Morgenausgabe s
Nr 567
A 285
47.Jahrgang
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Technit". Blid in
Vorwärts
Berliner Volksblatt
Donnerstag 4. Dezember 1930
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Friedlicher Beginn.
Die erste Lesung des Reichshaushalts.
Anderthalb Stunden Sizung und fein Skandal, das hat der neue Reichstag noch nicht erlebt. Draußen patroulliert friedlich die Polizei, drinnen braucht Löbe taum die Stimme zu erheben, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ein tommu nistischer Protest gegen den Polizeishugz mird ohne Erregung zu den Affen genommen. Dann hält der Reichsfinanzminister Dietrich seine Etatrede. Aufgestellte Mitrophone lassen fast befürchten, daß der Rundfunt ein Attentat auf seine Hörer vorhat, aber es ist nicht so schlimm, denn die zahlenmäßig sachliche Rede wird nur auf Schallplatten aufgenommen. Raum fällt hie und da ein Zwischenruf.
Die Rede fann nach allem, was über die finanzpolitischen Absichten der Regierung schon bekannt geworden ist, nicht viel Neues bringen. Finanzminister sind immer peffimistisch, wenn sie Steuern haben, wollen, und optimistisch, menn sie Kredit brauchen. Die Steuern hat sich die Regierung fchon per Berordnung selbst bewilligt also spricht Herr Dietrich temperiert optimistisch und prägt den Saz:„ Das Reich ist in feiner akuten Gefahr."
Zum Schluß gibt es etwas Beifall nicht nur aus der Staatspartei, die heute einen glücklichen Tag hat, weil sie durch Hinzutritt des Bauernabgeordneten Hillebrand wieder fraktionsstart geworden ist, sondern auch aus den übrigen dünnen Reihen der bürgerlichen Mitte.
Heute um 12 Uhr mittag geht es weiter, und als erster Sozialdemokrat wird Reil sprechen. Abgestimmt wird vor aussichtlich am Sonnabend. Dazu liegen jest and tommu nistische und deutschnationale Anträge auf Aufhebung der neuen Notverordnung und Erklärung des Mißtrauens por. Daß die Regierung. dem Reichstag ein Ultimatum gestellt und Abstimmung spätestens am Sonnabend verlangt hat, ist nicht richtig.
Bon den bevorstehenden Parteierflärungen darf man Diesmal die der Wirtschaftspartei mit einiger Span nung erwarten. Die Wirtschaftspartei hat nämlich nach ihrer gestrigen Fraktionssizung eine Kriegsertlärung an die Reichs regierung erlassen, weil diese eine immer stärtere Anlehnung an die Ideen der Sozialdemokratie" zeige, und des weiteren nerlautbart:
Im Berlauf der Sigung berichtete Professor Dr. Bredt, der sich bereits von den Beamten feines früheren Ministeriums verabschiedet und an den entscheidenden Sigungen des Kabinetts zu ten Fragen der Notverordnungen nicht
mehr teilgenommen hat, über die Gründe feines Rücktritts als Reichs justizminister. Im vollen Einvernehmen mit der Reichstagsfraktion hält Professor Dr. Bredt an dem von ihm gefaßten Entschluß fest. Die Fraftion stellt mit Befremden fest, daß das Rücktrittsgesuch des Reichsjustizministers Dr. Bredt vom Reichskanzler immer noch nicht an den Reichspräsi enten weitergeleitet ift. Brof. Dr. Bredt, der feit Monaten dem Kabinett lediglich als Fachminister angehörte, also in seinen Maßnahmen und Entschlüssen von der Partei unbeeinflußt war, erklärte, daß er die gefeggeberischen Maßnahmen, welche jeẞt als Notverordnung dem Reichstag zugeleitet worden sind, nicht mehr mit verantworten zu tönnen glaubt.
Er
An diesen Behauptungen ist nur soviel mahr, daß Bredt an einem Teil der Beratungen über die Notverordnung nicht teilgenommen hat, weil er in Marburg weilte. Gr hat sich z. B. bis heute noch nicht von seinen Beamten verabschiedet und was von den übrigen Behauptungen der obigen Berlautbarung zu halten ist, geht aus der folgenden amtlichen Mitteilung hervor, die unseres Wissens als Antwort auf die unwahre Darstellung der Wirtschaftspartei betrachtet werden muß und erst nach dem Erscheinen dieser Darstellung herausgegeben wurde. lautet:
Sie
Reichstanzler Dr. Brüning empfing am Dienstag den aus seinem Krankheitsurlaub vorübergehend nach Berlin . zurückgekehrten Reichs minister der Justiz Dr. Bredt. Der Reichsminister teilte dem Reichs. fanzler mit, daß er noch am Mittwoch erneut von Berlin abzureisen gedachte und verabredete mit dem Reichstanzler, ihu zunächst noch als beurlaubt zu betrachten.
Die Entrüftung der Wirtschaftspartei, daß das Rüdtrittsgesuch des Herrn Bredt ,, immer noch nicht an den Reichspräsidenten weitergeleitet" wurde, ist also eitle Spiegelfechterei. Wenn das Gesuch bisher dem Reihspräsidenten noch nicht übermittelt wurde, so geschah das in Ueberein stimmung mit Herrn Bredt.
Die sozialdemokratische Fraktion nahm nah Schluß der Plenorfizung Berichte über die Berhandlun gen mit der Regierung entgenen. Eine Entscheidung fällte sie noch nicht. Es wurden die Gründe erörtert, die für oder gegen die Ablehnung der Anträge auf Aufhebung der Motverordnung sprechen.
Magdeburg , 3. Dezember. ( Eigenbericht.)
Der Bundesporstand des Reichsbanners SchwarzRot- Gold hat an den Reichsinnenminister Dr. Birth folgenden Brief gerichtet:
,, Sehr verehrter Herr Reichsminister! Aus Mitteilungen, die der Herr Minister des Innern von Thüringen in der Breffe veranlaßt Gero den Vorwurf erhebt, am Bußtag dieses Jahres eine nach hat, ist uns bekannt geworden, daß er gegen unseren Ortsverein dem Bersailler Vertrag verbotene militärische liebung veranstaltet zu haben. Der Herr Minister des Innern vor Thüringen betrachtet den pon ihm behaupteten Verstoß unseres Ortsvereins Gera gegen den Bersailler Vertrag als so schwerwiegend, daß er, wie er ebenfalls durch die Bresse mitteilen ließ, ein fofortiges Berbot des Orts vereins Gera beantragte.
Die von uns inzwischen eingeholten Auskünfte aller Art und Berlauf jener Bußtagsveranstaltung, die nach Ansicht des Heren Ministers des Innern von Thüringen den Bestand des Versailler Bertrages so schwer gefährdete, haben bei uns wohlbegründete 3weifel an der sachverständigen Urteilsfähigkeit des Herrn Ministers des Innern von Thüringen erwedt.
Der gegenwärtige Herr Minister des Jnnern von Thüringen hat zu unserem großen Bedauern die Kriegszeit von 1914 bis 1918 in Regierungsschreibstuben zu Pirmasens und München verbringen müssen und damit eine fellen günftige Gelegenheit verpaßt, fich wirklich gründliche militärische Sachtenntnisse zu ve: fchaffen.
Die Beteiligung an den hochverräterischen Unternehmungen Hitlers gegen bie Regierungen Bayerns und des Reiches im Jahre 1923 genügt nach unserer Ansicht nicht, um militärisch fachverständig urteilen zu fönnen um so weniger, als per gegenwärtige Minister des Innern pon Thüringen nach seinen eigenen Angaben auch an der Borbereitung des Hitler- Butsches nur politisch und in Regierungs
stuben, nicht aber in Reih und Glied der Hitler - Truppen tätig war.
Der Herr Polizeidirektor von Gera , auf dessen Angaben der Herr Minister des Innern von Thüringen sich beruft, mag aus seiner Dienstzeit vor dem Kriege das eine und andere Signal und Kommando noch kennen, seine Borstellungen vom Krieg müssen aber äußerst primitiv altpäterlich sein,
sonst hätte er das Geländespiel Fuchs und Gänse" nicht als moderne militä.ifche Uebungen ansehen können.
Das Berlangen eines Berbotes unseres Ortsvereins Gera wegen des Geländefpiels gibt dem Versailler Vertrag bzw. dessen Beftimmungen über die Gestaltung des deutschen Kriegswesens eine Auslegung, die weit über alle Forderungen hinausgeht, die je von der Seite unserer ehemaligen Kriegsgegner gestell: würden. Bevor die deutsche Reichsregierung der von dem Herrn Minister des Innern von Thüringen verlangten Auslegung zustimmt, bitten wir um Ueber. prüfung des Tatbestandes und schlagen die Abhaltung eines ofaltermins in Gera vor. Unser Ortsverein Gera wird von uns angewiesen, die Bußtagsveranstaltung zu dem von dem Herrn Reichsminister des Innern zu bestimmenden Termin genau zu wiederholen. Der Herr Reichswehrminister wird dem Herrn Reichsminister des Innern gern Sachverständige zur Berfügung stellen. Troß mancher Bedenken werden wir auch feinen Einspruch erheben, wenn der Herr Minister des Innern pon Thürin gen zur Entlastung seines Gemissens feinerseits die Entsendung von Sachverständigen der Ententemächte veranlaßt. Sollte auch nur ein Sachverständiger zu der Auffassung tommen daß unser Orisverein Gera tatsächlich eine militärische Uebung abgehalten hat, dann werden wir von uns aus die Auflösung des Ortsvereins durchführen, um einer Behörde die peinliche Aufgabe, Militärkontrollkommission der Entente spielen zu müssen, zu ersparen. In vorzüglicher Hochachtung 3hr sehr ergebener gez. Hörsing."
Der Spar- Etat.
Reichsfinanzminister Dietrich begründet ihn.
Der Reichstag ist am gestrigen Dienstagnachmittag wieder zu| zusammengetreten. Um Bortommnisse wie beim Sessionsbeginn zu verhindern, war die Umgebung des Reichstagsgebäudes im weiten Umkreis polizeilich abgesperrt worden.
Die Sigung war überaus start besucht, auch auf den Tribünen. Das Haus hatte das bekannte Aussehen der großen Tage.
Während sich die Mitglieder noch begrüßten, eröffnete Präsi in dem Mi gliederbestand des Reichstags mit. ließ einige Zustrij dent Cöbe um 15 1hr die Sigung. Er teilte einige Veränderungen ten der Regierung und Anträge auf Genehmigung der Strafpe fo gung einiger Abgeordneten verlesen und gab zur Geschäftsordnung dem
Abg. Torgler( Komm.) das Wort, der die Zurückziehung der Polizei aus dem Hause und aus seiner Umgebung beantragte. An Widerspruch aus dem Hause scheiterte jedoch dus Verlangen, den Antrag fofort zu erledigen. Es folgte die erste Beratung des Reichshaushalts für 1931.
Reichsfinanzminister Dietrich:
1-
Wir bringen den Etat ungewöhnlich frühzeitig ein, damit mir aus dem Unsicherheitszustand herousfommen, in welchen mir imt laufenden Etatsjahr geraten sind. Die Ausgaben im ordentlichen at sind um 1153 Millionen und im außerordentlichen um 272 lionen verringert. Diese Ersparnis war nur zu erreichen durch die Maßnahmen der neuen Notverordnung, vornehmlich durch die Kürzung der Geräter und die Weiterführung eines Teils der E'n nahmen, die die Notverordnuno vom Sommer erichloffen hat. Die lleberweisungen an Länder und Gemeinden sind schon infole der Steuerausfälle stort gekürzt. den Londern werden 100 Millionen a Konto ihrer Gehalt erfparniile einbchal en. Zur Selbändig machung der Arbeitslosenversicherung wurden die Beiträge auf 6½ Proz. erhöht. was im nächsten Schre eine Einnahme von 1716 Miffioren bedeutet, bei der Krisenfürsorge 400 Millionen und 20 Millionen Verwaltungsaufwand, so daß im schlimmsten
Die Ueberweisung der Notverordnung an den Haushalts. ausshuk dür'te sich als unzweckmäzig erweisen, weil sie be reits die mit der Sozialdemokratie verein borten Berbefferungen in der Krankenver ficherung, in der Arbeitslosenversicherung und bei der Bürgerabgabe enthält. Sollte der Reihstog die Aufhebung der Notverordnung ablehnen, so wird die sozialdemokratische Fraktion für die notwendigen Berbesserungen bei den einzelnen Borlagen im Wege der
Ball 2136 Millionen zur Verfügung stehen. Das ist auch ungefähr der Aufwand im laufenden Etatsjahr, zu dem das Reich in ständig höherem Maße bei.ragen mußte.
Diese Reichszuschüsse erreichten mehr als 1100 millionen. Darin liegt der Hauptgrund der ganzen Verwirrung des laufenden Jahres.
Im Etat sind nur 420 Millionen für die Krifenunterstützung eingefegt, im übrigen ist die Selbständigkeit der Arbeitslosenversicherung durch erhöhte Bei räge garantiert. Das Aufkommen an Steuern, Zöllen und sonstigen Abgaben ist um 1143 Millionen gegenüber dem Soll von 1930 Feruntergefekt Obwohl die verstartte Besteuerung der hohen Einkommen die Ledigen und die Tantiemefteuer aufrechterhalten wurden, gelang es nicht, den Etat damit zu balancieren. Es war notwendig, das noch verbleibende Defizit van 167 Millionen zu decken.
Die Reichsregierung fucht jede Belaffung der Produktion zu vermeiden und notwendigerweise den Arsgleich bei den Steuern auf den entbeh: lichen Genuß zu finden. Beim Brannimein hat die lekte Erhöhung der Abgaben ledig lich einen Ausfall gebracht; eine starte Mehrbelaftuna tes Beres ist durch die Juliperordnung den Gemeinden gestattet worden. Es blieb also nur der Tabat. Aus ihm holen wir heute schon 1100 millionen heraus. Wir sind nicht sicher, ab wir mi einem Monopol bald höhere Erträge haben würden. Gegen ein Monoppl spricht besonders, daß die Hunderttausende Menschen. die heute im Tabafgewerbe und Tabathandel beschäftigt sind, felbständige. Exi stenzen und Steuerträger darstellen, deren Bernich una schwer zu ertragen wäre, aber auch ganz erheblicke Steuerausfälle bringen würde. Die Lösung bedeutet ein Kompromiß. bei dem die Rigarre stärker cls bisher. gleichzeitig aber auch die Rinarette neu beloftet wird. Die in Noi geratenden fleinen Fabrikanten, Angestellten und Arbeiter follen unterstützt werden.
Die Notverordnung bestimmt, Paß auch 1932 und 1933 die Aus. gaben 10 687 Millionen nicht überschreiten sollen, was auch bei der
Initiativgefeggebung fämpfen. Die Fraktion wird also in genau formulierten Arträgen diejenigen Forderungen ftellen, die das Interesse der arbeitenden Klasse bei der Lösung des Finanzproblems erfordert. Dem Reichstag wird.- damit Gelegenheit geboten, das auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung zu tun, was nach Auffaffung der Sozialdemo fratie zum Schuke der sozialen Interessen der werftätigen Waffen und zur Ueberwindung der Finanz- und Wirtschaftstrise geschehen muß.