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Morgenausgabel

Nr. 601

A 302

47.Jahrgang

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Mittwoch

24. Dezember 1930

od Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands

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Und wieder Filmverbot!

,, 1914- Die Schüffe von Gerajewo"- ein Opfer der Sachverständigen.

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zwar befannte Historifer benennen, um der Oberprüfstelle Gelegenheit zu geben, auch die Urteile nicht beamteter Sachverständiger

Die Filmprüfstelle Berlin hatte sich am gestrigen Dienstag unter Vorsitz von Regierungsrat Zimmermann mit dem von der Richard Oswald - Filmgesellschaft hergestellten Film 1914 zu hören. Die Schüsse von Seraje wo" zu beschäftigen. Der Film geht von den Ereignissen des Frühsommers 1914 aus, als der öfter­reichische Thronfolger in Serajewo ermordet wurde, und sucht die Zusammenhänge zu schildern, die zum Ausbruch des Weltkrieges führten. Dabei foll gezeigt werden, daß Deutschland nicht die Allein­schuld am Kriege treffe. In der Filmprüfstelle faßen diesmal außer dem Vorsitzenden der Kinobejizer Siegfried- Berlin, Rechtsanwait Freyhan- Berlin, Barfout- Dresden und Frau Badick. Das Auswärtige Amt hatte zu dieser Verhandlungs sechs Sachverständige entsandt, die, nachdem der Bildstreifen vor­geführt war, ihr Gutachten abzugeben hatten. Die Sachverständigen waren der Ansicht, daß die Darstellung der Schulofrage lückenhaft sei, und daß die Tendenz dieses Films geeignet sei, die Beziehungen

Deutschlands zu anderen Staten zu trüben.

Für die Oswald- Filmgesellschaft wandten sich Rechtsanwalt Dr. Wenzel Goldbaum und Syndikus Dr. Friedmann sehr energisch gegen diese Auffassung, wobei sie betonten, daß die Sachverständigen des Auswärtigen Amtes nicht einmal angegeben hätten, welche Staaten es seien, deren Beziehungen zu Deutschland durch die Aufführung dieses Films getrübt werden könnten.

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Frankreichs innere Krise.

Kampf um die Verwaltung.

Paris , im Dezember.( Eigenbericht.) Frankreichs Innenpolitik macht eine schwere Krise durch. Da die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes noch in einer ganzen Reihe anderer Staaten angenommen haben, fern von jenem tatastrophenartigen Charakter sind, den sie behalten die Kämpfe zwischen den einzelnen Parteien vor= läufig noch einen ideellen Anstrich.

Borerst stehen sich in diesem Hin und Her, soweit die ent­scheidenden bürgerlichen Formationen in Betracht kommen, teine scharf voneinander getrennte Wirtschaftsprogramme gegenüber. Man ringt um die Regierungsmacht, find, die bei den Bahlen eine große Rolle spielen können. um das Innenministerium, von dem die Präfekten abhängig Man will dem Klerikalismus Borschub leisten oder ihn bannen, die durch die weltlichen Gefeße aus dem Lande gewiesenen Mönchs- Kongregationen begünstigen oder sie zwingen, sich den bestehenden Verfügungen zu unterwerfen. Man will die höheren Richter- und Offiziersstellen in die Hände politischer Besinnungsgenossen bringen. Kurz, man will die Verwaltung des Landes beherrschen und damit seine Gesamtstellung vor der Wählermasse stärken.

Da die bislang beschränkt zugelassene Deffentlichkeit neuerdings ganz beseitigt ist und die Verbotsgründe noch nicht publiziert sind, läßt sich näheres über das seltsame Verbot, das wiederum auf den Gutachten der Sachverständigen des Auswärtigen Amtes beruht, nicht mitteilen. Es ist ein Standal, daß das Botum der Sach verständigen, das im Lichtspielgeset überhaupt nicht enthalten ist, zum entscheidenden Faktor wird. Die Prüfstelle ist, wie auch der Kommentar Dr. Seegers nachdrücklich feststellt, nicht an das Sachverständigengutachten gebunden, tann vielmehr andere Sachverständige heranziehen oder auch nach eigener Sachkenntnis erkennen. Aber in Wirklichkeit stehen die Filmbeisiger unter dem Druck der ihnen von dem Borsigenden präsentierten Sach verständigen. Da der Vorsitzende zudem angewiesen ist, bei Nicht­Während der letzten beiden Jahrzehnte vor dem Kriege berücksichtigung der amtlichen Gutachten( also bei der jeweils vor­war es den bürgerlichen Linkselementen mit Unterstügung herrschenden Richtung), Beschwerde einzulegen, so find in Wirklichkeit der Sozialisten gelungen, die Ueberbleibsel der altkonserva­die von den Behörden instruierten Gutachter die Film tiven, nationalistisch- flerifalen Elemente aus dem Regierungs­prüfer. Das widerspricht völlig dem Gefeß und hat und Verwaltungsapparat zum größten Teil zu entfernen. fich erst aus einer ganz unsinnigen Braris entwickelt. Die Film- Obwohl im Feuer der nationalen Einheitsfront während des beisiger, die allein nach dem Gesetze berufen find, frei zu entscheiden, Krieges mancher Unterschied zwischen den bürgerlichen Bar­sollten von ihren Rechten nur Gebrauch machen, sich nicht als Unterteien, wenigstens dem Anschein nach, dahinschmolz und die amtlichen Gutachter zu begegnen, wird es ratsam sein, wenn sie in 16. November 1919, der Rechten einen beträchtlichen Sieg ver­tanen, sondern als Geschworene fühlen. Um dem llebergewicht der ersten Wahlen nach dem Waffenstillstand, am Zukunft die 3uziehung freier Gutachter, regelmäßig be- schafften, waren gewisse Linkstraditionen stark genug ge­Beantragen und die Verhandlung bis dahin vertagen. blieben, um einen vollen Triumph der Reaktion zu verhindern. Der Krieg war noch in zu brennender Erinnerung, die Unsicher­heit über die Haltung der unteren Boltsmassen im Fall eines brutalen Syſtemmechsels noch zu unsicher und die Erkenntnis des Stärkegrades der neuerworbenen Machtstellung im Rechts­lager noch zu unbestimmt. Erst nachdem die Rechte das Ruder wieder einige Jahre in den Händen hatte, erwachte in Machtwille. Im gleichen Maße, in dem dies jedoch nach außen zum Ausdruck fam, wuchs auch von unten der Wider­stand gegen die Pläne der Rechten. So kam es, daß bei den Neuwahlen vom 11. Mai 1924 die aus der Kriegszeit her

Die Filmprüfstelle kam jedoch zu dem ablehnenden Beschluß, wobei sie sich auf das Gutachten des Auswärtigen Amtes berief und aussprach, daß der Film aus den genannten Gründen das Ansehen

und die Stellung Deutschlands zu schädigen geeignet jei.

Gegen diese Entscheidung haben bemerkenswerterweise zwei Mitglieder der Filmprüfstelle.pon sich aus schwerde bei der Filmoberprüfstelle eingelegt, so daß diese Instanz sich abermals mit dem Verbot zu beschäftigen haben wird. Wie wir hören, will die Filmgesellschaft auch ihrerseits Sachverständige, und

Polizei fennt es, findet es aber nicht!

Solange die Filmzenjur nicht abgeschafft ist, muß der Kampf gegen ihre amtliche Verschlechterung mit aller Konsequenz durch geführt werden.

Das Maschinengewehr von München . affein som Reichswehrminifterium nicht weniger ihrem Schoße fo etwas wie ein ausgesprochener als acht Strafanzeigen gegen Mitglieder der National- so sozialistischen Partei eingegangen seien, daß die Reichsanwaltschaft jedoch aus verständlichen Gründen über den Stand der Ermitt­die Anzeigen des Reichswehrministeriums ebenfalls 3 ellenüber das Land geflutete Rechtswelle gebrochen wurde. Damais lungen noch nichts sagen könne. Es wurde jedoch angedeutet, daß bildung der Nationalsozialisten in der Reichswehr beträfen.

München , 23. Dezember.( Eigenbericht.)

Die Münchener Post" berichtet von einem reichen Fang, den Reichsbannerleute bei Nationalsozialisten machten. Sie nahmen den Hakenkreuzlern ein ganzes Waffen­lager ab und übergaben es ordnungsgemäß der Münchener Po­lizeidirektion. Darunter befand sich ein fomplettes ma­schinengewehr mit 2 kisten Munition für Hunderte von Schüssen, alie Ersatzteile, 2 Reserveläufe, ein Referveschloss, Kühlfaffen und Werkzeugkasten.

Seit lädt Abrüftungskonferenz ein. Wien der geeignete Ort.

glaubte man zunächst, daß die Linke einen großen Sieg davon= getragen hätte. In Wirklichkeit zeigte sich nicht nur, daß die außerparlamentarischen Finanz- und Wirtschaftskräfte alles daranjezten, um die Rechte in ihrer Machtstellung zu er halten, fondern daß auch innerhalb des Parlaments das Vor Wien , 23. Dezember. handensein einiger Dutzend schwankender Gestalten im Die Münchener Polizei veröffentlicht zu der Meldung der Die österreichische Völkerbundsliga hielt eine Sigung ab, auf 1928 haben die erwartete Klärung nicht gebracht. Wieder Zentrum die Linke äußerst schwächte. Auch die Wahlen von Münchener Post" eine reichlich verworrene Sachdarstellung. Sie der die Frage der Abhaltung der großen Abrüstungskonferenz des fehrten die Mittelgruppen so stark zurüd, daß ohne sie über­muß die Behauptung der Münchener Post" im großen und ganzen Völkerbundes in Wien zur Sprache fam. Der Präsident der öster- haupt feine Mehrheit gebildet werden konnte. Da sie ihre bestätigen, bemerkt aber gleichzeitig, daß ihr der Stand- reichischen Völkerbundsliga, Botschafter a. D. Dr. Dumba, wies dar- Fähnlein straffer als früher nach rechts drehten, durfte sich die ort des Maschinengewehrs schon vorher bekannt Reaktion anspruchsvoller, selbstsicherer zeigen. Das führte gewesen sei. Das Maschinengewehr sei schon am 14. Dezember von einem Reichsbannermann den Söhnen eines Werkmeisters unter un­Boincaré- Kabinett und zu einer reineren Scheidung zwischen Ende 1928 zum Austritt Herriots und Painlevés aus dem wahren Angaben herausgelockt und in einem Wald in der Nähe Links und Rechts. Die Person Poincarés jedoch, der in seinen Münchens versteckt worden. Nun soll gegen die Reichs­tieferen Ueberzeugungen und innenpolitisch in manchen seiner bannerleute, die die Waffen ordnungsgemäß ablieferten, ein Strafverfahren eingeleitet werden! Handlungen viel weniger zur Rechten neigte, als man es feinem allgemeinen Ruf zufolge meistens annahm, sorgte da­für, daß auch nachher wichtige Gegensätze ziemlich verschleiert

Hochverratsverfahren gegen Goebbels .

Mehrfache Anzeigen des Reichswehrminifteriums. Wie bereits gemeldet, hat der Reichstag die Genehmigung zur Strafverfolgung des Reichstagsabgeordneten Dr. Goebbels gegeben, die von dem Oberreichsanwalt gefordert worden war.

Dieses Hochverratsverfahren wird nicht nur gegen Dr. Goebbels geführt, sondern auch gegen eine Reihe anderer natio­nalsozialistischer Unterführer, zum Teil gegen be­fannte Persönlichkeiten, die erst unlängst in dem großen Reichs wehroffizierprozeß in Leipzig als Zeugen vernommen werden sollten. Schon damals wurde von der Reichsanwaltschaft selbst mitgeteilt, daß ein Verfahren gegen Führer der NSDAPẞ. schwebe.

Als damals nach der Vernehmung Hitlers auch Dr. Goebbels und zwei andere nationalsozialistische Führer als Zeugen gehört werden sollten, erhob der Reichsanwalt Einspruch mit der Begrün­dung daß diese Zeugen in einen Gewiffenstonflitt ge bracht werden könnten, da sie über Dinge aussagen sollten, deret wegen gegen sie ein Verfahren schwebe.

Es entstand schon in Leipzig eine sehr heftige Debatte zwischen der Verteidigung und dem Reichsanwalt da der Reichstags­abgeordnete Dr. Frank, der einen der Angeklagten zu verteidigen hatte, vom Reichsanwalt die Erklärung forderte, auf Grund welcher Unterlagen dieses große Verfahren eingeleitet worden sei. Reichs. anwalt Dr. Nagel beschränkte sich auf die kurze Erklärung, daß

auf hin, daß schon in Genf der Gedanke lanciert worden sei, die Abrüstungskonferenz in Wien abzuhalten. Vom Standpunkt des Bölkerbundes aus sei Wien für diese Konferenz der geeignetste Tagungsort. Desterreich habe noch mehr abgerüstet als es im Friedensvertrage vorgeschrieben sei. Bien wäre danach für die Ron­ferenz ein wahrhaft neutraler Boden.

Es wurde in der Versammlung mitgeteilt, daß der Bürger­meister von Wien an den Bölkerbundsrat die Einladung richten wird, Wien als Siz der Abrüftungskonferenz zu wählen.

Zweimal 15 Jahre.

Das Faschiffenurteil gegen die Journalisten.

Rom , 23. Dezember.( Eigenbericht.)

In dem Prozeß gegen die antifaschistischen Intellektuellen wurden die beiden angeklagten Journalisten zu je 15 Jahren Gefäng­nis verurteilt. Ein Angeklagter erhielt 3 Jahre Gefängnis, die übrigen, darunter die Dichterwitwe de Bosis, wurden freigesprochen.

Ungarischer Wahlbetrug. Wirkungsloser Oppositionssieg.

Budapest , 23. Dezember.( Eigenbericht.)

Von den 230 Stadtvertretern der ungarischen Hauptstadt er­nennt die Regierung 80 Am Sonntag und Montag war Neuwahl. Dabei eroberten die Sozialisten 37 Mandate und er wiesen sich als die im Bolk stärkste Partei. Die Christlichsozialen erhalten dant Ernennungen 45 Mandate. Die demokratische Opposition hat ebenfalls große Fortschritte gemacht. Die Regierungsparteien dürften von den 150 Mandaten 67 erhalten, die Opposition 83. Durch das Ernennungsrecht behält trotz dem Sieg der Opposition die Regierung die Mehrheit.

blieben.

Poincarés plößliche Erkrankung im Hochsommer 1929­öffnete die Schleusen. Daß der Friedenswärter Aristide Briand seine unmittelbare Nachfolge übernehmen durfte, so daß für ein paar Monate noch einmal so etwas wie ein Waffenstillstand eintreten konnte, lag ausschließlich daran, daß man mitten in der Vorbereitung und Ausführung der Haager Reparationstonferenzen stand. Aber so start war das Drän­gen der Rechten, die Macht selber in die Hand zu bekommen, daß sie sich nach den Barlamentsferien im Herbst 1929 nicht scheute, das Kabinett Briand zu stürzen. Jetzt brach die Zeit Tardieus an, dem die gesamte Rechtspresse seit Monaten die überschwenglichsten Lobeshymnen und Verheißungslieder ge= widmet hatte. Der Versuch, ein ausgesprochenes Linksmini­sterium, dem die Unterstützung der sozialistischen Fraktion ge­sichert war, ans Ruder zu bringen, mißlang. Am selben Tag, an dem sich das Kabinett Chautemps vorstellte, wurde es zu Fall gebracht.

Jeht aber follen sie was erleben", jubelten die Blätter der Rechten. In der Tat erlebte Frankreich , daß zum ersten­mal seit Ende des vorigen Jahrhunderts wieder ausgesprochene Gegner der weltlichen Fundamentalgefeße in der Regierung saßen, daß die höheren Präfekturstellen den der Linksgefinnung Verdächtigen entriffen, im Offiziers- und Richtertorps die reaktionären Elemente begünstigt wurden. In André Tardieu hatten die nationalistisch- konservativen