1930
Der Abend
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Nr. 580
B 289 47. Jahrgang
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Krach im Rechtsausschuß
Zentrum weigert sich, unter dem Vorsitz eines Schimpfbolds zu tagen
Vorsitzender im Rechtsausschus des Reichstages ijt Herr Dr. Frank II von den Nazis, dem gestern wegen fortgesetter Beschimpfungen in seiner Rede zum Strafe gesehentwurf das Wort entzogen werden mußte. Er hatte u. a. dem Zentrum vorgeworfen, es ,, mihbrauche den Katholizismus für seine schmutzigen Geschäfte".
In der heutigen Sigung des Rechtsausschusses be antragte das Zentrum beswegen Vertagung, damit seine Fraktion nach Vorliegen des Stenogramms darüber entscheiden könne, ob es für sie möglich sei, unter dem Vorsiz des Herrn Dr. Frant überhaupt zu tagen. Dr. Marum( Soz.) trat diesem Antrag bei, weil es der Loyalität entspreche, solchen Wünschen einer großen Partei stattzugeben. Er bemerkte, daß er ja auch als ein fiat" beschimpft set, daß solche Worte aber in die Tears Suft gerebet jeien.
Wie der Nazi- Anwalt sich die Führung des Vorsitzes Horstellt, ergab sich alsbald. Auf einen harmlojen Zwischenruf drohte er dem Abg. Dr. Marum sofort an. er werde ihn von der Situng ausschließen. Er selbst aber unterbrach fortgescht die Reduer und gefiel sich darin, ganze Zwischenreden zu machen.
Anfangs waren die Nazis noch mutig und bekannten sich ausdrücklich zu der Aeußerung Dr. Frants über bas Zentrum. Schließlich fand aber Dr. Frant, daß es doch ,, diplomatisch" sei, den Rückzug anzutreten, und er ent. schuldigte sich förmlich beim Zentrum, es habe ihm ferngelegen, Mitglieder des Hauses zu beleidigen. Es nutte aber nichts.
Mit 17 Stimmen aller Parteien wurde gegen die Nationalsozialisten und ihre Anhängsel die Deutschnationalen, die. Vertagung beschlossen.
Flucht vor der Wahrheit.
Die Hafenfreuzler flüchten vor Reden.
Bei Beginn der heutigen Reichstagsfigung, die vom Bräsibenten Löbe um 1 11hr eröffnet murde, gab der nationalsozialistische Abgeordnete Stöhr eine Erflärung ab, wonach feine Graftion
fich fünftig die marristischen" Reden nicht mehr an.
hören und bei Beginn einer marxistischen Rede ben Sigungsjaal verlassen werde. Die sozialdemokratische Frattion mar der Berlesung dieser Erflärung ferngeblieben, die Kommunisten begleiteten fie mit Branorufen.
Nach der Erflärung Stöhrs schlägt der Kommunist Zorgier unter großer Heiterkeit vor, auf der rechten Seite des Hauses eine Rolltreppe anzubringen, um den An- und Abmarsch der 107 Nazis zu erleichtern.
Als nach Beginn der Rede des Kommunisten Schrötere Merseburg die Nazis langsam den Saal zu räumen beginnen, ruft ein anderer Kommunist: Zieht hin in Frieden eure Pfade, mit euch des großen Adolf Gnade."( Ungeheure Heiterfeit.)
Sichtlich unwillig folgen die Radaumacher der Parole ihrer Barteiführung und verlassen den Saal. Stöhr bleibt als Beob achtungsposten zurüd.
Der Kommunist Ulbricht beantragt unter den üblichen Ausfällen heute die Forderung seiner Fraktion zu beraten, daß das Berliner Demonstrationsverbot aufgehoben werde. Dieses Berlangen scheitert am Widerspruch der Deutschen Boltspartei..
Dann mird über Stellenbermittlung beraten. Afs der Zentrumsabgeordnete Dr. Jäger das Wort ergreift, ruft der Kommunist Torgler den inzwischen wieder hereingekommenen Nazis hinüber: Ein Margift spricht!"( Seiterfeit.)
Die anderen Kommunisten rufen: Raus!" und Raus mit den Ringelnattern!"
Hugenbergs Mißtrauen. Die deutschnationale Frattion hat im Reichstag Mißtrauensanträge gegen die Reichsminister Dr. Curtius, Dr. Birth und Trepiranus eingebracht..
Bom Filmfrieg nichts Neues
Entscheidung der Oberprüfstelle erst am Nachmittag
Die Filmoberprüfftelle ist heute vormittag 10 Uhr zufammen. gefteten, um über die Anträge verschiedener Länderregierungen zu entscheiden, die ein Verbot des Films wünschen. In der Sigung, die gegen Mittag noch nicht beendet war, wurden ausführliche Gutachten des Reichswehrminifteriums und des Auswärtigen Amtes vorgetragen, ferner wurde die Rechtslage erörtert.
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Die Entscheidung der Oberprüfstelle wird voraussichtlich erft den späteren Nachmittagsstunden fallen.
Die amerikanische Fassung des Remarque - Filmes murde heute vormiting in Morgartfaal bem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun , den Staatsministern Severing und Grimme, bem Bolizeipräsidenten Grzesinski , dem Bizepräsidenten ei 8. Staatsfettetör Weißmann, Ministerialdirektor Badt , einer Anzahl von Reichstagsabgeordneten und 60 Offizieren der Schußpolizei vorgeführt. Auch die amerikanische Faffung hinterließ bei allen Zu schauern tiefe Ergriffenheit. Reiner der Zuschauer fonnte dieser Faffung eine beherische oder gar antibeutsche Tendenz nachsagen.
Die befragten Offiziere der Schußpolizei, von denen alle im selbe gestanden haben, äußerten sich, daß der Film in teiner Beise bem deutschen Ansehen abträglich sei. Er sei ein Dokument des Striegserlebnisses des deutschen Frontfoldaten. Bor dem Mozarthaal hatte sich eine größere Menschenmenge an gesammelt; zu irgendwelchen Ausschreitungen ist es nicht gekommen.
Zum Film Bürgerkrieg. Müffen wir uns reaffionäre Filme gefallen lassen?
Der vernünftigste Protest gegen ein Theaterstüd oder einen Film, dessen Tendenz einem nicht zusagt, besteht zweifellos barin, baß man nicht hingeht. Wenn aber die Nationalsozialisten instematisch die Aufführung von Filmen zu verhindern suchen, die in ihrer geistigen Haltung dem Programm des dritten Reiches midersprechen, entsteht die Frage, ob man sich auf der Gegenseite mit den bisherigen Methoden des stummen Protestes begnügen darf. Ifa und gleichgesinnter Unternehmungen, die dem Empfinden jedes Es laufen in Deutschland periodisch Filme der Hugenbergschen Republikaners ins Gesicht schlagen. Meist find es Hehfabrikate übelster Art.
Reichstagsfizung
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Kein Platz soll im Sihungsfaal fein? Wo noch folche Hohlräume flaffen?
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Wir erinnern nur an jenen. Hugenbergschen Scapa Floma Film, der die Revolution quf der Flotte im Sinne der Dolchftoß legende verleumdet. Die Herren Seeoffiziere sind als Engels die meuternden Matrosen als Bestien dargestellt.
Bon den wirklichen Ursachen der Meuterei, von dem Herrenleben in der Offiziersmeffe, dem Hungerdafein der geschundenen und gedrillten Mannschaften zeigt der Film nichts.
Das Elend der Angehörigen wird verhöhnt, indem Jammerbriefe" gezeigt merden, die die Stimmung der Mannschaft erschüttert habem follen. Aber jtott daß die Frau, mie es der Wirklichkeit von 1918 entspräche, darüber flagte, daß die Rinder hungerten und baẞ teine Milch und fein Effen norhanden seien, erschöpft sich der Jammer des gezeigten Briefes in Nichtigkeiten pie bag der Schrank madelt(!!) und fein Monn da ist, ihn zu reparieren". In dieser Art wird dauernd ein 3errbild der wirklichen Zustände gegen Kriegsende geliefert.
Genau so wird in den diversen Hohenzollernfilmen, den Fridericus Reg und Königin Luise- Filmen die historische Wahrheit dauernd vergemaltigt Man sieht wohl die fridericianischen Heere in einemført fiegen; aber von dem pr poralstod und dem Spießrutenlaufen, von dem ganzen zusammengeprügelten Helbenmut", von der in Menschenraus ausartenden Refrutenwerbung, von der ganzen Schmach des Söldnertuums zeigen die Filme nichts.
Film eine Entschließung gefaßt, wonach er es ablehne, Filme vor Ein Berband der Lichtspieltheater hat zu dem Remarquca zuführen, durch die politische Streitigkeiten in das Publikum getragen werden. Wir ersuchen hiermit öffentlich den Verband der Lichtspieltheater um Auskunft,
ab sich diese Entschließung auch auf monarchische und militariffifche Filme bezieht, durch die das Empfinden der Republikaner verlegt wird,
Wenn die Herren eima erklären sollten, sie wüßten von solcherr
Filmen nichts, so wäre es Aufgabe der Repubftaner, ihnen zu zeigen, daß dem doch so ist. Bir halten zwar den Kampf mit zeigen, daß dem doch so ist. Wir halten zwar den Kampf mit weißen Mäusen, Bündschleichen und Stinkbomben nach wie vor Aber es gibt schließlich auch andere Mittel, um nicht für einen zulässigen Meimmgstampf, sondern für Lausbüberei
in wirksamer und würdiger Weise gegen die Vorführung solcher Filme zu profeftieren.
Es ist faum glaublich, welche Programme heute selbst in Arbeiter vierteln manche Lichtspieltheater zu bieten wagen, Glaublich aller dings so lange, wie die Arbeiter sich diese Vorführun gen gefallen lassen. Wir aber meinen: es müßte nur ein mal ein Anfang gemacht werden, dann würde sich sehr rasch zeigen, daß es in Berlin nicht nur Entrüftung der Kriegstreiber gegen wahr. heitsgemäße Darstellung des Krieges gibt, sondern daß die Entrüstung gegen verlogenen und byzantinischen Filmfitfch, gegen die verfilmte Geschichtslüge viel stärker ist.
Die Meinung der britischen Regierungspartei. London , 11. Dezember.( Eigenbericht.) Zu dem Berliner Rummel gegen den Remarque - Film schreibt der ,, Daily Herald":" Diese Ausschreitungen zeigen mit großer Klar heit den sehr gefährlichen Geisteszustand der deutschen Faschisten. Die Millionen Menschen, die in London den Film gesehen haben, miffen sehr gut, wie lächerlich die Behauptung ist, er sei deutschenfeindlich.
Ju Wahrheit sind die Nazis gegen den Film, weil er sich gegen den Krieg richtet, er ist in der Tat die beste pazifistische Propaganda, die wir seit Jahren hatten,
und barum murde er in London lebhaft begrüßt. Präsident Hindenburg mürbe gut tun, fich bem Berlangen nach dem Ber bot des Films zu miberfegen, benn menn ein solches Verlangen Erfolg hätte, so würde das einem zivilifierten Bolte wenig Kredit bringen!