Sr. 585* 47, Jahrgang
4. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 44. Dezember 1930
Eine Gipfelleistung. Lohnabbau von 25 Prozent.
Für die Hannoversche Metallindustrie ist von der nach dem Scheitern der Parteiverhandlungen eingesetzten Schlichter- kammer mit den Stimmen der Unternehmer ein Schiedsspruch gefällt worden. Der Spruch sieht wesentliche Verschlechterungen des Manteltarifs, namentlich in der Urlaubsfrage, vor. Der Tarif- stundenlohn soll um 3>- Proz. gesenkt werden, und als Aktordbasts der neue Stundenlohn mit einem Zuschlag von 20 Proz. gelten. Auf dieser Grundlage sollen auch die alten Akkorde neu geprüft werden. Die Neuregelung der tariflichen Zulagen für die Lohn- arbeiter müßte entsprechend der Kürzung der Akkorde enolgen. Der Schiedsspruch ist eine neue G i p f e l l e i st u n g des Lohn- abbaus. Nach außen hin ist der Abbau hübsch abgeblendet. Der Spruch bringt ja„nur" 3>- Proz. Lohnsenkung. Bei genauerem Zusehen zeigt sich jedoch, daß es sich hier in der Hauptsache um eine Senkung der Akkordverdienste handelt, und daß auch noch an den bisher gewährten tariflichen Zulagen erhebliche Abstrich« gemacht werden sollen. Wenn man die Verdienste der Akkord- arbeiter nach dem Spruch um mindestens 25 Proz. senkt, dann werden damit nicht nur SM Proz., sondern mindestens 18 Proz. den Lohnarbeitern abgezogen. Beim Urlaub will man die Höchstgrenze von 10 auf 8 Tage senken, die Metallarbeiter sollen etwa 25 Proz. ihrer Urlaubs- cntschädigung während der Urlaubszeit einbüßen. Zu alledem kommen noch rechtliche Einschränkungen, die allein schon eine Ab- lehnung des Schiedsspruchs notwendig machen. Der Schiedsspruch wird im Laufe der nächsten Woche den Aus- gesperrten zur Abstimmung vorgelegt werden. Sie dürsten ihn in einheitlicher Front ablehnen. Der Neichsarbeitsminister hat vor kurzem w Düsseldorf gesagt. daß er das Schlichtungswesen über diese kritischen Tag« hinaus
retten und erhalten wolle. Schlichter, die Schiedssprüche stllen wie den für die Metallindustrie Hannover , scheinen uns«her Toten- gröber als Retter des Schlichtungswesens zu sein. 6 proz. in der Hamburger Eisenindustrie Hamburg , 13. Dezember. Dom Schlichtungsausschuß Hamburg-Altona wurde gestern unter dem Vorsitz des Arbellsgerichtsdirektors Sundfeld in Sachen Verband der Eisenindustrie Hamburg gegen Deutscher Metallardeiteroerband Hamburg folgender Schiedsspruch gefällt: Die bisherigen tariflichen Stundenlöhne und die bestehenden Verdienst« ermäßigen sich um 0 Proz. Diese Regelung tritt in Kraft mit Beginn der Lohnwoche, in die der 1. Januar 1931 fällt. Sie gilt auf unbestimmte Zeit und kann unter Jnnehaltung der Kündigungsfrist eines Monats auf den Schluß eines Kalendcrmonats, erstmalig auf den 30. Jim: 1931, gekündigt werden. Oer kalte Lohnabbau. Arbeitsgericht in Köln untersagt ihn. Köln . 13. Dezember.(Eigenbericht.) In einigen Werken der Kölner Metallindustrie hatten die Unternehmer vor der Tariskündigung die Akkordlöhne um 7 bis 19 Proz. gesenkt; das war nach dem Tarifvertrag vom 17. Juli 1925 unzulässig und führte zu einer Klag« beim Kölner Arbeits- gericht. Das Gericht entschied, daß Lohnkürzungen für Akkordarbeit unterbleiben müssen, solange der Tarifvertrag vom 17. Juli 1925 in Kraft ist.
Die Naziklage vertagt. (Schlechtes(Schmierentheater der Hitlen'aner.
Die Sitzung des Arbeitsgerichts im Prozeß der Nazis gegen die i. wurde um 12�4 Uhr wieder eröffnet. Um über den Ab- lehnungsantrag der Kläger gegen Amtsgerichtsrat Richter zu entscheiden, hatte Amtsgerichtsrat Wawretzko den Vorsitz über- ncmmen. Er ersucht« den nunmehrigen Vertreter der Kläger . Malitz, den Ablehnungsantrag schriftlich zu begründen. Malitz stand hilflos da. Der Vorsitzende gab ihm die betreffenden Gesetzbücher und Kom- meutere und gewährte ihm eine Pause, damit er sich informieren und den Antrag abfassen könne. Nach einer Stunde war Malitz unter Mitwirkung mehrerer seiner Mitkläger mit dieier Arbeit fertig. Dann zog sich das Ge- richt zur Beratung zurück und erlchien um 2.25 Uhr wieder. Amts. gerichtseat Wawretzko verkündete den Beschluß, daß der Ab- lehnungsantrag der Kläger zurückgewiesen wird, da sich die von den Antragstellern angeführten Gründe noch«ingehender Prüfung als unzulänglich erwiesen Hadem Dann übernahm Amtsgerichtsrat Richter wieder den Vorsitz. Vor Eintritt in die sachliche Verlzandlung nahm Mnlitz der Wort zu einer Erklärung. Er behauptete, die BVG. habe„ein Roll- kommando hergeschickt", das die Kläger nach Schluß der Sitzung verfolgen solle. Flieger Hab« in der Pause dem Rollkommando entsprechende Anweisungen gegeben. Der Vorsitzende erklärt den ängstlichen Nazis, für polizeilichen Schutz aller Prozeßteilnehmer habe er von sich aus gesorgt. Heidenreich, Vertreter der BVG.: Die DVG. hat nur mich hergeschickt; ich bin kein Rollkommando, sondern Prozehoertreter S ch a e r(Verkehrsbund) bemüht« sich gleichfalls, die schlottern- den Nazis zu beruhigen. Eine Anzahl Wertstattarbeiter der BVG. seien aus eigenem Antriebe hergekommen, um zuzuhören und nötigenfalls ihren Kollegen Flieger vor Angriffen von national- sozialistischer Seit«, wie sie bei der letzten Verhandlung drohten, zu schützen. Damit war dieser Zwischenfall erledigt.— Dann beon« tragt« Malitz, die Verhandlung um mindestens acht Tage zu vertagen, da er jetzt nicht in der Lage sei, die Klage zu ver- treten, denn der zurückgewiesene Vertreter König habe das M a- terial mitgenommen. Das Gericht beschloß: Der Vertagungsantrag wird abgelehnt, weil er rechtlich und fachlich unbegründet ist. Die Kläger Malitz
und Herfurt haben ebenso wie König Prozeßvollmacht für alle Kläger . Sie waren also in der Lag«, sich über all« Einzelheiten des Prozesses zu informieren und konnten sich dos Material von König aushändigen lassen. Malitz erklärte hierauf, er leg« die Vertretung nie der. Nun beantragt« der dritte Vertreter der Kläger , Herfurt. gleichfalls, den Prozeß zu vertagen, er habe nicht die zur Vertretung der Klage nötige Gesetzeskenntnis. Das Gericht lehnte auch diesen Antrag ab, weil er nur der Ver» schleppung des Prozesses dienen solle. Hieraus legte auch Herfurt die Vertretung nieder. Nun gab der Vorsitzende den einzelnen Klägern der Reihe nach das Wort, um sich zur Klage zu äußern. Sie setzten das von ihren Vertretern begonnene Theater fort, erklärten, sie feien ohne Ver- treter nicht in der Lag«, ihre Sache zu führen und beantragten Verl tagung. Das Gericht beschloß, den Prozeß auf unbestimmte Zeit zu vertagen mit Rücksicht darauf, daß«in Teil der Kläger nicht anwesend sei, daß diese keine Kenntnis von der Mandatsnieder- legung ihrer Vertreter haben und ihnen Gelegenheit gegeben werden solle, für anderweitige Vertretung zu sorgen. Also die Nazis klagen. Wie es aber zur Klage kommt, kneifen sie. Sie bedrohen den Vorsitzenden des Betriebsrats tätlich und er- klären hinterher, sie fühlen sich bedroht. Die ganze Klage ist nichts als eine miserabel gespielte Komödie.
Die Arbeiiszeii bei der Reichsbahn. llebrrstunden und Kurzarbeit. Die Schlichtungsverhandlungen über die Neuregelung der Arbeitszeit sür die Reichsbahnbetriebe haben durch einen Schieds- spruch vorläufig ihren Abschluß gefunden. Dieser Spruch ist absolut ungenügend: die Gewerkschaften haben ihn daher bereits a b g e- lehnt. Die Hauptverwaltung hat ihn angenommen und für ihn Berbindlichkeitserklärung beantragt. Die beiden Parteien sind vom Reichsarbettsmimster für kommenden Montag zu Nachverhandlungen geladen.
Der Schiedsspruch besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil setzt die strittigen Tarifoertragsbestimmungen noch einmal unabge- ändert bis zum 15. Januar des nächsten Jahres in Kraft: der zweite Teil legt die achtstündige Arbeitszeit ab 16. Januar für eine Anzahl Dienstzweig« fest. Dabei handelt es sich in der Hauptsache um Eisenbahnousbesserungswerke, sowie um Bahnunter- hallung und ähnliche Dienstzweige. Die Entscheidung über die Dauer der Arbeitszeit für die Dienstzweige im Betriebs-, Verkehrs- und Bahnhofsdienst soll erst nach Besichtigung einzelner Dienststellen durch den Schlichter und die gesamte Schlichtungskammer bis Mitte Januar getroffen werden � Der Schiedsspruch kann beim Eisenbahnpersonal nur mit Kopfschütteln aufgenommen werden: denn die Hauptverwaltung droht sogar, in der nächsten Zell die Entlassungen einiger tausend Arbeiter durchzuführen, wenn ihr die Zustimmung der Tariforganisationen zu weiterer Kurzarbeit versagt wird. Also aus der einen Seite muß ein Teil der Eisenbahnarbeiter ständig Ueberstunden leisten, aus der anderen Seite muß kurz ge- arbeitet werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand, und das Eisen- bahnpersonal lehnt sich mit Recht dagegen auf, daß dieser Zustand verewigt wird. Metallindustrie voran. Tarifverträge für über eine Million gesündigt. .Aach einer Ausstellung des Deutschen INelollarbeiterverbandes waren am 30. November 193 Tarife gekündigt, die 1094928 Ar- beiter umfaßten. Bis zum 9. Dezember sind weitere 20 Tarifkündigungen eingelaufen. Inzwischen gehen die Kündigungen weiter. Gestern wurde uns ans Herbao die Kündigunng des Lohnlariss der Metallindustrie de« Handelskammerbezirks Dillenburg gemeldet, wo etwa 7000 Arbeiter hauptfächlich in der Ofenindustrie beschäslig! werden. Bis Milte Dezember dürfte die Zahl der Arbeiter, für die die Tarif- vertrage gekündigt find, auf nahezu 1� Millionen angewachsen sein. And dies nur in der Metallindustrie 1 Aber auch die Unternehmer der anderen Zudustrien und de» Handels nutzen die Siegerwald-Konjunktur ans. Eine solche Ge- legenheil, den Binnenmarkt völlig zu ruinieren, findet sich nie wieder. Und wo es gilt, eine Wirtschaftskrise zur Katastrophe zu treiben, find unsere Unternehmer immer dabei. Die Metall- Industriellen natürlich an der Spitze.
Auch die Gemeinden kündigen. Dresden , 13. Dezember.(Eigenbericht.) Der Ärbsitgeberverband sächsischer Gemeinden hat dem Gesamtoerband die Kündigung der Lohnverein- bar.ung für die sächsischen Gemeindearbeiter zugestellt. Am 31. Januar 1931 läuft die Vereinbarung ab. Der Arbeitgeber- verband glaubt, mit dipser Maßnahme die schwere Finanznot der Gemeinden lindern zu können. Da sich der Arbeitgeberverband mit seiner Kündigung auf die den Beamten zudiktierten Gehalts- kürzungen beruft, kann man sich das Ausmaß der von ihm beabsichtigten Lohnsenkung einigermaßen vorstellen. In zahlreichen Gemeinden ist die wöchentliche Arbeitszeit der Gemeindearbeiter stark gekürzt worden, weil angeblich die Mittel der Gemeinden zur vollen Beschäftigung der Arbeiter nicht ausreichen. Zu diesem Derdienstausfall nun beabsichtigt der Arbeitgeberverband eine Ten- kung der Lohnsätze. Warum wird bei Bolle gestreikt? »Nicht die geringste Veranlassung"- sagt die Firma. Die Meierei Bolle A.-G. ist bestrebt, in der Oeffentlichkeit den unangenehmen Eindruck zu verwischen, den der durch ihr Verhalten heraufbeschworene Streik hervorgerufen hat. Während die Firma in den Schlichtunzsverhandlungen ihr« Belastung durch die Milch- preis fentung mit einem Pfennig je Liter angegeben hat, sind aus dem einen Pfennig jetzt„etwa 1,7 5 Pfennig" ge- worden. Zum Schluß wird behauptet: „Die Gewerkschaften haben am gleichen Tage, an dem die Ablehnung des Schiedsspruches verkündet wurde, den Streik be- schlössen und durchgeführt. Hierzu lag u. E. nicht die g e- ring st e Veranlassung vor. da wir die bisherigen Löhne weiterzahlten und uns ausdrücklich zu weiteren Verhandlungen nach Abschluß des Scklichtungsoerfahrens bereit erklärt hatten. Es handelt sich daher oei dem Streik nur um eine Macht- prob«. Solchen gewaltsamen Methoden müssen wir, auch im Interesse unserer langjährigen Kundschaft, entgegentreten..." Um das offenbar schwache�Gedächtnis der Firma zu stärken, sei sie zunächst an das Schreiben des Gesamtverbandes an sie, kurz vor der Verhandlung beim Schlichter, erinnert, die bisherigen Löhne bis 31. März bestehen zu lassen. Während der Verhandlungen