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BERLIN Freitag 5. Dezember 1930

Der Abend

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Spalausgabe des Vorwärts"

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Nr. 570

B 284 47. Jahrgang

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Brüning als Mahner

Preissenfung und Finanznot im Reichstag

Auch am zweiten Tag der Haushaltsdebatte des Reichstags find auf der Straße noch Borsichtsmaßnahmen gegen Ansammlungen getroffen. Starte Polizeikräfte sind dazu auf­geboten, die Straßenbahn darf am Reichstagsgebäude nicht halten Bon Ansammlungen ist nichts zu bemerken.

Die Beratung beginnt mit einer Rede des christlichsozialen Ab­geordneten Rippel gegen die neue Tabakstener. Er verlangt aber, daß die Zigaretten noch höher belastet werden als geplant ist. Den Rotverordnungen werden die Christlichsozialen vorbehaltlich ihrer Berbesserungsvorschläge zustimmen.

Diese Ankündigung erregt laute Entrüstung der außer ften Rechten, worauf der Redner erwidert, die Sanierung habe den 3med, uns tüchtig zu machen für den großen Freiheitstampf. Darüber lachen die Nazis. Schließlich spricht Rippel gegen hohe Gehälter der Gemeinden und verlangt Preissentung der kommunalen Berte.

Dann bemüht sich der Wirtschaftsparteiler Drewiz durch eine ziemlich ruhige, aber auch recht nichtssagende Rede zu zeigen, daß er nicht verrüdt fpiele". Er beruft sich darauf, daß die Wirtschaftspartei fchon por Jahren Sparsamkeit und Gehaltstürzung gefordert habe, Er mirft einer Beamtenorganisation vor, daß fie die Gewissensfreiheit bedrohe, da sie ihre Mitglieder auffordere, nicht bei den Anhängern der Parteien zu laufen, die den Gehaltsabbau befürmorten. Entgegen dem;, Borwärts" betont er, daß er nicht die ehrlichen Abfichten der Preisabbauattion beftritten habe. Zum

weise im Textilgroßhandel, wo ich schon erklären fann, daß eine| Sie fragen: Was ist denn überhaupt Arbeiterpolitik? Ist das weitere Breissentung nicht wahrscheinlich ist. vielleicht teine Arbeiterpolitik?

Die Reichsregierung hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß ihr Finanz- und Wirtschaftsprogramm und die in den Notverordnungen enthaltenen Gefeße ein Anfang für mettere Maßnahmen find. Leider ist hier in der Diskussion sehr wenig gerade über diese Dinge gesprochen worden. Ich glaube, daß es meine Pflicht ist, in dieser Stunde darauf hinzuweisen, daß der Reichstag und die Par­teien sich doch mit den Problemen in erster Linie beschäftigen möchten, zu deren Lösung der Beg der Noiverordnung beschritten morden ist. Die Reichsregierung hat sich dabei bemüht, die Gegenfäge

Oeffentliche Kundgebungen

5. Kreis Friedrichshain: Am Montag, dem 8. Dezember. 20 Uhr, im Saalbau Friedrichshain, Am Friedrichshain. R: ferent: Reidistagspräsident Paul Löbe . 3. Kreis Wedding : Am Dienstag, 9. Dezember, 19%, Uhr. im großen Saal der Germaniassle, Chausseestraße 110. Referent: Reichs agsabg. Ernst Hellmann. Tagesordnung:

Fall Bredt erklärt Drewitz , die Wirtschaftspartei fönne nichts, Unser Kampf gegen den Faschismus"

dafür, menn die Regierung die Presse falsch informiere.

Der Bayerische Boltsparteiler Rauch spricht für Berbefferung der bäuerlichen Eristenzbedingungen und gegen die neue Tabatsteuer.

Nach dem Bayern Rauch murde dem Staatsparteiler Dr. Weber das Wort erteilt. Als dieser beginnt: Im Namen der Fraktion der Deutschen Staatspartei" ertönen rechts höhnische Ah- Rufe. Weber verliest eine Erklärung, die die Notwendigkeit der Notverordnungen anerkennt, fie bedauert und für eine ruhigere Zeit die Ausbesserung der Mängel vorbehält. Nun ergreift das Wort

Reichstanzler Dr. Brüning:

Am Schluß der ersten Rednerreihe einige Bemerkungen. Wenn Abg. Dremiz gesagt hat, die Reichsregierung habe die Presse in der Angelegenheit Bredt falso informiert, so sage ich, daß die Reichsregierung non diefen Informationen tein Wort zurüd zunehmen hat. Alles, mas die Reichsregierung darüber gefagt und mitgeteilt hat, mar pollfommmen der Wahrheit und Wirt lifeit entsprechend.( hört, hört! im Zentrum- Zuzuf: Arme Wirtschaftspartei!) Zu einer Bemerkung des Abg. Rauch teile ich mit, daß die Kürzung bei den Mitgliedern des Reichsbankdirektoriums genau so hoch ist wie bei den Ministergehältern, nämlich 20 Broz, ebenso bei den Vorstandsmitgliedern der Reichsbahngesellschaft und bei den Leistungszulagen. Auf Erfuchen der Reichsregierung hat eine ganze Reihe Spikenorganisationen der deutschen Wirtschaft die entsprechende oder eine

noch weitergehende Kürzung der Gehälter durchgeführt. Zu meiner Freude fann ich feststellen, daß in fehr startem Maße in dieser Frage freiwillige, opferwillige Mitarbeit zur Unterstützung der Aftion der Reichsregierung von vornherein festgestellt mar.( Aba- Rufe äußerst rechts und links.) Die Not­wendigkeit der Preisjentung hat eine ganze Reihe Organisationen, deren Mitglieder selbst dadurch betroffen wurden, von vornherein anerkannt und nur den berechtigten Bunsch ausgesprochen, daß die Breisfentungsfrage möglichst schnell zu dem Punkt durchgeführt merde, den sich die Reichsregierung zum Ziel gelegt hat.( Rufe rechts: Steuererhöhung. Rufe äußerst links: Mietenerhöhung!)

Burde die Preissenfungsaftion fich auf noch längere Zeit aus dehnen, dann wäre die Gefahr nicht zu leugnen, daß das Publikum mit seinen Einfäufen wartet in der Hoffnung auf noch weitere Preissentung; das würde zu einer Unterbeschäftigung der Industrie und zu einem unternormalen umfaß im Einzelhandel führen( Rufe rechts: Ist schon da!) und damit die Arbeitslofenzahl erhöhen.

Die Reichsregierung wird darum, wenn die Breissentung in dem Maße erreicht ist, das für eine öffentliche Beeinflussung in Betracht tommt, öffentlich fagen, daß ihr Ziel in diesen Bunft ereicht ist. Natürlich ist

jetzt dieser Punkt der Preissenfung noch nicht erreicht. ( Heitere Zustimmung.) Aber es gibt eine Reihe Waren beispiels

Männer und Frauen, erscheint in Massen, zeigt, daß ihr gewillt seid, mit der Sozialdemokratie gegen den Faschismus zu kämpfen.

aus zubalancieren und die Parteiwünsche zu berücksichtigen. Ihre hundertprozentige Verwirklichung ist weder auf diesem noch auf dem normalen parlamentarischen Weg möglich.( 3uruf äußerst rechts: Was ist der Preis?) Verstehen Sie denn nicht, daß die Forderungen der Parteien, auch Ihrer Partei, nicht zu 100 Proz zu erfüllen find?( Lebhafte Zustimmung in der Mitte. Ein Ruf rechts: Jezt denkt er nach!) Ja, machen Sie mir einen Vorwurf daraus, daß ich nachdente?( Sehr gut und wiederholte lebhafte Zustimmung.)

Der Reichsfanzler meist dann nach, wie unberechtigt gerade vom Standpunkt der Landwirtschaft die Kritik des Abg. Gerefe an der Rotverordnung ist. Einzelforderungen auf weitere Zollerhöhungen gehen dem Grundproblem der Sandwirtschaftstrije nicht zu Leibe. Wir haben mirklich genug 3ollerhöhungen gemacht und wir sind

das Land mit der

erfolgreichsten Politit zugunsten der Landwirtschaft. ( Lärm und Widerspruch rechts.) Wenn Sie sich darüber aufregen, dann wollen Sie offenbar auf die Dauer die früheren Preise für Agrarprodukte erhalten. Es ist aber eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß die Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Produkte in einem Maße gef unten sind, wie wir es faft niemats erlebt haben.( 3uruf rechts: her mit der Steueramnestie!") In Deutschland bemüht sich jeder Teil des Boltes nach seinen Kräften, zu machen.( Geschrei der Nazis: Tributtnechte!") Wenn die Folgen des Krieges zu beseitigen und die Kriegslaften erträglich Sie aber hinter jeder Frage immer wieder nur das Tributproblem fehen( 3uruf rechts: Das ist die Hauptfrage"), dann können Sie sich nicht darüber beklagen, wenn Sie in meiten Kreisen nicht mehr ernst genommen werden.( 3wischenruf des Abg. Straßer: ,, Man nimmt Sie schon lange nicht mehr ernst!) Herr Straßer, ich bin der festen Ueberzeugung, daß Sie allerdings der geeignetste Mann zur Lösung dieser Frage sind.( Allgemeine Heiterkeit.)

Der Reichskanzler verspricht dann von Regierungsseite die tat­

träftigste Förderung und Unterstützung der Berebelungs.

Ich warne die Parteien zum letzten Male davor, zu glauben, daß an den Notverordnungen noch viel geändert werden tann, oder daß in dieser Stunde überhaupt noch Aenderungen an­gebracht werden können. Die Regierung ist bereit, nach ge­lungener Sanierung berechtigte Berbefferungswünsche der Par­feien zu erfüllen. Jetzt ist eine Aenderung unmöglich, fie würde das Werk der Sanierung zerstören.

Ich rufe sämtliche Parteien auf, fich ihrer furchtbaren Berani­wortung bewußt zu sein, menn fie ihre Stimme für oder gegen die Notverordnung abgeben. Ich spreche die Hoffnung und die Bitte aus, daß sich die Parteien der Stimme der Vernunft nicht verschließen und mit der Annahme der Notverordnungen das Werk der Sa­nierung möglich machen.( Lebhafter Beifall bei den Regierungs­parteien.)

Bei Schluß des Blattes spricht der Nationalsozialist Rosen­berg. Während der Rede fommt es zu einer bemerkens. werten Szene. Er verlangt nämlich fogar unter Berufung auf Ebert, der erflärt hat, Deutschland werde den Berlust Oft- Ober­Schlestens nie verschmerzen, daß die Reichsregierung wegen Ver­legung des Minderheitenschutzes die Rückgabe Ost- Ober schlesiens fordern soll Er fragt, was denn noch geschehen müsse, damit die Reichsregierung eingreife oder ob man zusehen wolle, wie das Deutschfum drüben aus gerottet werde und ein fünftiger Reichsaußenminister schließlich achselzuckend erkläre, es seien teine Deutschen mehr drüben.

Bei diesen Worten schlägt Außenminister Dr. Curtius erregt auf den Tisch, worauf Rosenbergs Parteigenossen in Hände flatschen für ihn ausbrechen. In Fortsetzung der Debatte wird für die Sozialdemokraten Abg. Lifte zu Wort kommen.

Bluttat in Brieg .

Autobanditen ermorden Theaterfaffiererin.

Brieg . 5. Dezember.

Am Donnerstagabend wurde die 42jährige Kaffiererin des Brieger Stadttheaters, Wally Dietrich, vor ihrer Wohnung überfallen und durch einen Kopffuß getötet. Die Täler raubten 1530 Mart und entfamen in einem Kraftwagen. Bon der Polizei sind 1000 Mart Belohnung für die Ergreifung der Täfer ausgefeht worden.

Als die Kassiererin am Donnerstagabend furz vor 10 Uhr sich mit der Theaterkasse nach Hause begab, wurde sie vor ihrem Hause in der Lindenstraße in Brieg von einem Auto aus ange­ich offen. Zwei oder drei Banditen sprangen darauf aus dem agen, streckten die laut um Hilfe Rufende durch zwei Schüsse in den Kopf nieder und raubten ihr eine Aktentasche mit In­halt. Die Täter enttamen in der Dunkelheit unerkannt mit dem Auto, obgleich ein Motorradfahrer sofort die Verfolgung aufnahm. Die Breslauer Mordfommission ist zur Unter­suchung des Falles in Brieg eingetroffen.

Arbeitsbeschaffung in Bayern .

Auf sozialdemokratische Anregung.

München , 5. Dezember. ( Eigenbericht.) Auf Grund eines sozialdemokratischen Antrages befaßte sich ant Arbeitsbeschaffungsprogramm, wonach die ungeheure Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft werden soll. Die Regierung er­flärte fich bereit, fünf Millionen auf dem Anleihewege zur Ber fügung zu stellen, wozu weitere zehn Millionen von der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Arbeiten und vom Reich kommen. Diese insgesamt 15 Millionen werden zum größeren Teil für all. gemeine Straßenbauten und für Wegebauten in den staatlichen Forsten verwendet. Außerdem übernimmt der Staat eine Behn- Millionen- Ausfallbürgschaft für Lieferung bayerischer Firmen nach Rußland .

Donnerstag der Haushaltsausschuß des Bandtages mit einem

wirtschaft.( 3uruf der Nazis: Beredeln wir doch mal die Re­gierung!) Ich habe nichts dagegen, daß die Parteien einmal dar­über einig werden, die Regierung zu veredeln. Wenn Sie die in Notverordnungen enthaltenen Hilfsmaßnahmen für die Landwirt­schaft zu Fall bringen, dann ist der Landwirtschaft auch mit Zöllen nicht mehr zu helfen Warum sich landwirtschaftliche Organisa­tionen gegen die Einheitssteuer für die Landwirtschaft wehren, be­greife ich nicht. Denn hier wird zum erstenmal ein steuerfreies Eristenzminimum von 6000 Mart für die Landwirte ge­schaffen.( Buruf der Komm.: Bon der Not der Arbeiter sprechen Sie überhaupt nicht!) Wenn Sie nicht begreifen, mas es bedeutet, daß wir in diesem Jahre die Ausgaben für Arbeitslosenversicherung Mit der Durchführung dieses vorläufigen Arbeitsbeschaffungs und Krisenfürsorge ständig erhöht und die Arbeitslosenverfiche programms tönnen faft 60000 bis 70000 Arbeiter den rung vor dem Zusammenbruch gerettet haben, dann muß ich inter über in Bayern beschäftigt werden.