Morgenausgabe Rr. 557..„, A280 4?. Jahrgang
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Sozialdemokratie und Kanzler. Hauptpunkte der Besprechungen: Krankenschein, Arbeitslosenversicherung und Kopfsieuer.
Der Bor st and der sozialdemokratischen Reichstogsfraktion nahm am Donnerstag nach- mittag einen Bericht der Fraktionsführer über die mit der Reichsregierung geführten Besprechungen über die Münde- rungen der Nowerordnung vom Juli und des Finanz- Programms entgegen. Die Aussprache des Fraktionspor- standes ergab völlige Uebereinstimmung, daß die in den Besprechungen mit der Regierung gewünschten M- änderungen der Nowerordnung bezüglich der Bestimmungen für die K r a n k e n o e r s o r g u n g. die Arbeitslosen- Versicherung und die Kopfsteuer absolut notwendig seien. Die Haltung der Unterhändler wurde gebilligt. Die nächste Sitzung der sozialdemokratischen Reichstagsfroktion dürfte am Mittwoch, dem 3. Dezember, stattfinden. * In einem Teil der bürgerlichen Presse wird seit Tagen ein Feldzug mit dem Ziele geführt, die Reichsregierung zur Jnkroft. fetzung ihres Finanzprogramms durch eine Not- Verordnung mit dem Artikel 48 zu veranlassen und damit den Reichstag vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Propaganda für eine solche Haltung der Regierung geht von den- jenigcn Kreisen aus, die dem Parlamentarismus ablehnend gegen- überstehen und es als ihre Aufgabe betrachten, die polnischen und wirtschaftlichen Perhästnisf« weiterhin zu erschweren. Die Verhandlungen, die in den letzten zehn Tagen zwischen der Reichsregierung und den Parteien geführt- worden sind, dienten dem Zweck, die parlamentarische Erledigung des Finanz- Programms zu ermöglichen. Wenn es auch nicht sicher ist, ob das
erreicht werden wird, und ob ein« Mehrheit für die Vorlage der Reichsregierung im Reichstag gefunden werden kann, so hat doch die Reichsregierung bisher keine Entscheidung nach der«inen oder der anderen Richtung hin ge- troffen- Sie beharrt zunächst lediglich darauf, daß noch vor Weihnachten diejenigen Gesetzentwürfe erledigt werden müssen, die der Ausgleichung des Reichshaushalts für 193l dienen. Das schließt allerdings nicht die Erledigung des Reichsetats für 1931 ein. Sie ist erst bis zum 31. März 1931 notwendig. Auch will die Re- gierung die Verabschiedung des Finanzausgleichs und der damit im Zusammenhang stehenden Steuervereinfachungsgesetze mir bis Ende März gesichert wissen. Die Verhandlungen zwischen der Sozialdemo- krati« und der Reichsregierung betrafen in erster Linie die Abänderungen der Notverordnung vom Juli. Da der Widerstand der Sozialdemokratie gegen die Notverordnung vor allen Dingen sich gegen den Krankenschein und den Arznei- schein, gegen die Verschlechterungen bei der Arbeitslosen- Versicherung und gegen die Kopfsteuer richtete, so stehen natürlich bei den Verhandlungen in erster Linie diese Fragen zur Diskussion. Daß die Verhandlungen nur langsam vorwärts- kommen und sich überaus schwirrig gestalten, ist bei den großen Gegensätzen, die gerade bei diesen Fragen zwischen der Sozialdemokratie und einigen an der Regierung beteiligten Parteien bestehen, nicht verwünderlich. Da die Verhandlungen noch nicht be- endet sind'—'sie werden am Freitag fortgesetzt— so läßt sich" in diesem Augenblick natürlich noch-nicht sagen, ob ihr Ergebnis ein genügendes Entgegenkommen an die Auffassungen der Sozial- demokratie darstellen.wird.
Seit mehreren Tagen war im Rathaus bekannt, daß die Som- munisteu die gestrige Sladlocrordnetensihung benutzen würden, um wieder einmal üble Tumullszeuen herauszubeschwöreu. Der Lärm entwickelte sich programmäßig. Auf dem Reuen Markt war eine Erwerbslosendemovstration angesetzt, die Tribünen- besuch« im Rathaus besonders ausgesucht und genau instruiert und im Sitzungssaal ging der berüchtigte Radaumacher Lange zu veginn der Sitzung geschäftig von einem Fraktionsmitglied zum andern, um die letzten weisungeu auszugeben. Die erste Gelegenheit zum Lärmen ergab sich bei der Verlesung des vom Oberpräsi- denlen an Magistrat und Stadtverordnelenversammlung gerichteten Schreibens, in dem die Verusung der Staatskommissare mitgeteilt wird. Das Toben nahm danach seinen Fortgang vnd nahm schlleßlich solche Formen an. daß der sozialdemokratische Vorsteher haß, sich zur herbeirusung der Polizei gezwungen sah. E» mußte den Kommunisten klar gemacht werden, daß e» sich eine arbeitswillige Mehr- heil aus die Dauer nicht gesallen lassen kann, von einer skrupellose!« Minderheit zum Schaden der Stadt VerNa uud ihrer arbeitenden. Bevölkerung terrorisiert zu«verden. Als sich aus der Tribüne einige Leute berufen fühlten, lange Reden mit nicht wiederzugebenden Beschimpfungen der Stadtverordneten zu hallen und Sprechchöre zu..arbeiten"" ansingen, die von kommunistischen Stadtverordnelen dirigiert wurden, forderte der Vorsteher die Ruhestörer zum Verlassen der Tribüne auf. Da der lalle Lärm nicht ausHörle, mußte die Polizei erscheinen, um die Tribünen zu räumen. Die kommunistische Fraktion ausgeschlossen. Die Räumung der Tribünen war für die Kommunisten im Sitzungssaal der Anlaß zu unerhörten veschimpsungeu der übrigen Mitglieder des Hauses und des Vorstehers. Aus Mehrheitsbeschl"ß der Versammlung wurden mehrere Mitglieder von der Sitzung ausgeschlossen. Sie verließen sedoch den Saal nicht, so daß auch hier die Polizei eingreifen mußte. Die Schuhpolizeibeamten wurden von der kommunistischen Fraktion inst erhobenen Stühlen empfaugea. der Kommunist DröN erhob einen Sessel und schleuderte
Kommunistenklamauk im Ztathans! Theater zur Verhehung und Verhöhnung der Arbeitslosen. - Polizei greift ein.
ihn gegen den Pollzeiofslzler. Es blieb den Veamten daher nicht» andere» übrig, als einige der sich wie tollwütig gebärdenden Stadl- verordneten mit Gewalt hinauszubefördern. Räch dieser Säuberungsaktion konnte endlich ln die Erledigung der wichtigen Tagesordnungspunkte eingetreten werden.
Hitlers Drohbriefe. Eine Drohung gegen Paul Löve und seine Antwort. München . 27. November.(Eigenbericht.) Unmittelbar vor einer Massenkundgebung der Augsburger Soziawemokratie erhielt der als Referent bestimmte Reichstags- Präsident L ö b e im Versammlungslokal von der Post einen Brief ausgehändigt, dessen Inhalt eine ungeschminkt« Mord- d r o h u n g war, dazu bestimmt, ihn in seinem Kamps gegen die Nazis einzuschüchtern. Der anonyme Brief beginnt mit Schmähungen auf die Sozial- demokratie und schließt mit den Worten: „Wir rvarnen Herrn Löbe vor großen Phrasen. Dann könnte es möglich sein, daß er in Augsburg nicht mehr sprechen wird. Wir sind gerüstet und schlagfertig in dem Wort und in der Tat. Deutsch - land erwache, Judo verrecke!"" Am Schluß seiner zweistüMgen Kampscsrede gegen die Nazis antwortete Löbe den Vrieffchreibern mit folgenden Worten: „Glaubt Herr Hitler , uns mit solchen Drohungen schrecken zu können? Die Leute, die seit Jahrzehnten an der Spitze der Arbeiter- bewegung stehen, die im alten Deutschland durch die Gefängnisse �geschleppt wurden, glauben Sie, daß diese Leute in der Stunde der Gefahr nicht an der Seite ihrer Freunde stehen? Ich werde nicht, wie Herr Hitler , in die Villa hanfstängel flüchten und werde auch nicht in die Schweiz gehen, wohin andere ihr Geld vorausgeschickt haben."" Stürmische Begeisterung der'überfüllten Masseiwersammlung dankte dem Redner.
Aktivität! Die große Chance der Sozialdemokratie.
Von.Antcm Erkelenz.
Das Wort
Gelegenheit." oll bedeuten, daß kluge
Jede Schwierigkeit gibt eine stammt von Lloyd George . Es soll Führer mit einer klugen und treuen Gefolgschaft in schwiV ngcn Logen nie zu versagen brauche», sondern im Gegentell aus den Schwierigkeiten Heraus neue Besserungen und Entwicklungen schaffen können. Wenn irgendwo, dann trifft dieser Satz in der jetzigen Wirtschaftskrise, in der poli- tischen Krise zu für die deutsche Sozialdemokratie. Man soll gar nicht leugnen, daß die Wahlen der letzten Monate, und daß die ganze seelische Grundstimmung dieser Zeit für die Sozialdemokratie ungünstig sind. Nicht so ungünstig, wie es manchen erscheint. Aber doch reichlich ungünstig genug, um darüber nachzudenken, wie aus diesem zeitweiligen kleinen Rückschlag ein neuer Aufstieg entwickelt werden kann. Und zwar nicht bloß ein neuer Aufstieg für die Partei als Organisation, auch nicht nur für die parlamentarischen Vertretungen, iondern ein Aufstieg für die soziale Demokratie in Deutschland , eine Besserung für die Lage der Arbeitenden, eine Besserung für alle Bestrebungen. die auf geistige und materielle Freiheit gerichtet sind. Gewiß können Führer nicht alles machen, aber sie können sehr viel. Keine Partei hat angesichts des Rückschlages, angesichts des Wirrwarrs unserer Zeit so wenig Grund, den Kopf hängen zu lassen, wie die Sozialdemokratie. Muß man das näher begründen? Man mag die Arbeit und die Organisation der Sozialdemokratie in der Vorkriegs- zeit noch so. hoch schätzen— für Situationen, wie sie im Jahre 1918 eintraten, hatte die Partei sich nicht vorbereitet und konnte sie sich nicht vorbereiten. Sie war innerlich vor- bereitet darauf, eines Tages eine in Reichtum und Ueberfhuß lebende Gesellschaft zu beerben. Aber worauf sie sich am wenigsten vorbereiten konnte, das war der Bankrott- urrd Zusammenbruch in-Politik und Wirt- schaft.im Kriege und nach dem Kriege. Blickt man heute auf jene Zeit zurück, so muß inan sagen, daß im wesent- lichen unter der Führung der Sozialdemo- k r a t l e in diesen zwölf Iahren Ungeheures geleistet worden ist. Und alle diejenigen, die heute über die Un- zulänglichkeit oer Verhältnisse klagen, müßten eigentlich be- schämt anerkennen, daß sie nach dem verlorenen Weltkrieg dem deutschen Volke sehr viel weniger Zukunft zugetraut hätten, als es bisher schon wieder erreicht hat. Es besteht für die Sozialdemokratie kein Grund zu leugnen, daß sie bei dieser Aufbauarbeit wichtige Mitarbeiter gehabt hat, insbe- andere vom Zentrum und von der Demokratischen Partei. der ohne den geschlossenen Willen der sozialdemotratischen Massen hätte das, was in positiver oder negativer Hinsicht erreicht worden ist, nicht erreicht werden können. Man hat der Deutschen- Republik mit Recht vorgeworfen, daß sie in diesen zwölf Jahren nicht hart, nicht rücksichtslos genug gewesen ist. Aber wo sie hart war. wo sie rücksichtslos durchgegriffen hat, da hat es stets von der Sozialdemokratie aus geschehen müssen. Sie war auch am wenigsten vorbe- reitet auf die Uebernahme der Verwaltung. In der Geschichte der Sozialdemokratie wurden Politik und Par- lament oft überschätzt und die Bedeutung der Verwaltung unterschätzt. Das hat sich inzwischen korrigiert, vielleicht sogar schon zuviel korrigiert. Aber wenn wir heute eine wenigstens zum Teil republikanische Verwaltung haben, dann ist auch das im wefenllichen das Verdienst der Sozialdemokratie. So entscheidend wichtig es ist, daß man aus Berant- w o r t u n g s b e w u ß t s e i n und auch aus Machtbewußt- sein in die Regierung hineindrängt, ebenso entscheidend wichtig ist es, sich bewußt zu bleiben, daß man nicht dauernd in der Regierung sein darf, wenn man sich nicht völlig auf- reiben will. Die jetzige Zeit, in der die Sozialdemokratie der Reichsregierung ferner steht als sonst, in der sie nicht in erster Linie die Verantwortung zu übernehmen braucht, ist die geeignete Zeit, um die innere Auffrischung zu vollziehen, die jede Partei nötig hat, wenn sie länger in der Regierung war, die doppelt nötig ist in diesen Jahren. Denn diese zwölf Jahre nach dem Kriege zählen für den Ver- schleiß an politischen Kräften- eigentlich drei- oder fünffach. Was muß die Sozialdemokratie wn, um ihre geistigen und organisatorischen Kräfte neu zu verstärken, so daß sie bald wieder einen neuen Vorstoß für die Erweite- rung und Vertiefung der sozialen Demokratie machen kann? Für Parteien gilt derselbe Grundsatz, der für Staaten gilt: sie werden in der Regel erhalten durch die Kräfte, durch die sie entstanden und gebildet worden sind. Wer sich von seinem Mutterboden entfernt, verliert die natürlichen Kräfte, die ihn« daraus erwachsen. Darin liegt nicht zuletzt das Geheimnis des völligen Mißerfolges der Staytspartell Die Sozialdemo- I kratie ist entstanden und ist groß geworden aus der Frei- j h e i t s b e w e g u n g der deutschen Arbeiter- : s ch a f t. Das muß ihre feste, unverrückbare Grundlage auch 1 für die Zukunft bleiben. Das bedeutet nicht, daß sie in jedem