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Morgenausgabe

Nr. 535

A 269

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Freitag

14. November 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die

laipattige onpareillezetle 80 Pfennig, Reflamezeile 5,- Reichs mart Aleine Anzeigen das ettge Brudte Bort 25 Pfennig zuläffig zwei fettgedruckte Borte), jebes weitere Wort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, jedes weitere Mort 20 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben sählen für amei Borte. Arbeitsmartt Beile 60 Bfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

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Herunter mit den Preisen! Der brennende Offen

Der Kabinettsausschuß berät.- Verbraucher an die Front!

Gestern hat der Kabinettsausschuß für Arbeits- und Preisfragen unter Borsitz des Reichskanzlers Brüning seine erfte Sigung abgehalten. Der Reichsbankpräsident Luther, die Reichsminister Dietrich, Siegerwald und Schiele, der Reichsminister Dietrich, Stegerwald und Schiele, der preußische Minister Schreiber und Dr. Trendelenburg, der Verweser des Reichswirtschaftsministeriums, nahmen daran teil. Es wurde vor allem eine fyftematische Aufteilung des ganzen Arbeits­gebietes vorgenommen, um durch organische Zusammenarbeit die auf Preissenkung gerichteten Tendenzen mit aller Macht zu stärken. Eine Berlaufbarung des bisherigen Ergebnisses der amtlichen Maßnahmen foll heute erfolgen, die Beratungen des Babinettsausschuffes werden laufend fortgesetzt.

Nach dieser Meldung hat der neue Rabinettsousschuß also zu nächst einmal das Terrain fondiert und die Arbeit verteilt. Neu ist,

daß der Kabinettsausschuß nicht nur Preissenfungs- fondern audy Arbeitsfragen zu behandeln hat, daß mir also nicht nur vor einem Preissenfungs-, sondern vor einem vollständigen Krisen befämpfungsdirettorium stehen. Die schwerindustrielle DA3." mollte missen, daß ein fpezieller Rommifiar für Breissenfung eingefeßt murb, und sie nannte auch schon als Schwerindustriellen Kandidaten Herrn Schacht und den unvermeid lichen Herrn Treviranus. Das scheint eine Ente zu fein bzw.

ein Versuchsballon. Dennoch wird die Deffentlichkeit aufpassen müssen.

Fragen der sofortigen Arbeitsbeschaffung, der Bekämpfung der Ar­Wenn auch fein Preissenfungstommiffar, so wird vielleicht für beitslosigkeit ein Wirtschafts tommissar mit speziellen Boll­machten berufen. Grundsäglich könnte es gleichgültig erscheinen, welche Stelle das schafft, was geschafft werden muß. Restlos alles tommt aber dabei auf die Persönlichkeit an, die mit solchen Aufgaben betraut wird und auf die ihr gegebenen Vollmachten. In der Preissenkungsfrage hat. die Reichsregierung nicht nur eine außerordentlich schwere Berantwortung übernommen, fie findet auch, wenn sie ihre Fähigkeit zum Durchgreifen beweist, besonders gegen über den Kartellen, die Sympathie der Deffentlichkeit. Alle Wirt schafts- und Arbeitsmarttfragen aber sind auch zugleich soziale und Klassenfragen, me jeder Eingriff von der größten staatspolitischen Bedeutung ist. Das möge von Herrn Dr. Brüning wohl bebacht werden.

Eine sehr wichtige Rolle fällt fegt den Hausfrauen zu. Bor threr öffentlichen" Meinung, die durch Nachfrage bei jedem ein zeinen Einkauf über Breissenfungen sich bilden und dann in jeden Haushalt weitergetragen werden muß, müßte der Händlerschaft all mählich bange werden. Auch von dieser Seite fann der Preibabbau gefördert werden. Die Arbeiterflaffe muß auf der anderen Seite ihre Kräfte aufs äußerste anspannen, daß der Wahnsinn des Lohn abbanes ohne erheblich stärtere Berbilligung der Lebenshaltung nicht weiter um sich greift!

Fricks Kampf gegen das Reich.

Die nationalsozialistische Verseuchung der thüringischen Polizei.

Die Deffentlichkeit wird gegenwärtig mit entrüfteten Schilde| stellungen sollte dann einen raffe und klassereinen Nachwuchs er­rungen des thüringischen Innenministers Dr. Frid über das Reichs­minifterium des Innern versorgt, das sich unterfangen habe, in die ,, nationale" Arbeit der Nazi bei der thüringischen Landespolizei hineinzuleuchten.

Es ist nicht üblich, in ein schwebendes Gerichtsverfahren durch ministerielle Erklärungen einzugreifen. Das thüringische Staats­minifterium tut es dennoch. Das dritte Reich führt offenbar neben Landtagsfreifahrkarten mit doppeltem Boden vermutlich auch eine Staatsmoral mit ausmechselbarem Boden im Register. Wenn Herr Dr. Frid sich über Untreue einiger thüringischer Polizei­beamten beklagt, so muß die Deffentlichkeit wissen, daß alle thüringischen Bolizeibeamten ihren Treueid sowohl auf die Reichsverfassung als auch auf die thüringische Verfassung geleistet haben; follte nicht Reichsrecht auch in diesem Falle vor Landesrecht gehen, wenn diese Beamten die Ueberzeugung haben, daß die thüringische Landespolizei als Sturmbod für das dritte Reich mißbraucht wird?

Außerdem wissen die wenigsten, daß aus Mitteln des Reiches bis zu etwa 90 Proz. die Polizeifosten der Länder aufgebracht werden. Mithin wirkt die Entrüstung über die in Leipzig vor dem Staatsgerichtshof festgestellten Dinge ein menig Lomisch. Haltet Den Dieb!

Die Behauptung Frids, daß das vom Reichsminister des Innern gegen Thüringen in Leipzig vorgebrachte Material sich größtenteils als unrichtig erwiesen habe, bedarf aber denn doch einer Richtigstellung zur Steuer der Wahrheit!

Die bisherige Beweisaufnahme über die Zustände in der thüringischen Landespolizei hat jezt schon eine Reihe fchwerer Berlegungen der vom Reich seit langem erlassenen Richtlinien ergeben, die allen Länderpolizeiförpern Ueberparteilichkeit zur Pflicht machen. So hatte zum Beispiel der thüringische Minister des Innern, Herr Dr. Frid, dem Rommandeur der thüringischen Landespolizei, wie dieser zeugeneidlich hatte zugeben müssen, Anweisung erteilt, bel fünftigen Einstellungen Bewerber, die sich als Angehörige bestimmter politischer, und zwar republikanischer Richtungen bekennen, insbesondere aber folche der Sozialdemokratie, möglichst nicht zu berücksichtigen.

Merkwürdig, staatsbejahende Bewerber haben feinen Zutritt!

Herr Frid hat sich nicht gescheut, der Personalabteilung seines Ministeriums Bewerbungsgesuche nationalsozialistischer Anwärter zu übermitteln, Die Bezeichnung solcher Gesuche mit roten Betten follte diefe Bewerber als vorzugsweise zu behandeln tennzeichnen; der verhältnismäßig geringe Umfang der Ein

geben. Frids Bech war es, daß tatsächlich nur wenig von diesen so hoffnungsfrohen Bewerbern hatten eingestellt werden tönnen, was daran lag,

daß gegen viele unter ihnen etwas Enffcheidendes befannf

wurde.

Es wird ihnen dann auch nichts genügt haben, daß Herr Minister Frid sich in einem beachtlichen Unterschied zur Betätigung seiner Kollegen in anderen Ländern die persönliche Ent fcheidung über die Einstellung aller Beamtenanwärter seiner Landespolizei selbst vorbehalten hatte. Welch eine köstliche Fürsorge zeigt dieser Vorläufer des dritten Reiches!

Es geht noch weiter: die ihm nachweislich vorgelegten Bor­schlagslisten nationalsozialistischer Parteistellen hatte der thüringische Landtagsabg. Hennicke zu sichten, damit Herr Dr. Frid hiernach seine Entscheidung zu treffen vermochte, ist doch Herr Dr. Frid leider landfremd und tennt sich unter seinen Thüringer Nazis vermutlich nicht so genau aus wie der Landtags­abgeordnete Hennice, sein treuer Helfer.

Die wichtigsten Stellen im Offizierkorps der thüringischen Landespolizei sind jetzt mit Persönlichkeiten befeht, die aus threr verfassungsfeindlichen Einstellung fein Hehl zu machen brauchen.

So hatte man unter Eid aussagen müssen, man wäre bei einem Hoch auf die Republit aus einem Bersammlungslokal gegangen, denn so etwas ginge ihnen wider die Natur!

Diese wenigen Beispiele aus den Verhandlungen mögen zunächst genügen, um den von dem thüringischen Staatsministerium angestrebten Eindruck zu verwischen, als ob das Verfahren des Reiches gegen Thüringen bisher so gut wie nichts Belastendes ergeben hätte!

Dem Reichsministerium des Innern waren zahlreiche Bitten und Beschwerden über die merkwürdigen Borgänge in der thüringischen Landespolizei unaufgefordert und von den ver schiedensten Seiten zugegangen; vermutlich werden diese Klagen noch weiter fließen, so daß es irgendwelcher Aufträge an thüringische Beamte, Feststellungen über die Landespolizei an eine Reichsbehörde gelangen zu lassen, gar nicht bedurfte!

Gefcheiterter Boffsentscheid. In Böfingfeld( Amt Brake) haben die Nationalsozialisten und Deutscinationalen einen Bolts­entfeit cuf vorzeitige Auflösung der Gemeindevertretung ver loren. Statt ber 681 notwendigen Stimmen fonnten beide Par teien nur 227 Ja- Stimmen erreichen. Bei der Reichstagswahl im September erhielten die Nationalsozialisten allein 427 Stimmen.

Szenenwechsel in China .

Von Peter Garwy.

Der jüngste Abschnitt des permanenten Bürgerkrieges in China ist abgeschlossen. Der Versuch der Nordkoalition, eine Gegenregierung in Pefing aufzustellen, ist miß­lungen. Damit ist die widernatürliche politische Kombination tariften gescheitert. Der verzweifelte Bersuch des Führers des der linken Reorganisationisten" mit den waschechten Mili­fleinbürgerlichen radikalen Flügels der Kuomintang, Wangli­wei, im Bündnisse mit Berufsmilitaristen und halbfeudalen Luchons" die Diktatur Tschangkaischecks zu brechen, endete mit einem fläglichen Fiasko.

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Die Niederlage der Nordfoalition ist nicht auf die militärische Ueberlegenheit der Nanking - Regierung zu­rückzuführen. Die Kriegsoperationen haben vielmehr ein labiles Gleichgewicht beider Rivalen bewiesen. Die finanzielle und außenpolitische Unterstügung Nankings durch Amerika fonnte freilich allein dieses Gleichgewicht zugunsten Tschantai­Scheck's nicht ändern. Den Ausschlag gab die Einmischung des Muldener Diktators Tschanghfüliang. Zuerst bewahrte er zwar eine zweideutige und rätselhafte Neutralität im Zwei­fampf zwischen Nanking und Beting. Am 19. September haben aber feine Truppen die Provinz Tschili mit der alten Hauptstadt Beting eingenommen, ohne daß die inzwischen ver­schwundene Gegenregierung mit Feng und Jensischan an der Spize auch nur versucht hätte, Widerstand zu leisten.

Der Sieg Nankings ist also ein Sieg Mutdens. Der Muldener Dittator hat bisher nur nominell die Oberhoheit der Manting- Regierung anerkannt. Kaum ist es anzunehmen, daß seine Intervention zugunsten Rantings ohne Hinter­gedanken unternommen wurde. Die nächste Zukunft wird zeigen, ob Tschanghfüliang im Interesse der nationalen Kon solidierung Chinas oder im eigenen Intereffe gehandelt hat.

Immerhin bedeutet der Szenenwechsel in China feines megs das Ende des Generalfrieges. Der politische Zweikampf Nanting- Beting droht bald durch den neuen Zweikampf Mulden- Nanting abgelöft zu werden. Und dies um so mehr, als die zum Rüdzug gezwungenen Nordfoalitionisten Feng und Jenfischan in der Reserve bleiben und nötigenfalls wieder aftionsfähig werden können. Jedenfalls ist eine Atempaufe im Generalstrieg eingetreten, die von Nanking für die Nieder­werfung der sogenannten, fommunistischen" Bauernaufstände in Zentral- und Südchina eifrig ausgenugt zu werden scheint. Es ist übrigens möglich, daß die Intervention selbst von Tschanghsüliang durch sein Bestreben veranlaßt wurde, die immer mehr um sich greifenden kommunistischen ", im Grunde aber agrarrevolutionären Bauernauf­lehnungen zu unterdrücken und somit die bolschewistische Gefahr aus der Welt zu schaffen.

Der Szenenwechsel bedeutet alfo noch fein Ende des Bürgerfrieges in China . Denn dieser Bürgerkrieg in Ber­tischen Leben Chinas . Das Versagen der Nanking - Regierung manenz hat seine tiefsten Ursachen im auken- und innerpoli­auf dem Gebiete der Agrarreform und Sozialpolitit, der Be­fämpfung des Massenelends und Hungers, der Sanierung des Finanzwesens usw. nährt nach wie vor den Bürgerkrieg.

Die partei - militärische Dittatur Tichangtai­scheds versagt. Es war ein Grundfehler Dr. Suriatsens zu glauben, daß ein Bolt zu Demokratie und sozialer Gerech tigkeit durch die militärische Dittatur ,, erzogen" werden kann. Jede Diktatur als ,, Uebergangsform" hat die Tendenz, fich zu verewigen. Es ist tein Zufall, daß die nordfoalitionistische Gegenregierung die Forderung der Einberufung eines Nationalfongreffes wenn auch aus friegsdemagogischen Gründen aufstellte. Und es ist gleichfalls fein Zufall, daß nunmehr der Mukdendiktator natürlich aus ebenso faden­scheinigen Gründen darauf besteht, daß die Beriode der politischen Bevormundung durch die Kuomintang- Organe und ber Alleinherrschaft der Kuomintang- Partei durch die Ein­berufung einer tatsächlichen Boltsvertretung mit Einschluß Der zum aller politischer Gruppen abgelöst werden soll." 12. November einberufene Parteifongreß der Kuomintang wird auch mit dieser Grundfrage fich zu beschäftigen haben. Es ist aber höchst zweifelhaft, ob Tschangfaischeck, der sich als Sachverwalter der chinesischen Bourgeoisie entpuppte, ein­willigen wird, die soziale Basis der Nanking - Regierung nach links zu erweitern, um den Uebergang zum Regime der Bolksvertretung und der Bürgerrechte zu ermöglichen.

Diese Umstellung der inneren Politik in China ist um so dringender geworden, als die außenpolitische Lage die sofortige und endgültige Konsolidierung und Befriedung des Landes erheischt. Die Verhandlungen mit den Großmähten über die Ueberprüfung der ungleichen Verträge" und über die Ab­fchaffung der Erterritorialitätsrechte, gerieten in die Sackgasse. Aber noch schlimmer steht es mit den Beziehungen Chinas zu Sowjetrußland, die gerade in der letzten Beit eine gefährliche Bendung genommen haben.

Das Chabaromit Protofoll vom 23. Dezember vorigen Jahres, das die Feindseligkeiten in der Mandschurei einstellte und zur Wiederherstellung des status quo, b. h. bes