Nr. 54947. Jahrgang
4. Beilage des Vorwärts
Java, wie Sie es nicht sehen
Die Touristen sehen vom Fenster des Schnellzuges Batavia-| munistische Boltsbewegung, ein( Kellner-) Junge, wenn Sie zu viel Garoet Soerabaja aus Java mit demselben Wonnegrunzen wie verlangen, kann so schnoddrig werden wie ein Berliner , und nur die Kinobesucher den neuen Javafilm von Ochs. auf wenigen Gebirgsplantagen ist der Kotau noch üblich. Aber was ist der ganze modrige Hofstaat mitsamt seinen Schattenspielen, Marionettentheatern und Tempeltänzerinnen, was ist dieses sterbende Märchen gegen die höchst lebendige Macht reicher Chinesen, die in üppig umgrünten Marmorvillen ein Lugusleben führen und auf deren leisesten Wink eine Kulischar lauert. Man muß die chinefischen Feste auf Java miterlebt haben, wie die Sundanesen vor buddhaartig dasigenden fetten Chinesen tanzen und singen, wie sie Gametan spielen und sich zur höheren Ehre der Chinesen die Seele aus dem Körper jubeln. Wenn sie noch eine haben: ist nicht die Seele Javas gestorben? Und die weitbehosten und knappbejackten Chinesenfrauen muß man sehen, mit Billanten an Hals und Ohr, Brillanten an den silbernen Haarpfeilen, Brillanten an den feinen Fingern. Sie ſizen neben den Europäern in den von bunten Glühbirnengirlanden eingefaßten zahlreichen Kinos, sie gelten als Europäer, die Javachinesen, sie halten sich manchmal sogar europäische Angestellte. Und sie sind ansässig, während die Europäer ihre fünf oder zehn Jahre absolvieren und wieder nach Hause fahren zu ihren Windmühlen. Nur vereinzelte Holländer und wohl auch eine Anzahl Deutscher ziehen es bei diesen miesen Zeiten vor, ihren Lebensabend auf der lieblichen Hochebene von Preanger zu verbringen, einer tropischen Sommerfrische, wo des Nachts ein ganz europäisches Lüftchen von den idyllischen Bergen niederweht.
Ach Java! Das braune Getriebe, immer neue Wunder der Vegetation und Formation, dazu der Duft, das Sonnengeflimmer ... die Augen gehen einem erst allmählich nach Monaten einer Art zauberischen Betäubung auf, in die diese schönste und bequemste der Tropentouren wohl auch den zum Bleiben, d. h. zum Arbeiten Gekommenden unweigerlich versett. Selbst mer Ceylon und die Südsee gesehen, mag in Ekstase geraten: edler sind die Berge, reicher die Täler Javas , und die große Sundawelt ist nicht wie die einsamen dampfergebundenen Südseeparadieschen durch das Meer isoliert, sondern im Gegenteil durch dieses verbunden, verschmolzen. Das war ihr Schicksal. Die herrschende Meeresstille und gleich mäßige Winde, primitiven Eingeborenenfahrzeugen schon seit dem Mittelalter den Verkehr nach den umliegenden Inseln und sogar dem Festland gestattend, haben Java zu einem solchen Völkerschmelztiegel gemacht, daß die Anthropologen bei ihren neuerdings recht forcierten Analysen vor ein, nein, vor hundert Rätsel gestellt sind. Bereits 700 n. Chr. sind die geistig höher entwickelten Chinesen ins Malaienland gekommen, dessen eigentliche Herren sie heute sind, haben sich hinter Pfahlmauern verschanzt und den Reishandel an sich geriffen; und vor 400 Jahren haben die Araber auf der Insel der tausend Tempel mit Feuer und Schwert den Islam eingeführt, so daß heute die javanischen Rokokofürsten, Schein und Schattenfürsten, noch obendrein Scheinmoslems sind, während die schönsten Baudenkmäler des Buddhismus verlassen, zerstört und von Unkraut über wachsen, zwischen ertragreichen Zuckerfeldern liegen, von niemandem besucht, außer von schwärmerischen Touristen und ausgrabungshungrigen Archäologen. Ach Java: Dschava sagen die Malaien, vieles stimmt beim näheren Zusehen eher traurig. Allein die„ interessante" Geschichte und das vom Touristenstandpunkt aus heiter bunt gefehene Bölfergemisch hat etwas Betlemmendes, an Bergänglichkeit und Untergang Gemahnendes: Bide, das alte Rom . Reichtum der Menschen Reichtum der Erde: auch dieser beruht auf Vergänglichkeit. Von Batavia nach Buitenzorg autelnd, sehen wir eine ununterbrochene Reihe von aneinandergrenzenden Dörfern: 38 Millionen Menschen ernährt diese fruchtbare Insel. Gute, steinfreie Muttererde findet sich nicht selten bis 18 Meter Tiefe( wodurch die Lebensfähigkeit der Gummiplantagen bedingt ist) und dauerndes rasches Wachsen und Absterben bedingt diesen Reichtum. Die Tropennatur hat die Tendenz, immer wieder in den Urzustand zurückzukehren, die Bemühungen der Menschen zu vereiteln, nichts ist solide und von Dauer bei diesem beschleunigten Lebensprozeß, weder Plantage noch Bauwerke, wenn nicht stets daran ge= arbeitet wird. Der frische weiße Anstrich der Häuser, der das Auge des Ankommenden entzückt, ist nur ein Mittel, die ständige Bermitterung zu bedecken. Die Süße des Erdgeruchs ist Fäulnis: Moose, Pilze, Barafiten zwingen das Frischgewachsene zum Absterben, bald find wieder schwarze Tränen, ist parasidärer Staub an der Mauer zu fehen, und was wir oben aufbauen, wird von unten wieder vernichtet. Ueber ihrer tockenden Schönheit sehen wir weder die Macht noch vorerst die Utilisierung javanischer Natur; drei-, viermal muß man die( auch klimatisch) abwechslungsreiche Wundertour gemacht haben, um zu verstehen, daß Java vor allem anderen von West bis Oft ein großes in Kaskaden abfallendes, mühsam erhaltenes Reisfeld ist nicht eine Sammlung von Lotusteichen, Flammenbäumen, Kratern und Palmen.
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Alles ist industrialisiert auf Java( es gibt allein 186 3uder fabriken), mit Ausnahme vom Reisbau: der befindet sich vollständig und ausschließlich in den Händen der eingeborenen Bevölkerung. Die Regierung beschäftigt sich nur mit der Wasserrecht kontrolle und leber- und Unterführung großer Wasserläufe; indessen find die Reismühlenbefizer, händler und Finanzleute Chinesen. Für den noch nicht angepflanzten Reis nimmt der leichtsinnige Malaienbauer bereits Vorschuß vom falkulierenden Himmelssohn. Und wo ist es hingekommen, das einst so leicht beschwingte, sanfte, freundliche, von ästhetischen Fürsten geführte Volk der Sudanesen? Sie rebellieren ein wenig, jetzt nach dem Krieg, haben eine kleine sozialistisch- tom
Paul Kampffmeyer:
Der Europäer rechnet: vor dem Kriege hat er es in 5 Jahren geschafft, heute braucht er mindestens zehn, um sein Schäschen auf geschafft, heute braucht er mindestens zehn, um sein Schäfchen auf dem Trockenen zu haben. Ein Jahr, für Idealisten zwei, dauern die Illusionen. Ach Java: Geld, eventuell viel Geld( wenn auch teinesfalls leichtes Geld) zu verdienen, dort, wo es solch gazellenleibige schlangenarmige, heiter- anmutige, schelmisch- kokette und( vorerst wenigstens) freundlich entgegenkommende, wenn auch befelfauende, rotausspeiende braune Frauen gibt. Und die Wasserkastelle, Tuberosenbäume, das tropische Sanssouci mit der schönsten Gewächssammlung der Erde, die Welt des Tees und der Bambuswälder, einige letzte abschießbare Tijkorai- Tiger und 14 alte und 45 junge Bulkane mit und ohne Rauchfähnchen schade, daß dies und so manches andere nicht standhält und zum Schluß nichts übrig bleibt als harte Arbeit und die Sofieteit.
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Als ich das erstemal ins Garoet- Hotel trat, das damals noch flein und unansehnlich war, bedankte sich gerade eine Dame über schwenglich bei dem deutschen Hotelier für seinen guten Rat, sie statt allem anderen auf den Papandajan geschickt zu haben. Sie war entzückt und als ich sie ansah, lachte sie hell auf, es war meine Landsmännin in Konkurrentin Alice Schalet. Ach Java: einmal auf den Papandajan zu reiten, ist eine Sensation, oben zu bleiben auf der offenen Wunde der Erde ist( fragen Sie den russischen Gelehrten, der dort haust) ein Schrecknis. Nicht anders ist es mit dem größten Kraterboden der Erde, der Sandsee, aus der wie Urwald: riesen napftuchenförmige Bulkane ragen. Vom Sanatorium Tosart gesehen, wo die Rosen blühen und die blaient stelche der Datures blume, ist das fabelhaft: ein Stück Mond. In der Nähe und auf die Dauer wird das Schauspiel graufig und man fühlt sich als armer Wurm. Auch die schöne Natur mag nicht dauernd zu fesseln, und was die freundlichen Sundanesinnen betrifft, damit verhält es fich auch bei näherem Zusehen etwas anders als man denkt. Diese heiteren anmutigen Dämchen kann man, wenn eine Zeitgrenze überschritten ist, zwar wegschicken, aber es fann dann passieren, daß sie einem vorher heimlich die bekannte Pastille Nr. 11 versetzen. Dann kommt der Arzt und konstatiert, daß Sie am Herzschlag oder so gestorben sind das Gift ist nicht nachweisbar. Auch die Bambusfasern, die durch Darm und Magenwände dringen und nach 6 bis fasern, die durch Darm und Magenwände dringen und nach 6 bis 8 Monaten den Tod herbeiführen, sind nicht nachweisbar. Der Wirt vom Hotel Garoet hat sich auch mit so einer anmutig- heiteren Javanesin eingelassen, die ihm allerhand ins Ohr geflüstert hatte. Eines Tages versuchte er seine Frau zu töten. Lange war er eingesperrt. Jezt gehört das Hotel seiner Frau. Er will versuchen, ein neues zu gründen: ach Java! Die Chinesen aber lächeln rätselhaft: sie haben ihre häuslichen Angelegenheiten in Ordnung.
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Zum 80. Geburtstag Robert Seidels
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Settengeist und brach Bahn für die große geeinte sozialdemokratische Massenpartei. In Seidel war sehr frühzeitig das Verständnis für die drei großen Aufgaben des Sozialismus geweckt worden: für die Organisation der politischen sozialdemokratischen Partei, der Produzenten( Gewerkschaften) und der Konsumenten ( Konjumvereine). Man erinnere sich, wie lange die deutsche Sozialdemokratie mit sich rang, um eine befriedigende Stellung zur Genossenschafts- und Gewerkschaftsbewegung zu gewinnen, und deshalb verdient unsere ganze Anerkennung die frühzeitige dreifache Betätigung Seidels, der 1870 bereits die Crimmitschauer Konjum genossenschaft leitete, der in demselben Jahre auf dem 1. Kongreß der internationalen Manufattur, Fabrik- und Handarbeiter als Referent auftrat und der zugleich Bizepräsident des im demokratisch sozialistischen Sinne geleiteten Crimmitschauer Arbeiterbildungsvereins war.
Am 23. November 1930 feiert Robert Seidel , der sozialdemo.| wand den noch vielfach in den Reihen der Sozialisten herrschenden fratische Politiker, der bahnbrechende Sozialpädagoge und der begeisterte Volksdichter, seinen 80. Geburtstag. Deutsche Arbeiter sind in der Schweiz in den Jahren 1870 bis 1890 die wirksamsten Bioniere des demokratischen Sozialismus gewesen wir nennen hier nur Hermann Greulich , Carl Manz, E. Bec usw.-, aber von allen Wegbahnern des neuen Befreiungsevangeliums hat Robert Seidel sich am universellsten ausgewirkt. Wenn in den Zeiten des fluchwürdigen Sozialistengesetzes die Partei die opferfreudige Unterftigung schweizerischer Sozialdemokraten fand, so hat R. Seidel die Herzen und Köpfe dieser Genossen erobern helfen, die sich für unsere Partei, als sie in Zürich die sozialistische Sturmfahne aufzog und den Sozialdemokrat" in die Welt hinausflattern ließ, mit fester Energie und großer Uneigennüßigkeit eingesetzt haben. Ein blei bendes Verdienst um den Sozialismus erwarb sich Seidel durch feine großzügigen Vermittlerdienste zwischen den deutschen und schweizerischen Sozialdemokraten. Und diese Rolle war nicht leicht durchzuführen; denn ein enger Kantonligeist warf sich oft dem enthusiastischen Propheten Seidel entgegen. Das war ein recht massiver Widerstand, den ich noch sehr deutlich empfand, als ich 1886, also 16 Jahre nach der Uebersiedlung Seidels nach der Schweiz , in 3ürich studierte und mich dort am fozialdemokratischen Parteileben beteiligte.
Auf dem Eisenacher Kongreß 1869, der zur Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands führte, war auch ein ganz junger fächsischer Arbeiter erschienen, der in der Dele giertenliste so eingetragen wurde: ,, 220. Seidel, Robert, Crimmit schau , Consumverein, 320 Auftraggeber." Unser Robert Seidel hatte als Budifinweber im Arbeiterbildungs- und Konsumverein in Crimmitschau die Werbetrommel für den demokratischen Sozialis mus gerührt. Seidel hat also an der Wiege der Bebel- Liebinechtschen Bartei, der. ,, Eisenacher Sozialdemokratie", gestanden. Die Eisenacher Richtung, der sich die intelligentesten und rührigsten Lassalleaner wie W. Brace, Th. Yort, August Geib angeschlossen hatten, über
Seidel verließ nach der Schlacht von Sedan und nach der Proflamation der französischen Republik Deutschland , da sich damals eine alldeutsche, die Annexion von Elsaß- Lothringen stürmisch for dernde Richtung machtvoll regte, und er nicht gegen die junge französische Republik tämpfen wollte.
In der Schweiz arbeitete Seidel zunächst drei Jahre als Handweber in der Woll-, Baumwoll- und Seidenindustrie. Dann be= tätigte er sich fünf Jahre in kaufmännischen Branchen. Jede freie Stunde widmete er seiner Fortbildung, und als er dann zu seinem eigentlichen Beruf, dem pädagogischen, überging, da bedurfte er zur Erlangung des Priman- Lehrerpatents nur eines Jahres. In diese seine pädagogische Tätigkeit fällt hinein: die epochemachende Tat feines Lebens: die Begründung des Arbeitsunterrichts als einer pädagogischen und sozialen Notwendigkeit. Der Arbeitsunterricht ist in den Aufsätzen und pädagogischen Werken Seidels fein fachgewerblicher Unterricht, fon dern eine allgemeine Borbereitung für praktische Bildung, wie es der Schulunterricht für die theoretische Bildung ist. Sein Haupt
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Sonntag, 23. November 1930
zwed ist die harmonische Ausbildung des Menschen. Bereits im Jahre 1885, also vor 45 Jahren, erschien in dem Verlage H. Laupp, Tübingen , seine erste große Arbeit über den Arbeitsunterricht. Ein Bierteljahrhundert vor Kerschensteiner, dem Münchener Schulrat, trug Seidel die Forderung des Arbeitsunterrichts in die breiten Massen hinein. Im geistigen Kampfe mit Kerschensteiner entstand die Schrift Seidels: Die Schule der Zukunft eine Arbeitsschule, Kritik und Ergänzung des Bortrages von Stadtschulrat Dr. Kerschensteiner.
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Die Tätigkeit des Politikers Seidel in der Schweiz ist umfassend und vielseitig gewesen. Seidel war Mitbegründer des ersten Schwei zerischen Arbeiterbundes, und er wirkte erfolgreich für die Annahme des eidgenössischen Fabrikgesetzes. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund und die Sozialdemokratische Partei der Schweiz beriefen 1890 Robert Seidel zum Redakteur der Arbeiterstimme" und 1898 zum ersten Redakteur des„ Volksrecht". Von 1893 bis 1923 gehörte Seidel dem Züricher Kantonsrat und von 1911 bis 1917 dem schweizerischen Nationalrat an. Sehr am Herzen lag ihm die intensive staatsbürgerliche Schulung eines jeden Menschen, und, von diesem Gedanken getragen, verfaßte er sein, vielgenanntes und vieldiskutiertes Werk: Sozialdemokratie und staatsbürgerliche Erziehung. Dem großen Revolutionär auf pädagogischen Gebiete, Bestalozzi, wurde Seidel in seiner Schrift über den Sozialpädagogen und Sozialpolitiker Pestalozzi gerecht.
Als Kampfdichter ist R. Seidel in die breite Masse des arbeitenden Volkes gedrungen. Viele seiner Lieder sind vertont worden. Der Verlag J. H. W. Diez, Berlin , gab 1925 zum 75. Geburtstag Seidels die ,, Erstausgabe der gesammel ten Gedichte" des Volksdichters heraus. Viele Feste der aufsteigenden Arbeiterschaft sind durch die Kampfgefänge Seidels verschönt und gehoben worden.
Möge der Sozialpolitiker, Sozialpädagoge und Dichter Robert Seidel noch lange das Feuer der Begeisterung für Demokratie und Sozialismus schüren, das er vor mehr als einem halben Jahrhundert angefacht hatte.
Das Rätsel des Winterschlafs
Es ist allgemein bekannt, daß allerlei marmblütige Tiere die wunderbare Fähigkeit haben, beim Eintritt der falten Jahreszeit ihre Bluttemperatur auf wenige Grade über den Nullpunkt herabzusetzen und im Zustand äußerster Lebensverminderung den Winter zu überdauern. Sie halten es wie die Pflanzen, die ja ebenfalls erst mieder munter werden, wenn es draußen lenzt. Nun ist es auffallend, daß der wirkliche Gang der Jahreszeiten, wie er sich vor unseren Augen als periodischer Wechsel von Sommerwärme und Winterkälte, Nahrungsfülle und Nahrungsknappheit abspielt, ohne jeden sichtbaren Einfluß auf die Bestimmung des besonderen Zeitpunktes ist, an dem sich Igel und Haselmaus, Ziesel, Siebenschläfer, Murmeltier und Fledermaus Jahr für Jahr zur Winterruhe begeben. Mag draußen das Wetter noch so sommerlich sein, das Feld von Früchten noch so voll liegen und die Luft den dichtesten, für Fledermäuse so michtigen Mückentanz sehen, sobald die Stundenuhr des Jahres sich einem gewissen Monat oder Monatszeitpunkt genähert hat, der für die eine Tierart kalendermäßig früher, für die andere später liegt, fritt fie unbefümmert um die zufälligen Bedingungen des äußeren Lebensrains, aus dem tätigen Dasein ab, fucht ihr Winterversted und gerät dort rasch und unaushaltsam in jenen Zustand, in dem sie sich wie ein Kaltblüter der Außenwelt gegenüber verhält. Der Siebenschläfer z. B. beginnt seinen Winterschlaf schon im August, also mitten im Sommer; ebensowenig kann herbstlicher Nahrungsüberfluß. das Murmeltier zu längerem Ausharren im tätigen Leben bewegen. Unaushaltbar schlafen zum festgesetzten Jahreszeitpunkt die Tiere auch ein, wenn sie in geheizten Räumen und bei bester Verpflegung gehalten werden. Umgekehrt ist es ein Ding der Unmöglichkeit, unsere Winterschläfer während des Sommers durch künstliche Zufuhr von Kälte in einen Zustand zu versetzen, der dem Winterschlafzustand entspricht. Das bedeutet, daß der Winterschlaf, genau wie die Gewohnheit der Zugvögel, uns an einem bestimmten Zeitpunkt zu verlassen und, unbekümmert um das zufällige Wetter, zu einem bestimmten Frühlingszeitpunkt zurückzukehren, ausschließlich durch Vorkommnisse geregelt wird, die sich im Innern des Körpers abspielen und von außen nicht lentbar sind. Man hat zwar die Schilddrüse als Winterschlaforgan angesprochen, aber es ist nachgewiesen, daß auch andere innere Drüsen einen Einfluß ausüben können, und so ist die Frage noch nicht restlos geklärt. Wir können nur mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß ehedem Winterkälte, Nahrungsnot und die übrigen Unwirtlichfeiten der beginnenden rauhen Jahreszeit die wirklichen Antreiber zum Rückzug aus dem tätigen Dasein gewesen sind, während es heute so weit ist, daß die äußeren Umstände den Tieren nichts mehr anhaben können, weder in der einen noch in der anderen Richtung.
Industrie der Ueberflüssigkeit
Bei gewiffen Negerstämmen Westafrifas ist es Gewohnheit, sich bei jeder Gelegenheit mit einer bestimmten Holzart die Zähne zu reiben, auf Hölzchen herumzukauen usw. Teilweise mag es sich dabei um eine ähnliche Nervenberuhigung handeln, wie bei dem mit dem Tesbih, dem Rosenkranz , Spielen der Türken, dem Kauen auf der Holzzigarette und anderen Dingen. Tatsache ist aber, daß diese Neger über sehr gesunde Zähne verfügen. Ob trotz oder wegen dieses Holzkauens, kann dahingestellt bleiben. Den Amerikanern aber blieb es vorbehalten, als neuesten Kulturfortschritt den Kaugummi einzuführen, der auch bei uns eine Zeitlang Eingang zu finden drohte. Auch die Yankees berufen sich, ohne es zu beweisen, darauf, daß das Gummikauen die Zähne erhalte. Die Kaugummi - Industrie der Bereinigten Staaten ist allerdings schon alt. Sie schreibt sich bis zum Jahre 1860. zurück, beschäftigt heute nicht weniger als 10 000 Angestellte und Lohnempfänger und erreicht einen jährlichen Umjaz im Werte von 62 Millionen Dollar, also etwa eine Viertelmilliarde Mart. Als Rohstoff verwendet man im allgemeinen den Milchyfaft eines in Merito, im englischen Honduras und in Guatemala wild wachsendes Baumes. Die Masse wird zum Gerinnen gebracht und für den Versand zu Broten von 20 Kilogramm Gewicht verfnetet. Die modernste Kaugummifabrit ist die American Chicle Co. in New York , die 500 Personen beschäftigt. Dort werden die Brote zunächst getrocknet. Dann wird die Masse in dampigeheizten Gefäßen geschmolzen und in Filterpressen unter Luftdruck gereinigt. In beheizten mechanischen Rührwerken, mengt man einen Duftstoff bei, läßt die Masse erfalten und hart werden und schafft sie zur Formprefferei und Verpackung. Wie auch in der modernen Zigarettenund Zigarrenfabrikation und in einigen anderen Industriezweigen kommt es dabei auf außerordentlich genaue Einhaltung bestimmter Temperatur und Feuchtigkeitsgrade der Luft an. Man erhält daher in dem fünf Stodwert großen Gebäude das ganze Jahr, Sommer mie Winter, hindurch eine gleichmäßige Temperatur von 21 Grad.