Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Mittwoch, 3. Dezember 1930

BERLIN

baudonais& Der Abend

Shalausgabe des vorwire

BERLIN

PRAG - WIEN - REGENSBURG

RANDGLOSSEN ZU EINER BERUFLICHEN AUTOREISE/ VON VIKTOR SCHIFF

II.

Als wir in Tabor eintrafen, war es längst finster geworden; und grimmig talt, denn die Stadt liegt im Mittelpunkt einer Hoch­ebene, die im Winter gewöhnlich die tiefsten Temperaturen ganz 3entraleuropas aufweist. Nach einer furzen Er­holungs- und Wärmepause im Kaffeehaus sehen wir unsere Fahrt fort. Jetzt size ich wieder am Steuer und das Glück ist mir hold: die Straße ist wieder einigermaßen mit größeren Geschwindigkeiten fahrbar, freilich nur um den Preis fortwährenden Hüpfens über unzählige fleine Löcher.

Ein Jagderlebnis.

Auf einer geraden Strede hatte ich ein eigenartiges Jagd­erlebnis. Ab und zu tauchten im Lichte der Scheinwerfer Safen auf, freilich nur vereinzelt und bei weitem nicht so zahl­reich wie z. B. im südöstlichen Teil der Mark Brandenburg, wo ich in einer nächtlichen Herbstfahrt während des Wahlkampfes Hun derten solcher Tiere und sogar mehreren Rehen begegnet war. Ein­mal lief so ein Hase dauernd vor dem Wagen und fand den Weg aus dem Scheinwerferlicht nicht mehr heraus. In meinem englischen Begleiter wachten atavi, tische Sportinstinkte auf: Kill him!" Töten Sie ihn!" rief er aus. Ich hatte aber die Absicht, dem Hasen auszuweichen, im selben Augenblick hörte ich aber unter dem Wagen einen dumpfen Knall: das Tier war zwar nicht überfahren, wohl aber angefahren worden und bei der großen Geschwindigkeit zweifellos auf der Stelle getötet worden. Ich überlegte furz, zog die Bremse an, hielt und stieg aus, um mit der Taschenlampe das Opfer zu suchen. Während ich in der Dunkelheit den Weg zu Fuß bis zur vermeintlichen Stelle zurüc legte, faufte aus der entgegengesetzten Richtung ein tschechischer Kraftwagen heran. Mit seinen starten Scheinwerfern ent­deckte der Chauffeur vor mir den toten Hasen, stoppte, stieg aus, hob das Tier auf und raste in Richtung Tabor davon! So endete tläglich mein erster schüchterner Versuch, mich als Wilderer zu betätigen.

In Witting au las ich zum erstenmal ein Schild, das unser Endziel auswies:" Videni , 167 Kilometer." Nach Wien ." Und was find 167 Kilometer für einen fräftigen Buick- Wagen? Drei­einhalb Stunden höchstens, nicht wahr? Etwa die Entfernung Halle - Berlin . Es war zwar schon 8 Uhr abends geworden, aber Das Schild ließ uns alle Müdigkeif vergessen. Allein mit dem " abendlichen Besuch bei der Arbeiterzeliung würde es wohl doch nichts mehr werden.

"

Und wieder eine Grenze!

-

Durch dichte, hohe Wälder, deren Pracht man freilich nur ahnen fonnte, führte die Chaussee weiter. Jezt prasseln die ersten Regentropfen seit Berlin gegen die Windschutzscheibe und beide sprechen zugleich denselben Gedanken aus: Ein Glück, daß es auf der Strecke Prag - Tabor troden war, wie wir sonst durch­gekommen wären, ist kaum auszudenken. Im selben Augenblick taucht unvermutet im Lichte der Scheinwerfer ein rotweißer Pfahl auf: Republif Desterreich". Mitten im Walde stoppen wir vor den beiden Zollämtern von Neu- Nagelberg bei Gmünd . Niederösterreichische Mundart gestal.et die Eintritts­formalitäten sofort gemütlicher. Auf die Frage, ob der englische Führerschein ebenso wie in der Tschechoslowakei auch in Desterreich genüge, antwortet der Beamte mit einer generösen Geste: Eigent lich nicht, aber wer fragt schon bei uns danach!" Wir erkundigen uns nach der Beschaffenheit der Straße nach Wien :" Bis Horn, na, fo ungefähr wie in der Tschechoslowakei dann wird's besser." Als wir das Zollhaus verlassen, gießt es in Strömen, und dieser Regen wird uns bis Wien nicht mehr verlassen. Im ersten Städtchen Schrembs stillen wir im Gasthaus unseren Hunger, während am Stammtisch die Honoratioren Politik treiben und die Borzüge von Schober, Starhemberg und Seipel ab­mägen. Wir sind eben in das falsche Wirtshaus geraten.

-

Weiter! Die Straße wird zum Morast. Je weiter die Strede, desto schlimmer. Jeder Bersuch, die Geschwindigkeit vor übergehend zu erhöhen, wird durch ein furchtbares Schleudern im unrechten Augenblic schwer bestraft. Die Durch ihnittsge schwindigkeit fintt allmählich auf 30, auf 20 Kilometer. Aus den Pfützen spritzt das Wasser rechts und links zwei Meter hoch. Ein ständiger Kampf der Muskeln mit dem rebellierenden Steuerrad, um den Wagen aus den tiefen Furchen zu befreien. Nach 1 Stunden löst mich mein Freund ab. Es gießt immer stärker. Endlich um 212 Uhr nachts erreichen wir Horn, wo die Derheißene bessere" Straße beginnen soll. In einem Wirtshaus herrscht noch reges Treiben. Der Lautsprecher überträgt tadellose Tanzmusik vom Wiener Sender. Noch 89 Kilometer bis Wien . Wir überlegen: sollen wir nicht lieber doch hier über­nachten? Aber wir haben es uns in den Kopf gesetzt, noch heute soweit dieser Ausdruck um diese mitternächtliche Stunde am Blaze ift in Desterreichs Haup stadt einzutreffen. Also los!

-

fignal begrüßt. Es ist zwar erst Floridsdorf , der XXI. Wiener| den Tanzdielen. Der Wagen wird in einer Garage, die sich im

Bezirk, der einzige Bezirk auf dem linken Donauufer, mit der großen Lokomotiv - und Wagenfabrik. Dann die breite Donau­brücke und wir sind im II. Bezirk, in der Leopoldstadt, dem ein st i gen Wiener Ghetto, das noch heute dieje ursprüngliche Be­ſtimmung auf den ersten Blick verrät. Freilich nicht um 23 Uhr nachts, wo alles schläft. Am Opernring und in der Kärthnerstraße lette, traurige Spuren vom Nachtleben. Gruppen von Straßen­dirnen verlassen mit Ravalieren, oder meist auch ohne, die schließen­

Hof des Ministeriums für soziale Fürsorge etabliert hat, unter­gebracht. Ich denke," meint mit echt englischem Sarkasmus mein Freund, daß wir heute nacht nicht mehr den Genossen in der Arbeiterzeitung" unseren Besuch abstatten."

Um diese Zeit prüfen wohl die Zensoren Vaugoins und Starhembergs die ersten Exemplare der gedruckten Blätter nach beschlagnahmewürdigen" Stellen. ( Ein Schlußauffat folgt.)

IM LANDE DES EISENS

DAS LEBEN DES ARBEITERS IN LUXEMBURG

Wie lebt der Arbeiter im französisch- luxemburgischen Industrie gebiet? Die Antwort auf diese Frage ist schwieriger, als es zunächst scheinen mag. Denn es handelt sich nicht nur um das Verhältnis der Löhne zu den Lebenshaltungskosten. Je nachdem, ob es sich um einheimische oder ausländische, um verheiratete oder ledige oder um verheiratete ausländische Arbei.er handelt, die ihre Familie in der Heimat zurückgelassen haben, sind die Lebenshaltungskosten, ja, auch die Löhne verschieden.

Man muß das System der Industriellen begreifen, um auch diese Unterschiede zu verstehen. Die Industriellen haben das Bestreben, dem schreienden Arbeitermangel durch Ansiedlung zugezogener verheirateter Arbeiter abzuhelfen. Daher werden die verheirateten Arbeiter begünstigt.

Die Wohnung.

Zunächst in der Wohnung. Der verheiratete Arbeiter wohnt in einem Häuschen von durchschnittlich drei bis vier Räumen; ein Raum dient als Küche. In den älteren Siedlungen find diese Häus. chen fleiner, eins an das andere geklebt, ohne Garten. In den neueren Siedlungen stehen die Häuschen inmitten eines Gärtchens. Sie find alle mit Wasserleitung und elektrischem Licht versehen. Die Mielen dieser den Fabriken gehörigen Häuschen betragen zwischen 17 und 45 Franken monatlich( 2,80 und 7,50 M.), je nachdem, ob um neue größere

im Durchschnitt 46 Franken pro Schicht. Dazu kommen bei Ver­heirateten noch die erwähnten Familienzulagen und die Vergünsti gung durch die verbilligte Wohnung sowie 120 Zentner Deputat­fohle im Jahr, für die 180 Franken zu zahlen find. Ein tüchtiger Hauer bringt es bis auf 2000 Franken Lohn im Monat. Doch diesen Lohn erreicht nur ein kleiner Teil der Bergarbeiter. Da die dort beschäftigten Deutschen , wie mir der Sekretär der Sektion von Merlenbach des französischen Bergarbeiterverbandes versicherte, meist erstklassige Hauer sind dem Rheinland , aus der Eifel sie tommen aus dem Saargebiet, aus - so gehören die Deutschen zu den bestbezahlten Arbeitern, allerdings auf Grund ihrer Leistungsfähig teit. Diese Beobachtung machte ich auch anderwärts.

-

Im Erzbeden sind die Höchstlöhne niedriger als im Rohlen­beden. In den Erzbergwerfen dürften sie um 1800 Franken liegen, in den Hütten um 1400 monatlich. In einer großen Hütte, die über 3000 Arbeiter beschäftigt, wurden mir als Durchschnittslohn 38 Franken( 6,30 m.) pro Schicht angegeben.

Die Lebensmittelpreise.

Die Lebensmittel im französischen Erzbeden find teuer. Rindfleisch loftet pro Rilo im Durchschnitt 20 Franken, Kalb.

es sich um fleine ältere Häuser ohne Garten nie nachdem, ob fleisch 17,50, Butter 21, Bohnen 5. Zucker 4,50, Eier( im September)

Häuser mit Garten handelt. Die Mieten reichen natürlich nicht aus, um auch nur die Amortisierung der Baufosten zu deck.n, ge= schweige denn eine Rente abzuwerfen. Diese Werkswohnungen find also ein Teil des Lohnes.

Es ist durchaus nicht selten, daß die Frau des verheirateten Arbeiters sich Untermieter hält oder Kojtgeher hat. Besonders bei den ausländischen Arbeitern ist das ziemlich häufig, zumal die Für sorge für die ledigen oder alleinstehenden Arbeiter bei weitem nicht so groß ist wie für die Verheirateten. Wohl findet man auch Ledigenheime, doch sind sie nach Zahl wie nach Qualität ungenügend. Zu den Vorteilen der verbilligten Wohnung kommen noch Borteile bei der Entlohnung. Im Erzbergwerf, in der Hütte, im Walzwert wird in Rotten gearbeitet. Außer dem festen Stunden­Walzwerk wird in Rotten gearbeitet. Außer dem festen Stunden­lohn gibt es Prämien. Der Anteil des 1. Arbeiters an der Prämie ist größer als der des 2. Arbeiters, der des 2. Arbeiters größer als der des 3. Arbeiters usw. Es wurde mir von Gewerkschaftern glaubhaft versichert, daß ein Rottenführer im Erzbergwert bis auf 100 Franken( 16,50 M.) pro Schicht kommt.

An diese bevorzugten, besser bezahlten Bosten kommen in erster Linie die verheirateten Franzosen, in zweiter Linie die verheirateten Ausländer, die dort mit ihrer Familie leben. Rechnet man zu dem höheren Verdienst den Vorteil der geringfügigen Wohnungsmiete und die Möglichkeiten eines Nebeneinkommens, dann wird ohne weiteres klar, daß Löhne wie Lebenshaltungskosten nicht für alle die gleichen sind. Zahlt der Verheiratete für drei bis vier Räume 17 bis 45 Franken monatlich, so muß der Alleinstehende, wenn er nicht in einem Ledigenheim der Fabrik unterkommt, in einem engen Raume einer elenden Holzbarade, den er mit einem Kollegen teilt, 30 Franken monatlich zahlen. Will er sich aber den Lurus eines eigenen Zimmers in der Ortschaft leisten, so zahlt er dafür sofern er eins findet 80 bis 100 Franken monatlich. Im Ledigenheim der Fabrik allerdings zahlt er nur 15 bis 25 Franken monatlich, und da er in der Regel noch einen Wohnungszuschuß erhält, der, wie mir in einer großen Fabrif versichert wurde, 30 Franken monatlich beträgt, so wohnt er umsonst, es bleibt ihm jogar noch etwas übrig. Aber diese Ledigenheime sind, wie schon bemerkt, in jeder Beziehung ungenügend. Dazu kommt, daß die dort Wohnen den so vollkommen unter der Kontrolle der Fabrik stehen, daß viele schon deshalb auf diesen zweifelhaften Vorteil verzichten. Das Realeinkommen.

-

Aus diesen Gründen ist das Realeinkommen des Arbeiters sehr verschieden. Der verheira ete ausländische Arbeiter im Erzbecken, Die Straße wird in der Tat wesentlich besser. Freilich ist an der seine Familie in der Heimat unterhalten muß ist am schlechtesten wirkliches Tempo richt zu denken. Aber man braucht nicht mehr dran. Ist er nicht ein Facharbeiter oder ein besonders geschätzter dauernd mit dem Steuer zu ringen. Gegen 2 Uhr nachts erreichen Spezialarbeiter( Angelernter), dann steh er auf der untersten Lohn mir Stoderau, einstmals der Siz des feudaliten t. u. t. Raftufe mit einem festen Tagelohn voi. 25 60 bis 27,80 Franken. Mit 25.60 vallerieregiments der Prämie und dem Wohnungszuschuß wird er es auf höchstens 32 Franken pre Ach stundenschicht bringen.

Wien um 3 Uhr nachts.

Hier erleben wir ein Wunder: die Straße wird doppelt fo breit, Teerafphalt bedeckt sie, so fauber, so elastisa), daß man zu träumen glaubt: die reinste Avusbahn! Und auch die zahlreichen Gemüsewagen, die sie um diese Stunde be­völkern, um die Erzeugnisse der Bauern nach der Wiener Markt­halle zu bringen, find beleuchtet. Wir nähern uns halt wieder der Kultur. Korneuburg , wo die Heimwehrführer fürzlich ihren verfassungswidrigen Eid schwören ließen, wird durchrast, im Süden zeichnet sich der Kamm der Kahlenberggruppe in dem leuchtenden Himmel des nächtlichen Wien heraus. Gemeinde Wien " zeigt ein Schild am Wege, das mein Freund, nach englischer Butofitte bei wichtigen Anlässen, mit doppeltem furzen Hupen.

"

Gearbeitet wirt in drei Schichten. Es tommt aber etwa alle

bre: Wochen eine Sonntageschicht hinzu Das effeftive Monatsein tommen dieser unterften Gruppe beträgt etwa 800 Franten( 133 M.). Im lo hringischen Kohlenbeden beträgt der Schichtlohn der untersten Gruppe der Uebertagearbeiter 28 Franken, wozu bei Verheiratcten noch ein Zuschus tommt, der pro Tag 1 Franken für Verheiratete ohne Kinder beträgt, außerdem für das 1. Find 1,25, für das 2. Rind 1,50 Franken, für das 3. und für jedes weitere Kind 2 Franken pro Tag. Es wird also bewußt eine bevölkerungs politische Lohnpolitik getrieben, mit dem Ziel, einen im

Lande verwurzelten Arbeiternachwuchs zu fchifen. Per

Das ist die unterste Gruppe. Der Hauer, die oberste Gruppe im Rohlenbergbau, verdient im lothringischen Kohlenbeden

9 bis 10 das Dugend, Milch 1,20 das Liter, Kartoffeln 80 bis 85 pro Zentner, Brot 2,50, Spec 18, Kaffee 21, Käse 19, Wein 2,75 Franken. Das sind die von der offiziellen Statistit ermittelten Durchschnittspreise für das Departement Meurthe- et- Moselle .

=

Die sonstigen Verbrauchsgüter sind noch teurer. In dem von der Fabrik Senelle Maubeuge errichteten Konsumverein in Longwy tosten ein Paar derbe Arbeitsschuhe 165 bis 190 Franken, andere gute Schuhe 180 Franken, ein baumwollener Arbeitsanzug 60 bis 90 Franten. Diese Preise übersteigen um mindestens 50 Proz. die Preise in Nancy , dem Hauptort des Departements.

Im lothringischen Kohlenbecken sind die Lebensmittelpreise cher etwas höher, jedoch die sonstigen Verbrauchsgüter erheblich billiger. Das kommt daher, daß die Bergarbeiter des Kohlenbeckens nicht so isoliert und außerhalb der übrigen. Bevölkerung leben, daß es dort noch etwas anderes als Bergarbeiter gibt und daß diese Berg­arbeiter in ihrer Mehrheit entweder einheimische Arbeiter oder solche, die im Nachbarlande beheimatet und der Landessprache mächtig find. Der Bergarbeiter von Merlenbach 3. B. fann leicht nach Forbach fahren und sich dort seine Schuhe kaufen, falls der Merlenbacher Schuhhändler ihn gar zu unverschämt übers Ohr haut.

Im lothringischen Kohlenbecken ist das Verhältnis der Löhne zu den Lebenshaltungskosten also erträglich, besonders für die besser entlohnten Arbeitergruppen, während die unteren Gruppen kaum auf das Existenzminimum fommen. Das trifft vor allen Dingen auf die Arbeiter zu, die außerhalb der Bergwerke und Fabriken beschäftigt sind und also Prämien nicht erhalten. Während ein un­garischer Erdarbeiter in Merlenbach mir eine Rechnung auf Grund eines Stundenlohnes von 3,50 Franken aufmachte, war die Rech­nung eines polnischen Erdarbeiters in Heumont bei Longwy taum ins Gleichgewicht zu bringen. Stundenlohn 3,20, pro Tag also 25,60 Franken. Davon gingen ab 11,25 Franken für Koft, ein Franken für das Logis, 50 Centimes für Sozialbeiträge, verbleiben 12,65 Franken, wovon die Familie in der Heimat zu unterhalten war und der Verschleiß der Arbeitskleidung zu beden blieb. Daß unter diesen Umständen weniger als nichts übrig bleibt für Kulturausgaben, sei es auch nur für eine Zeitung oder den Gewerkschaftsbeitrag, von irgendwelchen Vergnügungen nicht zu reden, liegt auf der Hand. Und dies war ein Arbeiter aus Galizien , der elf Jahre in Deutschland gearbeitet hatte, ausgezeichnet deutsch sprach, der über das ganze Gesicht strahlte, seine Schaufel fallen ließ, um mir die Hand zu schütteln, als er hörte, wer ich sei. J. Steiner- Jullien.

VON DEN INDIANERN BOLIVIENS Ein Schweizer Arzt, der zur Zeit ein Krankenhaus in Bolivien leitet, hat interessante Beobachtungen über das Leben der Indianer Boliviens mitgeteilt. Den Begriff der Familie im Sinne der Zivil­ehe tennen die ,, wilden" Bölkerstämme kaum. Dagegen fommen fchon ziemlich häufig firchliche 2 rauungen vor. Die in die Ehe tretenden Mädchen sind 12-13 Sahre alt und bringen alle Jahre ein Kind zur Welt. Die Mutter führt ihren Mädchennamen weiter, während die Kinder den Namen des Vaters erhalten. Die Geburt der Kinder findet regelmäßig außerhalb des Bettes statt, und zwar in Hochstellung. An der Dede der Hütte wird ein Seil befcftigt, damit die Niederkommende einen Halt hat. Schon 24 Stunden nach der Geburt verficht die Mutter ihre Haushaltung wieder. Patho­logische Geburten gehören zu den großen Seltenheiten. Kindbett­fieber ist so gut wie unbekannt. Die Säuglingssterblichkeit ist aller­oings sehr groß. Obwohl jeder Indianer täglich 2- bis 3mal badet, ist er doch für hygienische Retschläge sehr schwer zugänglich. Nach wie vor wird der Nabel des Neugeborenen mit einem alten Tuche verbunden; als Streupulver dient fein zerstoßener Ziegelften.