Morgenausgabe
Nr. 608
A 306
47.Jahrgang
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Technit",„ Blick in bie Bücherwelt", Jugend- Borwärts" und Stadtbeilage".
Vorwärts
Berliner Volksblatt
Dienstag 30. Dezember 1930
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Der Sumpf der Wirtschaftspartei. Danziger Satyrspiel.
Drewig wehrt sich.- Nun wird gegen Coloffer ausgepackt.
Der Abg. Drewig erklärt dem BD3.- Büro zu dem Inhalt| der Denkschrift Colossers, daß die darin enthaltenen Bor würfe unwahr feien. Er, Drewiß, hätte gar nichts mit der Parteitasse zu tun und befäme feine Gelder von der Partei in die
Hände; er sei auch gar nicht zeichnungsberechtigt für die Parteikaffe gewesen, sondern nur der Generalsekretär der Partei und der Kaffierer.
Im übrigen hätte der Prüfungsausschuß der Partei bereits alle Vorwürfe Colossers nachgeprüft. Coloffer selbst habe denn auch die Vorwürfe zurüdgenommen, worauf die Dentschrift eingezogen worden sei. Man hätte sich dann dahin geeinigi, daß Colosser weiterhin, im Einvernehmen mit dem Parteivorstand, aber nicht mehr, wie bisher, selbständig, die Mittelstandszeitung herausgeben sollte( in der Angriffe u. a. gegen die Beamten er= schienen waren, die der Parteiführer nicht deden wollte). Coloffer hätte aber nachträglich seine Zustimmung zu diesem Beschluß wieder zurückgezogen, worauf der Parteiausschuß, dem 20 Personen aus allen Teilen des Reiches angehören, beschlossen habe, die Zeitungsgesellschaft aufzulösen und Coloffer als Geschäftsführer abzuberufen. Herr Drewiß meint, daß sich vielleicht hieraus der neuerliche Vorstoß Colossers erkläre.
Herr Drewitz bestreitet weiterhin, seinem Schwiegervater oder sich selbst für einen Wohnungsbau Kredite aus der Mittelstandsbank verschafft zu haben. Er sagt, die Mittelstandsbank sei feine Parteibant; im Aufsichtsrat wären vielmehr auch Deutschnationale. 3war befinde sich unter den Tausenden Kreditnehmern der Mittelstandsbank auch der Schwiegervater des Herrn Drewiß; er hätte aber nicht 40 000, sondern nur 6000 M. Kredit erhalten. Und das
Besitztum des Schwiegervaters sei auch nicht zwangsversteigert; pielmehr verfügte der Schwiegervater noch über drei Häuser. Richtig sei dagegen, daß Herr Colosser selber bei der Mittelstandsbank einen Kredit von 26 000 m. habe, obwohl er selbst Borstand der Schöneberger Bank sei. Diesen Kredit habe Herr Coloffer erst jetzt abgebedt.
Schiedsgericht gegen Coloffer.
Der Parteivorstand der Wirtschaftspartei teilt als Ergebnis refp. 11 Size; ihnen fehlen zur Mehrheit auf dem auf 72 Sitze feiner Verhandlung folgendes mit:
,, Der, Vorstand der Reichspartei des Deutschen Mittelstandes ( Wirtschaftspartei) tagte am Montagnachmittag unter dem Vorsitz des Vorstandsmitgliedes Freidel- Hildesheim. Er beschäftigte fich nochmals eingehend mit den Angriffen gegen den Parteivorsitzenden Dremiz. Es wurde beschlossen, das Parteischiedsgericht anzurufen und bei diesem zu beantragen, die Parteimitglieder Colosser und Dannenberg aus der Partei auszuschlie. Ben. Weiter soll der Reichsausschuß am 4. Januar nach Berlin einberufen werden. Der Parteivorsitzende Drewiß fah fich veranlaßt, auf Grund der erneut gegen ihn gerichteten Angriffe in der Presse, die der Vorstand nach Prüfung der Verhältnisse als völlig unberechtigt ansieht,
von der Ausübung seines Vorstandsamtes bis zum Spruch des Schiedsgerichts Abstand zu nehmen."
Das Parteischiedsgericht wird am gleichen Tage wie der Reichsausschuß, also am 4. Januar, zusammentreten.
Der Film ,, 1914" und das Auswärtige Amt.
Die Filmzenfur hat den Richard Oswald - Film ,, 1914" ver-| Die Folge muß eine Drosselung der Fabrikation von Filmen boten. Einziger Grund: ein Gutachten des Auswärtigen politisch- historischen Inhalts sein, das Hinausdrängen der GeAmtes. Die Filmprüfstelle hat abermals so entschieden, als ob ein ministerielles Gutachten zu einem Verbot genüge. Das Berbot auf solcher Grundlage findet im Gesetz feine Stütze. Die Filmzenfur von heute überschreitet die Befugnisse, die ihr der Gesetzgeber zugewiesen hat.
In Wahrheit ist dieser Film vom Auswärtigen Amt verboten worden. Weil zwar wohl die Kriegsschuld Rußlands , aber nicht der Schuldanteil Englands und Frank reichs genügend gewürdigt sei. Das ist wohl der ,, wissenschaftliche" Rampf gegen die Kriegsschuldlüge? Soll er betrieben werden nach den Methoden der Kriegspropaganda: Jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Brit', jeder Schuß ein Ruff'? Der Stoß und der Tritt werden wohl vermißt?
Wer ist für dies Verbot im Auswärtigen Amt verant wortlich? Entspringt es der Erwägung, daß wir mit Frankreich und England nur im Völkerbund sizen, mit Ruß land aber Vertragspartner sind, daß also der Schuß für den Russ zumindest durch den Stoß und den Tritt fompensiert werden muß?
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Oder nimmt das Auswärtige Amt Anstoß daran, daß überhaupt Schuld am Kriege beim Zarismus gesucht wird? Die Wahrheit darf nicht gesucht werden das Ausmärtige Amt ist im Alleinbesitz der allein gültigen, unumstößlichen Wahrheit Hauptquartier im Kriege im Befiz der allein gültigen Wahrheit war. Der Ruhm der Bauer und Nicolai läßt die Die Filmprüfung auf Kommando der Ministerien vollzieht sich nach der Regel: pazifistische Filme sind zu verbieten, Kriegsstimmungsfilme zu genehmigen, vor allem wenn monarchistische Tendenzen damit verknüpft sind. Es wird wieder einmal in Stimmung gemacht, und der Film soll ersetzen, was während des Krieges die Stimmungsoffiziere
genau so, wie das Breſſereferat beim
leisteten.
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Diese Stimmungsmache gegen den Frieden hat eine geschäftliche Seite. Das Verhalten des Auswärtigen Amtes dem Film 1914" gegenüber nötigt zur Beleuchtung der geschäftlichen Folgen. Unbestritten hat während der Herstellung des Films eine enge Zuſammenarbeit des Herſtellers mit Beamten des Auswärtigen Amtes stattgefunden, Wünsche, Anregungen und Bedenken von dieser Seite haben zu Aenderungen des Films in der Herstellung Anlaß gegeben. Trotzdem das Berbot! Jeder Filmhersteller übernimmt das Risiko, daß sein Rapital nuglos vertan ist, wenn fein Film der Nuance der jeweils maßgebenden Stelle im Auswärtigen Amt nicht entspricht, und heute scheint im Auswärtigen Amt bald diese, bald jene Stelle maßgebend zu sein troß Herrn Curtius.
schichtsdarstellung und der Vertretung großer politisch- geistiger Tendenzen aus der Filmproduktion. Wenn die Rechtssicherheit fehlt, wird dieser Zweig der Filmproduktion zu riskant. Ist dies der Zweck der Uebung?
Es gibt aber eine Filmproduktion in Deutschland , bei der dies Risiko nicht zu bestehen scheint. Es ist dies die Produktion der von Herrn Hugenberg beherrschten Ufa . Das Filmprüfungssystem, wie es sich in diesen Wochen offenbart hat, läuft auf ein Totschlagen der Konkurrenten der Ufa hinaus. Glaubt man im Auswärtigen Amt , das Ansehen Deutsch lands im Ausland zu heben, wenn das Amt selbst sich dem Vorwurf ausfezt, militaristische und monarchistische Heizfilme zu begünstigen und pazifistische Filme zu verbieten?
Marschall Joffres Zustand wird in einer am Montagabend gegen 6 Uhr herausgegebenen amtlichen Mitteilung als äußerst ernst" bezeichnet. Die Schwäche des Kranken sei bis zur Grenze des Erträglichen gestiegen. Die wenigen Besucher, die am Montag bis ans Krantenlager zugelaffen wurden, versicherten, daß man das Ende des Kranken stündlich befürchten müſſe.
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Die Leser des Vorwärts" gehören fast ausschließlich zu jenen Volksschichten, die von der Wirtschaftskrise am schroersten getroffen sind. Wenn der Vorwärts" trotzdem im abgelaufenen Jahr seine Leserzahl nicht nur halten, sondern noch steigern konnte, so verdankt er das der Treue jener Männer und Frauen, die sich lieber andere Entbehrungen auferlegten, als daß sie auf ihren Vorwärts" verzichtet hätten!
Danzig die Hakenkreuzler vor der Wahl zum Bolkstag am Als Retter vor den Polen haben sich im Freistaat 16. November 1930 angepriesen. Rund 30 000 Danziger Wähler sind darauf hineingefallen. Mit 12 Mandaten zogen die Nazis als stärkste bürgerliche Partei in das Parlament des Freistaats ein. Sozialdemokraten und Zentrum, die bisher die Regierung, den Danziger Staat gebildet hatten, erhielten 19 verkleinerten Boltstag ein halbes Dutzend Size. Rechtsregierung unter Führung der Nationalfozialisten als Folge der Volkstagswahl", so jubilierten die 30 000 Naziwähler in Danzig . Jetzt würde endlich einmal aufgetrumpft werden gegen Polen , das dem Freistaat die Lebensluft verkümmert, das den ganzen Verkehr aus dem Oberlauf der Weichsel systematisch dem Danziger Hafen entzieht und nach Gdingen , dem mit riesigen Kosten ausgebauten polnischen Konkurrenzhafen dirigiert. Alle Not mußte nun ein Ende nehmen, die Nationalsozialisten in der Regierung würden Polen schon zur Räson bringen. Hatten sie es doch vor der Wahl in ihren Bersammlungen immerfort erklärt, daß Polen nur deshalb so dreist auftrete, weil der sozialdemokratisch- bürgerliche Senat ihm gegenüber so schlapp und feige sei.
Aber die Gesichter der 30 000 Danziger Naziwähler wurden lang und länger, als die Nationalsozialisten na ch der Wahl gar keine Anstalten machten, die Führung des Senats zu übernehmen, um Polen zu zeigen, was eine nationalsozialistische Harke ist. Die Deutschnationalen und andere Rechtsgruppen versuchten wochenlang, die Mationalsozialisten zu einer Koalition mit ihnen zu bewegen. Der deutschnationale Volkstagsabgeordnete Schütz sprach in einer von seiner Partei einberufenen Versammlung am 5. Dezember schon von Maulhelden, die, wenn sie gebraucht würden, nicht da seien". Der.Danziger Naziführer Greiser verkroch sich hinter seinen ,, obersten Führer in München , von dem er Anweisungen erwarte, und vertröstete auf das Erscheinen des von Hitler bepollmächtigten Reichstagsabgeordneten Göring . Und als Herr Göring am 7. Dezember endlich erschien, da erklärte er:
Polen werde gegenüber Danzig eine Politik schärfster Bedrückung treiben, wenn Nationalsozialisten in der Regierung fäßen. Danzig fei nicht souverän, sondern von Polen und dem Bölkerbund abhängig. Deshalb würden die Nationalsozialisten nicht in die Regierung eintreten."
Herr Göring zerstörte damit grausam die Illusionen der 30 000 Naziwähler in Danzig , die den Phrasen der Nationalsozialisten vor der Wahl geglaubt hatten, daß sie die Retter Danzigs vor Polen seien. Jetzt mußten sie erfahren, daß sie Dom Regen in die Traufe geraten sind, daß nach den eigenen. Worten Görings die Bedrückung Danzigs durch Polen um so schlimmer wird, je größer der Einfluß der Nationalſozialisten auf die Politik des Freistaats ist. Nach dem„, Bölfischen Beobachter" vom 16. Dezember 1930 hat Göring das 3urückweichen vor Polen folgendermaßen plausibel zu machen versucht:
"
Wir sind überzeugt davon, daß sowohl der Völkerbund als auch Polen alles tun würden, um einer Danziger Regierung, in der Nationalsozialisten sind, Schwierigkeiten zu be= reiten. Sei es auf finanziellem Gebiete durch Nichtgewährung notwendiger Anleihen oder Kündigung gewährter Kredite. Sei es durch politische Maßnahmen, wie zum Beispiel durch polnische Provotateure hervorgerufene Unruhen, aus denen Polen das Recht ableiten würde, aus Sicherheitsgründen Danzig zu besetzen ( für letzteres haben wir ganz bestimmte, Unterlagen)."
Die Angst vor Polen spricht aus jedem Wort dieses die Satenkreuzler den Danziger Wählern dies klassische Einfläglichen Verlegenheits-( Berlogenheits-) gestammels. Wenn geständnis ihrer tatsächlichen Ohnmacht vor der Wahl am 16. November gemacht hätten, so hätten sich Das kommende Jahr wird ein Jahr der größten sicher viele Wähler dafür bedankt, ihnen die Stimme zu geben. Entscheidungen sein. Als Mittel der Aufklärung, als Die jämmerliche Scheu vor der Berantwortung hat Waffe im Kampf wird der„ Vorwärts" unent- err Göring durch die großsprecherische Versicherung zu ver behrlicher sein denn je. Darum rufen wir unsere im Boltstag und einem hundertprozentigen Nazisenat schon schleiern versucht, daß die Nazis bei einer absoluten Mehrheit Leser auf, auszuharren in ihrer Treue und auftrumpfen würden, wenn auch in der Regierung des wie bisher auch weiter unserem Blatt, dem Zentral- Deutschen Reiches ein nationalsozialistischer Minister säße. organ der Sozialdemokratie, immer neue Freunde zu roerben.
roir