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BERLIN Sonnabend 22. November

1930

Der Abend

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Nr. 548

B 273 47. Jahrgang

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D- Zug stürzt in den Strom

Die Anzahl der Opfer glücklicherweise gering

Paris , 22. November.

Staatskommiffar für Berlin

Verfügung der neuen Steuern bereits nächste Woche

Ein schweres Eisenbahnunglück ereignete sich kurz nach Mitternacht zwischen Ancenis und Nantes un­weit des Bahnhofs Oudon. Der Schnellzug Paris - Saint­Nazaire, der die französische Hauptstadt gegen 16 Uhr verläßt, entgleiste, die Maschine, zwei Pack. wagen und ein Personenwagen stürzten in Die Finanzlage der Stadt Berlin hat sich durch die die Loire , die zur Zeit starkes Hochwasser führt. von Tag zu Tag anwachsenden Wohlfahrtslast en Bon Nantes eilte sofort ein Hilfszug an die Unglücks- so verschlechtert, daß nach Ansicht der verantwortlichen stelle. Bis zu den frühen Morgenstunden liegen noch Stellen die umgehende Schaffung neuer Einnahmequellen keine genauen Einzelheiten vor, da die telephonischen zwingende Notwendigkeit ist. Bekanntlich be­Verbindungen zwischen der Unglücksstelle und Nantes trägt das Defizit Berlins bereits über neunzig Mil­unterbrochen sind. Man weiß jedoch, daß der Zug in lionen, neue Einsparungen sind nicht mehr möglich, und voller Fahrt aus den Schienen sprang. Die Lokomotive selbst wenn ein größerer Betrag auf das neue Haushalts fuhr noch einige Meter neben den Gleisen her, stürzte so- jahr übernommen wird, bleiben rund 30 Millionen Mark dann um und rollte den Eisenbahndamm..unter in die durch neue Steuern zu decken. Es muß jekt als sicher be Loire , einen Personenwagen und zwei Backwagen zog sie trachtet werden, daß die Staatsregierung entschloffen ist, hinter sich her. Sämtliche in den Fluß gefallenen Wagen einen Staatskommissar mit der Festschung und sind vom Wasser, das in der jetigen Zeit einen äußerst hohen Stand hat, vollkommen bedeckt. Die Rettungs­Durchführung der notwendigen Steuern zu be auftragen. arbeiten, die schon wegen der herrschenden Dunkelheit sehr schwer sind, werden besonders dadurch behindert, daß die Wagen einige Meter tief unter dem Wasserspiegel liegen. Man nimmt daher mit Bestimmtheit an, daß sämtliche Insassen der ins Wasser gerollten Wagen ertrunken sind.

Ursache des Unglücks

ist eine infolge der andauernden Regenfälle hervorgerufene Schienensentung. Ein Angestellter des Bahnhofs Dudon, der diese Tatsache festgestellt hatte, eilte dem Schnellzug einige hundert Meter mit einer Lampe entgegen und machte ver= zweifelte Anstrengungen, den Lokomotivführer durch Lichtsignale auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Der Unglüdliche wurde jedoch vom 3uge erfaßt und zermalmt. Die Pariser Blätter sind sich darin einig, daß die Zahl der Toten und Verletzten erheblich sein soll. otomotivführer und Heizer befinden sich unter den Toten. In Nantes sind die ersten Opfer ein­getroffen. Die Rettungsarbeiten werden mit größter Eile fortgefeßt.

Entgegen den anfänglichen Befürchtungen hat das Eisenbahn­unglüd bei Nantes , wie jetzt feststeht, nur ein Todesopfer ge fordert, und zwar ist der Lokomotivführer in die Loire gestürzt und ertrunten. Seine Leiche konnte noch nicht gefunden werden. Bier Schwerverletzte wurden ins Krankenhaus von Nantes ein geliefert. Behn Passagiere erlitten leichtere Verlegungen und tonnten nach Anlegung von Notverbänden ihre Reise fortsetzen.

Weitere Eisenbahnunfälle in Frankreich . Paris , 22. November. Außer dem schweren Eisenbahnunglüd bei Nantes ereigneten fich gestern in Frankreich noch drei weitere Eisenbahnunfälle. Im Bahnhof von Longuŋon stieß ein aus Nancy fommender Per­fonenzug mit einem Güterzug zusammen. Dabei wurden eine Frau getötet und drei Reisende schmerverlegt. In der Nähe Don Chartres entgleifte ein Schnellzug, von dem der Badwagen und ein Personenwagen eine 15 Meter hohe Böschung hinunter­stürzten. Drei Eisenbahnbeamte und ein Reisender wurden schmer­verlegt. Schließlich entgleiste noch bei Mortagne im Departe­ ment Orne ein Zug beim Paffieren einer Brücke. Die beiden letzteren Unfälle sind wie das Unglüd bei Nantes durch Gleissenkungen ver­urfacht worden.

Faschistenpleite nach Muffolinis Ende. Zündholztrust findet 3talien- Anleihe zu riskant.

Paris , 22. November.( Eigenbericht.) Wie das Deuote" zu berichten weiß, hat sich Italien in seiner Finanznot an den schwedischen 3ändholztrust um eine Anleihe gewandt. Der Zündholztruft wiederum hat durch die fchwedische Regierung eine Enqueie unternehmen lassen, um auf die Frage eine Antwort zu bekommen, welchen Werf ein Abkommen mit der faschistischen Regierung noch einem Sturz Mussolinis haben tönne. Zahlreiche führende Persönlichkeiten der antifaschistischen Bewegung in Paris find fondiert worden.

Wie wir erfahren, dürfte die Ernennung des Kom­missars und damit die Verfügung der Steuern schon im Anfang der nächsten Woche erfolgen. Die Regierung scheint der Ansicht zu sein, daß ein weiteres Anwachsen des städtischen Defizits im Jnteresse der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Stadt Berlin nicht mehr ver­antwortet werden kann.

Die Ernennung eines Staatskommissars ist sicher nicht dazu an­getan, den Kredit der Reichshauptstadt zu heben. Berlin erleidet einen neuen schweren Prestige verlust draußen im Lande. Schließlich darf aber auch nicht vergessen werden, daß andere deutsche Städte der Reichshauptstadt auch in diesem Punkte bereits vorangehen mußten. Gänzlich abwegig ist es, wenn davon gesprochen wird, daß die Ernennung des Staatskommissars den Tod der Selbstverwaltung bedeuten würde. Die Aufgabe des Be­auftragten der preußischen Regierung wird lediglich sein, den start ins Wanten geratenen Haushalt in Ordnung zu bringen. 3m übrigen werden selbstverständlich die Rechte des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung in feiner Weise angetastet werden! Welche Steuern der Staatskommissar anordnen wird und mer mit dieser wenig dankbaren Aufgabe beauftragt wird, ist noch oöilig unbekannt. Ob eine Erhöhung der Grundvermögenssteuer und damit eine Erhöhung der Miete noch vermieden werden fann, muß als sehr zweifelhaft bezeichnet werden. In der Zeit des

Bom Gericht zurück

.Bewährungsfrist ham' fe dir gegeben? Mensch, das heißt: daß du dir vor die nächfie Keilerei besser mit Revolver und Schlagring bewehren mußt!"

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Preisabbaues wird also höchstwahrscheinlich die Berliner Be­bölferung mit einer neuen Mietsverteuerung um 4 Proz. ab 1.. Jamuar überrascht werden.

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Im Berliner Rundfunk wird heute abend um 18 Uhr 30

der Pressechef der Stadt Berlin , Landtagsabgeordneter Dr. Richard Lohmann, über Staatsaufsicht und Selbstverwal tung" sprechen. Der Redner wird die rechtlichen und fachlichen Borausseßungen für das Eingreifen des Staates in die Selbstver­waltung bei außerordentlichen Situationen behandeln.

Die unfozialen Steuern.

Kampf um die Aenderung der Notverordnungen.

In der Sonnabendfizung des Ausschusses für den Reichshaus­halt wurden die Teile der Notverordnung besprochen, die den mehr als 8000 Mart, den Zuschlag zur Einkommensteuer der Buschlag zur Einkommensteuer für die Einkommen von Redigen, den Finanzausgleich und die Tabaksteuer betreffen.

Er

Der Zuschlag zur Einkommensteuer solcher Personen, die ein Einkommen von mehr als 8000 Mart versteuern, soll nach der Ver­ordnung 5 Prozent betragen. Abg. Dr. Herh( Soz.) erklärte hierzu, daß die Sozialdemokratie nach wie vor einen zehnprozentigen Buschlag für richtiger halte. Es sei dagegen eingewandt worden, daß dadurch der Maximalsteuersatz auf 40 Prozent steige, und deswegen eine erhöhte Kapitalflucht hervorrufen würde. könne den Einwand aber nicht als stichhaltig anerkennen. Es sei unzweifelhaft, daß die Kapitalflucht weniger beeinflußt werde durch die Sucht, Steuern zu hinterziehen, als aus Sorge um die Siche­rung des Kapitals und die Währung. Die Ereignisse nach dem 14. September hätten diese Auffassung bestätigt. Es sei daher auch jetzt noch richtig, den Zuschlag statt auf 5 auf 10 Prozent zu erhöhen. Im einzelnen legte Dr. Herz dann dar, daß ein Einkommen von 3. B. 2600 Mark weit höher belastet werde als ein Einkommen von über 8000 Mart.

Der Zuschlag zur Einkommensteuer der Ledigen soll erhoben werden von Personen, die nicht verheiratet oder verwitwet oder geschieden sind, vorausgesetzt, daß aus ihrer Ehe Kinder nicht her­vorgegangen find. Auch gegen die Konstruktion dieser Steuer erhob Dr. Her schwere Bedenken. Sie verlasse die Grundsätze, auf denen das ganze deutsche Steuersystem bisher aufgebaut worden sei und weiche ab von dem einzig richtigen Grundsatz der Leistungsfähigkeit. Die Leistungsfähigkeit, nicht der Ber­sonenstand müsse maßgebend sein für die Erhebung von Steuern. Kaum eine Steuer habe so viel Erbitterung hervorgerufen mie diese und er glaube, daß die Regierung selbst bald dazu werde tommen müssen, die Steuer aufzuheben. Auch bei der Ledigensteuer werde der unbemittelte Ledige prozentual höher besteuert als der bemittelte.

In der Sizung vom Dienstag foll der Abschnitt betreffend die Erschließung von Einnahmen für die Gemeinden besprochen werden.

Frankreich gegen Rüftungskontrolle.

Ebenso Sowjetunion / Nur Budgetbegrenzung angenommen Genf , 22. November.( Eigenbericht.) Die französisch- englische These der budgetären Begrenzung für alle Arten von Rüstungen hat sich in der Vorbereitenden Ab­rüftungstommiffion auf der ganzen Linie durchgesezt. Die Rom. miffion hat nunmehr auch die See- und Luftrüftungsfrage abge­fchloffen.

Zuerst wurde die Unterteilung der Linienschiffe, die Ziffern für die Größe der Kreuzer und die Größenbestimmung der Schiffe mit Flugzeugen laut Londoner Vertrag angenommen. Kein U- Boot soll größer als 2000 Tonnen sein, feine ihrer Kanonen größer als 130 Millimeter Kaliber. Für die Luftstreitkräfte wurden die bisherigen Bestimmungen aufrecht erhalten, dagegen murde die unterschied­liche Begrenzung der verschiedenen Kategorien abgelehnt. Endlich