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Tr. 533 47. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 13. November 1930

Der Nazikrawall in der Universität Berechtigtes  

Eingreifen der Polizei zum Schutze der akademischen Freiheit

Die von den nationalsozialistischen Studenten und ihren An­hängern gestern mittag in der Berliner   Universität provozierten Krawalle und Tätlichkeiten gegen sozialistische Studenten haben den Borstand des Deutschen Studentenverbandes zu der folgenden Erklärung veranlaßt

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von einem ,, Polizeifrawall" sprechen. Keines dieser Blätter magt natürlich mitzuteilen, daß sozialistische Studenten von den nationalistischen Rüpeln der Universität tätlich angegriffen und daß eine Studentin mißhandelt, niedergeschlagen und mit Füßen getreten wurde.

Friedhof wird Volkspark  .

Der alte Spandauer Nicolai- Friedhof als Erholungsstätte.

Schon in den Vormittagsstunden mußten am Eingang zur Universität sowie auf dem Universitätsgelände selbst Schußpolizei­fräfte zur Verhütung und Unterdrückung von Ausschreitungen ein­gesetzt werden. Gegen Mittag rief der Rektor der Universität, Herr Professor D. Deißmann, den Kommandeur der Schutzpolizei  , Herrn Heimannsberg  , an, damit dieser in Verbindung mit ihm beruhigend auf die Studenten einwirke. Der Kommandeur begab fich zur Universität und sagte hier dem Rektor auf dessen Wunsch zu, daß er die eingefeßten Polizeifräfte zurückziehen würde, wenn es der Einwirkung des Rettors gelänge, weitere Tätlichkeiten zwischen den ausfegung erfüllt war, verließ die Polizei das Universitätsgelände. gegnerischen Studentengruppen zu unterbinden. Nachdem diese Vor­Gegenüber einer unrichtigen Behauptung des Abendblattes sei her­vorgehoben: Kommandeur Heimannsberg   hat den Rektor von vorn­herein nicht im unflaren darüber gelaffen, daß die Polizei auf dem Universitätsgrundstück genau so wie überall mit allen zu gefährden. Im übrigen beweist aber dieses unakademische Ber gebotenen Mitteln einzuschreiten berechtigt jei völkerung, den Park, der einen herrlichen, alten Baumbestand und auch in Zukunft allen Ausschreitungen auf dem Uni­perfitätsgelände entgegentreten werde.

Im Anschluß an die gestrige Verteilung des Aufrufs an die deutschen Studenten", den der Deutsche   Studenten­verband im ganzen Reich gegen den politischen Radikalismus auf den deutschen   Hochschulen erlassen hat, haben sich an der Uni­versität Berlin schwere Krawalle entwickelt. Der Borstand des Deutschen Studentenverbandes stellt dazu fest, daß seine Mitglieder die Berteilung in ruhiger und in feiner Weise provozierenden Form durchgeführt haben. Trotzdem sind die republikanischen Stus denten in unerhörter Weise angegriffen worden. Der Deutsche  Studentenverband verurteilt aufs schärffte diese Vorgänge, die ge­eignet sind, das Ansehen der deutschen   Hochschulen auf das äußerste halten der rechtsradikalen Studenten, wie notwendig die jetzt vom Deutschen   Studentenverband begonnene Sammlungs- und Attivie: Weiter hat der Rektor nicht davon gesprochen, daß die Anwesen­rungsaktion der verfassungstreuen Kräfte auf den Hochschulen ist. Der Vorstand des Deutschen Studentenverbandes legt ferner Wertheit der Polizei auf die Studentenschaft provozierend gewirkt habe. Eine Auffassung, die das berechtigte und notwendige Eingreifen der auf die Feststellung, daß die Polizei nicht von ihm in die Universität Eine Auffaffung, die das berechtigte und notwendige Eingreifen der gerufen worden ist, daß aber die Situation das Eingreifen der Polizei als Provokation" ansieht, kann im übrigen nicht scharf Polizei in jeder Hinsicht rechtfertigt. genug zurüdgewiesen werden.

Die akademische Sonderstellung und Freiheit hört in dem Falle auf, wenn die Studenten durch ihr Verhalten sich deffen unwürdig zeigen.

Der Deutsche Studentenverband wird sich durch derartige Oppo fitionsmethoden feineswegs hindern laffen, mit gesteigerter Inten­fität für die Idee des republikanischen Volks staates an den deutschen   Hochschulen zu werben, und hofft, daß

Das Flugblatt

gegen den sogenannten Universitätsball der Allgemeinen Studenten­schaft"( unter welchem irreführenden Titel sich die Rechtsradikalen Derbergen), das den besonderen Zorn der Nazis erregte, sieht in genauer Wiedergabe folgendermaßen aus:

er in Bekämpfung dieſer unwürdigen unatademischen Kampfesart 3 Millionen Arbeitslose

des Hochschulfaschismus von den Dozentenschaft und der Deffentlich­feit in weitestem Maße unterstützt wird."

Polizei muß Studenten schützen.

Der Lofal- Anzeiger" erzählt, daß der Rektor der Universität in Verhandlungen mit dem Kommandeur der Berliner   Schußpolizei erreicht habe, daß sich in Zukunft Polizeiorgane nicht mehr auf den Hof des Universitätsgebäudes begeben und sich auch nicht in der unmittelbaren Nähe der Eingänge aufhalten, weil die Tatsache von Kreifen der Studentenschaft als Provotation aufgefaßt worden ist". Ganz im Gegensaz zu dieser Meldung teilt Kommandeur

hungern in Deutschland  !

Tausende von Studenten müssen nach einer Statistik des Studentenwerks von monatlich 80 RM. und weniger leben. Die Reichsregierung und der Reichspräsident Hindenburg  sagen wegen der Not der Zeit alle Empfänge und Bälle ab. Die sogenannte allgemeine Studentenschaft der Universität Berlin, die unter Führung des nationalsozialistischen deut­ schen   Studentenbundes steht, veranstaltet einen Ball in den Gesamträumen des Zoo mit Eintrittspreisen von 3 bis 8 RM.

hof der Nicolai- Kirchengemeinde in Spandau  , deffen Gräberliegefriff Ein Stadtverordnetenausschuß hat beschlossen, den alten Fried­längst abgelaufen ist, in städtischen Besitz zu überführen. Der Paro­Der alte Friedhof liegt in Spandau   mitten zwischen zwei Haupt­chialverband wird dafür einige andere städtische Grundstücke erhalten. verkehrsstraßen, seit langem war es der Wunsch der Spandauer   Be­aufweist, als öffentliche Erholungsstätte zu sehen.

Die Stadt Berlin   erhält vom Parochial- Verband 3055 Quadrat­meter Straßentand unentgeltlich und 20 432 Quadratmeter Straßenland und Freifläche gegen Hergabe städtischen Grundbesizes. Für den Bau einer Kirche und eines Gemeindehauses gibt nämlich die Stadt an den Parochial- Verband eine Baustelle im Ortsteil Hakenfelde   an der Werder  - und Wichernstraße und am Schlehen­weg, ferner eine Baustelle im Ortsteil Klosterfelde   und der Straße An der Kappe ab.

Deichbruch im Ostegebiet.

Biele tausend Morgen unter Wasser.

Stade  , 12. November.

Die Ortschaften an der Osté, südlich von Hechthausen  , sind bei dem gestrigen Sturm von einer heftigen Flutwelle heimgesucht worden. Schon morgens ging das Wasser auf 20 Kilometer Aus­dehnung über die Deiche, und abends waren die Niederungen weithin überschwemmt. Aus Graepel werden Ueberflutungen von über 1000 Morgen Wiesen und Weiden gemeldet. Wie aus Cranen­ burg  ( Kreis Stade  ) gemeldet wird, hielt in der Mitte des Durchlaffes nach Blumenthal die Deichkrone nicht stand, und durch die Lüde für3fen die Fluten ins Hinterland, so daß mehr als 1200 Mor­gen unter Wasser gesetzt wurden. Die Gewalt der anftürmen­den Flut spoffete allen Abdichtungsbemühungen. Die ganze Niede­rung von Niederochtenhausen( Kreis Bremervörde  ) bis zum Lau­

Heimannsberg mit, daß Berhandlungen diefer Art zwischen Die Nationalsozialisten an der Technischen Hoch- mühlener Deich ist überschwemmt. Der Fährbetrieb über die Offe

ihm und Profeffor Deißmann nicht stattgefunden haben. Im Gegenteil hat Kommandeur Heimannsberg  , der von dem Leiter

schule Berlin   verlangen den Abbau des Wirtschafts­amtes, das die notleidenden Studenten in ihrem Wirt- ift eingestellt. Der Schaden läßt sich noch nicht übersehen. schaftskampf unterstützt.

der Universität telephonisch um sein Erscheinen gebeten wurde, in der Studentinnen und Studenten!

Unterredung ausdrücklich betont, daß auch in Zukunft rücksichtslos eingegriffen würde, wenn sich in der Universität ähnliche Vorfälle wiederholen jollten. Der Kommandeur wies auch ausdrücklich darauf hin, daß die Universität mie jedes andere Haus der Polizeigemalt unterste be. Professor Deißmann hat ver sprochen, in Zukunft alles zu tun, um unter seinen Studenten Ruhe. und Ordnung zu schaffen. Sollte ihm das nicht gelingen, wird die

Protestiert gegen diese Verhöhnung des werktätigen

deutschen   Volkes und des notleidenden Teiles der deutschen Studentenschaft. Erteilt diesen ,, Sozialisten  ", die stets von der Not des arbeitenden Volkes reden, und nichts Besseres zu tun haben, als kostspielige Bälle zu veranstalten, die richtige Antwort:

Bolizei mit allen zu Gebote stehenden Mitteln für Ordnung und Reiht Euch ein in die

Sicherheit in der Berliner   Universität sorgen.

Der Berliner   Polizeipräsident teilt mit:

Zu dem Kramall der nationalsozialistischen Shibenten am Mitt­wochvormittag auf dem Gelände der Berliner   Universität veröffent­licht ein Spätabenblatt eine angebliche Erklärung des Rettors der Universität. Hierzu ist folgendes zu sagen:

10. Seemann

10]

Q.Wöhrle

Internehmer.

Die Arbeit war schon längst nicht mehr das wichtigste in Ludwigs Leben. Unaufhörlich wurde er von dem Gedanken an seine Vergnügungen abgelenkt.

Es gab Nächte, die er auf dem Tanzboden verbrachte, toll vor Taumel. Bleich und übernächtigt tam er dann morgens in die Fabrik, gähnte, und schuftete sich allmählich den übermüdeten Körper munter.

Seine besondere Liebe galt dem Kaiser- Wilhelm- Garten in Halensee  .

Dort fonnte man ihn beinahe jeden Sonntag treffen. Hier lernte Ludwig Eisermann an einem Sonntagnach mittag das Mädchen kennen, das sein Herz gefangen nahm.

Sie hieß Maria und war eine schön gewachsene, außer gewöhnlich hübsche Blondine,

Auf der linken Wange hatte sie ein schwarzes Schönheits­fleckchen, das sie besonders reizend machte.

Immer stand ein Lächeln in ihrem Gesicht. Doch man wurde nie flug daraus, war es Liebenswürdigkeit oder ledig lich verhaltene Ironie.

Auch Ludwig fannte sich da nicht aus.

Nicht ihr Lächeln hatte ihn angezogen, sondern vor allem ihr volles, glänzendes Blondhaar, das er so sehr liebte, und ihre schönen, feingegliederten Hände, die damenhaft gepflegt

maren:

Ihr Gang war stolz, auch ihre Kopfhaltung. Sie fiel in jeder Gesellschaft auf und ragte wie eine Königin aus der Mittelmäßigkeit um sie herum empor.

Die Zuneigung der beiden jungen Menschen war gegen seitig. Sie hatte zu Ludwig schon bei der ersten Begegnung volles Vertrauen gefaßt. Der junge Tischlergefelle gefiel ihr Er schien ihr so männlich. Außerdem pazte sein startes schwarzes Haar so gut zu seinen rehbraunen Augen.

Es dauerte gar nicht lange, da wurde aus dem äußer­Lichen guten Zusammenpassen auch ein innerliches.

Sozialistische Studentenschaft!

Und von diesem Flugblatt behauptet die Deutsche Zeitung", daß es hegerischen Inhalts" fei, während die Hugenberg­Blätter sich als Schüßer der akademischen Freiheit aufspielen und

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Die veruntreuten Heizungsgelder.

Ein Teilgeständnis des Angeklagten

Der Oberingenieur des Bezirksamts Stegliß, Moellede, der es verstanden hat, im Laufe von fünf Jahren 70 000 Mart Heizungsgelder in seinen Taschen verschwinden zu lassen, wurde im Laufe der gestrigen Berhandlung geständnisfreudiger. Er gab zu, nicht, wie er anfänglich behauptete, 7000 Mart, fondern 20 000 Mart für eigene 3 wede verbraucht zu haben, in der Hauptsache für Renn wetten.

Wo waren aber die restlichen 50 000 m. geblieben. Der Anw geklagte beharrte dabei, sie für Reparaturen verbraucht zu haben. Allerdings bestreitet auch die Anklage nicht, daß Reparaturen, etwa für 5000 m., aus dem Schwarzfonds genommen worden feien. Belege, gibt es auch für diese verausgabten Gelder nicht. Ebensowenig für die übrigen angeblich zum Besten des Bezirks­

Ein von wahrer Liebe getragenes Verhältnis verband| seit geraumer Zeit festgelegt. Wenn Ludwig ihren Rat­die beiden jungen Menschen.

Bald trafen sie sich auch an Wochentagen.

schlägen folgte, hatte sie die Möglichkeit, mit der Zeit die feine Damen zu werden, als die sie sich in ihren Träumen sah. Bor

Ludwig Eisermann war auf dem besten Wege, richtig- allem konnte sie dann ihr Leben nach eigenem Zuschnitt ge= gehender Bräutigam zu werden.

Maria war Kontoristin.

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Wie sie eigentlich zu diesem Beruf gekommen war, mußte sie selbst nicht. Doch der Menschen Geschicke sind sonderbar. Sie stammte aus ganz fleinen Verhältnissen. Der Bater versah Nachtwächterdienste in einer großen Fabrik. Da die Mutter nicht mitverdiente, ging es zu Hause knapp her.

Wohl verdiente Maria als tüchtige Kraft ein schönes Geld. Doch fie gab auch viel aus. Sie war eite! und schaffte sich viele Kleider an. Ihr Sinn war immer aufs Bornehme gerichtet. Nichts war ihr gut genug.

Auch mit Ludwig Eifermann hatte sie besondere Dinge vor.

Während der junge Tischlergeselle in der Fabrik den gleichaltrigen Kollegen vielerlei von seiner Braut vorschwärmte und in seinen Nacht- und Tagträumen fie anbetete, dachte Maria weit praktischer.

Sie stand mit beiden Füßen auf Berliner   Erde. Sie gab fich feinen Illusionen hin, feinem verliebten Rauschen des Blutes.

Wohl liebte sie Ludwig. Aber sie war nicht blind für seine Fehler. Vor allem ging ihr sein robuster Ton auf die Nerven. Aber sie traute sich zu, den ungeschlachten Bären ab­zuschleifen. Sie wollte etwas aus ihm machen. Denn das ging doch nicht, daß er für immer in seinem Gesellenstand steden blieb. Nein, auf keinen Fall wollte sie sich das fleine enge notgebüttelte Schicksal zimmern, wie es ihre Eltern ge­habt hatten. Heiraten, Hausfrau werden, Kinder kriegen, schuften, sich abrackern, nein, gegen ein solches Schicksal sträubte sie sich mit allen Kräften. Wenn sie nichts Befferes eintauschte in der Heirat, als es ihre Eltern gehabt hatten, dann blieb sie lieber ledig, lief fechsundzwanzig Tage im Monat ins Büro, faß über ihr Hauptbuch gebeugt, schrieb Zahlen und Zahlen und nochmals Zahlen, rechnete und rechnete und addierte 3iffertolonne um 3ifferfolonne. Wozu heiraten, wenn sie sich nicht verbefferte? Wozu heiraten, menn fie immer nur das arme, vom Schicksal hart angefaßte Menschenfind blieb. Sie hatte sich ihren Plan, wie alles werden sollte, schon

stalten. Das war ein Ziel, das sich zu erreichen lohnte. Und hurtig beschloß sie, die ersten Schritte zu tun.

*

Am nächsten Sonntag fuhren die beiden nach Ertner hinaus. Der Menschenstrom schob sie vom Bahnhof über den Damm zur Dampferstation.

Sie fuhren über den Flakensee bis zur Woltersdorfer Schleuse und bestiegen dann die Kranichsberge.

Bald waren sie dem lauten Trubel der Ausflügler ent­kommen und freuten sich königlich, allein zu sein.

Es war Mittag geworden. Die Sonne brannte. Da gab es nichts Schöneres, als in einem einsamen Föhrenwald  Rast zu machen.

Die großartige Einsamkeit der Natur nahm sie gefangen. Irgendwoher flang verliebter Drosselgesang, und irgend-, woher rief unaufhörlich ein Kuckuckmann nach seinem Weibchen, immer lockender, immer brünstiger werdend, die ganze Kraft seines Wunsches in die Welt hineinschreiend. Liebeswerben dort wie hier. So etwas steckt an. Ludwig überfiel Maria unversehens mit einem Kuß. Nur sträubend fügte sie sich seiner Umarmung. Wieder stand das rätselvolle, unerklärliche Lachen in ihrem Gesicht.

,, Geh", sagte sie und wehrte seinen verliebt tastenden Händen, wenn wir erst mal verheiratet sind, kannst du alles von mir haben... aber nicht eher!"

Ludwig äffte ihren gedehnten Tonfall nach und rückte ebenfalls einen Schritt weiter von ihr ab.

,, Wenn wir erst mal verheiratet sind.. Ja, sag mal, wie stellst du dir das eigentlich alles vor?"

Dann brach er in ein schallendes Gelächter aus und sagte: Du bist ein sehr vorsichtiges Mädel, allen Respekt!"

Maria wippte schnippisch mit dem Fuß und erwiderte: hör mal, wenn du mich wirklich so liebst, wie du immer behauptest. warum führst du mich dann nicht mal bei deinen Eltern ein?"

Er sah sie erstaunt an, wie aus den Wolfen gefallen: Daran habe ich überhaupt noch gar nicht gedacht, Maria. Legst du irgendwelchen Wert darauf?"( Fort folgt.)