Weihnachten 1930*
Kampf und Frieden. Von Adolf Grimme . Nach„Frieden auf Erden" sieht es nicht gerade aus in diesem zu Ende gehenden Jahr 1930. weder draußen außerhald der Landesgrenzen, noch im deutschen Innern. Man kann umgekehrt schon kaum noch eine Zeitung in die Hand nehmen, ohne daß der Blick auf eine Nachricht fällt, die über blutige Zusammen st äße von Deutschen mit Deutschen zu be- richten weiß. Und wenn vor kurzem der Vertreter einer an- gesehenen englischen Zeitung in einem Gespräch die Aeuhe- rung getan hat, während des ganzen Krieges habe man In England die Deutschen nicht so mit Schimpfworten überhäuft, wie es heute die Deutschen untereinander täten, dann müssen wir mit Scham und Schmerz gestehen, daß er nicht über- trieben hat. Dabei blickt nun schon seit 2000 Jahren die Menschheit wie gebannt gerade auf das Wort aus der Weihnachtsbotschaft am sehnsüchtigsten, das den Menschen, wenn sie nur guten Willens sind, den Frieden auf der Welt verheißt. Wie klaffen Sehnsuchtsbild und Alltagszustand auseinander! Sollte, wer den Frieden will, da nicht den Mut verlieren und denen' recht geben, die nichts mehr davon hören wollen, wenn jemand von einer fortschreitenden Entwicklung der Menschheit zu einer höheren Stufe der Kultur spricht? Sieht es nicht wirk- lich so aus, als fei doch all unser Tun umsonst? Das gerade ist der Irrtum: das Tun ist nie umsonst: vergeblich ist das bloße Warten. Und wir sind doch nur darum vom Ziel so unendlich weit entfernt, weil wir Menschen auf den Frieden viel zu sehr nur geharrt und nur gehofft und immer nur ge- wartet haben wie auf ein Geschenk, das der Menschheit eines guten Tages von irgendeinem Wundermann auf den Wech- nachtsgabcntisch gelegt werden würde. Jedoch der Friede kommt nicht als Wunder und nicht von selbst. Wenn einmal Friede wird auf Erden, dann ist er Frucht des Kampfes. So also dennoch Kampf? Wie läge das im Sinn der Wechnachtsbotschaft? Als wenn das, was der Nazarensr wollte, den Kampf ausschlösse! Das genaue Gegentell ist richtig: das Evangelium fordert Kampf. Und wir wären dem Frieden sicher längst ein gut Teil näher, wenn die Menschen nicht immer wieder über den weichen Zügen im Bild des Nazareners, über dem„sanften Lämmlein" und dem„milden Hirten" den H e l d e n in ihm übersehen wollten, der unerbitt- lich war, wo es um seine Sendung ging, und der hart zuge- griffen hat. wenn es sein Werk galt. Mag diese Gestalt nun Geschichte, Legende, Mythos, Sage oder was auch immer fem, so viel ist sicher, daß so. wie dieser Mann uns im Neuen Tests- msnt entgegentritt, er ein menschliches Verhalten in sich zur Darstellung gebracht hat, das in ihrem ganzen Sein ein Wagnis war. Er wußte, was Einsatz der Person heißt. Der Sohn des Zimmermanns aus Nazareth hat stets den Kampf für die Idee bejaht. Er ist ihm niemals ausgewichen. Ja, wie er einmal die Wechfler und die Schieber aus dem Tempel peitschte, da hat er sich in diesem Kampf sogar des Mittels der Gewalt bedient. Er wollte die Welt nicht lassen, wie sie ist. Sein ganzes Wesen atmete die Ueberzeugung. daß wir nicht auf der Welt sind, weil sie gut sei, sondern daß sie bester werde. Was hätte schließlich auch die Geschichte für einen Sinn, wollten wir die Schöpfung ansehen als einen einzigen und nur einmal in unvordenklichen Zeiten geschehenen Vor- gang und nicht vielmehr als einen Prozeß, an dessen Vollen« dung der Mensch zur Mitarbeit berufen ist. Solange nicht die Schöpfung vollendet ist, darf niemand um des«lieben Friedens" willen die Hände in den Schoß legen, sondern muß in der Welt den Rohstoff sehen, der ihm zur Mitarbeit und zur Gestaltung zugeteilt ist. Oder ist es etwa gut und muß als Zustand der„Vollen- dung" hingenoi..neu werden, wenn, um«in vielgenanntes Beispiel auch an dieser Stelle anzuführen, in Europa Menschen Hungers sterben, in Südamerika aber die Maschinen mit Mais geheizt und in Brasilien Zehntausende von Säcken mit Kaffee verbrannt werden? Was wäre das für eine grauenhafte Sinnlosigkeit, wenn es ewig so sein müßte, daß die Rücksicht auf den Weltmarktpreis im Wirtschaftsleben von größerer Be- deutung ist als die Rücksicht auf das Leben eines Menschen oder Välkerl Es kann doch nicht als eins für alle Ewigkeit stabilisiert« Ordnung angesehen bleiben, daß sich Millionen Menschen nach vollbrachtem Tagewerk in Winkeln und in Kellern und Asylen niederlegen müssen, und daß an- deren Millionen noch nicht einmal dies Tagewerk, das ihrem Leben einen Sinn zu geben vermöchte, beschieden ist. Wer das für in der Ordnung hält und wer nicht sieht, daß er für eine Aenderung zum Kampf antreten muß, der freilich wird in seinem ganzen Leben nicht begreifen, was Sozialismus ist und will. Der Sozialismus ist das Gegenteil von der „verfluchten Zufriedenheit" des Bürgers, die schon Lastalle gegeißelt hat. Der Sozialismus ist die Einsicht in das sittliche Muß einer bewußten Durch- organifierung der Weltwirtschaft. Der Sozia- lismus ist das Handeln aus der Ueberzeugung, die sich in dem Kampfvers ausspricht:„Vom Elend uns erlösen können wir nur selber wn." Und das ist nun dos immer wieder Ueber- fehene und iyzmer erneut Bestrittene, daß, wenn sich irgend- eine Weltanschauung mit der Botschaft des Nazareners im innersten verträgt, es dann die ist, die ernst macht mit der Forderung, daß auch im Wirtschaftsleben der Geist der Soli- darität regiert und nicht die Rücksicht auf das Ich das Tun bestimmt. Wohl sei es zugegeben, daß das Evangelium nicht eine bestimmte Form vorschreibt, in die der Mensch die Wirt- schaftsform überleiten sollte. Ganz außer Zweifel aber steht doch zweierlei: Wenn auch das Evangelium auf die Gesinnung und deren
Wandlung abzielt, so darf doch nicht vergessen werden, daß nun nicht hier die Gesinnung und da die Welt ist, gleichsam als wenn die Welt mit ihren Lebensformen und die Ge- sinnung des Menschen zusammenhanglos nebeneinander her» liefen. Was wäre das für eine Gesinnung, die sich nicht auch einen Ausdruck schaffte! Ist es nicht vielmehr so, daß wir dl« Hallung und Gesinnung eines Menschen sogar erst dann er- fasten, wenn sie Ausdruck in einer Handllmg und in einem objektiven Werk geworden ist? Wo immer wir einer„Form" begegnen, da ist sie Ausdruck einer ganz bestimmten Hallung zur Well. Der, der die Schieber aus dem Tempel jagte, hat im Innersten erlebt, daß es eben nicht angeht, sich auf die bloße Gesinnung zurückzuziehen, wenn man auf eine Form des wirtschaftlichen Leoens stößt, die das Gegenteil von dem zum Ausdruck bringt, was gut und rechtens wäre. Das ist das eine. Und das andere, das außer Zweifel steht, ist, daß sich keine Wirtschaftsform mit Sinn und Geist der Bergpredigt verträgt, die auf dem Fundament des Egoismus ruht. Wenn es richtig ist, wie man immer wieder zur Stütze des kopitalisti- schen Systems anführt, daß man, wenn die Wirtschaft blühen solle, die Rücksicht auf den eigenen Profit stets mit in Rech- nung stellen müsse und wenn man damit sagen will, daß in diesem selben kapitalistischen System der Egoismus ein kon« stitutives, also unaufhebbarcs Merkmal sei, dann müßte eigenllich für den, der aus dem Geist des Evangelismus her- aus das Angesicht der Welt verändern möchte, das eine vor- gezeichnet sein: daß er nicht länger Bergpredigtgeist und das System des Kapitalismus für vereinbar hält. Soviel sei an- gedeutet, um ein Fragezeichen hinter die Behauptung zu setzen. hinsichtlich der Wirtschast verhalte sich das Evangelium neutral. Wir Sozialisten bilden uns nun freilich ganz und gar nicht ein. daß bei Beränderung der Wirtschaftsform nun auch die Menschen automatisch bester würden. Um das auch noch zu sagen: das ist nicht entscheidend. Bon Wesen ist vielmehr, daß in der Wirtschaftsform des Sozialismus der Mensch nicht mehr gezwungen ist zur Rücksichtnahme auf den eigenen Profit wie jetzt, wenn er im Konkurrenzkampf nicht erliegen will. Auch in der Wirtschaftsform des Sozialismus wird der Egoismus der einzelnen nun nicht mit einem Schlage ausgeräumt sein: worauf es ankommt, ist, daß eine Form der Wirtschaft in die Well gestellt wird, in der niemand um des nackten Lebens willen ein Egoist fem muß, der es nicht sein will. Für dieses Ziel zu kämpfen ist Pflicht, und Friede darf nicht sein, bis dieses Ziel erreicht ist. Denn„diese Well ist keine Luftspiegelung", wie es Tolstoi mit den Worten eines alten, weise gewordenen Mannes ausspricht:„sie ist". fährt Tolston fort,„kein bloßes Tal der Prüfungen und des
Uebergangs zu einer besseren ewigen Welt: sie ist eine der ewigen Welten, die wir für die, welche mit uns leben, und für alle die. welche nach uns darin leben werden, nicht nur schön und fröhlich machen können, nein, schön und fröhlich machen müssen". So ist nicht das schon das Betrübliche, daß überhaupt Kampf ist und sein muß. Auch macht das nicht schon Sorge, wenn in diesem Kampf gelegentlich einmal die Hand aus- rutscht. Auch Christus hat die Wechsler aus dem Tempel hinausge peitscht. Erst recht ist nicht schon das ein An- laß zur Bekümmernis, daß in der deutschen Jugend Berell- schaft da ist. an die sie glaubt, mit allen Kräften der Seele und des Leibes einzustehen. Was niederdrückt, ist erst dies von niemand zuvor für möglich gehaltene Zurückgleiten weiter Kreise unseres Bolkes noch hinter alle Anfänge der Kullur, wenn sie körperliche Argumente den geistigen und seelischen für überlegen halten und zu feige sind, den Kampf zu führen ausschließlich und allein mit Waffen des Gewissens und des Geistes. Wer den Vorrang der Auseinandersetzung mit seelischen und geistigen Waffen gegenüber aller politischen Rauferei und gegenüber ollen körperlichen Argumenten verkündigt, der tut das nicht aus Feigheit, nicht aus Furcht vor der Gewalt: er tut es aus der schlichten Ueberzeugung, daß auf die Dauer unkörperliche Waffen allen körperlichen über- legen sind. Wir wissen nicht, was uns das nächste Jahr bringt. Das Elend der Arbeitslosigkeit heult durch die Straßen. Und wenn es Sinn des Lebens für den Menschen ist, am Bau der Schöpfung mitzuwirken, dann ist die größte Not der Arbeits- losigkeit nicht nur der Hunger, sondern die Unmöglichkeit, daß jeder, der von der Arbeit abgeriegell ist, darauf verzichten- muß, das eigene Dasein zu erfüllen mit einem Sinn. Und darum wissen wir das eine dennoch, daß eine Wirtschafts- ordnung kommen muß, die jedem Menschen nicht nur ein Minimum der Existenz zusichert, sondern ihm die Möglichkeit eröffnet, durch Arbell zur Erfüllung seines Lebenssinns zu kommen. Wir mästen um dieses Zieles willen kämpfen, und es darf nicht Ruhe werden in der Welt, bis dieses Ziel er- reicht ist. Wer diesen Willen zur Idee hat, der ist immun dagegen, jemals ein saturierter Bürger oder resignierter Well- verächter zu werden. Dem fehlt aber auch das Verständnis für jene„Religion der bloßen Innerlichkeit", die sich so in das Innerste ihrer Träger verkriecht, daß sie nicht umgestallend in die Well hineinwirkt. Wem es wirklich Ernst ist mit der Wechnachtsbotschaft, der wird kämpfen, bis als Frucht des Kampfes den Menschen das beschert ist, was die Weihnachts- glocken als Sehnsucht in die Welt hinein erklingen lasten: Fried« auf Erden für Mensch und Volk und Völker, so sie guten Willens sind!
Papst gegen Rationalismus. Weihnachisrede vor den Kardinälen.
Rom . 24. Dezember.(Eigenbericht.) Der Papst hielt am Mittwoch vor den Kardinälen, die ihm Weihnachtswünsche überbrachten,«ine Weihnachtsrede. Sie «nihiett unter anderem die seit langem vom Papst erwartete Per« dammung des Nationalismus und der Kriegsdrohungen. Einleitend sprach der Papst von der ungeheuer schweren Wirt- schastslage und der überall verbreiteten Arbeitslosigkeit. Ve raube vielen Arbeitern und ihren Familien das nötige Brot. Dieser Zustand lasse immer dringliche?«ine Besserung der sozialen und internationalen Ordnung notwendig erscheinen. SU müsse auf größerer Gerechtigkeit und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ländern beruhen, stall de» gegenwärtigen Kompfes. Er(der Papst) wünsche der ganzen Well den Frieden. aber es müsse der Frieden Christi sein und nicht einer, der nur auf einem„sentimentalen, verworrenen und äußerlichen Pazifismus" de- ruhe. Es müsse«in Frieden der allgemeinen Eerech- t i g k e i t sein. Aber schmieriger, um nicht zu sagen unmöglich. sei es, daß Frieden zwischen Völkern und Staaten herrsche, wenn anstatt wahrer und natürlicher Vaterlandsliebe ein egoistischer, harter und rücksichtsloser Nationalismus herrsche, der gleichbedeutend sei mit Haß und Neid, anstatt des gegenseitigen Wohlwollens. Am Schluß seiner Weihnachtsbotschast lündigt« der Papst ein« neue päpstlich« Enzyklika über die christlich« Eh« im Zusammenhang mit den neuen Bedürfnissen und der Umordnung von Familie und Gesellschaft an. » Wie die meisten Kundgebungen, die vom Vatikan aus» gehen, ist diese Papstrede nicht zuletzt an die Gläubigen in Italien gerichtet. Insofern richten sich ihre Berdam- mungsworte gegen den„eaoistifchen. harten und rücksichtslosen Nationalismus" au die Adresse Mussolinis, der diese Art von Nationalismus zum Grundgesetz der faschistischen Po- litik erhoben hat. Darüber hinaus wendet sich der Papst als Oberhaupt der gesamten katholischen Welt auch an die Katholiken der übrigen Länder. Wird seine Mahnung befolgt werden? Sind nicht gerade die französischen Katholiken seit jeher in ihrer"großen Mehrzahl identisch mit den verbohrtesten Mili- tarisien und Chauvinisten? Und können die deutschen Katholiken mit gutem Gewissen von sich behaupten, daß sie dieser Mahnung nicht bedurften? Gerade in der Außenpolitik macht neuerdings sogar das Zentrum die bedenklichsten Kon- zesiionen an die nationalistische Ideologie. Auch innerpoli- tisch ist der Trennungsstrich zwischen Katholizismus und Natio- nallsmus in Deutschland noch keineswegs so deutlich gezogen, daß man sagen könnte, die päpstliche Mahnung berühre seine Gläubigen in Deutschland nur wenig. Das Beispiel des Bischofs von Mainz , der die Zugehörigkeit von Katholiken zur Hitler-Partei mit den schärfsten kirchlichen Drohungen untersagt, ist bisher von keinem anderen deutschen Kirchen-
fürsten befolgt worden, so daß unzählige Katholiken, dem zügellosesten Nationalismus huldigen und den Revanchskrieg unbehindert predigen dürfen. Man darf nun gespannt sein, ob es„ach dieser deut- lichen Warnung des Oberhauptes der katholischsn Kirche anders werden wird. Je nachdem wird man seine Schlüste über die Art ziehen müssen, wie der deulsche Zweig der römischen Kirche den„Frieden Christi" auffaßt und ob und inwieweit die Theorie der Bergpredigt mit der politischen Praxis in Einklang gebracht wird. Nazi-Weihnachten. Offener Anfruhr.— Sturm auf eine Polizeiwache. Stullgarl, 24. Dezember.(Eigenbericht.) Im Verlauf einer Weihnachtsfeier der Nationalsozialisten in Pfullingen kam es zu schweren Ausschreitungen. Degen 2 Uhr nachts sah sich die Ortspolizei genötigt, zwei National- soziallsten wegen Ruhestörung zur Feststellung ihrer Personalien ans die Polizeiwache zu bringen. Darauf stürmten die Nazis die im Rathaus besinbliche Polizeiwache und befreiten d i c G c» fangenen unter Tätlichkellcn gegen die Beamten.
Kommunistische Demonstrationen. Oer Weihnochtszauber der KpO . In C h e IN n i tz und Hannooer fanden gestern kommunistische Demonstrationen statt. In beiden Städten muhte dt« Polizei ein- greifen, doch ist es zu ernsteren Zwischenfällen nicht gekommen. Bombenleger in Freiheit. Hafientlassung Herbert volckll. Siel, 24. Dezember. ' Wie die Justizpressestell« mitteilt, hat der Strasseimt des Oder- landesgerichts Kiel heute den Haftbefehl gegen den im Großen Vombenlegerprozeß zu Zuchthaus verurteilten Herbert Volck wegen Haftunfähigkeit ausgehoben. Johannes Rehmk« gestorben. Nach kurzen' Leiden ist gestern abend in Marburg der Nestor der deutschen Philosophie Geheimrat Professor Dr. Jolmnnes Rehmke im Aller von 84 Jahren gestorbc». Proiessor Rehmke wurde in Elmshorn geboren, studierte in Kiel und Zürich Theologie und Philosophie und wurde dann Lehrer an der Kantonallchule in Li- Gallen. Er habilitierte sich 1884 In Berlin und ging dann nach Greisswald, wo er ISSS/Sg Rektor der dortigen Universität war. Seit 1921 wohnte«r in Marburg .