Einzelbild herunterladen
 

Morgenausgabe

Nr. 1 A1

48.Jahrgang

Böchentlich 85 Bf., monatlich 3,60 m. im poraus zahlbar, Boftbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bf. Postzeitungs- und 72 Pf. Postbestellgebühren. Auslands abonnement 6,-M. pro Monat; für Länder mit ermäßigtem Druckfachen porto 5,- M

*

Der Borwärts" erscheint wochentag­lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abend ausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend". Illustrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenstimme" Technit", Blick in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" u. ,, Stadtbeilage"

Vorwärts

Berliner Volksblatt

Donnerstag

1. Januar 1931

Groß- Berlin 10 Pi Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Nonpareillegeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart, Kleine Anzeigen das ettge drudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarft Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Vorwärts: Verlag G. m. b. H.

Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin  .

Postscheckkonto: Berlin   37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Lindenstr. 3, Dt. B. u. Disc.- Ges., Depofitent., Jerusalemer Str.   65/66.

Zu neuen Ufern!

ist

Weltwirtschaft/ Weltschicksal. in hohem Maße bemerkenswert. Bieles iſt in Zeitschriften| Ganzes weiterleben, Kraft gewinnen und ihr Lebensrecht

Von Friedrich Stampfer  .

Was kann es zum neuen Jahr Besseres geben als neue Erkenntnis? Wie willkommen müßte der erscheinen, der in die Wirren unserer Zeit neues Licht zu bringen, neue Aus mege aus ihnen zu zeigen vermöchte! So mag es denn auch nicht unnütz sein, auf Wahrheiten hinzuweisen, die längst schon von vielen erkannt, nur noch lange nicht genügend gewürdigt find, Wahrheiten, die auf den ihnen gebührenden Platz zu stellen, eine politische Notwendigkeit geworden ist.

Von der Gründerfrise in den siebziger Jahren des ver­gangenen Jahrhunderts erwartete Karl Marg, sie werde ,, durch die Allseitigkeit ihres Schauplages, wie die Intensivi tät ihrer Wirkung" auch widerstrebenden Köpfen Dialektik einpaufen". An Allseitigkeit des Schauplatzes und Inten­fivität der Wirkung übertrifft die gegenwärtige Weltwirt schaftskrise den Gründerkrach um ein Vielfaches. Die Wir­fungen, die von ihr ausgehen werden, sind noch unübersehbar. Eines aber müssen wir schon jetzt aus ihr gelernt haben, näm lich, daß die erwirtlichung des Sozialismus in ganz anderem Maße ein internationales Problem ist, als den meisten von uns bisher zu Bewußtsein gekommen ist.

Liegt nicht in der Vernachlässigung dieser Wahrheit die! Hauptursache für viele Unklarheiten in unseren Reihen?

Was die Stärke des wissenschaftlichen Sozialismus aus­macht, das ist die Geschlossenheit seines Systems, die Un­beirrbarkeit seiner Konsequenz. Im Versprechen einer besseren Zukunft kann ihn jede Demagogie überbieten- im Er­klären dessen, was ist, fommt ihm keine andere Lehre gleich. Durch ihn lernte die Arbeiterklasse sich selber verstehen, erhielt sie eine Vorstellung ihrer großen Mission, und dieses idea­listische Moment wirfte viel stärker als die Aussicht auf irgend­einen weit in der Ferne liegenden materiellen Vorteil.

Braktisch geworden, hat der Sozialismus nicht mehr nur gelehrt, sondern auch geleistet. So beflagenswert die Lage der Arbeiter in diefer Krise ist, sie würde zweifellos noch viel elender sein ohne die große, fleißige und gewissenhafte Arbeit, die von Partei, Gewerkschaften und Genossenschaften geleistet worden ist. Dennoch ist die Sozialdemokratie von

Selbstzufriedenheit weit entfernt. Wenn man sagt, daß sie als Schuhwehr des Friedens nach außen, der staatsbürger­lichen Freiheit nach innen, als Wall gegen soziale und poli­tische Reaktion eine ganz unentbehrliche Funktion ausübt, so ist das nach unser aller Ueberzeugung hundertmal richtig und dennoch verfolgt uns angesichts des Massenelends dieser Tage stets der Gedanfe, mie meit mir noch DDN unserem 3iel entfernt find.

-

Wir sind es nicht nur, weil uns in Deutsch  land die Mehrheit fehlt, sondern auch, weil dieses weltweite Problem niemals in einem Lande allein ganz gelöst werden

fann.

Gewiß, für eine Sozialdemokratie, die, auf die Bolksmehr­heit gestüßt, regiert, ergeben sich weitgehende, unschätzbare Möglichkeiten. Solange jedoch auf dem Gebiet der Weltwirt Schaft der gegenwärtige Zustand der Anarchie weiter besteht, wird jeder Bau des Sozialismus, der auf nationalem Boden errichtet wird, von schweren Erschütterungen bedroht sein. An fich ist ja diese Erkenntnis so wenig neu, daß sie schon im ,, Kommunistischen Manifest" zu finden ist. Aber die Ver­einigung der Proletarier aller Länder, soweit sie seitdem voll­zogen worden ist, hat mehr der Erhaltung des Friedens und dem internationalen sozialpolitischen Fortschritt gegolten, als dem Kampf für eine internationale sozialistische Wirtschaftspolitik. Bescheidene Anfäge in dieser Richtung sind auf internationalen Sozialisten- und Gewerk­schaftskongressen gemacht worden, ferner auch in einem Me­saorandum der Labour Party   vom Jahre 1927 über die Deto­nomischen Tendenzen, die geeignet sind, den Weltfrieden zu berühren", und auch, was der jezige Unterstaatssekretär im Foreign Office, Genosse Hugh Dalton  , in seinem Buch ,, Toward the Peace of Nations"( Dem Bölkerfrieden ent

gegen) über die internationalen Wirtschaftsprobleme ausführt,

und Zeitungen verstreut. Die Erkenntnis, daß auf diesem durchsetzen. Darum hat sie auch ein Recht auf die Wahrheit, Boden noch gewaltige, entscheidend wichtige Aufgaben zu die ganze Wahrheit! lösen sind, ist zweifellos im Wachsen. Aber von fertigen Formeln ist man noch weit entfernt.

Eine politische Macht, die imstande wäre, im Weltmaß ftab regulierend einzugreifen, sieht man kaum erst andeutungs­weise im Völkerbund   entstehen. Die Versuche, die er in dieser Richtung unternommen hat, zeigen nur, daß die Dringlichkeit des Problems weit über die sozialistischen   Kreise hinaus empfunden wird, sie waren jedoch bisher fast nur im Negativen lehrreich und feineswegs ermutigend. Das Problem der Regulierung des Weltmarkts schließt alle dornenreichen Probleme des internationalen Verkehrs von apital, Arbeitstraft und Ware und damit auch die Probleme des Schutzolls und der Einwande­rung in sich ein. Aber ohne Lösung dieser Probleme wird auch die vollständigste nationale ,, Sozialisierung" Stückwert bleiben und der Gefahr erschütternder Stöße von außen aus gefeßt sein.

Bir Sozialdemokraten fönnen uns unmöglich auf den bequemen Boden der Kommunisten stellen, die da meinen, alle diese Dinge würden sich von selber spielend lösen, wenn erst einmal die ganze Welt sowjetisiert sein wird. Bis dahin fönnen wir mit unserer Arbeit nicht warten!

Jedem verständigen Kranken ist eine richtige Diagnose lieber als ein Quacksalberrezept. Ihm die Wahrheit zu ver hüllen ist der Arzt nur dann berechtigt, wenn sie ihm nicht mehr helfen kann, das heißt, wenn er ein sicherer Todes: kandidat ist. Die Arbeiterklasse aber ist kein Todeskandidat, sie wird, mögen noch soviel einzelne von ihr dahingehen, als

|

Von der sozialistischen   Bewegung gilt noch heute das Wort, daß sie teine fertigen Lösungen bringt. Der Strom der Entwicklung stellt sie vor immer neue Fragen. Aufgaben, an deren Lösung fie arbeitet, ändern Gestalt und Gesicht. Ohne ständige Selbstkritik gibt es auch für sie keinen Fortschritt.

Wie furzsichtig ist doch die Meinung, die Sozialdemokratie fönnte durch Flucht in eine verantwortungslose Opposition die Kraft gewinnen, die sie braucht, um die Befreiung der Ar­beiterklasse aus den Fesseln der Lohnfnechtschaft herbeizu­führen! Nein, wir dürfen uns von den praktischen Aufgaben nicht drücken, wir müssen, immer enger an sie heran!

Haben wir doch den Mut auszusprechen, daß diese große soziale Bewegung, von deren Sieg oder Niederlage ein Welt­schicksal abhängt, noch weite Strecken zu ihrem Ziel zu durch­messen hat, daß sich auf ihrem Weg ungeheure Schwierig­feiten auftürmen, und daß wir Sozialisten feine Herenmeister sind, die alles wissen und können, sondern obgleich schon Bielerfahrene- doch noch Lernende und Suchende.

Die Weltwirtschaftskrise hat das Problem einer sozia= listischen Weltwirtschaftspolitit riesengroß in unseren Weg gestellt. Wir sind gezwungen, uns mit ihm noch viel ernster auseinanderzusetzen, als das bisher geschehen ist. Wir können damit auch nicht warten, bis überall in der Welt sozialistische Parteien zur Herrschaft gekommen sind; die Notwendigkeit, mit Verwirklichungen zu beginnen, wird schon viel früher gegeben sein. Eine Welt, in der zwanzig Millionen Arbeitslose herumlaufen, und in der auch

Bo bleibt der zweite Mann?

Ein Ruf zum Kampfiabe 1931. Von Otto Wels  .

Die Jahreswende, sieht die Partei in höchster| Abonnenten für die Parteipresse in dem heute beginnen­Aktivität. Es gab keine Ruhe seit der Wahl vom den Jahr zu gewinnen, ist eine Pflichtaufgabe für jeden 14. September und es darf keine mehr geben! Partei, Genossen und jede Genossin. Gewerkschaften, Arbeitersportorganisationen und Reichs­banner formieren sich zur großen, geschlossenen Ver­teidigungsarmee der Republik  .

Drüben schwingen Prinzen, Fürsten  , Grafen   und Barone das Banner der neuesten ,, Arbeiterpartei". Als Befreier spielen sie sich auf, sie, die, solange sie konnten, das Volk knebelfen und in politischer Unmündigkeit erhielten, die es im Stahlbad des Krieges zugrunde rich­teten, um am Ende sich selber schnellstens in Sicherheit zu bringen. Gewiffenloses Demagogentum spielt mit dem Gedanken eines neuen Krieges.

Einigkeit und Geschlossenheit im Kampf gegen die Demagogen der Diktatur muß die Parole sein. Was aber fun die Kommunisten? Zum Vorteil der Reaktion versuchen sie weiter, die Arbeiterbewegung zu spalten und zu zertrümmern. Gelänge ihnen das, so wäre den schlimmsten Arbeiterfeinden der Sieg gewiß.

Für uns Sozialdemokraten kann es in diesem Jahre nur eine Parole geben. Das ganze arbeitende Volk muß einheitlich zusammenstehen in der Sozial­demokratischen Partei, in den Gewerkschaften, in den Sportorganisationen, im Reichsbanner. Für das stärkste Wachstum unserer Organisationen und unserer Presse muß die letzte, die äußerste Kraft aufgeboten werden.

Sichtbar und hörbar, immer wieder an die Gewissen pochend, muß alle bei ihrer Arbeit die Frage begleiten: Wo bleibt der zweite Mann? Was hast du in diesem Jahre schon gefan, um der Organisation ein neues Mitglied, der Presse einen neuen Abonnenten zu werben? Denke an deine Pflicht! Eile, damit es nicht zu spät wird!

In unserer Presse, in unseren Versammlungen, überall, wo Genossen weiterem oder engerem Kreis zusammentreffen, immer wieder muß an alle einzelnen die Gewissensfrage gerichtet werden, ob sie ihre Pflicht gegenüber der Partei erfüllt haben:

Wo bleibt dee zweite Mann?

Wir sind stark in der Verteidigung. Wir müssen stärker werden zum Angriff. Das Jahr 1931 muß für uns ein Jahr des Triumphs, für die Feinde der Arbeiter­klasse aber ein Jahr der schmählichen Niederlage werden! Darum nüze jeder jeden Tag und jede Stunde! Darum richte immer wieder jeder an jeden, vor allem aber an sich selber die drängende Gewissensfrage: Was hast du getan, um die Macht der Arbeiterorganisationen zu stärken?

Dieser Ruf geht an jeden und an jede. Mindestens ein Mitglied für die Partei, mindestens einen Wo bleibt der zweite Mann?