Beilage
Mittwoch, 24. Dezember 1930
Fleinrich Flemmer
Der Abend
Shalausgabe des Vorward
Weihnachts Gegencle
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Durch die weiß- gold- flim-| fühlte er neue Sträfte in sich und dem Kampf ums Leben gewachsen. mernde Winternachtshelle tam er Es war gut so. Es war alles gut und schön: wie heimelig schien auf ein warmes, gelbes Licht zu der Stall: wie von einem Glorienschein umstrahlt. Und die guten gestapft, das schnell zu einem Tiere niederen Fensterfaro heranwuchs und da! als er mit der Nase an die Scheibe stieß, mar dahinter ein Bild von just aber auch all dem ausgebreitet, was das Herz eines arbeitslosen Schreiners und in der Welt herumgehegten, vereinfamten Menschen zusammenframpfen läßt.
Muh! machte die linke Kuh, als sie den Kopf von der Krippe hob und umgudte: nanu, hieß das, ihr habt euch ja hier häuslich niedergelassen: wollt ihr mir denn Gesellschaft leisten? Die rechte Ruh aber wedelte nur bedächtig mit dem Schweif, sie machte sich wohl Gedanken über Melkmaschinen, Bullentreue und andere für eine Ruh bedeutsame Dinge. Jah, sagte der Esel, der immerfort das Leben be- ight. Ja, so sind die Menschen: erst geben sie großartig an, und wenn sie dann ins Schlamassel tommen, sind sie hilfloser als der letzte Esel.
Denn die Nacht war ange Sonderbar! dachte der Schreiner, schon halb im Schlaf. Ist brochen, die eine, jahrüber nicht diese ganze Geschichte schon einmal wo anders passiert? Im gefürchtete Nacht, in der dies Morgenlande, wo es feinen Schnee und feinen Winter gibt! Ja, vielgeprüfte, forgfältig es sind genau tausendneunhundertdreißig Jahre her, daß sich diese schlossene Herz verwundbar war,| Geschichte zugetragen hat und sie ist so wahr wie am ersten Tage. wie das eines Kindes.
Der=
Drum hatte er ja auch im Martifleden bleiben wollen, wo's fidel herging, und wo frivole, wie Fastnachtsnarren gefleidete Stadtmenschen mit Sportzeug herumspielten und alberten, damit es ihm nicht etwa irgendwo unter die Nase gebreitet werde, dieses fatte Glück der sich zur Lebensgemeinschaft Gefundenen, die von ihrer Welt aus die Einsamen mit hochmütiger Neugier mustern: damit er über Gelächter und Gläsergeflirre vergessen könne, vergessen... aber es war so pfropfenvoll im Ort und jeder wollte Geld, da sich's jetzt von Wintergästen leicht verdienen ließ, so daß er fein Quartier fand und weiterwanderte, weiter, Iweiter, bis er an die helle Scheibe stieß.
Und da lag's jetzt ausgebreitet, dieses verdammte Glück, das ihn aus seiner weltwanderermäßigen Gleichgültigkeit riß, das selbstsicher lächelnde, hausbackene Glück von zwei einander zugehörigen Leben, wie sie sich um das Glück eines Dritten zu schaffen machten, dem fie Leben gegeben.
Schier tomisch wichtig scharenzelfe eine wohla moepflegte und-genährte junge Bürgersfrau zwischen geöffneten Pappschachteln, Tüten, Dedchen, Fledchen, Büppchen herum, während ein spreizbeiniges Herrenmenschengestell mit großartiger Gebärde an einem dekorierten Baum bunte Kerzen zurecht richtete. Dem Schreiner war's, als pickten ihm alle die grünen Nadeln ins Herz, er wandte sich zum Gehen, stieß aber wie gesagt ans Fenster
Celmert
,, Was wollen Sie: Quartier wollen Sie? Wollen Sie etwa in dieser Stunde und in diesem Aufzug ins Gutshaus einziehen, Mann oder wollen Sie mit einem der Knechte oder gar( hihi!) einer der Mägde zusammenfchlafen, Mann: unmöglich! Aber wissen Sie, wo's bei dieser SchweineDie müden Augen des Tischlers schlossen sich und vor fälte ganz warm und gemütlich wäre: dort! Gehen seinem Geiste erschien jetzt jener andere Tischler Joseph Sie auf das Licht zu, das ist ein Stall. Pah, hab und jene uns als Jungfrau- Mutter überlieferte Maria, ich selber schon mitgemacht; Heuschober auf der Alpenan die er als einmal frommer Chrift geglaubt miese. Holladrio. Kreuzelement, jetzt wird's aber Zeit: Mariaaane:[ hatte und jenes andere im Stall geborene Armeleutefind. hol sofort die Gretl zur Bescherung
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Klinglingling.
Muh! fagte mangels andrer Bokabeln die linke Kuh, und die rechte fagte genau dasselbe, als sich der Schreiner auf die Streu hinstreckte. Dann war's eine Weile stille... und dann? Ein wilder Schrei zerriß die dumpfe Stalluft, ein herzzerreißender menschlicher Weh- und Jammerschrei.
-W
Was war das? Drüben bewegte sich etwas. Er nahm die Stallaterne und leuchtete. Ein Kopf hob sich aus der Streu, ein schwarzer Mädchentopf, aufgerissene Augen starrten ihn an aus einem bleichen zitternden Gesicht und ein weicher Mund ver zerrte sich zu einem zweiten, noch wilderen Schmerzensruf. Heilige Mutter Gottes, hier lag ein Weib in ihren Wehen . Jetzt galt's zu helfen... Und der Schreiner, dem nichts Menschliches fremd geblieben war, half der ängstlich blickenden Mutter in ihrem Blute...
Kirchengloden läuteten, nachdem alles vorüber und ein Knäblein geboren war, das er wusch und in Leinenzeug von seinem Ranzen wickelte, denn Maria wollte es feinesfalls zugeben, daß er nach dem Herrenhaus um Hilfsmittel lief. Dann gab er der Schwachen aus seiner Feldflasche zu trinken, als der fleine Schreihals verstummt und in den ersten Schlaf verfallen war, und legte sich, noch zitternd von der überstandenen Aufregung, auf die Streu zurüd, wo ihn ein feltsames unbekanntes Gefühl seligen Friedens überkam, indes jeine Gedanken meitersponnen.
Da hatte er nun einen fleinen Erdenpilger: zwar nicht in die Welt gesetzt, aber ihm geholfen, daß er zur Welt fam. und was sollte in dieser grausamen Welt aus ihm werden, hilflos, wie er war und seine Mutter. Ereignet es sich aber nicht andrerseits gerade bisweilen, daß über einem ganz obsfur Geborenen das ewige Licht leuchtet? Es könnte sich gar nicht so unwahrschein licherweise zutragen, daß er eines Tages aufstünde und das Evangelium eines neuen Menschentums predigte, denn es mar doch wahrhaftig Zeit, allerhöchste Zeit, daß sich die Menschen wieder einmal auf ihr inneres Wesen besännen! Also müßte er schon den Neugeborenen, vielleicht fünftigen Welterlöfer, unter feinen Schutz nehmen und ebenfalls feine Mutter, die so wehmütig dreinblidte, als frage fie fich, ob der unfer so großen Schmerzen Geborene nicht dereinst viel Leid zu tragen haben würde. Ja, er müßte sorgen für das Kind und die Mutter, die ein Hauch von Jungfräulichkeit umgab und die er so oft schon auf Bildern gemalt gesehen hatte, daß sie ihm ganz vertraut vortam: Jungfrau Maria! Wie der Schreiner so lag und dachte und dachte, begann er fich freier zu fühlen als seit vielen Jahren, die leidige Sorge ums Beben fiel non ihm ab: jetzt, da er für andere zu sorgen gedachte, I
Die milden Gestalten der heiligen Legende tauchten vor dem Träumenden auf und wandelten ihren Lebensweg. Der dunkle Schatten des Herodes, der dem Erlöser nach dem Leben trachtete, fiel auf das friedliche Bild, als aber den Schreiner ein Geräusch wedte, verwandelte sich Herodes plötzlich in den Gutsherrn. Der Herr wollte das im Stall geborene Kind der Magd ermorden. Warum wohl? Warum? Das durfte nimmermehr geschehen. Hebrigens spufte nur der Schatten einer Kuhmagd im Stall herum, die zum Melfen gekommen war und neugierig Umsahau hielt.„ Ei, ei: was ist das hier für eine Geschichte. Ei ei. Ei ei!"
Und als sie fort war, tamen eine nach der andern die übrigen Mägde und ein Tuscheln begann rund um die in der Streu Ge lagerten. Und die schweren Tritte der Knechte dröhnten über den Boden.
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Dann rauschte ein seidener Morgenrod in den Stall: der umschloß niemand geringeren als die gnädige Gutsherrin. Jawohl! ,, Also, damit Sie informiert sind," sagte die Gnädigste der Gnädigen und richtete sich hoch über Maria auf, um ihr eine Vorstellung von dem himmelweiten Unterschied zu geben, den es zwischen „ Wir sind Frau und Frau gibt( nach Ansicht jener Gnädigen). feine Unmenschen, nein. Eine Matrage sollen Sie ja haben, und menn sie hin ist, ist sie hin! Ein Wochenbett follen Sie haben, gut! Aber sobald die Woche um ist, ziehen Sie gefälligst Ihrer Wege, Sie, Sie Besteck Sie! Wissen Sie, ich bin moralisch durchaus nicht engherzig( für sich selber nicht, meint sie wohl). Aber das ist doch cine Schweinerei hier im Stall. 3u diefer heiligen 3eiti ( Maria errötete.) Und einen neuen Kerl haben Sie auch schon zu sich genommen, so. Und darf man fragen, wer der glückliche Vater des Kindes ist? Herr Jedermann oder Herr Niemand?" ( Maria schmieg.)
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Nach der Messe tamen Bauern, frommes Bergvolt, an den Stall, in den Stall, schüttelten die Köpfe: Jesus , Maria und Joseph " murmelten sie, herr, verzeih ihnen die große Sünde." Ein freches rothosiges Girl fam auf Stiern ans Stallfenster gerutscht, stedte fich eine Zigarette an:
„ Daß Proletarier immer Kinder friegen müssen, das ist das fomische, ch' Bubi?" sagte sie und legte den Arm um den Hals eines jungen Wintersportidioten. Selbst wenn sie nicht einmal ein 3 immer haben: Kinder müssen sie triegen, Kinder! Und wie sie dann selber aussehen... Die Taille ist futsch, die Brust hängt herab... Da weiß ich mir was besseres, eh' Bubi?"
Einer nach dem anderen fainen sie jetzt in den Gutshof herein geschossen, Stiläufer und Stiläuferinnen diskutierten ungeniert, be
fundeten ein herablassendes Interesse, traten in den Stall und be. äugten das Familienidyll wie eine Schaustellung.
eine Bibel. Ja, so etwas mußte ja wohl bezweckt sein: figurenschau. Keine schlechte Idee, im Grunde, die heilige Familie zu stellen. Das Biblische ist fashionabel, das Biblische zieht: vide Oberammergau . Da kommen Königinnen hin, und Multimillionäre. Aber wie das solche unfünstlerischen Leute anpaden! Der Stall ist viel zu modern und die Aufmachung mies... Na, legen wir ein paar Groschen hin, daß sie die Mühe nicht ganz umsonst hatten..
" Wonderful!" rief eine Miß, perfectly wonderful!" und in ihrer Begleitung trat Herr Filmregisseur Powidl in höchsteigener Person in den Stall ein- ein unerhörtes Ereignis.
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Heiliger Reinhardt" rief Herr Powidl und drehte die Augen nach dem Himmel, als wäre dort für seine Einfälle ein befonderes Verständnis vorhanden ,,, w as werden die in dieser Nacht für Regiefehler begangen haben! Sehen Sie mal an, Miß Cornedbeef: wenn ich diese Leute nun engagieren würde, so wäre das verkehrt, gänzlich verfehrt. Weil einer der Joseph ist, fann er deswegen noch lange nicht den Joseph spielen: erst wenn einer ein Film star ist, dann wird der richtige Joseph aus ihm."
Der Esel sah sich um, als wolle er fagen: wer ist eigentlich der Esel, der oder ich?
,, Di weh" sagte ein eintretendes Malweib, Joseph ohne Bartsch on faul! Mensch, guden Sie sich doch mal die Josephe alle durch: So'n Joseph mie Sie gibt's ja gar nicht. Es fann ihn gar nicht geben. Er ist unmöglich. Sie sind überhaupt fein Joseph. Sie sind ein Judas ! Und mie gibt denn Ihre Frau die Brust!( Maria errötete.) Das ist mader Raffael noch Boticelli noch überhaupt irgendeine Mutter Gottes, das ist ganz einfach modernes Neapel !"
Die- linke Kuh sah sich uin und stierte das Mal meib an.
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Ein kleiner Herr mit Hornbrille und großem Selbstbewußtsein löfte die Malerin ab und fah fich seinerseits die Chose" an. Hm!" sagte er, blieb stehen und faßte sich an den sehr groß geratenen Schädel. In dieser Stellung verharrte er gut zehn Minuten dann rannte er einigemal im Stall auf und ab, blieb vor Joseph stehen, quietschte fröh lich mit seiner gequetschten Stimme: Sie haben mich auf einen ge- ni- a- len Einfall gebracht!" ( Er schlug sich aufs Knie, tobolzte und machte Jiu Jitsu - Bewegungen.) Tü tü tü... Ber- lieben fönnt' ich mich! Die heilige Legende frisch auflackiert, frisch auffrisiert, total modernisiert, als proletarische Klaffentampfrevue aufgezogen oder...( er zückte Schreibblock und Bleistift) ist das eine RomanIdee...! 50 000 Auflage minimum, Absatz nach England und USA . nicht gerechnet! Joseph, hier haben Sie noch eine Zigarre..." Mit einem neuen Tü tü tü... schoß der kleine Herr zum Stall heraus, so daß die rechte Kuh, die soeben zu einem verwundertem Muh angesetzt hatte, mitten innehielt.
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In den Feiertagen wurde der Stall, da Stibahnen in der Nähe lagen, zum Lieblingsausflug der Städter, die es auch an fleinen Aufmerksamkeiten nicht fehlen ließen. Man brachte mit mehr oder
weniger wikigen Anspielungen auf die Heiligen drei Könige dem „ Christ" finde milde Gaben: darunter eine Wiege und eine Trom pete. Jemand hatte sogar den guten Einfall, einen Eßtorb zu spenden.
Nur der Gutsherr ließ sich nicht blicken und gab nichts. Warum nur, warum? dachte der Schreiner . Statt seiner tam am ersten Arbeitstag ein Gendarm zum Stall herein und brachte den Ausweisungsbefehl. Der Gutsherr sei empört, sagte er, mit seiner Güte merde hier Mißbrauch getrieben,( Maria errötete.)„ Und von