Morgenausgabe
Nr. 577
A 290
47.Jahrgang
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Mittwoch 10. Dezember 1930
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107 Nazis schützen das Kapital! Spion und Dolchstoß.
Bielsagende Abstimmungen im Reichstag.
In der Reichstagssikung vom Dienstag, dem 9. Dezember 1930, stimmte die nationalsozialistische Fraktion geschlossen gegen folgende Anträge:
1. Alle Vermögen über 500 000 Reichsmart werden einer einmaligen Steuer von 20 vom Hundert unterworfen.
2. Alle Dividenden und sonstigen ausgeschütteten Gewinne bei gewerblichen Unternehmungen werden einer Steuer in Höhe von 20 vom Hundert der Ausschüttung unterworfen. 3. Alle Aufsichtsratstantiemen und ähnliche Vergütungen unterliegen einer Sonder. steuer in Höhe von 20 vom Hundert. 4. Alle Einkommen über 50 000 Reichsmark werden mit einer Sondersteuer in Höhe von 20 vom Hundert jährlich belegt.
Infolge der kapitalsfreundlichen Haltung der Nationalsozialisten wurden diese Anträge mit 319 gegen 197 Stimmen abgelehnt. Für die Anträge stimmten nur Sozialdemokraten und Kommunisten. Hätten die Nationalsozialisten für diese Anträge gestimmt, so wären sie mit etwa 300 gegen 215 Stimmen angenommen worden. Am 9. Dezember haben sich die Nationalsozialisten selbst die Maske vom Gesicht gerissen. Sie sind und bleiben entgegen allen ihren Versicherungen und Ankündigungen die Schuttruppe des Kapitals.
Der Kampf um den Film.
Eine Entscheidung von innen- und außenpolitischer Bedeutung.
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Der Kampf um den Film Im Westen nichts| niffe soll der Reichspräsident in den Reflamedienst Neues" ist über Nacht zu einer Angelegenheit von weit tragender innen und außenpolitischer Bedeu tung geworden. Außer Sachsen , Thüringen und Braun schweig haben nun auch Bayern und Württemberg gegen die Zulassung des Films Beschwerde erhoben. Sämtliche Rechtsregierungen der deutschen Länder erscheinen in geschlossener Front. Die Entscheidung liegt bei der Oberprüfstelle, sie soll schon morgen fallen.
für die Ufa Kriegsfilme eingespannt werden. Selten ist wohl eindeutiger die Vermischung von Selten ist wohl eindeutiger die Vermischung von Politik und Geschäft an den Tag gelegt worden wie in diesem unglaublichen Telegramm eines Geschäftsmannes an den Präsidenten der Republik , der auf die Verfassung vereidigt ist.
Ein Verbot würde in der ganzen Welt als ein Sieg des Hakenkreuzpöbels über die Staatsautorität wirfen. Seit Tagen sind an beträchtliche Teile der Berliner Schuhmann schaft schwere Anforderungen gestellt worden, um die Aufführungsfreiheit dieses bisher erlaubten Films zu schützen. Ein nachträgliches Verbot würde geradezu als ein Schlag gegen die Beamten wirken, die dem gesetzwidrigen Treiben der Standalmacher Einhalt geboten haben, als ein prinzipieller Sieg des faschistischen Terrors über die Staatliche Ordnung.
Diefer prinzipielle Sieg ist ja auch das eigentliche Ziel des nationalistischen Vorstoßes. Die ganze Entrüstung ist gemacht; die Tausende, die auf der Straße randalieren, kennen den Film ja gar nicht, sondern sie heulen und pfeifen einfach auf Befehl. Tut die Oberprüfstelle ihnen ihren Willen, so hilft sie mit an der Zerrüttung der Staatsgewalt.
Außenpolitisch gesehen wäre ein Verbot ein entseglicher Standal. Auch in Prag hat ein nationalistischer Böbel gegen deutsche Tonfilme gewütet, aber dort hat man diese Filme nicht verboten, sondern man hat Ruhe geschafft und spielt sie meiter. Auch Im Westen nichts Neues" würde nach einem Verbot im Ausland erst recht gespielt werden, und die Welt würde sich davon überzeugen, daß es in Deutschland -und in Deutschland allein verboten ist, den Krieg zu zeigen, wie er wirklich war. Das Filmverbot würde allen Gegnern als Beweis dafür dienen, daß Deutschland von nationalistischem und militaristischem Geiste beherrscht ist. Möge die Oberprüfstelle dem Inland und dem Ausland beweisen, daß der Gang der Dinge in Deutschland immer noch von Recht und Gefeß bestimmt wird und nicht von Stink bomben und weißen Mäufen!
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Erklärung der Hugenberg- Film- AG.
Die Ufa ", die Hugenbergsche Konkurrenzfirma für den Bertrieb von Kriegsbeßfilmen, veröffentlicht eine Erflärung, daß sie mit der amerikanischen Gesellschaft Uni versal Pictures Corporation( Präsident Karl Laemmle ) nichts zu tun habe. Die Verwechslung sei wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß der Film für Deutschland von der deutschen Tochtergesellschaft der Universal Pictures Corporation herausgebracht wird, die in Berlin eine Niederlassung unter der Firma Deutsche Universal FilmVerleih G. m. b. 5. betreibt.
Hugenbergs Telegramm an Hindenburg erfährt durch diese Ertlärung der Hu- F- A" noch eine besondere Beleuchtung. ( Siehe auch 3. Seite.)
3762000 Erwerbslose.
Ein Kronzeuge gegen das Kaiserliche Deutschland.
Man wird Herrn Pierre Desgranges für alle seine Offenheiten nur dankbar sein und aus ihnen lernen können. ( Generalleutnant a. D.. von Cramon in der Deutschen Beitung".)
Im Verlag von Grethlein u. Co. in Leipzig ist ein ist ein Enthüllungsbuch des französischen Spions Leutnant Desgranges erschienen: In geheimer Mission beim Feind in den Jahren 1915 bis 1918." Dieser französische dunkle Ehrenmann wird in der gesamten nationalistischen Presse Deutschlands als Kronzeuge für den Dolchstoß" der Sozialdemokratie geradezu verhimmelt. Auch der Generalleutnant a. D. von Cramon ist in einem Auffah ,, Spionage" in der Deutschen Zeitung" schamlos genug, unter Berufung auf Desgranges die Führer der Sozialdemokratie zu beschuldigen, während des Krieges mit Frankreich gegen Deutschland gearbeitet zu haben. Nun stellt sich gewiß für jeden anständigen Menschen auch ein General außerhalb der Ehrbegriffe, wenn ihm das 3eugnis eines französischen Spions genügt, deutsche Politiker des Landesverrats zu bezichtigen. Falls aber der Generalleutnant von Cramon das Buch des Desgranges wirklich gelesen hat, so muß er sich auch noch den Vorwurf der Fälschung gefallen lassen, denn Desgranges sagt an mehreren Stellen über die Sozialdemokratie, den Krieg und die Revolution genau das Gegenteil von dem, was die böswilligen Berdrehungen des von Cramon glauben machen wollen.
Desgranges behauptet, daß die Sozialdemokraten ,, Imperialisten" gewesen seien bis zuletzt. Er ärgert sich über die sozialdemokratischen Zeitungen, Die noch am Ende des Krieges, rein imperialistisch" geleitet worden seien. Er lügt damit genau so wie diejenigen Wenn die deutschen Nationalisten aber den französischen feiner deutschen Verehrer, die uns des Dolchstoßes bezichtigen. Spion so ernst nehmen, so haben wir allen Grund, den größten und wichtigsten Teil seines Buches der deutschen Deffentlichkeit bekannt zu geben. Der Spion erzählt nämlich, wie er unter den Decknamen Desgranges und Crozier von Holland aus das offizielle faiserliche Deutschland genarrt und geprellt hat. Er hat intime Beziehungen zu hohen militärischen und zivilen Stellen im Paiserlichen Deutschland unterhalten bis in die unmittelbare Nähe des deutschen Kaisers.
Desgranges- Crozier war großer Kriegsschieber in Holland und verdiente mit Hilfe kaiserlicher Dienst stellen in Deutschland Un summen. Er lieferte Dele und Fette nach Deutschland , um sich dadurch leitende Stellen des kaiserlichen Deutschland geneigt zu machen und legte sie dafür nach Kräften zugunsten Frankreichs hinein. Der Wiz ist also der: das faiserliche Deutschland finan= zierte ahnungslos die französische Spionage, indem es dem französischen Spion Desgranges- Crozier gewaltige Kriegslieferungsgewinne machen ließ!
Desgranges- Crozier rühmt sich der besten Beziehungen zur Zentraleinkaufsgesellschaft in Berlin und zu dem persönlichen Freunde und Ratgeber des Kaisers, Herrn Ballin. Dieser große deutsche Wirtschaftskapitän suchte den französischen Spion ahnungslos auf, wenn er in Holland zu tun hatte.
204 000 Arbeitsuchende mehr in der 2. Novemberhälfte. Nach dem Bericht der Reichsanstalt ist die Zahl der Arbeitsuchenden im ganzen Reich vom 15. bis 30. No vember um 204 000 auf insgesamt 3762 000 ge stiegen. Der Zustrom neuer Erwerbsloser zu den Arbeitsämtern stellte sich also in der Berichtszeit auf 5,7 Proz. In der gleichen Zeit des Vorjahres war der Bustrom mit 14,2 Proz. ganz erheblich stärker, ging aber natürlich von einem weitaus niedrigeren Stand Wenn auch die Ziffern von der Arbeitslosigkeit aus. Wenn auch die Ziffern von Ende November 1929 wegen nicht ausreichender Er fassung der Wohlfahrtserwerbslosen nicht ganz zuber lässig sind, so zeigt doch eine Gegenüberstellung der jett vorhandenen 3,76 Millionen Arbeitslosen mit den 2,1 Millionen im November vorigen Jahres, in welch kata- Manchmal war der französische Spion auch in Deutschstrophalem Ausmaß sich die Gesamtlage verland. War er da etwa in sozialdemokratischen Redaktionen oder Gewerkschaftshäusern, um den Dolch zu schleifen? Nein, schlechtert hat. er berichtet:
Ein unverfrorenes Hugenberg- Telegramm. Die Abgeordneten Dr. Hugenberg und Dr. OberIn der Arbeitslosenversicherung wurden Ende Nofohren haben folgendes Telegramm an den Reichs- vember 1788 000 und in der Krisenunterstützung 566 000 präsidenten von Hindenburg gesandt: Troß des Einspruchs des Reichswehrministeriums gegen den Hauptunterstützungsempfänger gezählt. Die Zunahme Heyfilm, Im Westen nichts Neues", trotz der berechtigten in den beiden letzten Novemberwochen beträgt hier Empörung der gesamten nationalen Bevölkerung werden die Auf- 127 000 Personen. führungen des Films unter stärkster Inanspruchnahme der Polizei fortgesetzt. Wir bitten den Herrn Reichspräsidenten , den Führer der in diesem Film beschimpften Heere des Welt frieges, ben Oberbefehlshaber der jetzigen Wehrmacht, burch persönliches Eingreifen diefem öffentlichen Stan dal ein Ende zu machen."
Ein öffentlicher Standal ist es, wenn der Herr über Presse und Film", wie Arthur Wahr a un den Hugen berg genannt hat, den Reichspräsidenten anfleht, feinen eigenen Filmunternehmern die Konkurrenz vom Beibe zu halten. Unter dem Schein nationaler Besorg
In den überwiegend von der Konjunktur ab hängigen Berufsgruppen ist die Zunahme der Erwerbslosigkeit mit 2,3 Proz. verhältnismäßig gering geblieben. Es läßt sich hieraus jedoch noch nicht schließen, ba nun endgültig der Tiefstand der Konjunktur er. reicht sei. Wohl find bei verschiedenen Industrien leichte Befferungserscheinungen festzustellen, die jedoch größten teils durch die Saison beeinflußt sind; in den wichtigen Schlüsselindustrien( Sisen und Kohle) hat der Beschäftigungsgrad sich jedoch noch nicht gebessert.
Die deutsche Diplomatie gibt dem französischen Spion den Auftrag, in Paris eine 3eitung zu laufen. Das deutsche Geld rollt, aber erreicht wird das Gegenteil: die Informationen werden benutzt, um französische 3 wede innerhalb Deutschlands zu fördern. Wieder mit faiserlich deutschen Mitteln! Desgranges- Crozier nennt als seine ungewollten Helfershelfer die faiserliche Botschaft in Holland , insbesondere den Botschaftsrat Gneist, den Sohn eines ehemaligen Zivilgouverneurs des Kaisers. Der Spion wird einmal im deutschen Gesandtschaftsauto von Holland nach Brüssel gefahren.
,, Eines Tages fam ich von der Jagd zwischen Köln und Düsseldorf in Begleitung des Obersten v. S., eines glänzenden Gardeoffiziers...
Auch ein schönes Bildchen, wie der Offizier der kaiserlichen Garde mit dem französischen Kriegsschieber und Spion mitten im Kriege Hasen schießt und über die Gespräche mit dem Kameraden des Generalleutnants von Cramon dann an den französischen Generalstab berichtet.
Das taiserliche Deutschland gab sich jahrelang alle Mühe, den französischen Spion nach Kraften verdienen zu lassen, und der gab genau acht, damit Deutschland nicht mehr Waren erhielt, als er für seine Spionagetätigkeit unbedingt brauchte. Ginen Teil des Geldes, das ihm die faiserliche Regierung zuschanzte, benutzte dann der Spion Desgranges- Crozier, um junge Belgier aus ihrem