Morgenausgabe
Nr. 589
A 296
47.Jahrgang
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Mittwoch
17. Dezember 1930
disnis di Groß- Berlin 10 Pf.
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Diskutieren wir! Diskussion schafft Aufklärung. Das war der Landtagsabgeordnete Schwecht- gestern
Generalstreif und Aufruhr überall/ Nur Madrid noch in der Hand der Regierung. mittag ging er lebendigen Leibes in die Unsterblichkeit ein. In
London , 16. Dezember.( Eigenbericht.) Die letzten in der Dienstagnacht in London eingetroffenen privaten Nachrichten sowie die Meldungen des Reuterbureaus aus Madrid lauten für die spanische Regierung sehr ungünstig. In verschiedenen spa nischen Häfen haben sich die Kriegsschiffe der revolutionären Bewegung angeschlossen. Da jedoch die Regierung immer noch den Ernst der Lage leugnet und strengste 3ensur ausübt, ist das Aus maß der Marinerevolte nicht zu überprüfen.
über die Straße gehen. Sämtliche Hauptplätze der Stadt sowie der Bahnhof und alle öffentlichen Gebäude find mit starken Militärtruppen bescht. Die Lebens mittelläden müssen durch Maschinengewehre beschützt werden, da die Bevölkerung Lebensmittel mangel befürchtet und bereits am Montag fast sämtliche Läden ausgekauft hat.
Auf den Banken werden ununterbochen Geld. depots abgehoben.
Im Norden und Süden des Landes stehen verschiedene Madrid verhaftet und stundenlang vernommen. Darauf ließ Die Gattin des Majors Franco wurde am Dienstag in
Provinzen in hellem Aufruhr. Es hat den Anschein, als hätte sich der Generalstreik, der sich am Montag auf verschiedene Städte erstreckte, über die gesamte Provinz ausgebreitet. Nur in Madrid scheinen die Regierungstruppen die Lage noch fest in der Hand zu
haben.
Besonders verzweifelt ist die Situation in Bar celona; mehr als zwei Personen dürfen dort nicht
man sie jedoch wieder frei.
Die portugiesische Regierung erklärt die auf ihr Gebiet geflüchteten spanischen Flieger als politische Gefangene, die interniert worden sind. Insgesamt sind neben dem Major Franco noch drei andere Flieger auf portugiesischem Boden gelandet, die mit roten Fahnen angeflogen tamen.
( Weitere Meldungen auf der 3. Seite.)
Komplizen der Brester Folterknechte
Pilsudski Mehrheit deckt alles
Warschau , 16. Dezember.( Eigenbericht.)
In der heutigen Gejmsigung begründete der Oppositionsabgeord nete Nowodworski, Vorsitzender der Warschauer Anwaltsfammer, einen Dringlichkeitsantrag auf Bestrafung aller Offiziere und sonstigen Mitschuldigen an den Mißhandlungen der in Brest - Litowst eingeferferten Oppofitionspolitiker; diese Folter knechte müßten aus dem Staatsdienst entfernt werden, denn sie seien
Die Regierungsmehrheit hatte den Redner fortgesetzt unterbrochen und schickte nun den Chefredakteur Oberst Koc vor, der sich nicht schämte zu behaupten, den Gefangenen in Brest sei gar nichts geschehen, was dadurch bewiesen wäre, daß sich keiner von ihnen beschwert hätte! Dabei weiß jedermann, daß eine Bejd werde nur neue Mißhandlungen zur Folge gehabt hätte; überdies ist der eigentlich Verantwortliche, der Staatsanwalt Michailowski zum Lohn für all diese Schandtaten jetzt Justizminister! Als Roc ironisch von den angeblichen" Mißhandlungen Sprach,
rief der sozialistische Fraktionsvorsitzende Barlizki in höchfter Erregung:„ Ich bin gefchlagen worden, mich hat man gefoltert und ausgehungeri!"
Die Mehrheit lehnte die Dringlichkeit des Antrags ab, ebenso bei einem weiteren Antrag des Sozialisten Capinsti auf Freilassung der noch in Brest - Litowst zurückgehaltenen Abgeord neten, darunter der beiden Sozialisten Dubois und Ciolkofz. ( Beide haben voriges Jahr in Berlin öffentlich für die deutschpolnische Verständigung gesprochen.) Als Capinsti noch weiter über Brest - Litowst sprechen wollte, schrie ihn die Mehrheit nieder, worauf er sein Beweismaterial dem Sejmmarschall schriftlich übergab. Da
nach wurde u. a. auch berichtet, daß der be
Sozialist Dr. Liebermann schon auf dem Autotransport so fürchterlich geschlagen wurde, daß er in Brest ohnmächtig einfraf.
Eine Gruppe Hochschulprofessoren und Juristen haben dem Krakauer Rechtsgelehrten Prof. Krzyzanowski einen Brief geschickt, der ihn auffordert, im Interesse des Ansehens der polnischen Republik im Auslande ungesäumt für Aufklärung der Beschuldigungen gegen die Brester Kerterleitung und für die Bes strafung der Schuldigen einzutreten. Der Adressat gehört dem Parlament als Regierungsabgeordneter an.
Poincarés Zustand gebessert.
Keine unmittelbare Gefahr mehr? Paris , 16. Dezember.( Eigenbericht.)
Im Zustand des ehemaligen Ministerpräsidenten Poincaré scheint im Laufe des Dienstag eine wesentliche Besserung eingetreten zu sein. Ein amtliches Kommuniqué erklärt, daß sein Befinden befriedigend sei. Mehrere der Besucher, die im Laufe des Tages in der Wohnung Poincarés vorgesprochen haben,
Rette sich, wer fann. Börsenpanit infolge misverstandener Kriminalstatistit. Paris , 16. Dezember.( Eigenbericht.) Justizminister Chéron hat am Dienstag einen schweren
Schlag gegen die Pariser Börse geführt. Kurz vor der Eröffnung der Börsensizung veröffentlichte er ein Rommuniqué. in dem mitgeteilt wird, daß bisher 181 Bantiers und Finanzleute allein in Paris unter Antlage gestellt und 35 davon verhaftet worden seien. Die lakonische Fassung dieses Kommuniqués wurde von den aufgeregten Börsenbesuchern dahin ausgelegt, als sei im Laufe des Dienstagvormittag eine riesige Razzia unternommen worden. Später stellte sich durch eine Berichti gung des Justizministeriums heraus, daß es sich lediglich um eine Gesamtstatistit über die Tätigkeit der Justiz bei den letzten Börsen- und Finanzskandalen handelt.
Das Altonaer Schwurgericht hat gestern im sogenannten kleinen Bombenlegerprozeß folgendes Urteil gefällt: Dr. Hellmann wird zu 5 Jahren und 1 Monat und v. Wilamowih. Möllendorf zu 5 Jahren 3uchthaus, Hambrod zu 1 Jahr Gefängnis( unter Anrechnung von 7 Monaten und 3 Wochen Untersuchungshaft) verurteilt. Hoch erhält wegen Beihilfe 1 Jahr Gefängnis unter Anrechnung von 2 Monaten und 2 Wochen Untersuchungshaft.
Große
einem späteren Büchmann wird man lesen:
,, Gott sei Dant, nicht!" Antwort des deutschnationalen
Abgeordneten Schwecht in der Sigung des Preußischen Land tags vom 16. Dezember 1930 auf eine Frage, ob er denn den von ihm in Grund und Boden verurteilten Film 3m Westen nichts Neues" auch selber gesehen habe. Seitdem heißen im Volle Leute, die ohne jede Tatsachenkenntnis darauf losschwadronieren Herren von Gottfeidantnicht".
Ja, Herr Schwecht wird unsterblich werden, denn er ist
gemein gültigkeit. Er ist ein deutscher Nachkriegstyp, klassieine Erscheinung von zeitlich und räumlich begrenzter- A11scher Repräsentant eines ahnungslosen Maulheldentums. So wie dieser Schwecht sind Tausende und aber Tausende. Sie fchwadronieren, poltern drauflos, verdonnern- bloß sind sie zumeist etwas weniger ehrlich als Herr Schwecht, sonst müßten sie alle auf die Frage, ob sie sich denn jemals mit den Gegenständen ihrer Entrüstung ernstlich beschäftigt hätten, die Klassische Antwort des Herrn Schwecht erteilen: Gott sei Dant, nicht!" med vodu chore
Gestern abend hat der Rundfunk ein Gespräch zwischen dem nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Feder und dem sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Prof. Nölting hören lassen. Ein löbliches Beginnen, das am 3. Januar fortgesetzt werden soll!
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Hätten wir schon das dritte Reich, wäre alles viel einfacher. Da gäbe es teine Diskussionen und feine Debatten. Allen unbequemen Fragern wäre wie das heute schon in Italien und Rußland ist. der Mund gestopft. Lebten mir schon im dritten Reich, so wäre dem Herrn Schwecht bestimmt nicht das Malheur passiert, auf seine Weise unsterblich zu werden. Und auch Herr Feder hätte es nicht mehr nötig hoffentlich millionenfach gehört worden ist. Im dritten Reich gehabt, sich so millionenfach zu blamieren, wie er gestern hoffentlich millionenfach gehört worden ist. Im dritten Reich hätte er den Professor Nölting ganz einfach einsperren lassen und hätte allein geredet.
Wer also begreift nicht die Wut der Schwecht und Feder auf die faule Demokratie?
Nur die Demokratie im Rundfunk konnte Herrn Feder dazu verleiten, vor aller Welt die stammelnde Un= miffenheit des führenden" nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretikers zu entblößen. Diese Demokratie hat aber zugleich auch nützliche Aufklärung geschaffen, indem sie vor aller Welt den unverschämtesten Schwindel des 20. Jahrhunderts aufplaten ließ, nämlich den Schwindelvom Sozialis= mus der Nationalsozialisten.
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Was ist der ,, Sozialismus" des Herrn Gottfried Feder ? Nichts anderes als das alte Harmonieaposteltum der Bastiat und Schulze Delizsch, verschönt durch eine Schimpferei über die zu hohen Zinssäße. Daß die Bewegung des Zinsfußes den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft folgt und nicht umgestellt werden kann ohne Aufhebung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung selbst, ist eine Wahrheit, zu der er noch nicht vorgedrungen ist. Für ihn beginnt der Sozialismus bei 5 Broz. Zinsen. Was Wunder, daß es heute unter den Unternehmern, Handwerkern, Landwirten usw. so viele Sozialisten" gibt? 30 Das sind Leute, die glauben, daß Herr Feder den Zinsfuß senten kann, und die erst später einmal bemerken werden, daß fie die Geprellten sind.
Kundgebung!
al
Aber die Arbeiter, die Angestellten, die ungeheure breite Masse der Lohn- und Gehaltsempfänger? Sie lehrt jeder Rückblick auf die Wirtschaftsgeschichte, daß der Grad der Ausbeutung durchaus nicht gleichbedeutend ist mit der Höhe der Zinsen, die ein Unternehmer für geliehenes Kapital zu be=
gegen Kulturreaktionablen bat, und daß Zeiten niedrigen Zinsfußes oft zeiten
und Kriegsgefahr
Kim
C
schlimmster Ausbeutung und Unterdrückung gewesen sind. Sie stehen jeden Tag vor der brutalen Tatsache des Klassen= Ctampfes, den Herr Feder genau so wie alle anderen Lohnfchreiber und Lohnredner des Kapitals für eine boshafte Erfinbung des Marrismus hält.
1 am Sonntag, dem 21. Dezember 1930, mittags 12 Uhr, auf der großen Wiese im Humboldthain. Redner: Clara Bohm- Schuch , Arthur Crispien , Hermann Harnisch, Kurt Heinig , Carl Litke, Dr. Kurt Löwenstein, Otto Meier.
versicherten, daß die Familienangehörigen wieder Hoffnung Parteigenossen!
geschöpft hätten. Kriegsminister Barthou betonte, daß man die peffimistischen Gerüchte über das baldige Ableben Poincarés un bedingt dementieren müsse.
Nölting ist ein höflicher Marrist. Es war zu höflich, Feder zu fragen, ob er denn auch nur eine Zeile von Marg gelesen habe. Wie sonst hätte die Antwort, wenn sie bei der Bahrheit blieb, lauten können als Gott sei Dank, nicht!"
Das peinliche Gebiet wirtschaftstheoretischer Probleme fliehend, vollzog Feder den rettenden Durchbruch in das Reich der gewohnten Schlagworte. Indem der Marrismus den Klaffenkampf predige, zerreiße er die Nation und mache sie unfähig,
Sorgt für Massenbesuch! faig, ren nationalen Arbeitsplatz zu behaupten.