Kohr pensioniert. Ein Ruhestand— aber kein wohlverdienter. München . 24. Dezember. Der Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, Staatsrat Dr. Gustav v. Sa Hr. txitt am 1. Januar wegen Erreichung der Altersgrenze in den dauernden Ruhestand. Dr. 0. Kahr war von März bis September 1921 bayerischer Minister- Präsident, Minister des Innern und Minister des Aeuheren, und vom September 192Z bis Februar 1924 Staatstommisiar für Bayern . Oktober 1924 wurde er zum Präsidenten des Verwaltungs- gerichtshofes ernannt. * Das dunkelste Kapitel der bayerischen Geschichte in der Nachkriegszeit trägt die Ueberschrift Kahr . Es war die Zeit vor dem Hitler-Putsch. Das System Kahr bezeichnete die amtliche Begünstigung des Rechtsbruchs und des Hochverrats, die Auflösung der Rechtssicherheit und die politische Korrum- pierung der bayerischen Justiz. Mörder wurden nicht nur nicht bestraft, sondern von bayerischen Beamten begünstigt. Das System Kahr war die Vorbereitung der Loslösung Bayerns aus dem neuen Reich, der offenen Rebellion gegen die Reichsgewalt. Das System Kahr hat die nationalsozia- listische Partei großgezogen. Nach dem Hitler -Putsch und noch vielmehr nach dem 5)itlzr-Prozeß, der die zweideutige Rolle Kahrs hell be- leuchtete, war Kadr ein politisch toter Mann. Daß dieser Mann, dessen System auf dem Rechts- b r u ch beruhte, nach dem Putsch zum Präsidenten des Bayeri- schen Verwalhingsgencktsboss ernannt wurde, ist von�allen streng rechtlich und verfassungsmäßig Denkenden als offener 5)ohn empfunden worden. Kahr wird pensioniert. Wir erinnern daran, daß I 0- Hannes Hoffmann, der vor wenigen Tagen gestorben ist. der Ministerpräsident Bayerns bis zum Kapp-Putsch, im Gegensatz dazu von der bayerischen Bürokratie mit Haß ver- folgt worden ist!_ Oer Osfiziersbund für den Hochverrat. Oer Chef der Heeresleitung und die Ludin-Spende. Der nationalsozialistische„„Freiheitskampf* veröffentlicht folgenden offenen Erlaß des Chefs der Heeres- l e i t u n g vom 17. November 1030: Der Deutsche Offiziersbund hat durch Schreiben an alle Offiziers- regimentsvereine aufgefordert, sich an einer Ludin-Spende zu be- teiligen. Die vom DOB. einzusammelnde Spende soll den drei in Leipzig abgeurteilten ehemaligen Offizieren Ludin, Scheringer und Wendt nach Verbüßung chrer Straf« zugute kommen. Die durch das Reichsgericht zu Dienstentlassung verurteilten Offizier« werden in dem Schreiben de» DOB. als.Kameraden" be- zeichnet. Für das Heer steht die vom höchsten Gericht de» Reiche» ausgesprochene Dienstentlassung absolut dem„schlichten Ab» schied* früherer Zellen gleich. Für das aktive Offizierstorp» handelt es sich also um ehemalige Kameraden, die lvegen eines schweren Vergehens gegen die Disziplin mit der Ehrenstrafe der Dienstentlassung bestrast sind, nicht um jetzige Kameraden. J6) habe mich über die Verschiedenhell vorstehen- der Auffassung mll dem Herrn Bundespräsidenten de« DOB. aus- gesprochen. Exzellenz von Hutler hat hierbei darauf hingewiesen. daß mll der Aufforderung zur Spende ein, Stellungnahme gegen da» Urteil des Reichsgerichtes nicht beab. ficht igt war. Eine Stellungnahme gegen di« Auffassung der Heeresleitung, daß die„fristlose Entlassung au» dem Heere* und „Dienstentlassung* durch Gerichtsurtell dem schlichten Abschied früherer Zellen gleichzustellen sei. hätte für den DOB- nicht in Frage kommen können, da die Auffassung der Heeresleitung ihm nicht bekannt war. General von Hutier hat sich dankenswerterweise einverstanden erklärt, derartige Fragen in Zukunft stets in gegen- seitigem Einvenrehmen zu behandeln. Ich ersuche die Offiziers- Regimentsvereine, denen aktive Offiziere angehören, durch diese hiervon In Kenntnis setzen zu lassen und im übrigen Vorstehendes allen Offizieren des Heeres bekanntzugeben. gcz. Frh. v. Hammerstein, General der Infanterie. Der Chef der Heeresleitung hat also mit den ehemaligen Offizieren, die für Hochverräter gesammelt haben, ein Kom» promiß von der Art des Vergleichs Wirth-Frick geschlossen. Wer der Deutsche Ofsiziersbund ist, geht aus seiner Stellungnahme für Hitler gegen Mücke hervor. Im übrigen kann dieser Erlaß die Stellungnahme des Offiziersbundes für die nationalsozialistische Zersetzung der Reichswehr nicht ab- schwächen._ Sowjeirussische Oelikatessen. Echte Inflationspreise für Lebensmittel. In allen Stadtteil«« Moskaus sind j«tzt staatlich« Geschäfte ein« gerichtet, in denen Lebensmittel ohne Karten und ohn« Meng.:« begrenzung abgegeben werden. Käse und Wurst kosten dort jedoch pro Kilogramm 20,80 M., eine Büchse Gemüse- oder Obsttonseroen 10,40 M., Butter 31,20 M- Es handelt sich um Waren, de? auf Karten überhaupt nicht oder, wie Butter, nur an Kinder in sehr geringen Mengen von«inigen hundert Gramm abgegeben werden. Diese Geschäfte nennen sich bezeichnenderweis» Delikateß- Handlungen, obwohl darin nur gewöhnliche Volks- nahrung zu finden ist Die Preise sind jedoch so hoch, daß Men- schen mll Durchschnittseinkommen nicht dort taufen können. Unter der Losung„Mobilisierung der Mittel der Bevölkerung* macht der Staat somit dem Lebensmlltelwucheb am freien Markt mit seinen durchschnittlich 10 Mark über den staatlichen Festpreise« für ratio- nierte Lebensmittel liegenden Forderungen erfolgreichen Wettbewerb. In diesen Preisen kömmt im übrigen die neue russische Inflation zum Ausdruck. Die Budapester Gemeindewahl. Oer Erfolg der Sozialdemokraten. Budapest . 24. Dezember.(Eigenbericht.) Nach der amtlichen Feststellung haben bet den Gemeindewahlen die Sozialdemokraten 38 Mandate und von insgesamt 264 209 abgegebenen Stimmen 72 S9Z Stimmen, also 27 Proz..:r- hatten. Di» amtliche Meldung behauptet, daß di« Christlich - sozialen mehr Stimmen«rhalten hätten, gibt aber nur die runde Zahl von 73 000 an.
So war Weihnachten in der Kriegszeit.
Oer„Einkerzenbaum*, zwecks Lichtersparnis amtlich empfohlen.
__ l/S � Junger„Oaatvogel*, der verbreitetste Festbraten, wurde so erlegt.
Oie Festgeschenke: Papierhemd und Holzsandalen.
Llnd darum brauchen wir zu Weihnachten 1930 kriegshetzerische Filme!
Solidarität der Weißen zerbricht- vor dem Zusammenbruch der Weltpreise /Von der Lordskabine ins Zwischendeck.
Siogapor«, im Dezember.(Eigenbericht.) Die Folgen des lediglich auf den Tag eingestellten System» der Sownialwirtschaft, die im Glauben an ein« ewige Fortdauer chrer Hochkonjicnktur nicht einmal auf die xrimllwen Sich«rheito- Vorkehrungen der europäischen kapllalistischen Wirtschaft zurückgriss, beginnen sich in einem ihrer wichtigsten Zentren surchtl»a°» zu r ächen, und die Gefahr besteht, daß die Krise sich von hier aus weiter fressen und di« Schwierigkeiten der internatic- nalen Wirtschaft nach weiter vermehren wird. Eine der reichsten und der blühendsten Besitzungen des brllcschen Weltreichs, die Straite Settlements, bis durch den Namen Singapore symbolisiert werden, sind augenblicklich der Schauplatz einer ökonomischeu Katastrophe, die in der Geschichke des Landes unerhört ist. Sie hat ihre Ursache in der völligen Stagnation der einzelnen Industrien dieses Gebiet», der Gummipflanzung und dem Z! n n b e r g b a u. Der Umfang und dt« Folgen der Katastrophe hätten vermieden werden können, wenn di« Gummikönig« und Zinn - gewaltigen, die in der guten Zeit im Gold« schwammen, etwa» mehr Einsicht und Weltblick gezeigt hätten. Sie haben ihre Riesengcwinne teils in riesigen Ne»anlagen festgelegt, teil» im Privatleben verplempelt. Ihr schlechtes Beispiel hat aus ihr« europäischen Ange- stellten korrumpierend gewirkt, so daß jetzt Arbeitgeber wie Arbell- nehmer aus Mangel an Reserven dem Nichts gegenüber- stehen. Die glücklicheren von ihnen, die sonst wie Lords in den Luxuskabinen der Jndlendampser Ihre Curopareisen gemacht haben, haben diesmal als Zwischendeckpassagiere die tzeimat aufgesucht. wahrend die Mehrzahl von ihnen das furchtbare Schicksal des in den Tropen gestrandeten weihen Mannes erlebt, in die Tief« des eingeborenen Proletariat« herabgsdrllckt zu werden. Familien, die bisher in eleganten Villen des europäischen Viertel«, umgeben von einer kleinen Armee farbiger Diener, gelebt haben, Hausen jetzt wie Parias in elenden eingeborenen Logierhäusern von Singa- por«. Penang und anderen Städten der malayischen Halbinsel. Ein Schicksal, das nach den unerbittlichen Gesetzen de» Femen Ostens den gesellschaftlichen und moralischen Tod de» Europäer » bedeutet. Die Zahl der auf diese Weise aus der Bahn geworfenen Weißen wird auf mehrere Tausende beziffert. Diesem plötzlichen Zu- sammenbruch gegenüber hat di« als höchstes Gesetz proklamierte
Solidarität der Europäer um de» Rasseuprestige» willen kläglich versagt. Da die Regierung weder über Hilfsfonds verfügt noch eine organi« sierte Arbeitslosenunterstützung vorhanden ist, hat sie sich zu einer sehr bescheidenen Aktion aufgeschwungen und drei Militär- l ag er zur Verfügung gestellt, in denen wenigstens ein Test der Notleidenden untergebracht ist und auch gespeist wird. Darüber hinaus verhallen sich die lokalen Behörden In dieser schwierigen Situation vollkommen hilflos und ihre Passivität wird von der lokalen Presse wütend kritisiert Anstatt wenigstens einen Teil der technisch erfahrenen, sprach, und landeskundigen Menschen bei öffentlichen Arbellen zu verwenden, werden für diese Zwecke weiter Leute aus der Heimat unter dem Aufwand großer Spesen herangeholt Unter den farbigen Arbeitern hat eine Massenflucht ein- gesetzt. Ganze Schiffsladungen von Menschen sind nach Indien und Java abgegangen, wo die Lage zwar auch nicht glänzend, aber doch nicht ganz so verzweifelt ist Im Oktober haben wir nicht weniger als 2S000 Inder und fast ebensoviel Chinesen die Stroits verlassen. Auf den Pflanzungen und Bergwerken, di« noch im Betriebe sind, geht alle» drunter und drüber. Di« Eingeborenen sind zu dankbaren Objekten einer von Indien herübergetragenen reoo- lutionaren Propaganda geworden und das stark reduzierte cuvopäilch« Aufsichtspersonal sieht sich außerstande, die Ordnung und Arbett»dlsziplin aufrechtzuerhalten. Diese Aufgabe wird unter den gegenwärtigen Umständen besonders schwierig, weil sich di« Be- Handlung der Kontraktarbeiter bisher nicht sehr viel von derjenigen von Sklaven unterschied«« Hot. Die Entstehung wie der Verlauf der ganzen Angelegenhell ist klassisch für den Zustand der kapitalistisch orga- nisierten Kolonialwirtschaft Sie ist aufgebaut aus einer widersinnigen Methode und auf vollkommen negativen Vor- auesetzungen. Ihr Zweck besteht einzig und allein in der Erzielung unnatürlicher Konjunkturgewinne bei brutaler Aus- Nutzung billiger menschlicher Arbeitskraft. In ihrer gegenwärtigen Form- kann sie einem Druck wie dem« jenigen der augenblicklichen Wellkrise auf die Dauer keinen Widerstand leisten. Wenn es nicht gelingt,«ine höhere Form für sie zu finden, muß sie sowohl die wirtschaftlich« Stellung des Europäers wie seinen politischen Einfluß in jedem Bezirk der sarbi- gen Welt schwerer untergraben, als es der wildesten antiimperialisti- schen Propaganda je möglich sein kann.
Ein nobler Gemeindevorsteher. Wie Arbeitslose gemacht werden. Ein Gemeindevorsteher besonderer Art scheint der in Liska- Schaaken, Krei» Königsberg-Land, namens Porteck zu sein. Nach Mitteilungen, di« dem Verbandsoorstand de» Deutschen Landarbeiter-Verbandes zuteil wurden, Hot er einen armen Landarbeiter regelrecht aus Lohn und Brot gebrocht. Porteck hat di« Kontrolle der Arbeitslosen seiner Gemeinde über- tragen bekommen. So pf.'.chteifrig wie er ist, suhlte er sich zugleich zum Arbeitsoermittler berufen. Kürzlich vermittelte er dem Arbeiter M. eine Beschäftigung als landwirtschaftlicher Freiardeiter für ein Entgelt von 40 Pf. pro Stunde. Nach zwei Tagen wurde dem M. eine Verdien st möglichkeitmit68 Pf. Stunden- lohn angeboten, die er natürlich annahm. Kaum hatte Porteck er- fahren, daß M. seine Stellung gewechselt hatte, da ging er ans Telephon und veranlaßte den neuen Arbeitgeber, den M. sofort aus die Straße zu setzen, weil er seine vorige Stelle— als greiarbeiter mit täglicher Kündigung— widerrechtlich verlassen Hab«. M. flog! Doch hiermit hatte Porteck noch nicht genug. Als M. nach vier Tagen bei einem Brunnenbauer. Arbeit fand, machte sich P. sofort an diesen heran und bewirkte, daß der oersolgt« Arbeiter noch zwei
Stunden Tätigkell hinausgeworfen wurde. Di« Krone setzte der famose Gemeindevorsteher seinem Treiben auf. indem er dem arbeitswilligen Arbeiter M. zu guter Letzt die Erwerbslosenunter- stützung sperrt«. P. schämte sich nicht, dies« üble Schikane in einer Sitzung der Gemeindevertreter selbst zu erzählen! Di« Folgen blieben natürlich nicht aus. Der Deutsche Land- arbetter-Verband nahm sich des M. an und erreichte, daß Por- teck 81,60 Mark für entgangenen Verdienst an M. zahlen mußte. Das Gebaren des Gemeindevorstehers Porteck kann nicht scharf genug verurteilt werden. Was er sich erlaubt hat. ist«in Mißbrauch seiner Funktionen als Gemeindevorsteher zugunsten der londwirt- schaftlichen Arbeitgeber. Wir erwarten von den Aufsichtsbehörden, daß sie schnellstens und energisch eingreifen.
Der neue Gesandte der Sowjetunion , Herr E b i n s ch 0 t, stattete am Wcihnachtstagc dem Reichstagspräsidenten L L l> e einen An- trittsbesuch ab. Halbierung der türkischen Schulden. Die türkische Regierung beabsichtigt, die Frage der ottomanischen Schulden noch einmal auf- zurollen und da» Pariser Abkommen zu kündigen. Bei den neuen Verhandlungen will die Regierung eine Herabsetzung ihrer Schulden vm 50 Proz. verlangen. Ein Bevollmächtigter wird sich in Kürze nach Paris begeben.