1930
Der Abend
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Nr. 558
B278 47. Jahrgang
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Eutin , 28. November.( Eigenbericht.)
Am Donnerstagabend kam es in einer sozial. demokratischen Versammlung, die hier im Schloßhotel abgehalten wurde und in der Reichstags. abgeordneter Leber Lübeck sprach, zu einer schweren Schlägerei zwischen Versammlungsteilnehmern und
Nationalsozialisten.
Die Polizei schätzt die Zahl der Verlekten auf insgesamt 20, darunter 5 Schwerverlette, die ins Krankenhaus übergeführt werden mußten.
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Zu den schweren Tumulten in Eutin wird weiter gemeldet: Eine halbe Stunde vor Beginn der Versammlung, die vom Reichsbanner einberufen war,
marschierten 250 uniformierte Hitler - Leute in gefchloffenem Juge in den Saat und stellten sich in langen Reihen an der Seite des Saales auf.
Der Redner, der fozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Dr. Leber, hatte noch teine fechs Sätze gesprochen, als ein junger SA.- Mann laut durch den Saal schrie: ,, Dent an Schwartau, du Lump!" Saalschußleute forderten ihn nach dieser rüpelhaften Be leidigung auf, fofort den Saal zu verlassen. Er weigerte sich, und die neben ihm stehenden Braunhemden standen ihm, bei. Es entstand ein Handgemenge, und nach einigen Sekunden war ein fürchterlicher Tumult im Gange.
Aber die SA. - Leute, obwohl an Zahl dem Reichsbannersaalschutz weit überlegen, wurden aus dem Saal gedrängt.
Es hatte beiderseits einige Leichtverletzte gegeben, und die Ber fammlung sollte wieder eröffnet werden. Die Nazitrupps- Eutin ist ihre Hochburg, und sie hatten ihre sämtlichen Sturmabteilungen von Stadt und Provinz Lübeck zusammengezogen wollten auf teinen Fall die Versammlung weitergehen lassen.
Sie versuchten deshalb, aufs neue in den Saal vorzustoßen. Kun entwickelte sich im Vorraum des Saales ein schwerer Kampf.
Die Nazileute, die immer mehr ins Gedränge famen, griffen schließ lich zu Schuß und Stigmaffen. Aber in dem furchtbaren Durcheinander fonnten ihnen die Waffen weggenommen werden.
Schließlich ergriffen fie panifartig die Flucht.
Nicht nur das Versammlungslokal verließen sie in aller Eile, sondern nach einigen Minuten hatten fie fluchtartig Eutin ge räumt. Nach den Feststellungen der Polizei ließen die Nazisturmtrupps etwa 25 Schwerverletzte zurück. Davon liegen fünf in ernstem Zustand im Krankenhaus. Vom Reichsbanner find fünf oder sechs Leute verletzt. Der eine davon durch Messerstiche. Die Polizei war gegen den Fanatismus der Nationalsozialisten, die seit Monaten Eufin unter Terror halten, völlig machtlos. Deshalb wurde die Reichswehr alarmiert.
Aber als sie aufmarschierte, war längst alles ruhig. Die Nazis hatten die Stadt verlassen, das Reichsbanner hielt die Ordnung auf recht, und die Versammlung war, nachdem sie nach dem Tumult noch etwa eine halbe Stunde ihre Fortsetzung genommen hatte, auf Wunsch der Polizei geschlossen worden.
öln, 28. november.( Eigenbericht.) Am Donnerstagabend würde ein Trupp von etwa 20 Rationalsozialisten, der über die Hohenzollernbrüde zur Meffehalle marschierte, wo eine nationalsozialistische Bersammlung stattfand, aus der Menge heraus beschossen. Jns
Nach 33 Jahren:
Andrees eigene Aufnahmen aus dem ewigen Eise
Es glückte, die von den Teilnehmern der Andree- Expedition gemachten Aufnahmen, die nun im Eis aufgefunden wurden, zu entwickeln. Die Bilder zeigen: Fränkel, einen der beiden Begleiter Andrees vor dem von ihm erlegten ersten Eisbären und den Transport des Schlillens über eine Eisspalle
Der Kampf um den Staat
, 28. November.( Eigenbericht.)
Der preußische Ministerpräsident Otto Braun sprach gestern abend auf Einladung der Sozialdemokratischen Partei in der etwa 6000 Personen fassenden, überfüllten Ausstellungshalle in Bielefeld über das Thema Rampf um den neuen Staat". Es lasse fich, fo führte der Minsterpräsident u. a. etwa aus, heute den notleidenden großen Volksmassen nur wenig sie Befriedigendes sagen. Man könne nicht so sehr an das Herz appellieren als vielmehr an den Verstand.
Wenn das Bolt heute den Staat verantwortlich mache für das wirtschaftliche Ungemach, so vergesse es, daß unser neues Staatswesen unter sehr erschwerenden Umständen entstanden sei und eine so schwere Belastungsprobe habe aushalten müffen wie taum ein anderer Staat vorher.
Die Nationalsozialisten hätten, so erklärte Dr. Braun weiter, schließlich der Not der Zeit ihre Wahlerfolge zu verdanken. Sie wollten lich der Not der Zeit ihre Wahlerfolge zu verdanken. Sie wollten jetzt die Immunität der Augeordneten dazu ausnutzen, um sich der Verantwortung vor dem Richter für ihre vielen Beleidigungen zu Berantwortung vor dem Richter für ihre vielen Beleidigungen zu entziehen. Das Abgeordnetenmandat dürfe aber kein Freibrief werden für die politischen und persönlichen Berunglimpfungen des Gegners.
Bei dem Kampf um den Young Plan werde jetzt draußen der Eindruck erwedt, als ob die Sozialdemokratie geradezu versessen darauf gewesen wäre, dem Gegner so viel wie möglich zu zahlen. Die Sozialdemokratische Partei habe aber den Young- Plan als das kleinere lebel angesehen und ihn nur deshalb ange
nommen.
Das forsche Neinsagen bürgerlicher Regierungen habe Deutschland nur die Ruhrbesetzung gebracht.
Bon den 132 Milliarden, die im Jahre 1921 von uns verlangt wurden, seien wir durch die Verständigungspolitik schließlich doch bereits bis auf 32,5 milliarden heruntergekommen.
Die notwendige weitere Korrektur würde ganz von selbst eintreten. Wenn Hugenberg, der fünffache Millionär, in seiner Rede in Bielefeld die heutige Wirtschaftsmisere auf den Margismus zurückgeführt habe, dann müsse er, Braun, schon sagen, daß er Hugenberg wohl für nicht gerade sehr intelligent, aber doch nicht für so dumm halte, an seine eigenen Worte zu glauben.
Nicht der Marrismus habe die Misere verursacht, denn Deutsch land habe doch gar kein margiftisches Wirtschaftssystem, sondern der Privatkapitalismus habe völlig versagt.
Die Nationalsozialisten, die trotz ihrer großen Wahlerfolge praktisch im Reichstage nichts anfangen könnten, hätten sich jetzt mit bem Stahlhelm zusammengetan, um, wie sie fagien, der marristischen Herrschaft in Berlin ein Ende zu bereiten. In Berlin habe es aber niemals eine marristische Herrschaft gegeben.
Herr Seldte hat im November in Bremervörde ausgeführt: Jetzt müsse man das preußische Problem an die Gurgel fassen, und endlich einmal der roten marristenherrschaft in Berlin ein Crise machen." Sie wollen durch ein Boltsbegehren den Landtag cujlösen. Herr Seldte will den Ansturm auf Preußen unternehmen, gemeinsam mit dem Stahlhelm, der in würdeloser Ansiederung Mussolini zum Ehrenmitglied gemacht hat. Seldte, Sutler ur: Antisemiten betreibend das Boltsbegehren mit solcher jüten
geſamt wurden acht scharfe Schülfe abgegeben. Ein Nationalsozialiſt Ruhrschiedsspruch verbindlich! Saft, daß man annehmen muß, daß fie menig Bertrauen zur Weroes
erhielt einen ungenfchuß, einer Schuß, fäß, und, ein unbeteiligter Passant wurde am Kopf schwer verwundet. Das Ueberfallfommando der Polizei nahm fofort 50 Berhaftungen vor, meist Jugendliche, die in ihrer Mehrzahl nach ihren eigenen Angaben Mitglieder der kommunistisen Partei sind. Das Gros der kommuniffen war im Bejih von Schlagringen und stehenden Messern.
Es bleibt bei der Achtstundenschicht.
In der Arbeitszeitstreitigkeit im Ruhrbergbau hat der Reichsarbeitsminister den Schiedsspruch vom 12. No: vember, der die Beibehaltung der gegenwärtigen Arbeitszeitregelung vorschlägt, für verbindlich erklärt.
ihrer Sache und zur Haltbarkeit ihrer Wahlerfolge besigen. C'e glauben nicht, bis zu den normaien Neuwahlen warten zu fö- nen. Lügen haben kurze Beine, daher die Haft der Her- schaften. Hakenkreuz, Stahlhelm und Sowjetstern, das ist das Dreigestira, das geger. Preußen anstürmt. Aber es wird vergeblich an stürmen. Die Sozialdemokratie fann mit den Erfolgen ir fontinuierlichen zehnjährigen Politik ruhig vor das deutsch .