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Morgenausgabe

Rr. 555

A 279

47.Jahrgang

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dim

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag

27. November 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Recht, nicht Gewalt! Besprechungen mit Brüning

Gegen Brunnenvergifter und Brandstifter diesseits

und jenseits!

Schon am 18. November ist die deutsche Reichsregierung an dieser Stelle aufgefordert worden, fich der unterdrückten und mißhandelten deutschen Minderheit in Ostoberschlesien anzunehmen. An jenem Tage war hier zu lesen:

Wir erwarten die Unterstügung der gesamten deutschen Presse, menn wir heute von der Reichsregierung fordern, daß sie die poli­tische Entrechtung der Deutschen in Ostoberschlesien vor dem Forum des Wölferbundsrates zur Sprache bringt. Dazu ist sie berechtigt und verpflichtet, denn die Entente hat seinerzeit der

Noch nicht abgeschloffen. Heute Fortsetzung.

Das Reichskabinett berät.

Der Reichstanzler empfing am Mittwoch die sozialdemo-| Reichstagsfraktion wird sich am Donnerstag mit der fratischen Abgeordneten Dr. Breitscheid, Dr. Hilfer politisch parlamentarischen Lage befassen. ding und Dr. Hertz zweds Fortsetzung der am Montag begonnenen Besprechungen über die Abänderung der Not verordnung vom 26. Juli und des Finanzprogramms der Regierung. Die Besprechungen wurden noch nicht ab. fortgesetzt und zu Ende geführt werden.

Die Proteftnote gegen die polnischen Terrorafie.

Das Reichskabinetf traf am Mittwoch abend um 19 Uhr zu

Abtretung deutschsprachiger Voltsteile an Polen nur unter der Be- geschlossen. Sie werden voraussichtlich am Donnerstag einer Sigung zusammen, in der die deutsche Note an den Völker­

dingung eines besonderen Minoritätenschutzes zugestimmt. Dieser Schuß ist soeben gröblich verletzt worden.

Ganz in der Richtung der von uns geforderten Aktion scheint uns eine Interpellation des Zentrums zu liegen, die soeben von Herrn Ulila im Reichstag eingebracht worden ist. Sie lautet:

In den letzten Wochen hat die Heze polnischer Kreise gegen bie deutschen Minderheiten in Ostoberschlesien in erschredendem Maße zugenommen und sich zu unerhörten Ter roraften gesteigert, ohne daß mirksame Gegenmaßnahmen der polnischen Regierung sichtbar geworden sind. Die Bedrängnis der bedrohten deutschen Minderheiten ist bis zum äußersten gestiegen und die Empörung über das Berhalten Polens gegen Deutsche , das eine schwere Bergewaltigung des Naturrechts und eine Ber legung der durch Berträge verbrieften Rechte in sich schließt, ist im deutschen Volke ungeheuer groß.

Bir fragen die deutsche Reichsregierung an, was fie gegenüber den oben erwähnten Vorgängen unternommen hat bzw. noch zu tun gedenkt, um dem schwer verletzten deutschen Boltstum Genugtuung zu verschaffen und der Bergewaltigung ber deutschen Minderheit in Polen vorzubeugen.

Man tann von dieser Zentrums- Interpellation sagen, daß sie in Ton und Inhalt das Richtige trifft. Der Schritt, den sie verlangt, kann nach der gegebenen völkerrechtlichen Situation eben nur ein Schritt beim Völkerbund sein. Wenn die deutsche Regierung die Sache der unterdrückten Deutschen Oftoberschlesiens vor dem Forum der Welt so nachdrücklich und wirkjam wie nur möglich vertritt, wird sie dabei alle besonnenen und rechtliebenden Elemente des deutschen

Boltes hinter sich haben.

Mit Recht hebt die Interpellation auch hervor, daß die Erregung über die Vorgänge in Ostoberschlesien sehr groß ist. Um diese Erregung zu begreifen, müssen sich die Bolen nur ihrer eigenen Vergangenheit erinnern. Das Un­recht, das ihnen in einem der drei Aufteilungsgebiete widerfuhr, haben sie in den anderen Gebieten mitempfunden und so können eben auch die Deutschen diesseits der Grenze nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem, was den Deutschen jenseits der Grenze widerfährt.

Im Verlauf der bisher mit der Sozialdemokratie ge­führten Besprechungen ließ die Regierung den ernsten Willen zur Durchsehung ihres Finanzprogramms auf parlamentarischem Wege erkennen.

bund wegen der Terroraffe gegen die deutsche Minderheit in Ober­ schlesien besprochen wurde. Der Note liegt das umfangreiche Material zugrunde, das der deutsche Generalfonjul von Grünau der Reichs­regierung übermittelt hat. Auch über die Frage, ob eine aufer­ordentliche Ratstagung verlangt werden soll, wurde beraten. Das

Der Borstand der sozialdemokratischen Ergebnis liegt bei Redaktionsschluß noch nicht vor.

Die Affäre Oberschlesien .

Warschauer Weißwaschung.

Warschau , 26. november.

Das polnische Innenministerium hat der amtlichen polnischen Telegraphenagentur folgende Darstellung der letzten Ereignisse in Polnisch - Oberschlesien gegeben.( Unterstreichungen von uns gemacht. Red. d. ,, B.".)

Die Behörden haben Ruhe und Wahlsicherheit sowohl in der Vorwahlperiode wie auch am Tage der Wahl zum Senat und zum schlesischen Sejm gewährleistet. Die Ruhe wurde nur in einigen Ortschaften wegen allzu lebhafter Wahlagita tion gestört. Am erheblichsten ist der ruhige Wahlverlauf durch herausforderndes Auftreten des schon seit einer Reihe Don Jahren durch seine Hetztätigkeit bekannten arifinger ( evangelischer Pfarer in Golasjowitz. Red. d. B.) gestört worden, auf Grund dessen durch einen deutschen Stoßtrupp ber Polizeifunktionär Schnapla im Augenblid, da er feiner Dienstpflicht Bürger deutscher Nationalität geschlagen und einige Lokale in nachlam, ermordet wurde. Ueberdies sind noch drei polnische Hohenbirten zerstört worden. Endlich ist der polnische Arbeiter Stellmach in Nowywjes getötet worden.

Entgegen den tendenziös verbreiteten Nachrichten hat fein polnischer Bürger deutscher Nationalität das Leben verloren. Auch fam es mit Ausnahme der oben genannten Fälle zu feinen ernst­lichen, den Wahlverlauf störenden Zwischenfällen. In allen fest­gestellten Fällen einer Ruheſtörung ist eine sofortige Untersuchung eingeleitet worden, sowohl gegenüber den Ruheftörern als auch gegenüber den Behörden, denen es obliegt, die Ruhe zu sichern. Bis zum gegenwärtigen Augenblick wurden im Zusammenhang mit diesen Zwischenfällen schon mehrere Personen verhaftet. Unab­hängig davon führen die Polizeibehörden in einigen geringfügigeren Aufgabe aller verantwortlicher Politiker ist es, dafür Vorfällen wie Einschlagen von Scheiben, Schlägereien bei Ber­zu sorgen, daß in der berechtigten Erregung die Versammlungen usw. Untersuchungen, um die Schuldigen zu entdecken nunft nicht untergeht. Schon machen sich in manchen und zu bestrafen. Kreisen Anzeichen eines gemeingefährlichen Irr finns bemerkbar. Einige Zeitungen, denen die deutsche Wirtschaft offenbar noch viel zu gut geht, und die meinen, daß wir noch viel zu viel Kredit im Ausland haben, schwätzen von einem bevorstehenden Krieg! Akademische Helden jünglinge werfen sich in die Brust und deflamieren von cinem Einsetzen des Heeres zur Verteidigung des Reiches". So der Deutsche Hochschulring, die Deutschnationale Stu­dentenschaft, der Nationalsozialistische Studentenbund , der Stahlhelm- Studentenring. Ein deutschnationales Blatt in Oppeln will deutsches Reichsgebiet von asiatischen Horden befreien". Und die Nationalsozialisten bringen im Reichstag einen Antrag ein, ein besonderes 100 000- Mann- Heer zur Abwehr polnischer Uebergriffe längs der deutsch - polnischen Grenze aufzustellen".

Das alles ist Irrsinn und Ausnutzung pon Irrsinn zu Parteizwecken.

Bei dieser Gelegenheit fann die Feststellung nicht umgangen merden, daß die Aufgabe der Behörden durch einen verleumderischen Feld­zug gewisser Organe der Auslandspreffe planmäßig erschwert wird, die es sich augenscheinlich zum Ziel gesetzt haben, zwischen Deutschland und Polen ständig zu hetzen und sogar die allerkleinsten 3wischenfälle zum Schaden des friedlichen Zusammenlebens der dortigen( ostoberschlesischen) Bevölkerung ins ungeheuerste zu ver größern. Gleichzeitig fann man nicht umhin, die Aufmerksam feit auf die Tatsache zu lenten, daß die polnische Bevölkerung seit einer gewissen Beit alarmiert ist durch die revisionistische Kampagne gewisser deutscher Faftoren sowie durdy die Nachrichten über das Schicksal der polnischen Bevölkerung je n- seits der Grenze, wo legthin Ueberfälle von Stoßtrupps auf die polnische Bevölkerung und 3 er störung von Schulen und Wohnungen stattgefunden haben.

Die deutsche Darstellung.

Beuthen, 26. November. Die inzwischen angestellten Ermittlungen über die Vorgänge Die Mißhandlungen, die den Deutschen in Dstober- in Golafsomit haben folgendes Ergebnis gehabt: Am schlesien widerfuhren und die mittlerweile eingestellt worden find, waren allerdings so schlimm, daß sie mit den schlimmsten Borgängen in Südtirol verglichen werden können, Wir bekämpfen die Unterdrückung hier wie dort. Aber bei denen, die zu Mussolini wallfahrten, scheint uns die Entrüstung über Pilsudski nicht ganz echt. Auch können wir uns nicht in gleichen Gefühlen mit jenen vereinigen, die nur dann ent rüstet sind, wenn andere prügeln und Fenster einwerfen. Solche, asiatische Horden" die sich selber für urgermanisch

ausgeben- trifft man leider auf deutschem Kulturboden allzu häufig. Bir halten es also für unsere Pflicht und Schuldigkeit, meilenweit von denen abzurücken und die jenigen als Schädlinge zu brandmarken, die die efel­erregenden Prügeleien in Ostoberschlesien zu einer mörderi schen Prügelei im Weltmaßstab erweitern möchten.

Diesem Treiben fehlt zwar die Kraft, den Weltfrieden

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Sonnabend, dem 22. d. M., zwischen 1 und 2 Uhr mittags, er­schien in Bolaffomik das dem Sorauer Gasthausbesizer Brych gehörige a ftauto mit etwa 25 teilmeise unifor­mierten und bemaffneten Aufständischen, die un­mittelbar nach ihrer Ankunft den zufällig aus dem Pfarrhause her austretenden Organist en Rigalle überfielen. Rigaite flüchtete in das nahegelegene evangelische Gemeindehaus.

Die Aufständischen folgten ihm dorthin nach, ergriffen und mißhandelten ihn und verlangten die Herausgabe der deutschen Wahlzettel.

Im Zusammenhang damit nahmen sie eine Durchsuchung der Räume des Gemeindehauses vor und drangen auch in das nächste Stockwerf ein, wo sich die deutsche Minderheitsschule

befindet, in der gerade Unterricht abgehalten wurde. Infolge des

Tumultes brach unter den Schulkindern eine Panit aus. Schließlich verließen die Aufständischen das Gebäude, nachdem sie dem Organisten Rigalte im Beisein der Lehrerin Fuchs gedroht hatten, daß sie zurückkommen und das ganze Gebäude in die Luft sprengen würden.

Sie perteilten sich dann über das Dorf, mo fie ebenfalls noch den Landwirt Miyech zwangen, mit erhobener Hand zu schwören, daß er bei den Wahlen für die Regierungspartei stimmen werde. Inzwischen hatte der evangelische Ortsgeistliche arifinger, der die Vorgänge im Gemeindehaus beobachtet

vereinzelte Mißhandlungen vornahmen, beispielsweise

hatte,

zu wiederholten Malen versucht, die nur wenige hundert Meter entfernte Polizeiwache zu alarmieren, die sich jedoch nicht meldete.

Dem Organisten Rigalke war es indes gelungen, die Wache zu erreichen, wo er die Vorfälle dem Polizeipostentommandanten zu Protokoll gab. Dieser war während der ganzen Ausschreitung auf der Wache gewesen, hatte jedoch weder sich zum Einschretten be­wogen gefühlt, noch sich auf den telephonischen Anruf des Pfarrers gemeldet. Ein Teil der Gemeindemitglieder, darunter die Mehrheit der Gemeinderäte, hatten sich bald nach diesen Borgängen zusammen­gefunden, um zu berate, was im Falle des von den Auf­ständischen angekündigten nochmaligen Angriffs auf das Gemeinde­haus zu unternehmen sei.

Im Anschluß hieran begaben sie sich zu dem Gemeinde­vorsteher Dolecyt, um auch mit ihm eventuelle Sicherheits­maßnahmen zu besprechen, Dolecyt, der selbst dem Auf­ständischen- Berbande angehört, verhielt sich indes völlig paffiv.

Der Ortsgeistliche Harlfinger hat an diesen Besprechungen nicht teilgenommen.

Gegen 9 Uhr abends sind die Aufständischen nach Golafsowitz zurückgekommen; gleich darauf wurden die Fensterscheiben

ernstlich zu gefährden, aber es ist geeignet, die Sache des deutschen Bolles und insbesondere auch die Aktion Deutsch­ lands beim Bölkerbund aufs schwerste zu schädigen. Wer dem deutschen Volke ehrlich dienen will, der kann mit Brunnenpergiftern und Brandstiftern, auf welcher Seite der Grenze sie immer sich befinden mögen, nichts zu tun haben wollen.