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Morgenausgabe

Nr. 573

A 288

47.Jahrgang

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Vorwärts

Beelinee Boltsblatt

Sonntag 7. Dezember 1930

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reklamezeile 5,- Reichs mart. Sleine Anzeigen das lettge druckte Bort 25 Pfennig( zulässig zwei feitgedruckte Worte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes meitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmartt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich Don 8 bis 17 Uhr.

Kentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Erfolgreiche Abwehr.

Die Sozialdemokratie durchkreuzt die Manöver des Faschismus.

Der Reichstag lehnte gestern die Aufhebung der Notverordnung mit 292 gegen 254 Stimmen ab. Die Mißtrauensanträge Reichs regierung wurden mit 291 gegen 255 Stimmen, bei ciner Enthaltung, abgelehnt.

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gegen

Eine Reichstagsmehrheit, die fast zur Hälfte aus Sozialdemokraten bestand, hat gestern die Aufhebung der neuen Notverordnung abgelehnt. Dieselbe Mehrheit hat dann den unwahrhaftigen Bertrauensantrag" der National­fozialisten für unzulässig erklärt und die Mißtrauensanträge gegen die Regierung niedergestimmt. Damit ist aller Wahr scheinlichkeit nach die Weihnachtskrise vermieden und ein Ab­rutschen des Kurses im Reich und in Preußen noch weiter nach rechts bis auf weiteres verhindert.

nahmen einigen könnte. Aus diesem Zustand hat der Reichs tag selbst die logische Konsequenz gezogen, indem er die Re­gierung im Amt, die Notverordnung in Kraft belassen hat.

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Die Macht des vom Volke gewählten Reichstags ist ge­funken, die Macht des gleichfalls vom Volke gewählten Reichs­präsidenten ist gestiegen das ist ein Vorgang, der uns hätten, wenn er zu vermeiden gewesen wäre. Aber es ist weder Sozialdemokraten bedenklich stimmt und den wir vermieden eine faschistische Diktatur", wie die Kommunisten behaupten, noch ein Zusammenbruch des Systems", wie die Deutschnatio­nalen und Nationalsozialisten versichern. Das Volt braucht nur das nächstemal vernünftiger zu wählen, dann wird es damit den Reichstag in seine alten Rechte wieder ein­setzen und die Macht des Reichspräsidenten auf das normale Maß beschränken.

der Rechten ,, Mehr macht dem Reich spräsidenten!" Indes, kaum ein Jahr ist es her, da hieß der Schlachtruf uns: Mehr Macht dem Reichstag!" Aber nur das Volk Das gilt heute offenbar nicht mehr. Hingegen heißt es bei fann einen arbeitsfähigen und dadurch auch mächtigen Reichs­tag wählen.

Dieses Ergebnis ist durch die Entscheidung der fozialdemokratischen Reichstagsfraktion herbeigeführt. Fiel sie anders, dann gab es für die Auf­hebung der Notverordnung und für den Sturz der Regierung eine ungeheure Mehrheit. Aber diese Mehrheit hätte sich in der Berneinung erschöpft, sie hätte sich nun und nimmer dar­über einigen fönnen, was an die Stelle der aufgehobenen Notverordnung, wer an die Stelle der gestürzten Regierung Das nationalsozialistisch- deutschnationale Zusammenspiel treten sollte. Aufhebung der Notverordnung, Sturz der Re- flappte im ganzen ausgezeichnet. Hie und da gab es doch gierung bedeutete unter diesen Umständen nicht die Wieder- noch kleine Regiefehler. So glaubte ein nationalfozia herstellung der demokratisch- parlamentarischen Verfassung, Iistischer Redner die Sozialdemokratie verhöhnen zu dürfen, sondern im Gegenteil ihren vollständigen und bis auf weil sie vor den Wahlen zum Kampf gegen Brüning aufge­weiteres endgültigen- Zusammenbruch. Indem die sozial- rufen habe, jetzt aber seine Regierung stüße. Gleich danach demokratische Reichstagsfraktion die Anträge der Rechts- machte sich ein Deutsch nationaler über die Regierung opposition ablehnte, lehnte sie es ab, der faschisti Brüning lustig, die ohne und gegen die Sozialdemokratie re­schen Dittatur in den Sattel zu helfen. Daß die gieren wollte, jetzt aber in kläglichste Abhängigkeit von der Rechtsopposition darüber ein wahres Wutgeheul anstimmt, ist Sozialdemokratie geraten sei. weiter nicht verwunderlich.

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Die Kommunisten erzählen ihren Kindern, das ,, Regiment Brüning- Braun" sei gleichbedeutend mit faschistischer Diktatur". Sturz der Regierung Brüning hätte also den

Sturz der faschistischen Diktatur bedeutet. Bielleicht lassen sie

sich von ihren italienischen Parteigenossen belehren, wie der wirkliche Faschismus aussieht.

Die Kommunisten führen gerade jetzt ihre Anhänger durch die Straßen aller deutschen   Städte spazieren. Sie halten bei Tage und bei Nacht Versammlungen unter freiem Himmel ab. Die Polizei Severings steht daneben und paßt auf, daß sie in ihrer Versammlungsfreiheit nicht gestört werden.

Die Kommunisten lassen in Deutschland   einige Dutzend 3eitungen erscheinen, in denen sie ihre politischen Gegner mit den klobigsten Beschimpfungen bedenken. In den meisten Fällen können sie ohne besondere Genehmigung des Reichs­tags dabei gerichtlich gar nicht belangt werden, weil Abge: ordnete als verantwortliche Redakteure zeichnen.

Abgesehen davon gibt es einen Reichstag, zahlreiche Landesparlamente und unzählige Stadtverord netenversammlungen, Kreistage usw., und feine dieser Körperschaften hält eine Sigung ab, ohne daß die Kom munisten stundenlange Reden hielten. Was in Reichstags­und Landtagsreden gesagt worden ist, kann straflos im Drud millionenfach verbreitet werden, was immer darin auch ge­jagt sein mag.

Ist das faschistische Diktatur"? Ja, hätten wir die wirt­lich, dann wäre das alles doch nicht! Von der KPD. wäre dann längst keine Schwanzspite mehr sichtbar.

Was in Deutschland   seit dem Sommer dieses Jahres ge­worden ist, das hat mit Faschismus nichts zu tun. Verfassungs­rechtlich gesehen bedeutet es nichts anderes als eine Ber­lagerung der Macht vom Reichstag zum Reichs präsidenten.

Eine vom Reichspräsidenten   ernannte Regierung hält sich an der Macht, weil teine Reichstegsmehrheit da ist, die sie durch eine andere ersetzen kann. Bom Reichspräsidenten mit Gesetzeskraft eriaffene Verordnungen bleiben in Kraft, meil eine Mehrheit fehlt, die sich auf anders geartete Maß­

Was ist die Wahrheit? Die Wahrheit ist, daß nach dem Sturz der Regierung Müller ein heftiger Kampf brannte, wobei die Sozialdemokratie nach unserer Heber zwischen Sozialdemokratie und 3entrum ent­zeugung völlig im Recht war. Der Wahlausgang hat dann gezeigt, daß dieser Kampf nicht fortgesetzt werden konnte,

| wenn nicht der Faschismus der sich freuende Dritte wer den sollte. Der Sozialdemokratie gereicht es nicht zur Schande sondern zur Ehre, daß sie das zuerst erkannt und ihr Ber­halten danach eingerichtet hat.

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In deutschnationalen Blättern war dieser Tage zu lesen, die Sozialdemokratie habe von der Regierung Brüning man früher Geschenke, die den Großgrundbesitzern und Kapi­Liebesgaben" erpreßt. Als Liebesgaben" bezeichnete talisten auf dem Wege der Gesetzgebung gemacht wurden. Die Liebesgaben", die die Sozialdemokratie bei der Regierung Brüning herausgeholt hat, find ganz anderer Art. Sie be­stehen in der Aufhebung oder Milderung von Bestimmungen auf dem Gebiet der Krantenversicherung und der Arbeitslosenversicherung, die die Aermsten der

Armen trafen.

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Nichts ist einfacher als eine Festedruff- Politit, die mit Politik zu treiben, die die Wirtschaftskrise nur verschärft, das Hurrageschrei in die Katastrophe hineinmarschiert. Eine solche Elend vermehrt und die Arbeiterrechte aufs Spiel gesetzt hätte, hat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion mit Recht ab= gelehnt. Sie hat mit Recht nach dem Wort des alten Liebknecht gehandelt, daß man die Taftit so oft ändern muß, wie sich die Umstände ändern, unter denen man fämpft. Durch ihre rechtzeitig entschlossene Schwenkung hat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den schlimmsten Feinden der Arbeiterklasse zuvörderst den Weg zur Macht ver­legt und an positiven Erfolgen herausgeholt, was her­auszuholen war.

Die Gefahr ist nun für den Augenblick beschworen, sie ist noch lange nicht auf die Dauer gebannt. Die Sozialdemo fratie steht in einem der allerschwersten Kämpfe ihrer an Kämpfen reichen Geschichte. Der Faschismus ist der Feind! Zu Eigenbröteleien und Diskussionen über taktische geschlossener Formation, in eiserner Disziplin müssen wir gegen Probleme könnte die Zeit nicht schlechter gewählt werden. In den Feind marschieren!

Dann schlagen wir ihn!

Die Abstimmungen im Reichstag.

Die endgültigen Ergebnisse.

Nach der endgültigen Zählung der Abstimmung im Reichstag über die Anträge auf Aufhebung der Notverordnung vom 1. Dezember 1930 haben 254 Stimmen für die Auf hebung, 292 dagegen gelautet; die Mehrheit betrug also 38( das vorläufige Ergebnis hatte 293 gegen 253 Stimmen, also eine Mehrheit von 40 Stimmen gezählt).

Nationalsozialisten, die Kommunisten, die Deutschnationalen, die Für die Aufhebung der Verordnung haben gestimmt: die Wirtschaftspartei mit Ausnahme des Abg. Siller Württemberg, der gegen die Aufhebung gestimmt hat, und die Deutsche   Land­volfpartei.

Gegen die Aufhebung der Verordnung haben gestimmt: die Sozialdemokraten, das Zentrum, die Deutsche Volkspartei  , der Christlichsoziale Volksdienst und die Konservative Volkspartet mit Ausnahme des Abg. Teutsch und des Hospitanten Noite ( Dt. Hann.), die für die Aufhebung geftimmt haben, die Bayerische Volkspartei  , die Deutsche   Staatspartei, einschließlich des neu einge tretenen Abg. Hillebrand- Schlesien  , der bisher der Deutschen Bauern partei angehörte, die Deutsche Bauernpartei, die Volksnationale Reichsvereinigung und endlich der parteiloje Abg. Mönke.

Die Mißtrauensanträge sind nach dem endgültigen Ergebnis mit 291 gegen 255 Stimmen bei einer Stimmenthaltung ( Abg. Dr. Pfleger, Bayr. Boltsp.) abgelehnt worden; das vorläufige Ergebnis war 291 gegen 256.

Für die Mißtrauensanträge haben gestimmt: die Nationalfozia. listen, die Deutschnationalen, die Kommunisten, die Wirtschaftspartei und die Deutsche   Landvolkpartei. Gegen die Mißtrauensanträge haben gestimmt die Sozialdemokraten, des Zentrum, die Deutsche  Boltspartei, der Chriftlichsoziale Boltsdienst und Konservative Bolts. partei mit Ausnahme des Abz. Teutsch und der Deutsch  - Hannove. raner Freiherr v. Hammerstein- Logten, Meyer- Hanno

ver und Nolte, die für das Mißtrauensvotum gestimmt haben, die Bayerische Volkspartei  , die Deutsche Staatspartei einschließlich des Abg. Hillebrand- Schlesien  , die Deutsche Bauernpartei, die Volks nationale Reichsvereinigung und der parteilose Abgeordnete Mönke.

Gie geben es noch nicht auf!

Hitler und Hugenberg   wollen auf den Schulfern der Kommunisten zur Macht.

Der Versuch des faschistischen Blocks im Reichstag, mit Hilfe der Kommunisten die Regierung Brüning zu werfen, um eine Regierung Hitler- Hugenberg an ihre Stelle zu setzen, ist gestern gescheitert. Aber sie geben es trotzdem noch nicht auf! Sie sezen nun ihre Hoffnungen auf den Christlich­Lozialen Volksdienst. Die Hugenbergsche Telegra­phen- Union verbreitet folgende Meldung:

am

,, Der Christlichsoziale Volksdienst, der ursprünglich im Reichstag  noch ein Mißtrauensuotum gegen Dr. Curtius einbringen wollte, hat von dieser Absicht Abstand genommen, um den speziellen Miß trauensantrag gegen den Reichsaußenminister nicht mit den übrigen Anträgen ablehnen zu lassen. Zuverlässig verlautet jedoch, daß die Gruppe des Christlichsozialen Volksdienstes Dienstag bei der Festsetzung der Tagesordnung des Reichstages für den kommenden Mittwoch beantragen wird, in eine außen­politische Ausspra che einzutreten. Stimmt eine Mehrheit ine m des Hauses diesem Berlangen zu, ban will der Christlichsoziale Boltedienst mit Unterstützung der drei Hannoveraner und der Boltsfonservativen einen förmlichen Mißtrauens­antrag gegen den Reichsaußenminister einbringen.