Werner Kühn: Väter und Söhne
... Ihr seid überspannt! 3hr habt große Raupen im Kopf!"| Der von Horn und Härte gekrümmte Zeigefinger meines GroßBaters beutet auf das Scheunendach. Vierzig Jahre habe ich darinnen gewirtschaftet; so lange ist es gegangen! Und vor vier Wochen haft bu es übernommen und da geht es schon heute nicht mehr?" Jadoch! Die Zeit schreitet aber fort. Ein solches Stroh bach, wie leicht fängt das Feuer. Und dann die ewigen Repara
turen," perteidigt sich mein Bater. Ich betrachte erstaunt die Schäfte feiner Landstiefel. Er geht ein paar Schritte weiter nach dem Scheunentor hin. Sein Tritt ist fest.
Solche Reparaturen macht man selber. Aber so ist die Welt Don heute... da muß es ein Ziegeldecker und möglichst noch ein Maler sein. Doch macht nur so weiter! Ein paar Jahre und ihr seid am Ende eures Lateins!" Das eingeschrumpfte Kinn in dem glattrafierten Gesicht bebt. Wie schlaffe Segel hängen die Arme an feinen Schultern. Mit unsicheren Schritten geht er von dannen.
Zwischen den dürren Gräfern blizen die ersten grünen Blätter. Ich breite sie auseinander und finde ein Beilchen. Ich beschließe, davon einen Strauß zu pflücken, denn ich weiß, mein Großvater
liebt die Blumen.
Blöglich sehe ich hinter mir wieder die Stiefelrohre meines Baters. Seine harte Hand streicht über meinen Kopf.
„ Run, kleiner Mann, wollen wir das Strohdach herunterreißen? Aber dann geht dort oben auch das Storchnejt futsch." Er hebt die Fersen, steht für einen Moment auf den Spizen. Gell, du milft doch noch ein Brüderchen haben?" Durch seinen Bart blißen bie Zähne.
Ich fühle einen Druck in der Magengegend und antworte prompt: Nein!"
Er hebt mich lachend auf seinen Arm.„ Ach, du meinst, der Storch fann sich für sein Geschäft ein anderes Dach, einen anderen Bauern aussuchen." Dann wird sein Gesicht ernst. Ich fürchte beinahe diese Augen.„ Du willst allein bleiben! Du fürchtest, daß die Scholle zerbrödelt? Recht so! Ein richtiger Bauer liebt nur seinen Hof. Ist dieser in Gefahr, so lehnt er sich sogar gegen den eigenen Bater auf..."
Aus einem Gemisch von Furcht und Dankbarkeit drückte ich ihm die Beilchen in die Hand.
Er stellt mich vorsichtig auf die Erde zurüd, wird nachdenklich, fieht nach dem Scheunendach. Nun, wenn du schon mal so groß wie ich sein wirst, dann werde ich dir zeigen, daß ich nicht so rüc ständig wie dein Großvater bin." Er betrachtet die Beilchen und ein energisches Es wird gebaut!" Derhallt mit seinen Schritten. Als die Bäume in unserem Garten blühten, stand die Scheune ohne Dach. Frembe Menschen waren auf unserem Hof. Merte und Beile gruben sich in die Stämme für das neue Dachgerüst. Ich spielte in den weißen Holzspänen.
Mein Großvater sprach schon seit Wochen mit feinem ein Wort. Sein Kinn wurde immer spizer. Auch mich beachtete er taum, obwohl ich wußte, daß er Kinder sehr gern hatte.
Eines Tages stand er wieder sinnend in der Ecke, wo das verwitterte Bagenrab von dem heruntergerissenen Strohnest lehnte. Ich faßte mir ein Herz und fragte:„ Großvater, ist dir denn das Neft so leid?"
Er sah auf. Seine Augen schimmerten feucht.
,, Aber wir können das Nest doch auch wieder auf dem neuen Dach anbringen." Ich fühlte dabei aber jene Angst im Magen. „ Nein, niemals würde ein Storch auf einem Ziegeldach sich heimisch fühlen." Sein Gesicht wurde weicher, er sah mir in die Augen:„ Aber wenn man schon mal alt und schwach ist, so muß man alles über sich ergehen lassen, muß zusehen, wie der Hof zugrunde gerichtet wird. Da tnallte in der Küche, wo meine Mutter hantierte, ein Topf. Mein Großvater zuckte zusammen. Dann wurde mit Nachdruck mein Rame gerufen.
Die Ernte ist vorüber. Alles ist unter Dach und Fach. Die Bauern atmen auf. Auch mein Großvater hat zur Arbeit nochmals feine legten Kräfte zusammengerissen. Alle sind jetzt wieder gut. Ich glaube, im stillen freut auch er sich jetzt über das neue feste
Scheunendach.
Eines Abends, da es schon früher dunkel wurde, spielte ich in der Stube mit meinem Holzpferde. Mein Großvater war noch wie immer braußen im Ruhstall. An den Fenstern rüttelte ein scharfer
Bind. Plöglich schrecke ich auf, wie der Bater heftig fagt:„ Steine Furche tann man tief genug pflügen. Mit der Arbeit tommt man das ganze Jahr nicht zu Rande. Pferde werden gekauft, damit bafta!" „ Aber du weißt doch, wie der Bater an seinen Rühen hängt. Geht auch nur eine davon aus dem Stalle, so ist das sein Tod," „ Aber die anderen Bauern können das Doppelte auf ihren
erwidert meine Mutter.
Feldern ernten.
Durch die harten Worte wird es hinter dem Ofen im Waschforb lebendig. Schrilles Weinen erfüllt die Stube. Meine Mutter versucht zu beruhigen.
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Ich versppürte wegen des Pferdekaufs so etwas wie Schadenfreude. Denn auch mich hatten sie ja alle belogen troz des her= untergeriffenen Storchnestes hat sich noch ein Brüderchen, ein Rivale, eingefunden.
Die Tage verstrichen. Pferdehändler tamen und gingen. Sie rochen widerlich nach Schnaps. Die Mügen hatten sie tief in die Naden gezogen. Ihre Pferde wurden beflopft, gemustert. Es wurde gehandelt und gestritten. Mein Großvater hatte sich fest in seine Auszüglerstube eingeschlossen. Auch auf mein heimliches Klopfen und Rufen öffnete er nicht.
Es fiel der erste Schnee. Da zerrten ein Händler und sein Koppeltnecht zwei schwarzgescheckte Kühe aus unserem Stall. Am Hoftor brüllte eine noch einen Abschiedsgruß. Da plötzlich klirrten als Antwort Glasscherben auf das Pflaster. Ein markerschütternder Schrei sprigte über den Hof.
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Auf dem Fenstersims der Auszüglerstube lag ein Kopf und ein Arm hing heraus, leblos wie ein Wäschebündel. Mein Großvater
war einem Herzschlag erlegen.
Am dritten Tage flapperte der Sarg. Mein Bater meinte: Bahr ist es: nie hat er sich eine Stunde Ruhe gegönnt. Doch fein harter Kopf ist an dem Fortschritt der Zeit zerbrochen." Dann schneuzte er sich.
Bevor der Leichenzug fich in Bewegung setzte, ging mein Bater nochmals in den Stall zu den neuen Pferden, jah nach, ob alles in Ordnung war.
Das Leben geht weiter. Pferde und Scheunendach waren zur Selbstverständlichkeit geworden. Auch die Erinnerung an den 3meifampf der Bäter begann zu verblassen, denn mein eigener Arm hatte schon längst den Pflug führen gelernt. Und so etwas erfüllt und stärkt das Bewußtsein.
Das Dorf hatte sich in dieser Zeit wenig verändert. So hatte man taum gemerkt, daß man älter geworden war. Und doch war ich schon verheiratet. Es war im Grunde eine einfache gradlinige Sache gewesen. Mein Empfinden hatte dabei mit dem Vorschlag
meiner Mutter ungefähr übereingestimmt. So war ich der Befizer des Gutes und war schon selbst Bater.
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Im Dorf hatte sich in dieser Zeit eine Genossenschaft gebildet. Eine Anzahl Kleinbauern hatten sich zusammengeschlossen, um einen Trattor zu kaufen. Auch ich wollte beitreten, aber vorher meinen Bater davon unterrichten.
Er stand in der Mitte der Stube. Er trug noch immer Land
stiefel wie einst. Ich hatte versucht, ihn von der Notwendigkeit der Tieftultur in der Bodenbearbeitung zu überzeugen. Er schwieg. Sein Gesicht war während der Zeit unbeweglich geblieben.
,, Genossenschaft...?" Er lachte gezwungen.„ Nein und nochmals nein! Das ist der Bankrott, der Untergang. Jeder Bauer für sich! Nur so fann er gedeihen!" „ Aber die Großbauern haben doch die Traktoren. Und wie follen wir uns anders gegen ihre gesteigerten Ernteerträge behaup= ten?" wandte ich ein.
,, Kumpanei ist Lumperei!" Er brach ab. Sein Gesicht war zur Scheune gewandt. Doch die Augen starrten nur ins Leere. Rückständig! Nein, ich bin nicht rückständig! Aber so etwas ist schon Selbstmord. Und ich bulde feineswegs, daß der Hof unserer Bäter so leichtfertig zugrunde gerichtet wird!"
Die Tür knallte ins Schloß. Draußen polterte und schimpfte
er weiter.
Ich zude die Schultern und mache tehrt. Hinter mir steht mein fleiner Sprößling. Auch er trägt die ersten Langstiefel. Mit großen Augen hat er den Streit beobachtet. Ich streiche ihm über den Ropf und erzähle ihm die Geschichte meines Vaters: von dem Pferdefauf, von dem Strohdach mit dem Storchneft... Doch er, der kommende Bauer, bleibt ernst, als hätte er schon heute seine Bedenken und seine Ziele.
Da jagt jäh wie ein Stich durch mein Gehirn:„ Was wird sein, wenn er groß ist? Bei welcher Gelegenheit wird er mir mal an den Kopf werfen: Ja, Vater, aber du bist eben rückständig!..
H
Draußen auf der Straße donnert der neue Genossenschaftstraktor über das Pflaster. Der Kleine ist begeistert zum Fenster gesprungen. Ich aber verspüre plöglich jene Betlemmung, jene Angst aus der Kindheit wieder im Magen.
Wie entstehen Wintergewitter? Das turze, aber heftige Gewitter, das jetzt in einigen Teilen Norddeutschlands beobachtet worden ist, bringt uns eine merkwürdige und feltene Naturerscheimung in die Erinnerung, die den Gelehrten viel zu denken aufgegeben hat. Daß bei der Wärme im Sommer große Mengen Wasserdampf in die Luft aufsteigen und bei der Abdrängung durch die an und für sich trockene Luft bedeutende Elek trizitätsmengen bilden, ist ja allen geläufig, aber wie fann derselbe Borgang bei der Kälte im Winter sich vollziehen. Es ist nichts anderes als die Reibung, die auch hier Elektrizität erzeugt, und zwar die Reibung des Wassers in der Form von Wassertropfen oder Bafferdampf an der Luft oder auch an der Erboberfläche. Diese Reibung verschiedenartiger Körper, die stets Elektrizität erzeugt, würde bei ruhiger Atmosphäre im Winter nicht ausreichen, um so bohe Spannungen hervorzubringen, wie sie für eine Entladung im Gewitter notwendig sind. Es ist daher unruhige Witterung Vorbedingung für die Wintergewitter, denn die heftige Bewegung der Luft im Sturm, wie wir sie auch diesmal erlebten, bringt eine gesteigerte Reibung der Wasserteilchen an
der Luft hervor.
Seine Taschen
Von Anjelma Heine( †)
Es gibt eine einzige Eigenschaft, um die ich den Mann benebe. Dgs sind seine Taschen.
Alle seine Ueberlegenheiten, die wir bewundern, alle unsere Mängel, die man uns vorwirft, rühren von dem Umstand her, daß der Mann Taschen hat, wir aber feine.
Ich werde das beweisen.
Man nennt uns flatterhaft, vergeßlich, hilfsbedürftig, langfam von Entschluß, furchtsam, fflavisch, unwahr, launenhaft, fofett,
fleinlich, beschränkt, egoistisch. Wenn wirklich der Mann alles das nicht ist, so verdantt er das einzig und allein seinen Taschen. Denn
marum sollte er flatterhaft und vergeßlich sein, wenn er doch dicke Notizbücher bei sich tragen kann, die ihn erinnern? Dazu einen Bleistift, mit dem er sich alle Rendezvous, Verabredungen ,. Versprechungen und Vorsäge sofort aufzeichnen tann? Unser Knoten im Taschentuch hat längst nicht dieselbe Wirkung.
Und wie fann er hilfsbedürftig sein, wenn er alle möglichen Gerätschaften wie Messer, Bindfaden, Uhr, Propfenzieher, Streichhölzer, elektrische Lampe, Reserveklemmer bei sich haben tann? Ist es da nicht selbstverständlich, daß er, anstatt egoistisch au sein, sich mit diesen Hilfsmitteln auch anderen gefällig macht, ihnen beispringt, wenn sie in Verlegenheit sind? Wie sollte er nicht rasch von Entschluß sein, wenn er Hausschlüssel, Brieftasche mit Geld, Briefmarken, Füllfederhalter bei fich führt, um etwa seine Angehörigen zu benachrichtigen, daß er eine plögliche Reise unternehmen will? Furcht? Kann er nicht einen Revolver bei sich tragen? Außerdem all seine Ausweise und Zeugnisse? Stlavisch? Ift er nicht immer Herr der Situation? Hat er nicht sozusagen die Menschen in der Tasche? Lügen? Wozu all die Unbequemlichkeit? Mit seinen wohlgefüllten Taschen darf er es sich erlauben, die Wahrheit zu sagen und sie durch allerlei Zeugnisse, die er bei fich trägt, zu erhärten. Auch die Koketterie ist ihm unnötig. Er hat gediegenere Eroberungsmittel. Rann er nicht Konfeft bei sich tragen und ihr anbieten oder seine Gedichte herausziehen und ihr vorlesen? Oder ihr mit Stecknadeln beispringen, wenn sie sich beim Einsteigen in die Elektrische den Rodsaum zerrissen hat? Ihr ein Spiegelschen anbieten und Puderbüchschen?
Sie aber, die Arme, kämpft indessen mit Paket, Handtäschchen, Regenschirm, Briefen, die sie in den Postkasten zu steden hat, und dem Geldschein, der ihr im Handschuh steckt, weil sie, beladen wie sie it, nicht an ihr Portemonnaie herantenn. Er natürlich braucht fein Paket. Er birgt Einkäufe im Ueberzieher. Immer hat er für sich und andere die Hände frei, braucht weder ungeschickt noch schüchtern dazustehen, nicht fleinlich, hat Muße, freien, weiten Blick, der nicht für tausend kunstvoll angebrachte Anhängsel zu sorgen hat. Er kennt die Welt wie seine Taschen, deren beruhigende Vollständigkeit ihm erlaubt, sich von den Kleinlichkeiten des Lebens abzuwenden und mit den großen Fragen zu beschäftigen: so daß er nicht beschränkt genannt zu werden braucht. Ihm gehört die Belt. Und das alles verdankt er seinen Taschen.
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Erste Nachschrift:
Ich gebe dieses Manuskript meinem Manne mit, der es auf die Bost tragen soll, weil ich fürchte, es unterwegs aus meinem Perlenhandtäschchen zu verlieren. Es springt immer auf.
3weite Nachschrift:
Das Manuskript ist in der Tasche meines Mannes mehrere Tage ,, poste restante" geblieben. Es ist ganz zerknittert. Ich weiß nicht, ob ich es noch abschicken soll? Ich habe zweifel bekommen an der einzigen beneidenswerten Eigenschaft des Mannes.
Verbrecher- Held- Rentenjäger?
Ein sehr fimpler Lebenslauf, eine überaus einfache Kranten, geschichte, die Prof. Johannes Lange, Breslau , von einem feiner Patienten veröffentlicht, wirft ein eigenartiges Licht auf die Anpassungsfähigkeit der Persönlichkeit an veränderte Außenweltsverhältnisse. Ob einer ein Entgleister wird, vielleicht ein Landstreicher, der in Hafenvierteln oder Nachtasylen endet, oder ein großer Entdecke: und Forschungsreisender ob einer ein Krimineller, ein Held oder Umständen ab, in die ein Mensch hineingeboren wird oder die die ein Fürsorgeempfänger wird das hängt oft mur von den äußeren äußere Kulisse seines Lebenslaufes bilden.
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Der 1888 geborene X ist ein kleiner dürftiger Mann mit bereits start gelichtetem Haupthaar und einer recht bewegten Bergangenheit. 211s Kind war er schwer erziehbar, in der Schule ist er figengeblieben, aus der Klempnerlehre lief er davon. Dann versuchte er sich in zahlreichen Berufen, auch zur See ist er eine Zeit hindurch gefahren; mitunter ging er auch vom Schiff in den Häfen einfach durch, so zuletzt in Genua 1913, von wo er zu Fuß bis an die Maingrenze wanderte. Nach seiner Strafliste ist er mit 15 Jahren wegen wider natürlicher Unzucht, später viermal wegen Diebstahls, einmal wegen Betrugs und Mundraubs und achtmal wegen Betteins bestraft morden. Doch spricht manches dafür, daß hier nur eine Auswahl aus seiner Straflifte vorliegt.
Dieses Bild verwandelt sich völlig im Krieg. Als Kriegsfreiwilliger eingerüdt, wird nach wenigen Monaten Gefreiter, fura darauf Unteroffizier und taum ein Jahr nach Kriegsbeginn ist er schon Bizefeldwebel. Er ist zweifelsohne ein unerschrodener und eifriger Patrouillengänger, der neben anderen Auszeichnungen bald mit dem Eisernen Kreuz , dem Militärverdienstorden und der Goldenen Tapferfeitsmedaille einem sehr selten verliehenen Orden- aus
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gezeichnet wird und dessen Leistungen auch sonst ganz besondere Anerkennung finden. Dreimal wird er verwundet, und die Art der Verlegungen Handgranaten- und Splitterverlegungen zeigt, daß die Wunden im Nahkampf erworben wurden. Ein Held, dessen große Zeit angebrochen war, der nun endlich einmal beweisen konnte, daß auch er zu etwas gut war ungewöhnlich war, ihn lockte und sein Abenteurerblut in Ballung getragen von der Situation, die
brachte.
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Als jedoch die Episode, in der er sich als Held erweisen durfte, schon Anfang 1916 in zu lange währt, gerät unser Freund Schwierigkeiten. Der eisernen Disziplin fann er sich nicht auf die Dauer fügen, die Strapazen werden ihm zuviel; bald gibt er im Feld nur noch Gastrollen und wandert von Lazarett zu Lazarett, bis er schließlich als beschränkt arbeitsfähig in die Heimat entlaffen wird. Nun wird aus dem Helden ein Rentenjäger, der bald der öffentlichen und privaten Fürsorge dauernd zur Last fällt. Trotz ärztlicher Gutachten und der ausdrücklichen Feststellung, daß feinerlei Zusammenhang zwischen X' Wesensart, seinen emigen, unfaß baren nervösen Beschwerden und seinem Kriegsdienst besteht, daß er vielmehr der gleiche asoziale Psychopath geblieben sei, der er bereits vor dem Kriege war, wird ihm eine Rente von weit über 100 Mart monatlich zugebilligt, die zum Teil sogar tapitalisiert wird. Ohne jede sachverständige Beratung fauft ein Haus in einer Einöde und errichtet dort eine Hühnerfarm, nimmt Darlehen auf, bekommt Mittel zur Beschaffung von Werkzeugen, die ihm aber nur als
Atrappe dienen. In Wirklichkeit arbeitet er nichts. Er ist zweimal verheiratet, doch sorgt er weder für Frau noch Kinder. Sein Kind aus zweiter Ehe läßt er unter allerlei fadenscheinigen Begründungen - weil die Wohnung zu naß, meil feine Milch zu beschaffen sei u. ä. m. im Krantenhaus, in Säuglings- und Kinderheimen. Er bittet und bettelt nach allen Seiten und erhält vielerlei Zuwendungen. Liegt dieses Geschäft einmal im argen, fucht er auf Grund seines Kriegsdienstbeschädigungsleidens" das Krankenhaus
auf.
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Diesen banalen Lebenslauf empfiehlt Prof. Lange unserer Beachtung, weil er uns mit besonderer Eindringlichkeit die durch äußere Schicksale bedingten Wandlungen im Erscheinungsbild eine pinchopathische Persönlichkeit zeigt. Vor dem Kriege ein Haltloser, Arbeitsscheuer, ja sogar ein ausgesprochen Krimineller, erwirbt er im Kriege die Fassade eines Helden, die allerdings zusammenstürzt, sobald Disziplin und längeres Ausharren von ihm verlangt wird. Nach dem Kriege kommt das Haltlose seiner Persönlichkeit wieder zur vollen Geltung bis er endgültig in die Arme der Fürsorge aufgenommen wird, die es ihm erspart, erneut friminell zu werden Der, der all dies erlebte, bleibt wohl im Grunde immer unwiderruflich derselbe. Nur die zufällige Gestaltung der äußeren Lage, die veränderte Umwelt verleiht bei oberflächlicher Betrachtung dem Bild ein so verschiedenes Gepräge. Unfähig zur Eingliederung in jede Form von Gemeinschaft, blind für außerpersönliche Werte, eitel, prahlfüchtig, arbeitsscheu, liebesunfähig das sind die Züge, die bei dieser Bersönlichkeit immer wiederkehren wenn sie auch in der Periode des Heldentums durch zeitweilige Leistung überdeck
wurden.
Verbrecher
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Held oder Objekt der Fürsorge als was wird
diefer X bezeichnet und in den Aufstellungen geführt werden, wen einmal nach zwei oder drei Jahrzehnten bei Gelegenheit irgendwelcher Erblichkeitsfeststellungen eines seiner Kinder nach dem Bater gefragt wird? Hier tut sich eine Lücke auf, auf die Prof. Lange mit Nachdruck hinweist, weil sie für unsere eugenischen Bestrebungen von Grundlagen jene verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten einer größter Tragweite ist. Heute wissen wir noch nicht, auf welchen
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Persönlichkeit erwachsen, und noch viel weniger wiffen wir, wie jene Grundlagen sich vererben. Um aber den Menschen ,, von morgen" gestalten zu können und das ist ja schließlich das A und O alles eugenischen Handelns-, müssen wir die Grundlagen kennen, müssen mir wiffen, in was für eine Umwelt wir ein bestimmt beschaffenes Individuum sehen müssen, um das beste aus ihm herauszuholen. Anfänge, sehr bemerkenswerte Anfänge find bereits heute gemacht, an denen gerade Prof. Lange selber durch seine Zwillingsforschungen hervorragenden Anteil hat auf den meisten Gebieten aber fehlt uns noch jede Voraussetzung für ein zweckmäßiges Handeln. Daß die Schaffung dieser Boraussetzungen eine der dringlichsten Forderungen unserer Zeit ist das sollte uns die simple Lebensgeschichte jenes I besonders verdeutlichen. Dr. Lily Herzberg.
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Berantwortlich für Volitik: Bictor Schiff: Wirtschaft: G. Klingelhöfer; Gevertschaftsbewegung: S. Steiner; Feuilleton : Dr. John Schikowski; Cotales und Sonstiges: Frik Raritädt: Anzeiaen: Th. Glode: fämtlich in Berlin . Berlag: Borwärts- Berlag G. m. b. S., Berlin Drud: Borwärts- Buchbruderet und Berlagsanftalt Baul Singer u. Co., Berlin G. 68, Lindenstraße 8. Sierzu 2 Beilagen,