiteten Familie der Babbitts. Nun bleibt dieser Durchschnittsamerikaner ein durchaus gediegener Mann mit Bankguthaben, fommunalen Ehrenstellen und Anrechten auf Gou­verneursposten und Senatorenfig nicht immer in seiner amerikani­schen Heimatstadt. Er kommt früh zu Renten. Er unternimmt den Trip übers Meer. Er erstaunt, daß seine Riesenheimat eigentlich nur ein fomisches Krähwinkel gewesen ist. Babbitt   wird geradezu von der Manie angesteckt, ein Weltbürger zu werden, nachdem er eben noch ein Spießbürger gewesen ist. Man leje Sinclair Lewis   voll­kommensten und künstlerisch am höchsten stehenden Roman Sam Dodsworth" und man miro berre fen, welche innere Revol tion in den Bewohner des neuen Kontinents fommt, der plößl'ch alle seine alten Vorurteile mie eine nicht unbeträchtliche Geistesfrank­heit abschütteln möchte. Der Babbitt   ist ein robufter Kerl. D'e zarteren Saiten fehlen seinem Gemüt nicht. Da sein Scheckbuch durch gewichtiges Bankguthaben gedeckt ist, gerät er sehr bald m die so­genannte beste Gesellschaft Europas  . Dieses Abenteuer befommt ihm ganz gut. Manchmal verfällt er einer ziemlich hißigen Leiden­schaft zu jenen noblen und komplizierten Europäerinnen, die viel Geld und viel Männergeduld verbrauchen fönnen. Aber Babbitt  , diesmal Sam Dodsworth genannt, übersteht alles schlecht und recht. Er ist eben ein Mann von guter Konstitution. Er ist nicht lange zu bluffen, er blufft vielmehr von sich aus und erkennt, daß in Europa   zwar närrische Individualisten in allen Ländern wohnen, daß den Leuten aber im allgemeinen mehr der Selbsterhaltungs­trieb als der soziale Trieb im Blute sitzt. Und Sam Dodsworth, Babbitts nächster Blutsverwandter, soll, wie Sinclair Lewis   ihn anleitet, schließlich am moralischen und ökonomischen und fulturellen

Weiterfommen der Bereinigten Staaten mitarbeiten. Durch Europa  wird also Babbitt  , der ein frasser Egoist war, befehrt.

Sinclair Lewis   wanderte viel durch die europäischen   Haupt­städte. In seinen Romanen werden Paris   und Rom  , Berlin   und London   beschrieben. Uns interessiert hier besonders der Schilderer von Berlin  . Er beschreibt die sehr dunkle. von der Nachkriegszeit versumpfte, von der Inflationsnot verarmte Hauptstadt. Er wird, wenn er von diesen Dingen und unangenehmen Zeiten erzählt, ein sehr ernster Moralist, beinahe ein politischer Kritiker. All das Narrentum des deutschen   Adels. der sich nicht an die neue Zeit ge­wöhnen kann, wird in seinem Roman von Sam Dodsworth durch gehechelt. Die lächerlichen Jongleure des Gefühls. die sich in der Berliner   Boheme breit machen, bieten dem amerikanischen   Gesell­schaftspfychologen einen dankbaren Gegenstand.

So ist Sinclair Lewis   wirklich ein repräsentativer Romanscrit steller. Es ist vieles in ihm, was auch in Thomas Mann  , dem Träger des vorjährigen Nobelpreises, lebt. Besonders Sinclair Lewis   führt eine famose Feder. Bolkstümlich fann er fein, ohne in Plattheit zu verfallen. Das gebildete Europa   liest ihn mit Freude. Es ist wahr, vom Kampf der Massen und von dem Sieg und der Niederlage der arbeitenden Klasse hat er nichts begriffen. Au sein Interesse gehört dem gediegenen Bürgerstande, zu dem er sich be­tennt. Doch hier ist er zu Hause wie feiner seiner Landsleute.

Kurt Rudolf Frenzel rettet Müller

Neubert:

Es war sechs Uhr. Geschäftsschluß für das Brivatbanthaus. 1 Im Zimmer des Chefs wurde noch in einer Neugründungsfache verhandelt. Mehrmals tlang seine Stimme auf: 40 Proz.!" Im Kassenraum saß der Kassierer Frenzel noch vor den Büchern. Müller, auch Kleiner" genannt, Buchhalter mit 150 m. Monatseinkommen und einem etwas zerfahrenen Wesen, besonders in der letzten Zeit, räumte seinen Schreibtisch ab und griff nach bem Hut.

Frenzel fah auf. Sleiner!" sagte er ,,, bleiben Sie mal, ich habe mit Ihnen zu reden!" Der junge Mann wurde blaß.

,, Müller!" fuhr der Kaffierer fort, ich habe in ihrer Abwefen heit mal ihre Stempelmartenfaffe tontrolliert, es fehlen fünfhandert

Mark."

Der Kleine fah noch bläffer aus, zum Wegfahren. Der Staffierer zündete sich jetzt eine Zigarette an. Er nahin einen tiefen Zug, dann fagte er: Müller! Sie haben die fünfhundert Mark unterschlagen!"

Müller machte den Mund auf, brachte aber nur ein Ballen zustande. Frenzel wollte wieder etwas sagen, da flingelte das Lelephon. Es war Fräulein Klara Ziegler  . Frenzels Freundin, die hin und wieder anrief. Müller fant langsam in sich zusammen. Diese Minute des Gesprächs war wie die Qual des Fegefeuers. Gleich würde der Koffierer den Hörer auflegen, sich umbrehen, noch einmal an der Bigarette ziehen und dann

Auf Wiedersehen!" sagte der Mann am Telephon. ,, Und vergiß nicht: Morgen um acht! Auf Wiedersehen!" Er paffte schweigend auf seinem Stuhl.

Müller fonnte es nicht mehr ertragen. Er feufzte. Der Kassierer drehte sich wieder zu ihm hin, sah ihn von oben bis unten an und öffnete langsam den Mund: Es tut mir leid, Müller, ich muß dem Chef Mitteilung machen

Müller ließ den Kopf ganz tief auf die Brust sinken. Der Kassierer stand jetzt auf, ging in seinem Verschlag hin und her, die Hände auf dem Rücken und überlegte. Aus dem Zimmer des Chefs flang wieder die Stimme: 40 Broz.!"

Frenzel flappte plötzlich feine Bücher zu, bürstete feinen Rod, nahm den Hut vom Hafen und Müller am Arm: ,, Kommen Sie mit, Müller, wir gehen ein Stück. Sie müssen mir alles erzählen. Wir müssen mal sehen..."

Müller folgte ergeben. Mit einer ganz kleinen, fernen, müden Hoffnung.

Sie gingen eine Weile schweigend durch die Straßen der Cün. Aus den Kontoren und Warenhäusern drängte sich der Strom der Heimfehrenden in die Autobusse und Straßenbahnen, er floß unruhig nieder in die Schächte der Untergrundbahnen und tropfte bunt, mit dumpfem Murmeln durch die Drehtüren in die Cafehäuser. Die Lichtrellame an den Häuserfronten zudte, flammte, bohrte fich in die Hirne der Borübergehenden. Weniger grell, aber zündend, zuckte die Lieveslichtreklame aus den Augen der Friedrichstadtfrauen.

Bor einem Lokal blieb Müller plötzlich stehen. Er hob den Stopf, als wollte er reben, Iosbrechen mit schweren Geständnissen, aber er ließ den Stop wieder finfen und sagte nur leise: Hier mar es!"

Sie gingen in dos Lofol.

Frenzel lächelte ein wenig verächtlich. Es war ein ganz gewöhnliches Lotal mit tleinen billigen Mädchen.

,, Kleiner!" fagte der Weltere, als sie Platz genommen und Bier besiellt hatten, es war ein sonderbarer Borwurf in seiner Stimme: Und hier haben Sie sich unglücklich gemacht! Hier sind Sie nach Büroschluß gelandet, meil Sie verwirrt waren vom Leben der Straße, ausgehungert nach einem Erlebnis. Hier haben Sie ein angemaltes, primitives Mädchen auf dem Schoß gehabt und Wein bestellt, schlechten Wein. Und der Ober hat Herr Direktor zu Ihnen gefagt, das hat Ihnen geschmeichelt. Klingt anders als Kleiner!" Und Sie haben der Blumenfrau etwas abgekauft und dem Schoko­ladenmädel und eine neue Flasche Wein bestellt, schlechten. Und es war ihr lehtes Geld, mit dem Sie noch den halben Monat reichen sollten. Aber Sie sind immer wiedergefommen, Warum, Müller? Wofür, Müller?"

Der Jüngere fonnte nicht antworten, ihn nicht ansehen. Das Bier vor ihm schalte ab. Unberührt. Es roch ringsum nach schlechten Zigaretten, Bier und Puder.

,, Ober! Bahlen!" rief Frenzel angewidert.

*

Auf der Straße blieb Frenzel stehen, sah nach der Uhr, sah nach Müller, der ein gänzlich ausbrudsloses, unbeteiligtes Gesicht hatte, als hätten ihn schon zehn Monate Haft ausgezogen. Frenzel winkte einem Auto, mit einer Geste, die Müller auffiel, weil sie gar nicht dem gewöhnlichen Frenzel gehörte, sondern einem Manne, dem der richtige Sig der Krawatte eine Lebensfrage ist und das Winfen nach einem Auto eine läffige Gewohnheit. Beide stiegen ein. Frenzel nannte ein Lokal im Westen.

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Wie schön!" dachte Müller un Auto. Wie fremd und schön! Zum Verrücktwerden schön, weil man es nicht gewohnt ist. Mit 150 Mart im Monat!" Die Lichter der Straße huschten wie Fackeln an den Fenstern des Autos vorüber, an Kreuzungen mußten fie halten mit anderen Wagen. Privatlimousinen, darin faßen schöne, lächelnde Frauen in hochgeschlagenen Belzen.

Müller dachte: ,, So eine für heute und dann' ne Rugel ins Hirn. Was bleibt einem anders übrig?" Frenzel saß im Auto mit der Nonchalance des Chefs und mit seinem Bankkonto. Müller jah ihn von der Seite an. Was hatte der wohl vor? Aber ihm war alles egal. In diesem Auto, vor diesem Zotal, das sie jezt betraten, in dieser verwirrenden Lichter fülle und Jazzhölle, vor diesen fremden, interessanten, finnlichen Frauen, alles war ihm jetzt egal, es gab für ihn nur noch diese Nacht

Müller wunderte sich auch gar nicht mehr: Frenzel schien hier befannt zu sein. Der Geschäftsführer begrüßte ihn. Frenzel nidte herablaffend. Dann tranten sie einen Wein, der Müller schneller durch die Stehle fioß, als er wollte. Er fühlte seinen Kopf heiß werden Sein Atem ging rascher, unregelmäßiger. Wenn er auf das Parfett fah, mo man tanzte, verwischten die Gestalten vor seinen Augen in unruhigem Flimmern. Eine Frau lächelte Frenzel fehr vertraut an und dann den Kleinen". Mich!" dachte Müller. Er vergaß seinen schlechten Anzug, das Bankhaus, die Stempel martentasse, die unterschlagenen fünfhundert Mart, das Mädel, das ihm damals die Nächte beunruhigte. Sogar den Kaffierer vergaß er. Aber der sagte plöglich neben ihm mit einer leisen, talten Stimme: Armer Keri! Für einen Dred haben Sie sich

Der Kleine zuckte zusammen. Alles fiel im Tu wieder über ihn her: er fah das leichtsinnige Mädel, die Tänzerinnen auf der ladenverkäuferin, das Stundenhotel. Er sah sich vor seinen Büchern. Er hörte die Stimme des Chefs. Er fühlte die Hand eines Schupos auf seiner Schulter und stöhnte, schloß die Auget. Aber es war nur die Hand des Kassierers. Müller!" sagte der, denken Sie, für einen Dreck! Fünfhundert Mart!" Er schüttelte ihn. Ja," stöhnte Müller ,,, ich schieß mich morgen tot. Für ganze 500 Em."

Frenzel fagte: ,, Unsinn! Vielleicht tann man Ihnen helfen. Für später. Ums Sigen werden Sie wohl nicht rum tommen, aber Bewährungsfrist fann es geben. Und dann.. Er sprach nicht weiter, sah sich um, tranf aus dem Weinglas, lächelte eine Frau an, beschäftigte sich mit einer Zigarette.

Wie meinen Sie das, Herr Frenzel?" fragte der Kleine, wieder mit der ganz fernen, müden Hoffnung.

,, Tja, lieber Müller, das müssen wir mal bereden. Aber nicht hier. Bei mir zu Haus. Wir fahren jetzt hin

,, Mir ist alles egal!" antwortete der Kleine. Dann schluckte er plöglich, er sah aus, als würde er gleich anfangen zu meinen, aber er verzog nur das Gesicht, das in diesem Augenblick an die Gri­masse eines traurigen, abschiednehmenden Pierrots erinnerte. Drüben saß wieder die Dame und lächelte ihn an. Die Kapelle spielte einen Tango.

Müller hatte in diesem Moment den Wunsch, nicht nur fünf­hundert, sondern fünftausend Mark unterschlagen und mit dieser Frau und in diesem Lokal durchgebracht zu haben. Dann wüßte man doch wenigstens, wofür man sich morgen totschießt!"

,, Ums Sigen fommen Sie nicht rum!" gingen ihm Frenzels Worte noch durch den Kopf. Lächelte die schöne Frau nicht: ,, Ge­fängnis!" Spielte es die Tangofapelle nicht: Gefängnis!" Und der Ober lächelte. Und Frenzel. Gefängnis! Gefängnis!"

Und das Auto, das sie zu Frenzels Wohnung brachte, knirschte: Gefängnis!" und es bupte davonjagend noch einmal in die dunkle Straße: Gefängnis, Müller!" ( Schluß folgt.)

Dr. Bruno Borchardt  :

Strömende Elektrizität

Am 6. November sind gerade 150 Jahre verflossen, seit ganz zufällig eine Beobachtung gemacht wurde, von der die Entdeckung der strömenden Elektrizität, des elektrischen oder galvanischen Stromes, ihren Ausgangspunkt nahm. Luigi Galvani  ( 1737-1798), ein Mediziner, der damals Professor der Anatomie an der Universität in Bologna   war, hatte schon lange vermutet, daß der Sitz der sog. Lebenskraft, welche man zu jener Zeit allgemein als Ursache der besonderen Lebenserscheinungen annahm, in den Nerven und Muskeln der Lebewesen zu suchen sei. Als er an dem genannten Tage, vor genau 150 Jahren, einen Frosch zur näheren Untersuchung seziert und die präparierten Schenkel auf seinem Arbeitstisch liegen hatte, machten ihn seine beiden Assistenten darauf aufmerksam, daß die Froschschenkel in eigentümliche Zudungen ge­rieten, sobald aus dem Konduktor einer Elektrisiermaschine, die in einiger Entfernung auf dem Tisch stand, ein Funken gezogen wurde. Galvani   tam fofort auf die Vermutung, daß sich hier die noch nicht ganz erloschene Lebenskraft betätige, die eine Berwandtschaft mit der Elektrizität habe. Er stellte nun eine große Reihe von Verfuchen an, die er mehrfach veränderte, so setzte er die Froschschenkel der atmosphärischen Elektrizität aus und bemerkte ihr auffälliges Zucken bei jeder elektrischen Entladung im Bliß und sogar auch, wenn dunkle Bolten vorüber zogen, ohne daß es zu einer Entladung durch ein Gewitter tam. Ja, auch als er sie mittels eines Drahtes an dem Gitter seines Balkons aufgehängt hatte, bemerkte er die gleichen unverkennbar elektrischen Zuckungen, wenn der Bind ihre Enden zufällig in Berührung mit dem Gitter brachte. Die Verwandtschait der Lebenskraft mit der Elektrizität schien ihm nun unzweifelhaft, zumal er später noch die Entdeckung machte, daß gewiffe Tiere, vor allem der Zutterrochen, imftande sind, elektrische Schläge zuteilen.

Die älteren unter uns erinnern sich wohl noch des Aufsehens und der Aufregung, die vor 34 Jahren die ganze Welt erfaßte, als die Entdeckung Röntgens bekannt wurde; Berufene und Unberufene, Fachleute und Laien wiederholten überall die merkwürdigen Ber fuche. Aehnlich mag das Aufsehen gewesen sein, das die Beobach tungen Galvanis feinerzeit erregten, die nun auch überall wiederholt wurden. Dabei bemerkte Alessandro Bolta( 1745-1827), der damals Profeffor der Physik in Bavia war und schon verschiedene Erfindungen zur Verstärkung elektrischer Wirkungen gemacht hatte, daß zum Zustandekommen der Buchungen der am Gitter aufgehängten und die Gitterstäbe aus verschiedenen Metallen bestehen. Er suchte Froschschenkel erforderlich ist, daß der zum Aufhängen bemußte Draht daher den Sitz der Kraft, welche die Elektrizität in Bewegung setzt, die sich dann in den Froschschenkeln ausgleicht, nicht in den tierischen Muskeln und Nerven, sondern an der Berührungsstelle der beiden Metalle, und sprach von Berührungselektrizität oder zu Ehren des ersten Beobachters von galvanischer Elektrizität, obgleich dieser die von seiner Auffassung abweichende Erklärung geradezu als persön­liche Beleidigung aufnahm und in bitterster, unsachlicher Weise bekämpfte. Aber Voltas Auffassung errang allgemeine Anerkennung, als es ihm gelang, auch ohne tierische Präparate bei Berührung zweier Metalle die Entstehung von Elektrizität nachzuweisen und die Wirkung noch erheblich zu steigern, indem er zwischen Platten­paare aus Kupfer und Zink noch flüssigkeitsgetränkte Filzstücke ein­schob; der die Enden verbindende Draht wurde dann von einem galvanischen Strom durchflossen an dieser Bezeichnung hielt Bolta troß seiner Bekämpfung durch Galvani   fest und sie hat sich auch bis heute erhalten.

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Allerdings hörte der Strom nach furzer Zeit auf, denn die vielen zur Säule" aufeinander geschichteten Platten preßten die Flüssigkeit aus dem Filz heraus, die dann an der Säule entlanglief, so daß in ihr selbst der elektrische Ausgleich erfolgen konnte. Aber auch, als die Platten in Becher getaucht und zur Berstärkung der Wirkung mehrere solcher Becher zu einer Boltaischen Kette" oder die Enden verbindenden Draht an Stärke rasch ab und erlosch bald ,, Batterie vereinigt wurden, nahm der galvanische Strom in demi völlig. Die Flüssigkeit spielt eben nicht einfach die Rolle eines Leiters der Elektrizität, wie Bolta glaubte. sondern erleidet beim Durchgang des Stromes chemische Veränderungen, die einen Gegen­strom hervorrufen. Der chemischen Borgänge, die sich an den Be­rührungsstellen von Metall und Flüssigkeit abspielen, sind, wie wir heute wissen, sogar die Ursache der ganzen Erscheinungen, der Siz der elektrizitätsbewegenden( elektromotorischen) Kraft ist nicht die Berührungsstelle der Metalle, wie Bolta glaubte, sondern die Be= rührungsstelle zwischen Metall und Flüssigkeit.

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Doch das gehört schon zu der weiteren Entwicklung, die sich an die erste Beobachtung Galvanis anschloß und in 1% Jahrhunderten zu so großartigen Ergebnissen geführt hat ich erinnere nur an Telegraphic, Telephonie, Rundfunk-, an die weder Galvani   noch Bolta auch nur entfernt denten konnten. Doch ändert das nichts an dem Ehrenplag, den sie mit Recht in der Geschichte der Wissenschaft und damit in der Geschichte der Menschheit einnehmen.