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Morgenausgabe

Nr. 533

A 268

47.Jahrgang

Böchentlich 85 Bt. monatli 3,60 22 im voraus zahlbar, Boftbezug 4.32 R. einschließlich 60 Bfg. Bostzeitungs- und 72 Bfg. Boftbestellgebühren. Auslands. abonnement 6,- M. pro Monat. *

Der Borwarts erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abenbausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend. Juuftrierte Beilagen Boll und Zeit" und Kinderfreund. Ferner Frauenftimme" Technif". Blid in bie Büchermeit", Jugend- Borwärts und Stadtbellage.

Vorwürts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag

13. November 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etnipeltige Nonpareillezetle 80 Pfennig Reflamezetle 5,- Reichs mart. Aleine Anzeigen das ettge brudte Bort 25 Pfennig( zuläffig zwel fettgebrudte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Biennig, jedes weitere Wort 20 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben sählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig: Anzeigenannahme im Haupt­geschäft Lindenstraße 3, mochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Donboft 292-297 Telegramm- Abr.: Sozialdemokrat Berlin .

Vorwärts: Verlag G.m. b..

Urteil über den Schiedsspruch.

Einstimmige Entschließung des Erweiterten Beirats des DMV.

Der Kampf in der Berliner Metallindustrie und seine Bedeu­tung veranlaßzte den Borstand des Metallarbeiterverbandes die Bei­ratsmitglieder aus ganz Deutschland nach Berlin zu berufen.

Der Vorsitzende, Genosse Brandes, schilderte noch einmal den ganzen Berlauf der Bewegung bis zu dem Schiedsspruch des Dreimännerkollegiums Brauns- Jarres- Sinzheimer..

In der bis in die Abendstunden sich hineinziehenden Aussprache erkannten die Vertreter der 17 Bezirte, daß es notwendig gewesen ist, trotz der Ungunft der Verhältnisse den Stampf in der Berliner Metallindustrie aufzunehmen. Um so mehr gaben die Delegierten

ihrem Erstaunen und ihrer Empörung über den letzten Schiedsspruch Ausdrud,

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der von den drei Unparteiischen gefällt wurde. Der Mitgliedschaft in ganz Deutschland hat sich eine ungeheure Erregung bemächtigt, weil sie nicht mit Unrecht befürchtet, daß die Unternehmer versuchen werden, diesen Berliner Schiedsspruch auf das ganze Reich anzuwenden. Diese Gefahr wird noch vergrößert, weil der Schiedsspruch den Absichten der gegenwärtigen Regierung entspricht.

Die drei Unparteiischen haben ihre Aufgabe vollkommen verkannt. Benn sich auch die Metallarbeiter von vornherein ihrem Spruch unterworfen haben, so durfte dieser doch kein Dittat sein, sondern mußte versuchen, den berechtigten Erwartungen der Arbeiter zu entsprechen. Die große Gefahr dieses Schiedsspruches

liegt darin, daß in Zukunft die Gewerkschaften nicht mehr bereit fein tönnen, sich einem Schiedsspruch von vornherein zu unter­werjen im Bertrauen auf die Einsicht etwa zu berufender Un­partelischer.

Die Stellung des für die Arbeiterschaft in das Schiedsgericht berufenen Prof. Sinzheimer zu dem Schiedsspruch wurde scharf fritisiert. Der erweiterte Beirat nahm wohl Kenntnis von der Er

flärung Prof. Sinzheimers im Borwärts", daß er durch seine zu ftimmung zu dem Schiedsspruch einen schlechteren Spruch verhin dern wollte. Dennoch wurde die Auffassung vertreten, daß es richtig gewesen wäre, diesem Schiedsspruch die Zustimmung zu ver fagen, um den beiden anderen Unparteiischen die ganze Ver­antwortung für die Folgen zu überlassen.

Besonders unangenehm wurde die Mitteilung aufgenommen, daß Sinzheimer während der ganzen Dauer der Schiedsgerichts­verhandlung auch nicht ein einziges Mal versucht hat, die Verbindung mit der Verhandlungskommission der Metallarbeiter aufzunehmen. Durch seine Zustimmung zu dem Schiedsspruch hat Sinzheimer jenen infamen Berleumdern Vorschub geleistet, die behaupten, daß der Deutsche Metallarbeiterverband ein abgefartetes Spiel ge­trieben habe. Das Treiben der Kommunistischen Partei

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mertschaftsfunktionären und Arbeitern und als eine Propota. tion von der gesamten Arbeiterschaft empfunden werden muß; um so mehr, als der bisherige Verlauf der Preissenfungsattion, ins­besondere für die notwendigen Lebensgüter, einer Verhöhnung der Arbeiterschaft gleichfommt. Der erweiterte Beirat hat kein Verständnis für das Verhalten des vom Verband benannten Unparteiischen, Prof. Dr. Sinzheimer, der durch seine Zustimmung zu dem Schiedsspruch, auch wenn er damit den 3med verfolgte, einen noch schlimmeren zu verhindern, die Verantwortung für denselben mitüternommen und damit die beiden anderen Unparteiischen

entlastet hat.

Die Entscheidung der drei Unparteiischen ist eine Hilfe für die arbeiterfeindlichen Bestrebungen des gesamten deutschen Unter­nehmertums.

Aber der Deutsche Metallarbeiterverband wird allen Angriffen gegen die Lohn- und Arbeitsbedingungen wie bisher den größtmöglichsten Widerstand entgegensetzen.

Die reaktionären Attentate gegen die Berliner Arbeiterschaft

find aber nur möglich infolge der die Arbeiterbewegung zerfeßenden und zermürbenden Tätigkeit der Kommunistischen Partei, die selbst in diesem schweren Berliner Kampfe ihre Aufgabe lediglich darin sah,

die Arbeifer gegeneinander zu heben, um sie zu schwächen. Diesem verbrecherischen Handeln segte die Kommunistische Partei Deutschlands die Krone auf durch die Bildung einer neuen Organisa­tion, die zur Interessenvertretung der Arbeiter unfähig ist, auch Peine Stampforganisation der Arbeiter gegen die fapitalistische Real tion und die Scharfmacher, sondern

eine mit den gemeinsten Mitteln arbeitende Kampforganisation

gegen die in den Gewerkschaften vereinigten Arbeiter sein soll. Die von der KPD. aufgestellte Behauptung, daß die Orts. verwaltung Berlin oder irgendeine andere Körperschaft oder Person des Deutschen Metallarbeiterverbandes den letzten Schiedsspruch vorher getannt, ja, denselben mit veranlaßt habe, entspringt nur der niedrigsten Gesinnung; ist eine Infa mie und wird mit der größten Berachtung zurückgewiesen.

Der erweiterte Beirat brandmarkt dieses arbeiterverräterische Berhalten der Kommunistischen Partei Deutschlands und ihrer sogenannten RGO.

Postscheckkonto: Berlin 37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65. Dt.B.u.Disc.- Ges., Depofitentaffe, JerusalemerStr.65/ 66.

Wains

Hegel und Prügel.

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Zierden des Dritten Reiches an der Berliner Universität.

In Berlin ist es auf dem Vorhof des Universitäts­gebäudes, dem Hegelplaz, und in dem Hause der Gelehrsam­feit selbst zu blutigen Prügeleien gekommen, wie sie bis­her nur von Wien bekannt waren.

Nationalistische Studenten unter Führung von Hitler­Anbetern haben sozialdemokratische Mitstudierende förperlich attadiert, eine Studentin, die ihnen zu jüdisch aussah, geschlagen, zu Boden gerissen und mit Füßen getreten. Der teutsche Heldenmut dieser Ebelinge tobte sich an einer Frau aus, die das Pech hat, mit ihnen von der gleichen Alma mater geistige Speise zu erwarten. Der Rektor der Universität, der Theologe. Deißmann, hat vergeblich ver­sucht, die randalierenden Rassenjünglinge in die Hörsäle zu dirigieren. Sie fühlten sich, wahrscheinlich in Erinnerung an die Gedenkfeier für Langemart, als Retter der Nation und mußten auf der Straße wie im Borgarten der Universität durch die Polizei zur Räson gebracht werden. Sieben von ihnen wurden vorläufig zwangsgestellt", um den polizei­technischen Ausdruck hier einmal anzuwenden.

Den Vorwand für diesen Tumult mußte die Tatsache liefern, daß die Sozialistische Studentenschaft Flug blätter verbreitete, in denen sie auf die Absicht der Nazi­akademiker aufmerksam machte, in der Zeit der schwersten wirtschaftlichen Sorgen einen akademischen Ball zu horrenden Eintrittspreisen zu veranstalten. Ein solcher Hin weis auf die demagogische Propaganda der Hitler- Bewegung und, im Vergleich dazu, auf die bourgeoise Praris ihrer An­hänger, hatte es den akademischen Anbetern des Dritten Reiches angetan. Da sie auf dem Universitätsgelände noch die Mehrheit zu haben glauben, griffen sie zum Knüppel­fomment, indem sie tapfer auf die Minderheit einschlugen und besonders die Frauen nicht verfchonien.

Das Ganze scheint eine Episode zu sein in der großen Auseinandersetzung, die unsere Zeit nun einmal erfordert. Aber es hat sicher eine tiefer und weitergehende Bedeutung, wenn man sie im Rahmen der besonderen Entwicklung des akademischen Nachwuchses betrachtet. Aus jahrhundertealter Ueberlieferung nimmt die akademische Jugend für sich das Recht in Anspruch, ihre besondere ,, Frei­heit" zu genießen. In den gleichen Lebensjahren, die die Arbeiterjugend längst an Schraubstock und Hobelbank, an die glutheißen Kessel oder den Pflug fesseln, pflegten die Söhne des aufstrebenden Bürgertums ihren freiheitlichen Bummel

und fordert alle denkenden Arbeiter und Arbeiterinnen Berlins und des ganzen Reiches auf, diesem arbeiterschädlichen Treiben Halt zu gebieten. Er ruft angesichts der dauernden Berschärfung der Klassen­gegensätze die Metallarbeiterschaft zur höchsten Geschlossen heit und Solidarität und zur unermüdlichen Stärkung der macht und des Einflusses des Deutschen Metallart eiterverbandes überrascht, weil man es nachgerade von diesen Kumpanen der auf. Besonders an die Metallarbeiter Berlins ergeht der Aufrut, daß ihnen später als den Führern des Voltes" alle Würden aus dem Verlauf des Kampfes die Lehre zu ziehen, daß nur durch Unternehmer gewohnt ist. Daß nun die KPD. auch noch zur Spal- festgefügte, innerlich geschlossene Organisation aller Metallarbeiter tung des Metallarbeiterverbandes durch Gründung einer Splitter­organisation überging, in einer Zeit, mo Einigkeit und Geschlossen im Deutschen Metallarbeiterverband den Unternehmern der erforder­heit die erste Voraussetzung ist, um dem Ansturm aller Reaktionäre fiche Widerstand geboten werden kann zu begegnen, ist nur

die Krönung des Arbeiterverrats,

den die Kommunistische Partei schon immer getrieben hat, Gerade die Berliner Bewegung und ihr Verlauf müßte der großen Zahl der Unorganisierten besonders begreiflich gemacht haben, daß sie nicht länger abseits von den Gewerkschaften stehen dürfen.

Darüber bestand im Erweiterten Beirat volle Einmütig­feit, daß durch den Ausgang der Berliner Bewegung

der Widerstand im Lande gegen jede Lohnverschlechterung wie gegen jede sonstige Berschechterung der Arbeitsbedingungen nicht leiden darf, sondern im Gegenteil auf das stärkste gefördert werden muß.

Die Meinung des Erweiterten Beirats wurde in der folgenden Entschließung zum Ausdrud gebracht, die einstiminig angenom.

men wurde:

,, Der am 12. November 1930 in Berlin vérsammelte Erweiterte Beirat des Deutschen Metallarbeiterverbandes spricht dem Vorstand, der Ortsverwaltung und den Berliner Kollegen die An erkennung aus für den unter ungünstigen Verhältnissen auf genommenen und durchgeführten Kampf gegen den von den Metall­industriellen geforderten Lohnabbau, der auch noch von der Schlich terfammer unter Dr. Völker durch einen unerträglichen Schieds­fprudh unterstüẞt murde. Die Abwehr war unerläßlich, weil diefer amtliche Schiedsspruch und seine drohende Berbindlicherflärung die verhänignisposten wirtschaftlichen, fozialen und politischen Folgen haben mußte. Deshalb wandte sich auch

die Mehrheit des Reichstages und die breiteste Deffentlichkeit gegen eine Berbindlicherklärung des unverständlichen Schieds­fpruches.

Um so empörender ist der unter dem Borsiz Dr. Brauns von Ben brei Unparteiischen gefällte neue Schiedsspruch vom 8. No­Dember 1930, der als offener Betrug von den beteiligten Ge­

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Massenaufmarsch in Wien .

Die Werftätigen schüßen die Republik .

Wien , 12. November.( Eigenbericht.) Heute am Gedent und Staatsfeiertag der Republik hat die Arbeiterschaft in ganz Desterreich große Kundgebungen ver­anstaltet. Die Rundgebung in Bien war noch weit gewaltiger als in früheren Jahren. Von 10 Uhr vormittags bis 42 Uhr nach mittags zogen die demonstrierenden Maffen beim Denkmal der Republik am Parlament vorüber, zum Teil in Zehner, zum Teil in Zwanzigerreihen. Die Bezirke hatten ihre Musikkapellen, ihre roten Fahnen und Standarten mitgenommen, deren Inschriften den Willen der Arbeiterschaft betonten, den a schismus zu beseitigen und die sozialen Errungenschaften der Arbeiterschaft aufrechtzu erhalten. Reden wurden nicht gehalten. Am Denkmal der Republit hatte der sozialdemokratische Parteivorstand und der Vorstand der Wiener Organisation Aufstellung genommen. Man schäßt die Zahl der Teilnehmer auf weit über 400 000. Außerdem umfäumte ein dichtes Spalier den ganzen Weg des Aufmarsches.

Beim Bundespräsidenten erschienen das Präsidium des National rats. In Berhinderung des Präsidenten Gürtlerden die Chrift lichsozialen nicht mehr aufgestellt hatten! sprach der zweite Prä sident Genosse Eldersch dem Bundespräsidenten die herzlichen Glückwünsche aus und sagte u. a.: Die Wahlen haben bestätigt, daß das österreichische Bolt nach wie vor an den demokratischen Grundsägen der Verfassung festhält. Bundespräsident Mitlas antwortete, er teile die Meinungen über den hohen Wert der demo tratischen Einrichtungen der Republit.

und Aemter offen standen, die das Klassen- und Privilegien­system den Gebildeten" vorbehielt.

Die Demokratie hat mit vielem áufgeräumt, auch mit dem absoluten Vorrecht der akademischen Formalbildung. Heute sieht sich die bürgerliche Jugend plöglich in ihrer sicheren Zukunft bedroht, sie muß mit Schaudern sehen, daß ,, gewöhn­liche" Boltsschüler und Handwerker zu Aemtern im Volfe kommen, die doch eigentlich ihr vorbehalten sein sollten. Mehr noch: Proletarierfinder fommen durch Selbststudium und Arbeiterfurse zur Möglichkeit, selbst als Studenten in die Kreise des früheren Vorrechts einzudringen.

So ist der akademische Radikalismus und Nationalismus heute im tiefsten Grunde ein Versuch, die gesicherten Rechte und Vorrechte der aristokratischen Klassen­teilung früherer Zeiten so oder so wieder herbeizuschaffen. Jeder, der von Demokratie, Republik oder gar von Sozialis­mus als der Lehre eines gesellschaftlichen Menschentums spricht, ist ihnen ein Greuel. Während sie selber auf der Straße und in den Hochschulen für ihren Nationalismus die mag er hitlerisch oder wie immer verbrämt sein lärmendste Reklame treiben, fühlen sie sich in ihrem Tiefsten getroffen, wenn andere etwas Aehnliches tun.

Diese prügelnden, lärmenden und dabei empfindlichen Schüler der Gelehrsamkeit fühlen sich heute noch als Vor­fämpfer eines nebelhaften Dritten Reiches", das ihren Be­rufsidealen wieder Erfüllung bringen soll. Morgen schon, so hoffen sie, werden sie im Staate ihrer Sehnsucht die Führer der Nation" sein dürfen, als Richter, als Staatsanwälte, als Induſtriedirektoren mit unbeschränkter Vollmacht, vielleicht gar als Zuchthausdirektoren faschistischer Prägung. Es ist selbstverständlich, daß diese Hoffnungen nicht sämtlich in Er­füllung gehen. Aber die Möglichkeit besteht, daß ein großer Teil von ihnen rechtzeitig Anschluß sucht, um innerhalb der demokratischen Republik Anstellung als Führer" zu erhalten,