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Beilage

Sonnabend, 29. November 1930

E. Neuhaus:

Maler Thoms

Mein Besuch tommt dem jungen Maler nicht gerade ungelegen.| In der ihm eigenen, etwas fpöttelnden Art erklärt er sich bereit, mir einige michtige Fragen zu beantworten; dann aber nimmt sein Geficht den gespannten und bewegten Ausdruck des mit Ueberlegung schaffenden Künstlers an.

,, Sie wollen wissen, was ich jetzt arbeite?" Er schweigt einen Augenblid. Während ich in der Zeit des Expreffionismus und Konstruktivismus flächig plafatartig das Bild formu lierte, bin ich seit einem Jahr mit der Körperlichkeit und der malerischen Gestaltung der Fläche beschäftigt. Ich male Landschaften und Porträts. Nicht nur der Inhalt soll neu sein, sondern auch das Wie der Ausführung, die malerischen Aus­drucksmittel. Auf dem Wege der Expressionisten und Konstrukti­viften geht es nicht weiter; beide haben kein Handwert oder sie

nerbummen es, fie mollen nur Geist. Wir haben heute teine Richtung, das soll sagen: mir müffen Jahrzehnte arbeiten, genau wie die Impressionisten 30 bis 40 Jahre fämpfen mußten, bis sie da waren. Die Kunst muß für das Volk da sein und nicht für den Künstler und Kunstwissenden allein! Ich inale jetzt alles, um mir einen Weg zu schaffen. Der Ausspruch: Sachlichkeit ist femme Runst und hat feinen Runstwerf! fann nur von einem Manne flammen, der die Kunst einer Zeit nicht versteht."

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Auf meine Frage nach den bekanntesten Arbeiten des Malers aus der letzten Zeit erhalte ich zur Antwort: Das meiß ich nicht zu sagen, das können nur die anderen Menschen, die meine Bilder leiben mögen; denn ich selbst sehe in meinen Bildern weniger eine schöne Brauchbarkeit als das Ergebnis meiner Straft und meiner Schwäche, es liegt mir daran, durch die Arbeit mich selbst tennenzulernen."

3ieht es Sie nicht nach Berlin ?"

treten: Thoms wählt selbst den Maler und Anstreicher beruf, in dem er bald als Gegenleistung für sein Talent die vollständige Beherrschung der Materialtechnik gewinnt.

Noch ist Thoms nicht vollermachsen, tommt überraschend der Krieg. Mit all den anderen jungen Leuten zieht er sofort hin­aus; nur halbausgebildet gerät er schon mit den ersten in die großen, blutigen Anfangsschlachten, die ihn nicht zur Besinnung kommen lassen. Das Glüd, so fönnte man behaupten, wirft ihn in einen Frontabschnitt, der zum Gegner die ersten eingesetzten englischen Militärtruppen hat, von denen er bei einem Sturm­angriff zum Gefangenen gemacht wird. Thoms kommt nach England. Im Gefangenenlager zeigt sich bald bei ihm die Fertigkeit einer leichten Verständigung mit den Briten, die in ihrer Sprache verwandte Anklänge an den heimatlichen Dialekt auf­meisen. Die Engländer behandeln ihn nicht schlecht, aber die Un­tätigkeit wird ihm zur Qual; so meldet er sich mit den Arbeits­milligen zum Abschub in die bekannten Kohlenzentren des Landes, sieht und erlebt viel Neues, Interessantes, Einprägjames, befreundet sich mit Arbeitern verschiedener Betriebe, die ihm gern und willig Auskunft geben, und benutzt seine freie Zeit zu seiner Weiterbildung im Zeichnen und Malen. Für das erste Geld fauft er sich Papier und Farben; unermüdlich ist sein Fleiß, und mit seinem zähen, geduldigen Eiser fonterfeit er alle und alles in der fremden Umgebung. Seine hartumgrenzten flaren Bilder, die nichts, was im Rahmen des Erfaßbaren zugehörig ist, weglassen, erregen Aufmerksamkeit. Seine Leidgenossen in den Be­trieben, auch die alten englischen Soldaten und Offiziere betrachten ihn nun mit anderen Augen; ein Reserveoffizier läßt sich von ihm porträtieren und befundet großes Gefallen an dem fertiggestellten Wert. Schnell spricht sich das rund: der deutsche Maier in eng lischer Gefangenschaft hat taum noch hinreichend Seit, die vielen Aufträge zu erledigen. In Thoms reift mun der Entschluß, mit unerschütterlicher Energie alles daran zu menden, um über hand­wertliches Rönnen hinaus zu einem seiner Eigenart ente fprechenden selbständigen fünstlerischen Schaffen zn gelangen.

Nach seiner Heimfehr besucht er zu seiner Fortbildung die nach Kriegsende stürmisch bewegte Kunst gemerbeschule in Hannover ; nahegelegen in der Altstadt, mitten im Neben­einander von alt und neu, im fünften Stod eines unheimlichen alten Fachwerkhauses, macht Thoms eine alte Rumpeltammer aus­findig, die unter feinen geschickten, belebenden Händen zu einem wohnlichen, hellen Malerateller wird

Es währt nicht lange und das neue Atelier sieht und hört zwischen seinen Wänden die merkwürdigsten Dinge; werdende und bereits befannte Persönlichkeiten aus der Kunstwelt treffen fich hier, und im dichten Tabakrauch, beim heißen Tee, werden die seltsamsten Streitfragen temperamentvoll und gründlich debattiert. Aber nicht jeder kann bei Thoms Gast sein; vor allem, menn er tief in der Arbeit steckt, bleibt die Ateliertür geschlossen: die Ge danken an das zu schaffende Wert machen ihn wortfarg, menfchen scheu und zurüdhaltend. Nur seine besten Freunde fennen ihn als einen lebendig und spannend vortragenden Erzähler, der oft un­

Thoms sieht mich prüfend an. Nein!" sagt er eindringlich, wahrscheinlich ingende Erlebnisse als Veranlassung für das Wer­,, ich bin in Hannover geblieben, weil ich in Berlin nicht so unbefümmert malen fönnte..." Das, was er noch hinzufügen wollte, verschweigt er hart­nädig; nachdenklich tritt er ans Fenster und blidt über die Dächer der der aneinandergedrängten Arbeiterhäuser.

,, Wie stellen Sie sich denn zum Problem des freien fünstlerischen Schaffens in der heutigen, fozial so bewegten Zeit?"

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Ich denke nicht, wie manche andere, hoff­nungslos, wohl ist es schwer für den Ausübenden, meil er allein steht und nur mit sich zu tun hat; wer nicht anders kann, wer malen muß, bleibt auch in diesen schweren Tagen auf dem schaufeln­den Floß. Die übrigen gehen in die Reklame oder werden was anderes. So, denke ich, werden wir für die 3utunft nur mit Berufenen zu tun haben, mit Schaffenden, die es ernst meinen. Wir dürfen hoffen trotz der Pessimisten und ihrer Parple: die deutsche Kunst sei tot" jezt erst wieder eine Kunst zu bekommen. Aber wir müssen um sie ringen. Auch der Baum entsteht nur langsam wie alles Große. Ich wiederhole; erst dann, wenn die Kunst wieder Eigentum eines Boltes ist, wird auch die Kunst Charak­ter erhalten! Der Künstler muß gestalten, was von Grund auf in die Zeit gehört, in diese Welt." Ein flarer, blauer Himmel wölbt sich über dem schrägen Dachfenster; im hellen Licht steht Thoms nor mir, aufrecht und start mie sein Denken und Handeln- sein können. Er ist wie sein Wert, er und seine Bilder sind eins: Ular und bestimmt.

Eine eigenartige Erscheinung tritt uns in dem Maler Ernst Thoms entgegen, äußerlich, jung wie sih selbst malt, die strenge Symbolit seiner ge chaifenen Werke: harter Kopf mit den Zeichen einer guten, im nord meftlichen Deutschland onsässigen Rasse, die auch in seiner Sprache, seinen Bewegungen Ausdrud finden und non einer Arbeitsintensität zeugen, wie fie in feinen nallendet gemalten Bildern Bestätigung erhält.

Maler Thoms fann und wird seine Jugend nie verleugnen. Crist ein Kind des Boltes, das schon früh die Härten eines mirklidjen Daseins tennen lernt, bas gleich mit beiden Füßen cuf den Boden unverfälschter Tatsachen gestellt wird und mit natur­gemäßer Schärfe zu beobachten beginnt. Der fleine Thoms fällt schon in den ersten Schuljahren durch seine sonderbaren 3eich­nungen auf; alles nur erreichbare unbeschriebene Papier wird zum Berräter der lebendigen und begabten Kinderhand, die in geduldi­gem Eifer alles Wahrnehmbare festzuhalten versucht. Aber nie­mand ist da, der sein Talent ausbilden läßt, und nach der Schul­entfajfung ist er gezwungen, in eine prattische Lehre einzu

Aus den Kunstsammlungen des Provinzialnniseums Hannover den seiner Bilder in mitreißender, nachdrücklicher Art zu schildern vermag. Er feffelt feine Zuhörer, und man fist bis zum frühen Margen, um in der ersten Dämmerung über schmale, fnarrende Stiegen mit dem Gefühl einer leisen Furcht den versteckten Binteln des alten Hauses zu entrinnen; noch lastet der gratie Frühhimmel über den Dächern der Arbeiterhäuser, hier und da blinkt matt ein erhellies Fenster, die ersten Arbeiter treten auf die Straße und die Geräusche des Tages nehmen ihren Anfang.

Nur einer, der so wohnt, vom Pulsschlag des Lebens täglich neu angeregt, ist imstande, Menschen und Tiere mit den zu ihnen gehörenden Dingen einheitlich zu gestalten, zu einem vollende ten Ganzen, in dem jede Linie, jeder Rhythmuis der Bewegung, jedes Gesetz der Materie sich einordnet und unterordnet und nichts überflüffig, aber auch nichts zuviel wird; jei es eine Landschaft. ein

Der Abend

Sualausgabe des vorwire

Gesicht oder die Darstellnung eines lebenden Besens. -, immer er­halten sie Geltung durch die absolute Gestaltung ihrer natürlichen Lebendigkeit in der Form abgeleitet aus innersten Gesezen.

In der Reihe junger Künstler seiner Generation fallen die miederholt ausgestellten Werfe von Thoms durch ihre Originalität besonders auf; manche seiner besten Arbeiten befinden sich bereits

mit Genehmigung der Kunsthandlung Neumann& Nierendorf in Privatbesig, aber auch das Provinzialmuseum Han nover hat einige typische Thoms- Werte erworben.

Die Borausjegungen für alles vollendete Arbeiten werden be­dingt durch den Weg, der die Entfaltungsmöglichkeit eigenster Kräfte am fichersten gewährleistet. Die fanatische Sicherheit seiner selbst, die aus einer unverdorbenen Natürlichkeit herausführt zur Kenntnis und Erkenntnis der Berufung, ist unerläßliche Not­mendigkeit für ein solches Talent, wie es Thoms darstellt: voller Lebendigteit mit den natürlichen Gegebenheiten der Dinge ver

bunden. Denn die Genialität über die vollendete Formgebung in eine Materie mird niemals gelernt, sondern der Natur eines Menschen mitgeschenkt, be­ruht aber in ihrer Auswirkung wie alles andere natürliche Leben auf dem Gesetz der Entfaltung.

Thoms ist ein fleißiger Schaffer. Seine neue Sachlichkeit zeigt vollendet die gegen­feitige Beziehung der Gestaltungsmöglichkeiten jeder einzelnen Form und Linie eines Gegenstandes und mirtt um so abgeschlossener, je tiefer und mühsamer der Weg einer Malererkenntnis in das Erlebnis eines Werkes eingedrungen ist. Dennoch ist. diese Sachlichkeit feine Umtehrung und Abmandlung theoretisch geänderter Borzeichen einer Kunstrich­tung, auch nicht Wiederkehr einer gegenständlichen Malerei, deren Hauptarbeit auf einer Erfenntnis äußerer plenarer Formungen im Nachbilden, der Erscheinungen beruht. Für Thoms neue Sachlich­feit ist eine Begrenzung des Gestaltungskompleyes nicht möglich. Alle Voraussetzungen zum Gestalten ergeben sich aus den dingverbundenen Gesetzen der Form und Farbe, der künstlerisch erlebten und verarbeiteten Sachlichkeit allein, zu der seine Ein­ftellung gleichsam die Bedeutung einer Welt­anschauung erhält und nicht aus einein mur ästhetisch bedingten intuitiven Formpillen, der alle technischen Malmöglichkeiten gebraucht.

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In allen größeren Arbeiten der letzten Jahre, die eine gewaltige Leistungskraft darstellen, be­herrschen das Dingliche und die Daseinsgefeße der gagenständlichen Materie Richtung und Ziel seiner Malerei. Nüchtern und mathematisch tlar löst jedes Erlebnis erst einmal die Gegenstände in die ihnen angepaßten Formgesetze auf, um schöpferisch im Ausbau der so gelösten Grundelemente zugleich

cine

im Einklang mit den Farbmirkungen geschlossene Gestaltgebung in einem Kunstwerk zu erreichen. Seine Gefichter, Menschen, Tiere, Landschaften, alle féine Gegenstände überhaupt find unsentimental und nicht intuitiv erschaffen aus dem, erpressiden Gestaltungswillen des persönlichen Instinkts, sondern hart und vollendet geformt in der bedingten Gestalt in den erlebten und ermed ten Raum gestellt. Die Formgebung wird 3mang und Nota mendigkeit der erlebten Gestaltungsmacht.

Erst viel später entscheidet das endliche Leben und das Weit eines Menschen, ob die Möglichkeit besteht, feine Umformung und Gestaltdeutung als einen in sich geschlossenen festen und gesetz­mäßigen Schöpfungstompleg anzusehen, über pen hingus man meiter mandelt und weiter formt, den man nicht übergehen fann, da er vollendet aus dem Geist der Zeit entstanden ist. Gemiß ist, daß die Werte Thoms ein Stüd des Lebendigen in unserer Zeit vertörpern.