Nr. 557 47. Jahrgang

4. Beilage des Vorwärts

Ein Sachverständiger für Mieterfragen. erschöpflich gehaltenen Tierbestände in Sibirien und Kanada

Von der Hauszinssteuer befreit weil ohne Einkommen.

Der tommunistische Landtagsabgeordnete Oberdörster, der von seinen Parteifreunden in der Wohnstadt Carl Legien zu einer gänzlich ,, unpolitischen" Mieterversammlung als Referent einge­schmuggelt wurde, jedoch unverrichteter Dinge von dannen ziehen müßte, scheint in Mieterfragen besonders sachverständig zu sein. Der Mann, der in der Gotlandstraße eine kleine Wohnung hat, die er gar noch mit einem anderen kommunistischen Landtagsabgeord neten teilt oder geteilt hat, ließ sich von der Zahlung der Hauszinssteuer befreien, weil er fein Einkommen hat. Der arme Mann bezieht nur seine Diäten als Landtags abgeordneter, die jetzt, nach der Kürzung um 20 Proz., nur noch 600 M. monatlich betragen. In seiner Nachbarschaft wohnen manche Mieter, die tatsächlich ohne Einkommen sind, denen jedoch die Hauszinssteuer nicht erlassen werden kann, weil der bei ihnen wohnende Sohn oder die Tochter erwerbstätig ist.

Der Herr Landtagsabgeordnete Oberdörster tann auf Grund seiner persönlichen Erfahrung den Mietern das Rezept geben, wie man sich von der Zahlung der Hauszinssteuer befreien und so seine Miete wesentlich verbilligen kann. Allerdings kann nicht jeder Mieter mit gleichem Erfolg von diesem Rezept Gebrauch machen.

Hundert Füchse sehen dich an!

Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft ( DLG.) wird am kommenden Sonnabend, dem 29. November, in der Aus­stellungshalle III am Kaiserdamm eine leider nur auf drei Tage berechnete Erste allgemeine Deutsche Edelpelztier. ausstellung eröffnen, die, wie man bei einer Vorbesichtigung feststellen konnte, eine Fülle des herrlichsten lebenden Materials zeigen wird.

Im 300 fann man ein paar Füchse sehen, auf dieser Ausstellung fieht man etwa 100 lebende Silberschwanz, Kreuz-, Blau- und Weiß füchse, wie man anderweitig in ähnlichen Massen Kaninchen zu sehen bekommt. Von Stand zu Stand wandert man und wird immer wieder von denselben herrlichen, Maren, un­erbittlichen Raubtieraugen angesehen, die nicht auf Setundenlänge von dem Menschen lassen und jede Bewegung verfolgen. Gefangene Tiere. Wie im 300 fühlt der Tierfreund auch hier mit der Kreatur, die fortgeführt aus der herrlichen Freiheit der Wälder sich hier in engem Käfig duden muß. Und es find doch sehr stolze und sehr fostbare Eremplare darunter. Jedes hat seinen ausführlichen Stamm­baum, jedes im inneren Ohrlappen seine Tätowierung, an der es erfannt wird. Daneben sieht man dann viele Nerze, sehr scheue Tiere, die bei. Annäherung schleunigst in ihr angebautes Hüttchen entweichen und erregt und ärgerlich fiepen. Eines dieser fleinen braunen Tierlein hat den vornehmen Zuchtnamen Franz von Hom burg. Dann gibt es Waschbären, Stunts, Biberratten( Nutria) und amerikanisches Opossum, alles lebende Tiere.

Einen interessanten Einblick in diesen noch recht jungen deutschen Zucht- und Erwerbszweig vermittelte ein Vortrag des Leiters der Ausstellung Professor Dr. Henseler München . Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts fonnte festgestellt werden, daß die für un

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in erfchredender Weise zurüdgingen. Blau-, Weiß- und Silber­

füchse standen offenbar auf dem Aussterbeetat. In dieser Notlage verfuchten fanadische Farmer um 1890 herum die Aufzucht der einst freien Tiere. Nach unendlichen Mühen gelang es. Bald folgte auch Norwegen . In jener Zeit bemächtigte sich wilde Spekulation des neuen Gebietes, und es wurden für Pelze bis zu 2400 Dollar ( 10 000 mart) für Zuchtpaare sogar 34 000 Dollar( 142 000 mart), also ganz unsinnige Preise, gezahlt. Diese wilden Zustände sind vorüber. 1921 wurde im Kleinen Walsertal bei Oberstdorf in Bor­arlberg die erste Edelpelztierzucht in Deutschland angelegt. Wer Füchse züchten will, muß auch heute noch 3000 Mart und mehr für das Paar anlegen. Abgesehen davon, daß Kapital dazu gehört, be­darf es aber auch großer Liebe und großen Verständnisses für das Tier und seine Eigenart, das ja immerhin Raubtier und noch teineswegs Haustier ist. Während Kanada etwa 4000 Züchter mit 60 000 Füchsen hat, gibt es in Deutschland annähernd 300 3üchter mit 12 000 Silberfüchsen. Die DLG. hat zunächst die Entwicklung der deutschen Edelpelztierzucht abwartend beobachtet und, als sich die Verhältnisse vor fünf Jahren klärten, die geeigneten Schritte zu ihrer Einordnung in die von ihr fontrollierten landwirtschaftlichen Produktionsgebiete getan, so daß das Aus stellungswesen mit strenger Veterinärkontrolle, Vorprüfung und end­gültiger Prämiierung sicher und zuverlässig sich abwickelt.

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In dem Vortrag ,, Außenseiter der Gesellschaft" will Rechtsanwalt Dr. Herbert Fuchs gewissermaßen dem Hörer ein Herbarium des Verbrechertums anbieten. Sein Wunsch geht darauf hin, eine bestimmte Typologie des Verbrechers zu schaffen, jeder Gattung auch die geistige Spiẞmarte aufzufleben und sie, mit diesem Zettelchen versehen, in einem vorbildlich auf geräumten und schematischen Attenschrank zu verwahren. Die Er flärungen flingen allerdings bekannt, aber am Schluß kommt die Erkenntnis: Berbrechen würden sich vermindern, wenn die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse endlich einmal eine Aenderung er fahren würden. Besser könnte diese These an ein paar Beispielen genau ausgeführt werden. Offen gesagt, Vorträge dieser Art be vorzugen zu häufig Gemeinpläge. Gut ist diesmal die Disposition der Musit. Das Prisca Konzert spielt Mozart und Brahms nicht mit letter künstlerischer Vollendung, aber mit technisch ein­wandfreiem Können. Der Brandenburgische Volts chor Borwärts" verfügt über schöne Stimmen. Man hatte seine Freude an seinen Darbietungen. Aus dem Adlon wird eine an­ständige Unterhaltungsmufit übertragen und am Abend endlich ein im besten Sinne populäres Orchesterkonzert unter Leitung Bruno Seidler- Winklers. Warum finden übrigens so selten Konzerte mit Sängern als Solisten statt? Scheut man sich vor der menschlichen Stimme im orchestralen Rahmen? Fürchtet man eine fünstlerische Form zu zerstören, die überhaupt nicht vorhanden ist? Bestimmt hinterläßt dieser Abend, besonders dant Domgraf- Faßbenders schönen, geschmeidigen. Bariton angenehme Eindrüds. F, Sch.

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Kasperle lebt noch.

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Der ,, Berein der Künstlerinnen" veranstaltete, im Rahmen seiner Ausstellung„ Das Kind" einen Kindernachmittag. Den Höhepunkt der Veranstaltung bildeten Kasperletheater- Borführungen. Kinder jubelten dem alten, ewig jungen Kasperl zu. Die Stücke, die gespielt wurden, waren naiv und anspruchslos und außerordent­lich unmoralisch: eine böse Here entführte den Eltern die Kinder und quälte sie mit Rechenaufgaben, bis der brave Kasperl die Here zur Strafe totschlug; ein Pfarrer entwickelte verabscheuenswerten Geiz, und wieder trat Kasperl als Rächer auf und bewies diesmal, daß er selbst den Gauner noch begaunern fann. Die fleinen Zu­schauer nahmen übrigens für das Rechnen Partei und erklärten es durch eifrige Zurufe für lebensnotwendig; und auch sonst zeigten die 3wischenbemerkungen, die Märchenproblemen mit modernster Technik zu Leibe gehen wollten, daß eine sehr aufgeklärte Großstadt­jugend das Publikum bildete. Trotzdem amüsierte sie sich groß­artig. Denn von diesem Theater, von diesen bilderbuch- bunten, wundervoll charakteristischen Puppen ging lebendigste Seiterfeit aus, weil nicht für Kinder, sondern wirklich mit den Kindern ge­spielt wurde, und die Logit ihrer findlichen Welt die Vorgänge auf der kleinen Bühne beherrschte. Wenn Geste und Sprache dem Kind beweisen, daß der eine gut und der andere schlecht ist, so läßt es sich durch eine einzelne Handlung nicht vom Gegenteil überzeugen. Und die Kinder wissen heute, wie sie es immer mußten: mer lachen tann, ist ein guter Kerl. Und Kasperl fann lachen.

Schule des Friedens in Berlin .

Am Sonntag trat die neugegründete Jungjüdische Friedens­gemeinschaft mit einer Kundgebung erstmalig an die Deffentlichkeit. Im Mittelpunkt der Veranstaltung in der schönen neuen Synagoge in der Prinzregentenstraße, die für derartige Zwecke besonders gut geeignet ist, stand ein feinsinniges Referat von Dr. Baed über Pazifismus. Friede bedeute nicht nur tein Krieg", der Inhalt des Friedens müsse Gerechtigkeit sein. Die Jungjüdische Friedensgemeinschaft hat jetzt eine Schule des Friedens" eröffnet. Namhafte Pazifisten haben ihr Mitarbeit an der Schule, die Aufklärungsarbeit besonders unter der Jugend leiſten möchte, bereits zugesagt.

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Staatlichen Polizeibermaltung Berlin veranstaltet Diens. Wohltätigteitsfonzert der Schupo. Der Frauenhilfsverein bei der tag, 2. Dezember, um 20 Uhr, im Berliner Konzerthaus Clou als Wohl­tätigteitstonzert einen Operetten- und Volksliederabend, ausgeführt vom mischten Chors der Schußpolizei Berlin und der Gesangsvereinigung der Symphonieorchester der Schußpolizei Berlin unter Mitwirkung des ge­Kriminalabteilung. Eintrittspreis 75 Pi. im Borverkauf, 1 M. an der Abendtaffe. Karten zum Vorverkaufspreis bei Bote& Bod, sowie an den Theaterkassen der Warenhäuser Karstadt , Liez und Wertheim .

Die Ausstellung ber Photogruppe des Touristenvereins Die Naturfrennbe 10 bis 20 Uhr bei freien Eintritt. Wir weisen gleichzeitig auf den Vortrag am 1. Dezember 1930 in der Johannisftr. 15, 20 Uhr, hin. Thema: Aufnahmen bei filnstlichem Licht. Der Vortrag wird von Herrn R. Ruttroff( Agfa­Bhotosdule) gehalten.

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