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Beilage

Dienstag, 30. Dezember 1930

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Weihnacht in Afrifa

Einige Blätter südafrikanischer Geschichte

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Der Abend

Shadausonde

Von P. Stawran

Genosse Prof. Dr. P. Stawrau, dessen Schilde| Buren her nach dem Norden tredie. Bei 3eutpansberg|| tung wir hier veröffentlichen, ist Dozent für Psycho traf dieses Geschlecht mit den ersten Bortredern zusammen. Bugs Logie an der Universität von Pretoria ( Südafrika ). aber, nachdem er den Tod seiner zweiten Frau heiß beweint und Weitere Studien über das Leben in Südafrika seinen Kindern einen ganzen Abend aus der Bibel vorgelesen hatte, werden folgen. verteilte all sein Bieh unter sie und zog wieder nordwärts. An der Küste von Sofala heiratete er dann eine Goanesin( Halb blut von Portugiesen und Indierin) und zeugte ein drittes Buns- Geschlecht, das ebenfalls heute noch besteht.

Pretoria , 4. Dezember 1930.

Heute ist der Tag für uns Deutschafrifaner, an dem wir unsere Bethnachtspoft fertigstellen müssen. Denn alle Technik der Neuzeit hat es noch nicht vermocht, die ungeheure Entfernung von rund 12 000 Kilometer in meniger als drei Wochen zu überbrüden.

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Weihnachtspoft mau versucht unwillkürlich, mas der Technik nicht gelang, durch einen verwegenen Gedankenflug zu erreichen: nämlich Freunde zu fehen und mit ihnen das Feft zu begehen. Und man findet: eine Welt trennt uns. Es gelingt nicht,

bei 35 Grad Celsius im Schatten

und vor Trockenheit zitternder Luft, sich in eine Stimmung hinein­zuleben, die uns so wohlig durchwärmt, wenn draußen ein eisiger Nordwind weht und große, graue Schneeflocken die Luft mit falter Feuchtigkeit durchsättigen. Man fühlt plöglich, daß es eigentlich nie die religiöse Feier war, die mir da in Deutschland um die Winterfonnenmende herum begingen. Daß es immer schon- mie in grauer Vorzeit bei den Germanen und wie jetzt bei unserer jugendbewegten Jugend-die Feier eines überwältigenden Natur­vorganges mar( den die chriftliche Religion später in geschickter Weise in ihrer Christigeburtsfeier symbolisierte), der Geburtsstunde des Frühlings. Mitten im talten Winter..."

H

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Wie wäre es fonst möglich, daß uns hier im Lande der bibelgläubigsten Nation der Welt die uns so lieb ge wordene Weihnachtsstimmung fo hartnäckig flieht! Einer Nation, die sich- und mindestens mit demselben Recht wie die Juden für das auserwählte Bolt Gottes hielt! Wirklich dieses Band ist in vieler Hinsicht ein ebenso testamentarisches Land mie Balästina. Und man wundert sich fast, wenn man die Geschichte Südafrikas lieft, daß nicht auch die Buren noch auf die Geburt des ,, Messias" warten wie die Juden. Denn ihre Geschichte liest sich mie das Ulte Testament. Und hier in Südafrika beffer als heute in Palästina fann man die gewaltigen Erlebnisse der würdigen Erzbater fief erschüttert hat mahrhaft miterleben. Denn hier sind ihre Zeiten gerade jegt erft vergangen und hin und wieder trifft man ihre redenhaften, weißbärtigen Gestalten, altersgrau und verfallen, noch heute. Draußen auf weitem, offenen Feld, im Schatten eines einsamen Farmhauses oder auch in den ärmeren Vierteln der schnell aufgeschossenen Städte. Denn eines haben sie nicht mit den Erz­vätern der Juben gemeinsam: Sie haben teine Reichtümer gesammelt.

Deren hegre poterat Stebinet

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Unwillkürlich wandern meine Gedanken in jene Zeiten alt= testamentarischen Geschehens zurück. Zeiten, die um weniges dem vielbesprochenen Burenfrieg varangingen und nun taum mehr als hundert Jahre zurüdliegen.

Ein schöner Dezemberabend des Jahres 1835. Die fahlen Karrenberge glühen im Licht der untergehenden Sonne. Fernerhin stehen sie tiefblau und violett gegen den Horizont. Gigantisch türmen fich Gewitterwolfen dahinter auf. Es wird an genehm fühl nach der erstidenden Hize des Tages.

Zum Biered zusammengefahren stehen

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die halbgedeckten Ochsenwagen der ersten Tredburen. Im Innern der Wagenburg brennt ein fleines Feuer aus ge= trodnetem Ddfenmist. Es herrscht feierliche Stille. Mit ange­zogenen Beinen wie sie es von den Hottentotten gelernt haben hoden eine Anzahl Buren um das Feuer und lauschen dem ältesten unter ihnen, der in feierlichem Hochholländisch aus der Bibel vor­lieft. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felbe... Ein Psalm tingt durch die stille Nacht. Dann nur noch das Zirpen der Grillen und weit fort das Brüllen eines Löwen .

Ein Bur zieht mit seiner Familie nach dem unbekannten Norden. Vertrieben von den Fleischtöpfen der Kapproving durch die Schikanen des mächtigen England, sucht er eine neue Butunft. Rein Ranaan ist ihm verheißen. wohl aber warten seiner Not und Gefahr. Er erreicht die Steppen Transvaals, fieht einen Flecken der ihm gefällt, berät mit seinen Söhnen und läßt sich hier nieder. Sein Geschlecht breitet sich aus. Aus der fleinen Farm wird ein Ort, der feinen Namen trägt. ( So ent­stanten Pieter Marigburg, Botgietersrust, Louis Trichardt usw.) Bald aber wird der Raum zu eng für die Zahl seiner Nachkommen und die Unzahl seiner Schafe und Rinder. Er wirbt für den ältesten Sohn bei seinem Nachbarn. Die Jungverheirateten sammeln Bieh und ziehen weiter nordwärts. Ein neues Geschlecht wird gegründet und breitet sich aus. Aber viel Raum ist in diesem

Ranao.

Ein anderer mieher Konrad Bug's hatte schon vor dem großen Tred, von den Engländern gejagt, das Rap verlassen. Er ging zu den Rosas und

helratete die Muffer des minderjährigen Königs Gaifa und zeugte mit ihr ein Geflecht von 3ulumtfchlingen. Er fanimelte eine Menge Bish und murde reich.

Nach dem Lob der Königin heiratete er eine Hottentottin Und mieber muds ein neues Geschlecht heran, das nor hen nor hen

Und dann gedente ich eines Erlebnisses, das ich im Winter 1929 hatte am Rand der großen Kalahari. Seit Monaten war fein Regen gefallen. Die Steppe mar goldgelb und weiß die verblichenen fahlen Dornenbäume. Es wurde Abend, che mir eine Farm erreichten. Für uns war nur ein Schuppen da.

Der Farmer, ein fiebzigjähriger Greis, lebte mit seiner jungen faum 25jährigen Frau in einem verlaffenen Kaffernpontot. Ein falter Siid wehte über die schutzlose Ebene. Fröstelnd standen wir um ein dürftiges Feuer, vor dem die Frau mit ihrem wenige Monate alten Baby hockte. Der Alte stand hochaufgerichtet und hager daneben.

des

Vorwärt

Als wir am anderen Morgen weiterritten, sprach mein Freund über die Not und Gefahr der armen Weißen"( Blanken) in Süd­ afrika . Ich antwortete, nicht. Meine Gedanken waren bei jener Winternacht in Palästina, wo unter ähnlichen Umständen ein Kind geboren murde. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich die so vielfach sentimental dargestellte Weihnachtsszene in ihrer ganzen grausamen Wirklichkeit erlebt. Erlebt im Land des Aten Teftaments als ein Zeichen notwendigen Kampfes mehr, denn als Zeichen kommenden fampflosen Glüdes.

Südafrika ist ein frommes Land. Aber Weihnachten feiert man wie in Deutschland Neujahr oder Sarnepal. Blumpudding mit eingebadenen Geldstücken steht im Mittelpunkt des Interesses und viel Whiskysoda wird später darüber gegoffen, Jolly good felloms" werden dazu gefungen und es wird getanzt, gelacht und gefüßt..

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Was Wunder, daß da trotz aller Mißerfolge, Weihnachts­ftimmung zu erzeugen immer und immer wieder unsere Ge danten zurückwandern! Was sie suchen, ist das große Natura ereignis, die Geburtsstunde des Frühlings. Mitten im faiten

Winter..."

Verklärende Erinnerung

Auch eine Neujahrsbetrachtung

s

Nach der Erstaufführung von 3bfens Gespenster" in Kopenhagen trug der Literarhistoriker Georg Brandes den Bermert in fein Tagebuch: Psychiatrie ist Psychiatrie, Kunst ist Kunst. Wer beides zu vermengen sucht, büßt es mit einem Miß erfolg. Gequäit hat mich dieses Werk. Beinahe hätte ich mich den Mißmutigen zugefellt, die das Stück gestern ausgepfiffen haben." Ein Jahr später hatte Brandes anläßlich der Wieder. aufnahme des Dramas über seinen Wert in einem Kopenhagener Blatt ein sozusagen universitätsamtliches Gutachten abzugeben und darin äußerte er sich so: Der Schöpfer der Gespenster erobert dom Drama sin neues Stoffgabiat. Das Trauerspiel, das im Pri­vatleben Keimverderbnis heißt und bloß den Patienten, die Fa­milienangehörigen und den Arzt etwas angeht, geht uns alle viel an, wenn ein Autor mit Meister hand baraus die Tra­gödie Schuld der Väter, Heimsuchung der Kinder formt." Das wurde im einzelnen targelegt und Brandes redete von der tiefen Er­schütterung, die das Stück auf ihn ausübte, sobald die Er­innerung an jenen Theaterabend wach wurde. Dabei hatte er die Gespenster" zwischen der Erstaufführung und der Zeitungsäußerung weder gelesen, noch gesehen, noch darüber mit anderen gesprochen.

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Den Zeitgenossen muß es, nach erhaltenen Tagebüchern, mit Beethovens Werten ähnlich ergangen sein. Nach der, ersten Bekanntschaft verabschiedeten sie sich ziemlich gereizt und schroff von dieser monströsen, von dieser durch und durch fonfufen Sinfonie, von diesem eigensinnig polternden Quartett oder von dieser pathetisch verschrobenen Sonate. Aber das Werk ließ sie nicht mehr los und bevor sie es ein zweites Mal hörten, war meistens schon das geht aus den Tagebüchern hervor die Wandlung vom Saulus zum Paulus erfolgt: Erinnerungsperflärung.

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Wie war es doch?

auch

Irgendwie begnadet fie uns alle mit ihrem Segen. Selten, viel leicht nie, überwältigt uns ein Kunstwert von großem Format auf den ersten Anhieb mit der bezwingenden Gewalt, die es später auf uns ausübt. Wir müssen uns erst daran gewöhnen, erst einleben, aber diese Gewöhnung und Einlebung vollzieht, wenn überhaupt, die Erinnerungsverflärung. Mit einem Male beginnen die Töne des erstmalig gehörten Werkes in uns zu flingen, die Worte ihren eigentlichen Sinn zu bekommen, beim erstmalig erblickten Meister bild Farben und Gestalten ihre harmonische Anordnung zu erhalten. der als das Erlebnis der unmittelbaren Auf­Die Erinnerung an das Wert wirft befriedigen.

nahme.

Hat die Seele dank der Erinnerungsverflärung diesen Höhen­schwung genommen, so ist ein Grad der Eindrucksfähigkeit geschaffen, von dem sie bei jeder wiederholten Darbietung der künstlerischen Schöpfung zu immer tieferen und ästhetisch wertvolleren Impref. fionen gelangen fann. Von nun ab gilt von dem Werte, was Kant dem ,, bestirnten Himmel" und dem moralischen Gesetz" nachrühmte: Es erfüllt das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunde rung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender das Nachdenken sich damit beschäftigt". Ganz gewiß würde nie jemand zu den ästhetisch wertvollsten Bereicherungen, zu dem Eindruck der tragischen Er­schütterung oder des humorbeseelien Jubels gelangen, wenn die Er­innerungsverklärung ihm nicht über die ursprünglichen Schwierig­feiten der harmonischen Einstellung zum Kunstwert hinweghelfen würde. Der Fall Brandes ist belehrend. Brandes möchte zu­erst die Gespenster" auspfeifen. Ein Jahr später würdigt er den virtuosen Gestalter eines neuen Stoffgebietes und schließlich wird er der Herold des Ibsenschen Ruhmes, der gerade diesem Werf eine fast unfritische Begeisterung entgegenbrinat. Der Kulturgemeinde aller Länder ist es ebenso mitmlet". mit kleifts 3 er. brochenem Krug" mit der H- Moll- Meile von Bach und mit der Neunten Sinfonie ergangen. Erinnerungsverflärung hat ollen zur gerechten Würdigung und, was wertvoller ist, zum richtigen Enthusiasmus verhoffen.

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Sie leistet uns aber vielleicht noch größere Dienste durch die optimistische Färbung unserer eigenen Bebens. erfahrungen. Wir haben geflagt, waren verzweifelt, als wir in 3eiten der Schidjalsschläge die Ausmaße menschlichen Unglüds

erbulbet zu haben glaubten. Hinterher sieht sich das clles anders an. Kindheit, Jugend, Alter, Greifenalter, alles ist schön und herr­lich gewesen, und schließlich möchte fast jeder vor Toresschluß mit König David sprechen: Wie war dies Leben reich und voller Bonnen; ich dante dir, o Gott, daß du es mir geschenkt." Jede größere Seitspanne, bie mir kalendermäßig abzugrenzen pflegen, wird, menn auch vielleicht nur matt, bestrahlt von der ver flärenden Erinnerung. Das Jahr geht seinem Abschluß entgegen. Wie viele haben danach geseufzt, daß es doch bloß erit gat Ende wäre, und für viele ist es mirklich ein Jahr des Unheils gewesen, des Unheils ohne Schuld. Nun, wer davon betroffen wurde, wird ihm gerade teine Erane nachweinen, ba es fo weit ist, aber bie Neigung ist auch jezt schon vorhanden, dem erledigten Chronos finde einen anständigen Grabspruch nachzuschicken.

Das habe ich gesagt?!

Mit einem eigenartigen, für alle Beteiligten gleich unverständ lichen Vorgang haben die Gerichte in faft fedem umfangreichen Prozeß zu tun: die Belastungszeugen halten nicht it and. Sie haben im polizeilichen Ermittlungsverfahren ganz be stimmte Beschuldigungen gegen einen Täter erhoben und diese auf ganz bestimmte Angaben geſtügt Bor bem Untersuchungsrichter

haben sie kurz danach ihre Befundungen Moment für Moment wiederholt, und das alles mit größter Bestimmtheit und im Willen, die reine Wahrheit zu sagen. Kommt es dann Wochen oder Monate später zur Hauptverhandlung, so nehmen die Zeugen vielfach ihre belastenden Angaben zurüd. Man denkt dann, um sich diese Flucht vor ihren eigenen Aussagen erklären zu fönnen, an vielerlei Mög­lichkeiten. Der Angelicate hätte auf sie eingewirft, fie fürchteten feine Rache, sie hätten Mitleid mit ihm usw.

Gewiß treffen diese Motive mandymal zu, aber doch mehr in Ausnahmefällen. In der Regel wirft unseres Erachtens auch hier die pertlärende Erinnerung. Sie tilgt aus dem Ge­dächtnis den Schlag, den der Zeuge einen Angeklagten wirklich hat führen gesehen, die verleumdende Aeußerung, die er gehört, die rechtsbrecherische Tat, der er beigewohnt hat. Wird er nom Gerichts­vorfigenden auf seine Aussage vor Bolizei und Untersuchungsrichter hingewiesen, so ist er wirklich erstaunt über seine ehemaligen Be­schuldigungen. Er entsinnt sich nun anders des Vorfalls, ter zur Antlage geführt hat. Alles ist unschädlicher, anständiger, halb so schlimm zugegangen, und subjettiv ganz ehrlich bekennt er gegenüber den Borhaltungen des Berhandlungsleiters, was ihn mun niemand mehr glaubt: Ich kann mich nicht befinnen."

Tatsächlich schafft hier die verklärende Erinnerung eine Aus­fallserscheinung, ein memorielles Manto. Diese Lüde tann dem Beugen verhängnisvoll werden, kann zur Meineidsanklage und Ber­urteilung führen. Die Gefahr für einen Fehlspruch liegt jedenfalls drehend nahe, und sicherlich sind viele unschuldig verurteilt worden. Ein Berufs oder Laienrichter, dem das Wesen der Erinnerungs­verklärung fremd ist, kann ja gar nicht an eine Ausfallserscheinung glauben. Er wird immer geneigt sein, eine wissentlich falsche Be­schuldigung anzunehmen, wofür der Zeuge schon seinen Grund gehabt haben wird.

Ein Segen.

Sonst aber ist die verklärende Erinnerung ein Segen. Daß man unter einen zurückgelegten Bebensabschnitt einen Schlußstrich machen und ihm ein günstiges oder doch wenigstens ein annäherno günstiges Fazit nachrühmen kann, das leistet uns den Dienst einer feelifden Säuberungsaktion Man hat damit schon halbwegs ver­schmerzt, was man verlor, überwunden, was einem zugefügt wurde. Und dieses bedeutet wiederum eine Ermutigung für fünf­tige Tage. Der Wille ist fester geworden, die Kraft ungehemmter, nachdem man sich der psychischen Fesselung von schweren Tagen der Bergangenheit auf diese Weise entzogen hat.

Der Willkommenegruß an das neue Jahr tönnte nicht so fröh­lich flingen, die Erwartungen nicht so hoffnungsdurchströmt sein, wenn man dem alten Jahre nach seinem Abschluß alle die Belastun gen nanjiragen würde, die es gewöhnlich über uns verhängt hat. Dr. Bruno Altmann.