Beilage
Montag, 22. Dezember 1930
Franke:
Automatisierter Fernsprecher
In ganz Deutschland , ja in der ganzen Welt wird an der Automatisierung des Fernsprechwesens gearbeitet. Dadurch, daß der eine Teilnehmer sich mit dem anderen auf rein mechanischem Wege ver= binden kann, werden die menschlichen Arbeitskräfte, die bisher in den Fernsprechämtern die Berbindungen vermitteln, in großem Umfange überflüssig. Im Durchschnitt kann man rechnen, daß etwa 90 Pro 3. der Fernsprechbeamtinnen durch den automati= schen Fernsprechbetrieb erwerbslos gemacht werden.
Die Automatisierung des Fernsprechwesens hat sich als ein recht gutes Geschäft für die Schwachstrom industrie, d. h. in allen Ländern nur für einige menige Konzerngruppen, erwiesen. Nachdem in den ersten Jahrzehnten nach der Erfindung des Telephons ein starter Bedarf zu befriedigen war und überall die Fabritationsanlagen von Jahr zu Jahr erweitert werden mußten, it in der legten Zeit eine gewisse Sättigung des Bedarfs erreicht, und die Verbreitung des Fernsprechwesens nimmt verhältnismäßig in den meisten Ländern viel langsamer zu als früher. Hier bot mm die Automatisierung der Schwachstromindustrie einen sehr erwünschten Ersatz. Bei vielen Telephonbaufirmen liegt denn auch der Schwerpunkt weniger in der Anlage neuer Anschlüsse als im Automatisierungsgeschäft.
Einige Zahlen mögen diese Entwicklung veranschaulichen. Im Deutschen Reich früheren Umfangs vermehrten sich die Fernsprechanschlüsse von 1907 bis 1913, also innerhalb von nur sechs Jahren, von 766 000 auf 1387 000, d. h. um über 81 Broz. In dem ebenso langen Zeitraum von 1923 bis 1929 stieg die Zahl von 2 242 000 auf 3 182 000, d. h. um nicht ganz 42 Proz. Diese Verlangsamung der Fernsprecherverbreitung ist in allen industriell entwickelten Ländern festzustellen. Dabei ist es jedoch interessant, mie diese Entwicklung sich überall nach dem jeweiligen Wohl= st and richtet. Das Bedürfnis, fich telephonisch über die Marktlage, über die Preise von landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln usm. zu informieren, besteht 3. B. für den deutschen Bauern nicht weniger afs für den dänischen oder amerikanischen ; und ein deutscher Arbeiter oder Angestelltenhaushalt mürbe den Einbau eines Fernsprechers für geschäftliche und persönliche 3wede nicht weniger be quem finden als etwa der amerikanische . Die Pragis aber sieht so aus:
In Dänemark entfielen 1929 auf je 1000 Einwohner 94 Fernsprechanschlüsse, in Schweden 79, in Norwegen 66, in der Schweiz 61, in Kanada 137, in den Vereinigten Staaten 163, in Australien 76 und in Neuseeland 102, in Deutschland dagegen nur 46, in Großbritannien 38 und in Italien gar mur 8. Diese Ziffern entstammen der Statistik der größten Telephonbetriebsgesellschaft der Welt, der American Telephone and Telegraph Company. Daß Länder non so gewaltiger Ausdehnung und von so geringer industrieller Entwicklung mie Chino, Indien , ja auch Somjetnußland nur eine recht geringe Bet breitung aufmeisen in China auf je 10 000 Einwohner im Durch schnitt erst 4 Apparate ist ja verständlich; daß aber z. B. in Schweden der Fernsprecher etwa zwölfmal so zahlreich zu finden ist
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mie in Italien , zeugt in erster Linie von der Armut der italienischen Bevölkerung.
Wie gesagt, hat die Automatisierung der Telephonbaufirmen einen Ersatz für die eingetretene Berlangsamung der Verbreitung gebracht. Im letzten Borkriegsjahr beliefen sich die automatisierten Anschlüsse in Deutschland nach Angaben der Reichspost auf 18 700, 1927 bereits auf 482 000. Von 1927 bis 1928 stieg ihre Sahl um fast weitere 230 000, nämlich auf 711 000. 1929 hat fich der Zuwachs etwas verlangsamt: Ende des Jahres maren von 1,9 Millionen Hauptanschlüssen 902 000 auf automatischen Betrieb umgestellt, d. h. fast 47 Broz. Zur Zeit dürfte bereits weit über die Hälfte aller deutschen Fernsprechanschlüsse automati siert sein. Nehmen wir eine jährliche Zunahme der automatischen Fernsprechanschlüsse um 200 000 bis 250 000 an, so würde in späte= stens 5 Jahren die Automatisierung in Deutschland abgeschloffen sein.
Die Umstellung ist in Deutschland rascher vorwärt gegangen als in den meisten anderen Ländern. In den Bereinigten Staaten gab es z. B. Ende 1929 innerhalb des oben erwähnten Telephonfonzerns 15,4 Fernsprechanschlüsse, wovon nur etwas mehr als ein Biertel( rund 4 Millionen) automatisiert maren. Zurzeit werden überall, in China , in Australien , in Osteuropa die Großstadtfernsprechsysteme auf automatischen Betrieb umgestellt; um dies Geschäft hat sich zwischen den großen Telephonbaufirmen Deutsch lands , Großbritanniens , Schwebens und der Vereinigten Staaten ein scharfer Wettbewerb entwickelt. Angesichts des schnellen Tempos, in dem diese Entwidlung verhältnismäßig unabhängig von der internationalen Wirtschaftskrise betrieben wird, fann man überall den Zeitpunkt absehen, wo alle größeren Telephonnezze restlos umgestellt sein werden. Mas darf mohl hiermit die Bemühungen der großen Schwachstromfonzerne in Verbindung bringen, den heutigen Fernsprechapparat mit BildempfangsFernschreibevorrichtungen zu versehen.
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oder
Benig bekannt ist die Tatsache, daß zum automatischen Fernsprechbetrieb erheblich größere Strommengen verbraucht werden als zum Handbetrieb. Hierüber machte in einer großen Fachzeitschrift vor einigen Monaten Dr. E. Feyerabend, Staatssekretär im Reichspostministerium, interessante Mitteilungen. 1929 wurden in Deutschland für sämtliche Fernsprechanlagen etwa 11,5 Millionen Kilowattstunden verbraucht. Hiervon entfielen auf die automatischen Anlagen, die mur etwa die Hälfte der Gesamtzahl darstellten, nicht weniger als 10,2 Millionen Kilowattstunden. Man rechnet damit, daß der Strombedarf der Selbstanschlußanlagen bis 1938 auf das Dreifache des Betrags von 1929 mächst. Beim Selbstanschluß wird mit 60- Bolt- Spannung gearbeitet gegen 20 Bolt beim Handbetrieb. Zu den obengenannten 3iffern tommt noch der Stromper brauch der Berstärkerämter, der sich 1929 auf etwa 5,5 Millionen Kilowattstunden bezifferte. Im vergangenen Jahre murden also für den deutschen Fernsprechperfehr immerhin schon 17 Millionen Kilowattstunden verbraucht. Man ersicht aus diesen 3iffern, wie auch schwachstromtechnische Anlagen, wie der Fern sprechbetrieb, durch seine Massennerbreitung insgesamt zu ganz an fehnlichen Stromverbrauchsziffern führt. Eine Erklärung finden diese hoch erscheinenden Zahlen, wenn wir uns vor Augen halten, daß 1929 in Deutschland faft 2,6 milliarden Telephongefpräche geführt worden sind.
Neben der Elektroindustrie sind also auch die Elektrizitätswerte Margnießer der Umstellung des Fernsprechwesens auf Selbst anschluß. Die einzigen Leistragenden sind die arbeitslos werdenden Beamten und Beamtinnen, die den Arbeitsmurft mit einer insgesamt nach Tausenden zählenden Siffer belasten.
Job Der Abend
Ventego
Tragödie eines Vorbestraften
Dr. A. G., alias Bentego, hat sich vor einigen Tagen das Leben genommen. Als ich ihn fennenlernte, verbüßte er eine längere Freiheitsstrafe mit einem philosophischen Gleichmut, der staunenswert war. Es schwebten auch noch mehrere Verfahren gegen ihn, weil er in Hannover als Affeffor aufgetreten war und einige Menschen petuniär geschädigt hatte.
Eine Entführung und eine Zuchthausrevolte. Aus mittleren Kreisen stammend hatte er ein vorzügliches Referendareramen bestanden und bereitete sich zum Assessor vor. Da verliebte sich der kleine schwarzhaarige, grazile Mann, wie man das ja häufig findet, in das gerade Gegenteil, eine roiblonde Rembrandt - Schönheit, deren Eltern ein sie gut nährendes Gemüsegeschäft betrieben. Es tam zur Entführung. Die junge Dame war gar nicht einmal mehr so jung, wenn ich mich recht erinnere, trennten sie nur noch wenige Monate von der Erreichung der Volljährigkeit. Dieser Vorfall liegt 10 bis 20 Jahre zurüd. In Wien , wo Romeo und Julia die erste Station gemacht hatten, murde Bentego damals hieß er noch anders auf Antrag des empörten Baters verhaftet. G. schwur tausend Eide , daß er das schöne Mädchen, seine erste, wirkliche Liebe, in London hätte heiraten wollen.
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Man steckte Glücksmann sofort ins 3uchthaus, ihn, einen gänzlich unbestraften, jungen Juristen, wegen Entführung einer 19jährigen Minderjährigen. Er behauptete, daß ein antisemitischer Richter an dieser rigorosen Härte schuld gewesen sei. Und damit war es um ihn geschehen. Zuchthaus war nämlich vor einem Dezennium noch etwas anderes als heute, wenigstens manche Zuchthäuser, und er wurde in das strengste gestedt, das es damals gab.
Ich will hier nicht mehr davon sagen, sondern nur schildern, mie es weiter geht. Ein so starter, auch fühner Geist konnte nicht brach liegen. Er wurde in eine ganz gefährliche Zuchthaus. brach liegen. Er wurde in eine ganz gefährliche Zuchthaus revolte vermidelt und ist wohl das unerfannt gebliebene geistige Haupt damals gewesen. Er spielte auch eine große Rolle in dem betreffenden Strafprozeß gegen die Empörer, der damals das größte öffentliche Interesse erregte..
Schließlich hatte er doch seine Strafe abgebüßt und stand dann als Vorbestrafter, verstoßen von seinen Eltern, ganz mittellos, wieder im Freien. Er versuchte sich als Journalist, fam nicht weiter und sofort wieder auf die schiefe Ebene und aus den Strafen nicht mehr heraus. Ich glaube, er hat mindestens drei Viertel feines bemußten Lebens hinter Gefängnismauern zugebracht. Das Band, das ihn mit dem Leben verknüpfte, war die kameradschaftliche Liebe das ihn mit dem Leben verknüpfte, war die fameradschaftliche Liebe einer gebildeten Frau, die ich übrigens fennenlernte, und die ihm nor einem Jahr in die Ewigteit poranging. Bielleicht ist dieser Verlust des einzigen Menschen, der an ihn je glaubte, der ihn liebte, der Hauptgrund feines frühen Todes gewesen. Er mochte sich ihrer Treue erinnern, die ihm erhalten blieb, durch die ganze bittere
Gefängniszeit hindurch, an ihre zahllosen Briefe, Unterstützungen und Liebesbemeife, er mochte vielleicht erst nach ihrem Tode voll ertennen, wie starf das Aequivalent an Glück durch die Zuneigung dieser Frau war, daß ihm die Vorsehung zum Ausgleich fo viel dramatisch Schweren geschenkt hatte.
Nach den Presseberichten fonnte es den Anschein haben, als menn Glücksmanns Glanzpunkt jenes Hungertünstler episodchen gewesen sei. Man hat gar nicht gewußt, mer er
Dr. Arnold Marx:
Nachtrag zu einem Porträt
immer
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In Bülows Denkwürdigkeiten ergreift mohl zum legtenmal ein Tatzeuge das Wort zu der berüchtigten„ Daily Telegraph . Affäre. Wie nicht anders zu erwarten war, bringt aber auch dieser unaufrichtige Mund keine wirkliche Klärung. Bülom fügt wie am infamften verleumdet er hier den Staatssekretär des Auswärtigen Schoen, der das Manuskript gelesen und eigenTagen( bis zum 7. Oktober) auf Urlaub! Selbst wenn also seine händig paraphiert haben soll; dabei war Schoen in den entscheidenden Krankheit am 30. Oktober wirklich nur, diplomatija)" gewesen wäre, man könnte es verstehen, daß er nicht eine Sache vertreten wollte, an der er vollkommen unschuldig war. Aber auch sonst lassen sich, nach dem unwiderleglichen Zeugnis der Aften des Auswärtigen Amts, Bülow mehrere handgreifliche unwahrheiten nachweisen.
1. Er will dem Auswärtigen Amt strikte Weifung gegeben haben, den Artikel auf feine Wirkung auf das sorgfältigste zu prüfen". Aber gerade das hat er nicht getan. Die entscheidenden Worte ,, auf feine Wirkung" fehlen in seinem Schreiben. Und da ausdrücklich Befehl gegeben worden war, das Auswärtige Amt nicht mit der Sache zu befassen, durfte der stellvertretende Staatssekretär annehmen, der Reichskanzler hätte die Wirkung selbst geprüft, und er folle nur die Einzelheiten des Interviews auf ihre fachliche Richtigkeit unter suchen. Bülows Behauptung, der von dem vortragenden Rat Klehmet erstattete Bericht hätte dahin gelautet, daß das Manustript nichts Bedenkliches enthielte", ist eine glatte Erfindung: es steht nichts in dem Bericht, was irgendwie so gedeutet werden könnte.
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3. Bülow bezeichnet als eines der drei horrenda" des Interviews, daß der Kaiser über die russisch - französische Aufforderung an Deutschland zu einer gemeinsamen Intervention während des Burenfrieges spricht. Aber gerade in diesem Punkt hatte Klehmets Bericht eine Aenderung vorgeschlagen( der Reiser hatte nämlich sogar von einer damaligen Drohung, Deutschland werde England mit den Waffen gegen Rußland und Frankreich beistehen, gefaselt), diefer Vorschlag war von Bülow wörtlich an den Kaiser weiter gegeben worden, er wußte demnach mindestens, daß von dieser Sache in dem Interview die Rede war. Wenn er alfo das Monusfript zuerst, am 2. Oktober, nicht gelesen hat, fo hätte er es nach der Rüdfendung durch das Auswärtige Amt am 6. Ottober nachholen müssen zumal Schoen verreist war und der stellvertretende Unterstaatsfekretär Stemrich nach Bülows eigenen Worten erst furze Zeit im Amt, den Fall nicht genügend übersehen fonnte".
4. An diesem 6. Oftober lag das Interview ihm auch zweifels. frei in Maschinenfchrist vor, so daß die Ausrede, das Mann fript sei ganz unleserlich gewesen, nicht gelten fann abgesehen davon, daß nach übereinstimmendem Zeugnis aller anderen das Manuskript schon aus England in deutlicher Maschinenschrift, abgesandt worden mor.
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Snätausgabe des vorwäre.
war. Ich weiß es besser und halte es für richtig, der Deffentlichkeit nicht vorzuenthalten, was ich von ihm weiß.
ABC.
Glücksmann hat sich in den langen Jahren der Haft, auf der Basis seines Studiums er hat übrigens auch promoviert, aber, das Recht, den Doktortitel zu führen war ihm, so viel ich weiß, entzogen abgründig tiefe juristische Kenntnisse angeeignet. 21s Buchbinder beschäftigt( im Zuchthaus), war ihm eine große juristische Bibliothek zur Ausbefferung übergeben worden, und jahre long war dies die einzige Quelle seiner geistigen Nahrung. Später trieb er Sprachstudien, vor allem Esperanto. Er hat mehrere talentierte Theaterſtüde geschrieben, hat sich als Dichter betätigt, und gar nicht einmal schlecht, fein geschliffene Satiren verfaßt und Kurzgeschichten aller Art geschrieben. Ich habe fast alles das fritisch gelesen. Er ist jedenfalls der beste Germanist gewesen, der mir in meinem ganzen Leben direkt und indireft begegnet ist. Sein Sprachgefühl mar unbeirrbar, und sein Stil suchte seinesgleichen, wenn er vielleicht auch manchmal etwas überspitzt erschien. Doch alles wurde überstrahlt von seiner juristischen Be gabung. Es fam dann vorwiegend auf meine Anregung dazu, daß er als Niederschlag seiner eigenen Erfahrungen, unter dem Pfeudonym Dr. Felsart, das ABC des Angeklagten" schrieb. Den pädagogisch- medizinischen Anhang dazu verfaßte ich und war natürlich auch intensiv besonders bei psychologischen Fragen mit an der Abfassung des juristischen Teiles betätigt. Dieses Buch erschien zunächst in einem kleinen Verlag, und furze Zeit später war die Sensation da. Nicht nur, daß der letzte Artikel des verstorbenen Sling, den man nachträglich ungedruckt in seinem Schreibtisch fand, eine Besprechung dieses ABC des Angeklagten“ und was für eine Besprechung--, sondern der Reichsgerichtspräsident Dr. Simon ging in einem Leitartikel des„ Berliner Tageblatts", Nr. 265, 1928, ganz ausführlich auf das„ ABC des Angeklagten" ein, und sparte nicht mit wärmster Anerkennung.
mar
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Nach dieser hervorragenden Kritik haffte er mir, daß auch die materielle Basis für Glücksmann erwachsen werde zu künftigem, einigermaßen forgenlosem Leben und weiterem Schaffen. Doch es sollte anders kommen. Die Verbindung mit dem ersten Verlag wurde gelöst, der Absatz stockte. Rechtsstreitigkeiten verzehrten Zeit, Nerven und die geringen Einkünfte. Ich habe wiederholt dann noch geholfen so gut ich konnte. Es fand sich ein zweiter Verlag. Bei der Güte und dem inneren Wert des ABC des Angeflagten" gelang dies, selbst in den heutigen, für die Schriftsteller so ungünstigen Beiten. Glüdsmanns Lebensschiff wurde wieder für eine Zeitlang flott, und ich hörte dann nichts mehr von ihm, sah ihn nur einmal, anscheinend in günstigen Lebensumständen, flüchtig wieder.
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und nun diefes plögliche, tragische Ende. Gewiß ist unsere Zeit humaner als die vor 20 Jahren, und doch, das Los der Vorbestraften ist auch heute noch fürchterlich. Nicht nur das Schwert des Damokles, das über ihni hängt, wenn er rüdfällig wird, doppelt
hart bestraft zu werden, nein, denn das wirkt ja abschreckend, sondern die nohezu vollständige Unmöglichkeit, tro oft überragender Begabung, Leistungen und besten Willens, wieder in die Reihe der von ihrer Arbeit erträglich lebenden Menschen eingestellt zu werden, darin liegt die entsetzliche Tragif. Darum hielt ich es doch für wichtig, am Beispiel dieses unglücklichen Menschen aufzuzeigen, mie die Gesellschaft sich selber oft gründlich schädigt, indem sie Hoch begabte zugrunde gehen läßt.
5. Bülow will mit der Wolfffchen Depesche über das Interview vor eine vollendete Tatsache gestellt worden sein. In Wirklichkeit hatte der Pressechef Hammann auf eine diesbezüg
liche Anfrage von Wolff vorgeschlagen, die Veröffentlichung zuzu lassen, da die Sache doch nicht unterdrückt werden fönne, aber ausDaily Telegraph zu überlassen. Erst durch die trotzdem ohne Zudrücklich die Richtigkeit anzuzweifeln und die Verantwortung dem fat erfolgte Beröffentlichung erhielt das Interviem den Charakter
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absoluter Authentizität.
6. Wenn Bülow sich zu dem Irrtum befennen würde, daß er
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bis zu dem Sturm, der der Veröffentlichung folgte, der ganzen Ange legenheit keine Bedeutung beigemessen hätte, so würde man ihn ohne weiteres entschuldigen. Aber mit seiner widerwärtigen Eitelkeit, die nie ein Unrecht zugeben tann, behauptet er, er habe den ihm damals rom Auswärtigen Amt in Nordernen zugeteilten Gesandten von Müller ,, wiederholt auf die Wichtigkeit der Sache aufmerf fam gemacht" was dieser stritt leugnet, doch sicher mit Recht; fam gemacht" andernfalls hätte Bülow wohl die zehn Minuten gefunden, um das Manuskript selbst durchzusehen. Auf noch schwächeren Füßen steht die Behauptung, Müller habe ihm mit Emphase versichert", das Manuskript gelesen zu haben. In einem Brief vom 8. Dezember 1908 hat nämlich Müller zu erklären versucht, wie es gekommen sei, daß er es nicht gelesen habe. Diefen Brief bedeckt Bülow mit perachtungsvollen Marginalien; aber er erwähnt hier noch nichts davon, daß Müller zwei Monate vorher das Gegenteil erklärt hätte. Offenbar ist also jene emphatische Versicherung eine noch spätere Erfindung Bülows.
Die Fähigkeit, alle Fehler den anderen aufzubürden, ist die einzige Kunst, die Bülow allerdings bis zur Birtuofität ausgebildet hat. In dem ,, Daily Telegraph " Kapitel der Auswärtigen Atten findet sich zum Schluß ein Brief von ihm an Bethmann, Datiert 28. November 1909, in dem er von ,, der( inzwischen erreichten) Berscheuchung des Einfreifungsgespenstes" spricht. Die beiden von Bülow eingeflammerten Wörtchen nehmen das ganze posthume Berleumdungswert der Denkwürdigkeiten vorweg. Noch am 3. Juni 1909, furz vor seiner Entlassung, meist laut Brotofoll einer wichtigen Besprechung der Herr Reichskanzler wiederholt auf die Gefahren der Situation hin. Die einzige schwarze Wolte lagere zurzeit über der Nordsee , aber sie sei gemitterschmer".
In der Aera Bülow wurde die Entente cordiale zwischen Frankreich und England geschlossen, tam das russisch englische Abkommen zustande, wurden zu guter Leht durch die bosnische Annegionskrise die russisch - österreichischen Beziehungen unheilbar vergiftet, jetzt hat sich der englisch deutsche Gegensah durch Tirpig' Flottenbau bis zur afuten Kriegsgefahr zugespitzt aber Bülow hat die Berscheuchung des Einfreifungsgéfpenftes erreicht"; an allem Unheil, was geschehen mag, trägt also nur die Unfähigkeit der Nachfolger schuld; das wird jetzt schon, Herbst 1909, Bethmann fchwarz auf meiß gegeben. Eine verblüffende Innerfrorenheit! So fah der ,, bedeutendste Staatsmann der wilhelminischen Epoche" aus.
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