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Ar. 603» 47. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Oonnersiag, 25. Oezember 4930

Carl Legien zum Gedächtnis. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages.

Der Führer der Arbeiter. Von Franz Klülis. Neben der sozialistischen Bewegung ist die g e w e r k- ! ch a f t l i ch e Organisation der Arbeiterklasse in Deutschland nur in schwerem Ringen und heftigen Kämpfen gewachsen. Ihre ersten Anfänge reichen zurück in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Ihre Schicksale aber waren noch widerspruchsvoller als die der politischen Bewegung. Das Sozialistengesetz hatte bekanntlich auch die Gewerkschaften, chre Kassen und ihre Blätter zertrümmert. Als dann das G.?etz seinem Ende zuneigte, waren allerdings schon an zahl- reichen Orten neue Fachvereine vorhanden, teilweise auch schon Versuche zur zentralen Zusammenfassung dieser örtlichen Bereine gemacht worden. Der große Aufschwung der gewerkschaftlichen Be- wegung und die Erstarkung ihres wirtsihaftlichen und kultu­rellen Einflusses beginnen aber erst mit dem Fall des So- zialistengesetzes. Unmittelbar nach Wiederherstellung des ..gemeinen Rechts" in Deutschland erfolgte damals die Grün- dung der gewerkschaftlichen Spitzenorganisation, derGeneral- kommission der Gewerkschaften Deutschlands " unter Führung Carl Legiens, dessen Name in der Geschichte der Ar- beiterbewegung nicht untergehen wird. Carl Legien stammte aus dem Osten des Reiches. In Marienburg in Westpreußen war er am 1. Dezember 1861 zur Welt gekommen. Zu früh für den kleinen Erdenbürger starben seine Eltern. Der Verwaiste wurde im Waisenhaus erzogen und dann zu einem Drechsler in die Lehre gegeben, damit er während fünf langer Jahre sich in die Geheimnisse des Berufes vertiefe. Nach Beendigung dieser langen Lehr- zeit ging er als Zwanzigsähriger, wie es damals noch des Handwerks Brauch, auf die Wanderschaft. Er arbeitete bald hier, bald dort, kam vom Osten des Reiches nach dem Süden und Westen, und schließlich landete er 1886 in Hamburg . das damals schon eine vergleichsweise starke Arbeiterbewe- gung hatte, nachdem er bereits in Frankfurt am Main der Sozialdemokratischen Partei beigetreten war. In Hamburg wirkte er bald im Fachverein der Drechfler mit hingebendem Eifer, organisatorischer Begabung und mit groß« Sachkunde. Als dann 1887, nicht zuletzt auf fein Be- treiben, der Zusammenschluß der örtlichen D rechsler- Fa ch v ereine zu einem Verband« vollzogen war. wurde Carl Legien Vorsitzender dieser neuen Zsrtralorganisation. Trst 26 Jahr alt, hatte er auf diesen' Posten Gelegenheit, in Besprechungen und größeren Ber- sammlungen in ganz Deutschland seine agitatorischen und organisatorischen Fähigkeiten zu erproben. Erst vom Jahre 1886 ab konnte dafür eine Entschädigung von siebenhundert Mark im Jahre ausgeworfen werden, also rund 58 M. im Monat oder nicht ganz 13,50 M. in der Woche! Im Herbst 1890 versank das Ausnahmegesetz, das die Arbeiterbewegung zwölf Jahre lang geknebelt hatte. Neue Entwicklungsmöglichkeiten taten sich auf. Die Fachverbände noch gespalten in lokale und zentrale Organisationen mußten sich auf die neue Zeit umstellen. Eine Konferenz der Gewerkschaften wurde nach Berlin berufen, um Richtlinien für gemeinsames Vorgehen zu beraten. Auch Carl Legien nahm als Vertreter der Drechsler an der Konserenz teil. Er legte ihr einen ausgearbeiteten Organisationsplan vor, der die Zusammenfassung von Verbänden verwandter Berufe zu Unionen und die gegenseitige Unterstützung bei Lohnkämpfcn vorsah. Zwar konnte sich die Konferenz bei dem damaligen Stande der Organisationen noch nicht entschließen, diesem weitgreifenden Plane zuzustimmen, aber trotzdem ist sie für die Entwicklung der Gewerkschaften von überragender Be- deutung geworden. Sie setzte ein besonderes Komitee ein, das den NamenGeneralkommission der Gewerkschaften Deutschlands " jetztAllgemeiner Deutscher Gewerkschafts- bund" erhielt und bestimmt war. die schwachen Verbände sowohl mit gutem Rat als mit Materialien zu unterstützen und die gemeinsamen Interessen aller Gewerkschaften wahr- zunehmen. Carl Legien wurde Vorsitzender dieser neuen und wich- tigen Kommission. Er ist es bis zu seinem Tode 26. De- zember 1920 geblieben. Mehr als 30 Jahre hat er an der Spitze der Bewegung gestanden, die heute allgemein an- erkannt ist in ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung, die aber in ihren Anfängen schwer ringen mußte, um sich Geltung zu verschaffen. Auf dem ersten Kongreß der Gewerkschaften in Halber st adt im Jahre 1892 umriß Legien die Aufgaben der gewerkschaftlichen Or- ganisationen dahin, daß sie zwar nicht die Lösung der sozialen Frage herbeiführen, wohl aber in der Gegenwart wesentlich die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterklasse unterstützen könnten. Ungefähr zur gleichen Zeit veröffentlichte er im Sozialpolitischen Zentralblatt" einen Aufsatz, in dem er gerade diese allgemein bildende und erziehende Aufgabe der gewerk- schastlichen Organisation besonders unterstrich: Gleich den Pionieren haben die Gewerkschaften den Boden zu ebnen für cinq höhere geistige Auffassung und durch Errii'.gung bessfrcr Lohn- und Arbelisbedingungen, die Arbeiterklasse vor Verctcndung und Versumpfung zu bewahren um so die Massen der Arbeiter zu befähigen, die geschichtliche Aufgabe. weiche dem Arbeiterstand zufällt, lösen zu können.

Die gewerkschaftlichen Organisationen sind gleichsam als eine Schule der Arbeiter zu betrachten, und jede Stärkung der Organi- sation muh die erzieherischeWirksamteit erhöhen. Der Lohnkampf aber erzeugt und stärkt die Eigenschaften, welche dem Arbeiter eigen sein müssen, um ihn zu befähigen, eine Umgestalning des heutigen Produktioneprozesses herbsiiühren zu können. So werden die Gewerkschoftborganisatlonen, die anscheinend nur zu

dem Zwecke gebildet worden sind, um dem Arbeiter bessere Existenz« bedingungen zu schaffen, gleichzeitig zu einer Schule und Bildungsstätte des Proletariats.' Diese hohe Auffassung von den Zielen und Zwecksetzungen der Gewerkschaften die nach der Redensart des Unter-

nehmertums nichts als Streikvereine sein sollten hat Legien durch die Jahrzehnte festgehalten, sie niemals abgeschwächt, wohl aber angesichts der steigenden Kraft und dem Auf- tauchen neuer Probleme nur erweitert. Carl Legien befaß unstreitig hervorragende Fühmreigen- schaften. Nicht in blendender Beredsamkeit sondern in kühler Sachlichkeit lag seine Stärke. Er wußte, daß die gewerk- schaftlichen Organisationen eine unbedingte Notwendigkeit seien für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Hebung der Gesomtarbeiterschaft. Diese Notwendigkeit auch den Arbeiter- Massen selbst nahezubringen, in den Organisationen Schutz- und Trutzbündnisse gegen soziale Not und Ausbeutung jeder Art zu erreichen, darin erblickte er seine Lebensaufgabe. Aber darüber hinaus war ihm der politische Kampf um die Gleich- berechtigung der Arbeiterklasse eine Selbstverständlichkeit. Schon 1893 wurde er in Kiel als sozialdemokratischer Abgeordneter zum Reichstag gewählt, und bis zu seinem Tode ist er es geblieben. Im Reichstag galt sein Wort. Man wußte, daß durch ihn die wachsenden Massen der Gewerkschaftsmitglieder sprachen. Ihm und seiner Initiative war auch der i n t e r n a t i o- nale Zusammenschluß der Gewerkschaften zu danken. Als Sekretär dieser internationalen Gewerkschafts- organisation hat er sich weitere unschätzbare Verdienste um die Gesamtgeltung der Arbeiterklasse erworben. Nach dem Kriege gab er das Amt ab, als die Verlegung des Sitzes des Internationalen Gewerkschaftsbundes nach Amsterdam sich nötig machte. Legien war der Typus des deutschen Arbeiters, der aus sich selbst gewachsen ist: gewissenhaft, zäh und im Grunds unbeirrbar. Ein Beispiel der Pflichterfüllung bis zu>n letzten, ein Wegweiser in die bessere Zukunft!

Wie Goebbels seine Freunde verriet Ein Kapitel aus der Geschichte der Hitler -Partei.

Die NSDAP , befand sich im ch erbst 1925 in«inem, wenn auch mühevollen, so doch nur durch den Marxismus gestörten Vorwärts- schreiten. Da schlug die«nticheidende Stunde: Mitte November 1925 er- hielt Adcllf chllter in München Nachricht von einer geplanten Tagung der nord« und westdeutschen Gaue seiner Partei in channcwr zweck» Gründung einer Ardeüsgemeinschaft. die, was er unschwer feststellen kannte, sich ausdrücklich gegen ihn und den siiddeiUsthen legalen, jo- zialfeigen Kurs Münchens richten sollte. Führer dieser Tagung war Gregor Straßer , gemeinsam mit Otto S t r a ß e r. Erster und letzter Punkt der Tagung war gesprochen und ungesprochen nur ein Thema: Sozialismus. Aufs tiefste bestürzt, sandte Hitler seinen treuen Adlatus Gott - fried Feder nach Hannover , um diese Meuterei niederzuhalten. Hitlers Dertreter wurde dort von den versammelten Gausührern des Westens und Nordens ein erschreckender Empfang bereitet. Der Sekretär Gregor Straßers, ein junger Mann namens Dr. Joseph Goebbels , fordert« sogar, Herrn Feder,diesen Spitzel Hitlers� , von der Tagung auszuschließen. Es ging erregt her auf dieser Zu- sammenkunft, die von den Führern der Gaue Schlesien , Rheinland- Nord, Westfalen , Hannover , Lllneburg-Stad«, Schleswig-Holstein und Pommern besucht war, und bezeichnend ist der Ausspruch des Hannoveraners Ruft(heute Reichstagsabgcordneter): wir lassen uns nicht von einem Münchener Papst regieren!'... Die einzelnen Beschlüsse der Tagung waren s ch r o s f st e n s antitapital istisch und wurden was sämtliche Beteiligten heute vergessen haben alle fast einstimmig angenommen. Für Hitler traten nur Feder und Dr. Ley, der Gauführer Rheinland- Süd, ein. Dieses Werk der sozialistischen Richtung war der Anlaß des Kampfes auf der im Frühjahr 1926 stattfindenden Führer- tagvng zu Bamberg , wo Hitler die Meuterer ausrotten wollte. Diese Tagung endete mit einem vollen Siege Hitlers . Der Tagungsort war geschickt gewählt, und ein alter Zahlabendfunktionär hätte den Neid bekommen können über die Regierungskünste des Anfängers Hitler . Die norddeutschen Gauführer waren nicht in der Lage, schon der Reisespesen wegen, die Tagung vollzählig zu besuchen. Für di«(Hannooerfche) Arbeitsgemeinschaft waren nur Gregor Straher und Dr. Goebbels erschienen, wohingegen die ge- samte bayerisch« Ritterschaft in die Bamberger Arena einritt. Hier tonnte Gottfried Feder , der Mann mit demPro- grammatik-Komplex', kalte Rache für Hannover nehmen. Ange- spornt durch den großen Manitou-Hitler, zersäbelte er die nord- deutschen Sozialisten in kleinste Stückchen, die er noch mit dem Schrecksalz des Bolschewismus bestreute, auf daß sich der deutsche Spießer unter dem Hakenkreuz scheue, sie jemals in den Mund zu nehmen. Manltau-Hitler höchstselbst feuerte einige Donnerkeile, und so geschah es, daß Gregor Straßer für seinen Entwurf nicht einmal ein« Diskussion erreicht«. Die Arbeitsgemeinschaft wurde für auf- gelöst erklärt. Tot, erschossen mit der von der Eminenz geladenen Oktober- wiesen-Pistole. Triumphierend zog Monllou-hitler gen Süden und mit ihm ----- Herr Dr. Paul Joseph Goebbels , der nach Bamberg als Sekretär Straßers hineingchüpfi war, dort feinem Meister und dem von ihn: in Kaanover beschworenen Programm den Dolchstoß gab und al» liebste» Sind Densamin nach München mitgenommen wurde. Der Verrat des Dr. Goebbels , der, in Bamberg die Konjunktur witternd, alles verleugncl«, was er in Hannover selbst angebetet,

steht einzig da in seiner an Fauche erinnernden wurst ig-schomloscu Plötzlichkeit. Hitler nagelt« den ehrgeizigen jungen Manu, dessen seit Klean nicht mehr unbekanntes Redetalent weder Grundsatz-, noch Skrupel befürchten ließ, sofort fest, indem er in München , in der Äaaba de» nationalsozialistischen Mekka , imZirkus Krone ", austraten lleß. Hier hat Goebbels dann in großer öffentlicher Rede seine endgültige Schwenkung von Nord nach Süd vom Sozialis­mus zum HMer-Faschismus für immer vollzogen. Damit war di« Nordfront durchbrochen, die sozial'stischin Strömungen lahm­gelegt. Aber di« Karri«re war gemacht! So schamlos ge- macht, daß der Ehef der nationalsozialistischen Sturmabteilung -n, Hauptmann von Pfeffer, Reaktionär reinsten Geblüts, nach der Rod« zu dem umgeschwenkten Sekretarius sagen konnte: Ich bin zwar kein Soziallst, aber ich finde, Sie haben heule einen unerhärien Verrat an Ihren Freunden verübt!" Ritschewo ein Jahr später war Dr. Goebbels Gauleiter im wichttgsten Abschnitt: Berlin !

(Aus Millenberg:Adolf Hitler Wilhelm III." Ernst Rohwolt, Berlin .)

(Aerlag

Weihnachtsekend in Berkin. 426 400 Berliner ohne Arbeit. Wie im Reich Hai sich auch der Arbeilsmorki im v-reich des Lalldesarbeitsamis Brandenburg, dag Berlin , Bran­ denburg und di» Grenzmark umsaßt, in den ersten beiden Dezember- wachen weiter siark verschlechtert. Die Zahl der Arbeitsuchenden stieg vom l. big l5. De­zember um 4t 722 auf 599 120. Allein aus verlin entfallen hiervon 426 402 Arbeitsuchende. Rur 257 500 von diesen Erwerbslosen in verlin wurden durch die Arbeitsloscnversi«ung und die krisen- sürsorge unterstützt, also rund 170 000 Erwerbslose sind aus die städtische wohlfahrtspslege angewiesen. Bereits jetzt hat die Erwerbslosigkeit Innerhalb des Landesarbeilsamts Branden­burg einen Stand erreicht, der die hächstarbettslosigkeit im ver- gangenen Krisenwinter um 21 Prozent übersteigt. Aller­dings wurden im vergangenen Jahr zahlreiche Wohlfahrlscrwerbs- lose von der Staiistik noch nicht ersaht. Der Zugang der neuen Arbeitsuchenden ist hauptsächlich aus Ent­lassungen im Baugewerbe, den Baustossindustrien und in der Land- Wirtschaft zurückzuführen. Aber auch in der Metallindustrie. die seit Monaten bereits einen Rekord an Arbeitslosen aufweist, haben neue Entlassungen stattgesunden. Technische Kräfte wurden besonders zu Konstruktionsarbeilen vom allgemeinen Maschinenbau angefordert, jedoch nahm andererseits die Arbeitslosigkeit bei den kaufmännischen Angestellten weiter zu.

Weihnachisamnestie in Sachsen . 155 Begnadigungen verfügt. Dresden.?4 Dezember. Aus Anlaß des Weihnachisfestes sind vom sackstschen Justiz« Ministerium 135 Begnadigungen verfugt worden. Dadurch sind größtenteils Gefangene in Freihett gesetzt worden. Im übrigen wurden Straftaten gemildert, auch Bewährungsfrist wurde in einer Reihe von Fällen bewilligt.