Rr. 1 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts.net 1931
Einer nach Berin kam
Wie
Pehmere
Ohne Morgenrot und ohne einen Sonnenstrahl erroachte der letzte Tag eines trüben, bangen Jahres. Schläfrig und fröstelnd huschten durch den naẞkalten Frühnebel die Beroohner der Riesenstadt zur Arbeit. Rund um die gelblich und müde schimmernden Lampen glitzerte die kristallene Mosaik des frischgefrorenen Glatteises. Um diese Stunde kam ein Mann über die Havelriesen geschritten. Er war lange gelaufen und kam aus einer fernen Gegend; nach jedem Atemzuge blies aus seinem Munde eine dichte Dampfmolke.. Aber jede dieser Wolken zerzauste im Nu der Morgenmind. Wie es schien, legte der fremde Mann keine Eile an den Tag. Erst der nächste mitternächtliche Glockenschlag sollte ihn zur Arbeit rufen. Bis dahin mollte er unbemerkt und unerkannt in Berlin ein wenig Umschau halten.
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Fahrt in die Stadt.
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In einem entlegenen, einsamen Dorf, das zwischen den Wiesen lag, fand der Mann trop der Morgenfrühe schon eine Straßen bahn. Da er noch nie in einer Straßenbahn geseffen hatte, freute er sich auf die Fahrt. Geben Sie mir einen Fahrschein nach Berlin ", fagte er zu de.. Schaffner, der sich von seinen Handschuhen die Fingerlinge abgeschnitten hatte. Wir sind in Berlin , mein Herr", entgegnete der Schaffner. Hähne, die zu früh frähen, friegt des Mittags der Fuchs, dachte der Fremde bei sich und wandte sich dem Schaffner zu: Warum uzen Sie mich, dieses Dorf ist doch nicht Berlin ." Glauben Sie es mir, auch dieses Dorf ist Berlin ," an wortete der Schaffner, genau wie tie Dörfer und Wälder jenseits des großen Steinmeers, in das wir jetzt fahren." Dann zog der Schaffner an einem Lederriemen, eine fleine Glode machte einm „ kling" und die Fahrt begann.„ Wir werden Sie mitnehmen bis zunt Rathaus, dort tönnen Sie umsteigen und bis ans andere Ende von Berlin fahren, der Preis ist immer derselbe." Wie lange wird das dauern?" fragte der Fremde. Nicht lange," der Schaffner zog feine Uhr und begann zu rechnen,„ Sie tommen zum Mittagessen uch zurecht."„ lind das fostet?"" Fünfundzwanzig Biennige, mein Herr." Und wenn ich nur über diese Brüde hier fahre?" Auch fünfundzwanzig Pfennige, mein Herr." Nach einigen Minuten suor die Bahn durch eine Stadt. Rathaus!" rief der Schaffner an der Haltestelle. Der Fremde sprang auf, doch der Schaffner bat ihm, ruhig wieder Platz zu nehmen, das wäre erst das Spandauer Rathaus. Das Mißtrauen des Fremden stieg. Mit feinem Mantelärmel wischte er die schwitzende Fensterscheibe trocken und preßte die Stirn gegen das Glas, um beffer sehen zu können. Die Fäufer der kleinen Stadt hatten längst aufgehört, wieder rollie die Bahn über weite Felder. Oftmals hielt der Wagen, Menschen stiegen aus und ein, und während das Herz des Freniden zu pochen began über dieses seiner Meinung nach ziellose Fahren, faßen seine Fahrt genoijen unbefümmert da und lasen die Zeitung. Diese Eingeborenen mifen einen besonderen Sinn haben, der ihnen anzeigt, wo sie aussteigen, dachte der Fremde. Da rief der Schaffner zum zweiten Male: Rathaus! Der Fremde rannte zur Tür, aber der Schaffner lachte: Barum wollen Sie denn immer aussteigen, wir sind doch erst in Charlottenburg Doch der Fremde fagte gar nichts mehr, sondern blieb auf der Plattform stehen und suchte die Wagennummer, um sich über den Schaffner zu beschweren. Niemand hätte ihm ausreden tönnen, daß ihn der Schaffner nur foppen wollte. Nichts war dem Fremden flarer als das, wo die Fahrt schon wieder durch einen endlosen Wald ging. Das war der Ziergarten. Bon Sefunde zu Sefunde stieg seine Wut, an der Siegesallee glaubte er, ein ganzes Battaillon weißer Gespenster verfolgte ihn, wollfühn sprang er vom Wagen und fiel einem Zeitungs händler in die Arme.
Rote Finger zeigen auf ihn.
,, Aller Gegen tommt von oben, Sie hätten sich anständig ihre Birne stoßen tönnen, wenn ich hier nicht gestanden hätte", meinte der Zeitungsmann. Der Fremde feuchte nur: Wo bin ich?"., Wo sollen mir sein, im Westen, gab der Händler zurüd. Großer Gott," Stöhnte der Fremde, wie soll das enden, zwei Stunden bald unter
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da wolle. So fümmerten ihn nicht weiter die bunten Lichtaugen der Berkehrsampeln, er sah nur noch das große Tor, das ihm wie die Eingangspforte zu dem gesuchten Berlin erschien; schnurstracks schritt er auf den Mittelbogen zu. Hallo, der Herr dort, wo wollen Sie tenn hin? Kommen Sie bitte mal hierher!" stoppte jedoch ein energischer Ruf seinen eiligen Schritt. Der Fremde erblickte einen Schupomann und erbleichte. In seinen Schläfen hämmerte es immer toller, in einer plöglichen Vision sah er sich schon auf dem Schaffoit. Kalter Schweiß perlte ihm von der Stirn und seine Hände zitterten. Er wollte noch etwas stammeln, aber die Stimme versagte ihm. Da fragte ihm der Schupomann:„ Ist Ihnen schlecht."" Ja", hauchte der Fremde, ließ das Brandenburger Tor links liegen und drückte sich scheu am Tiergarten entlang, dem Potsdamer Platz zu.
Er erhät eine Steuerfarte.
Eine Menschenmenge hemmte seinen Weg. Fünf Männer beschimpften sich gegenseitig.„ Sie sind ein schamloser Betrüger!" halten Sie ihren fosen Mund, bezahlen Sie lieber ihre Steuern, sonst hole ich die Polizei!"„ Sie fönnen uns den Buckel runter rutschen, wir haben den Kognat ja auf der Straße verzehri!" Das geht mich nichts an, wenn Sie den Kognaf aus meinem Lokal auf die Straße schleppen, was sind das überhaupt für Manieren!" Faaa, hooo, grunzte die Menge, die Jungens sind richtig, echote es, Getränke im Straßenverkauf sind steuerfrei ,,, watt will denn der Affenbudika", da wird es dem Fremden zu bunt, beschwichtigend hebt er seine Arme. Aber er tam nicht weit, von hinten puffte ihn jemand auf den Hut, vor ihm geftitulierte aufgeregt ein kleiner dicker Mann: „ Jestatten Sie mal, mein Name ist Pachulfe, erster Vorsitzender des Vereins gegen fchlechtes Biereinschenken, sollen wir uns vielleicht alles gefallen lassen..." Dann mußte auch der kleine, dicke Herr abbrechen, denn alles wandte sich gegen den Fremden:„ Der ist vom Majistrat! An die Laterne mit dem Blutsauger! Der Fettwanst röchelt noch?" Da hielt es der Fremde an der Zeit, spurlos zu verschwinden.
Auf dem Wege durch die Friedrichstraße fam er an einem Finanzamt vorbei, das heißt, es waren gleich drei Finanzämter da, zum Aussuchen. Da er den Zivilisten nach seinen bis herigen Erfahrungen in Berlin nicht mehr traute, fragte er den Portier nach dem Weg. Dieser stuzte aber sofort und horchte: Sie find fremd hier, mein Herr? Ja, dann kommen Sie doch mal herein. Gehen Sie in den dritten Stod, Zimmer 586, hier die Mitteltreppe hoch, rechts den Gang entlang, dann links um die Ecke, stolpern Sie nicht über die Stufen, ich sage inzwischen Bescheid." Der Fremde dachte, was haben mun diese Menschen wieder mit mir vor, aber faum hatte er die Klinke zur Tür des Zimmer Nr. 586 in der Hand, da bekam er von dem freundlichen Beamten eine Karte in die Hand pedrückt. Als zukünftigen Einwohner von Berlin überreiche ich Ihnen hiermit ihre Steuerfarte. Wir haben
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unferen Steuerfarten diesesmal eine etwas neuartige Form gegeben, zur Erleichterung für Sie haben wir noch vier fleine Felder für die Kopfsteuer angefügt. Genieren Sie sich nicht und kommen Sie am 10. Januar wieder mit heran zur Begleichung der ersten Rate. Wenn Sie dann auch die anderen Termine rechtzeitig innehalten, werden Sie niemals Schulden drücken."
Modernes Märchen.
Als der Fremde das Oranienburger Tor passierte, fielen ihm die Fensterscheiben der Autodroschten auf, die mit einem Male so blank waren. Er erinnerte sich, heute morgen am Brandenburger Tor alle Scheiben mit einer großen 10, 20 oder gar 50 bemalt gefehen zu haben. Er wischte sich eigens noch einmal über die Augen, aber er täuschte sich nicht, die Zahlen an den Scheiben waren weg. Da sprach er einen einfachen Mann an und erkundigte sich nach diefem phänomalen Verschwinden der großen, weißen Buchstaben. Ja," sagte der einfache Maun ,,, vor langer, langer Zeit ging ein Gebot aus, daß jedermann die Preise senken sollte. Die Menschen fielen sich in die Arme und sagten: Bruder, wann senfst du deine Preise?" Und alle Brüder sehten sich hin und warteten darauf, daß der andere den Anfang mache. Aber keiner machte den Anfang und fo blieb alles beim alten. Die Autodroschken hatten nur aus Ver= fehen die Preise gesenkt und die anderen wehklagten, ihre Kinder müßten Hungers sterben, sie gäben sowieso schon fünf Pfennige an jedem Pfund zu. Wir haben, seitdem die Fensterscheiben der Autos wieder blank geworden sind, dann nichts mehr von jenem Märchen vom Preisabbau gehört." Da wurde der Fremde traurig und ging weiter.
Bis in den späten Abend wanderte er durch die große Stadt. Auf den Arbeitsnachweisen sah er rüstige Männer sonder 3ahl, die sich die Zeit mit Kartenspielen vertrieben. Nur Arbeit gab es nicht. Bor den Asylen der Stabt waren schon am Nachmittag Tausende von Obdachlosen angetreten. Die Karpfenhändler machten lange Gesichter und gossen ein paar Gläschen Schnaps in die Bottiche.„ Warum machen le das?" fragte ber Fremde. Weil die Fische dann noch zwei Tage lebendig bleiben, heute sind die Leute arm und haben fast nichts gekauft", antworteten die Karpfenhändler. Vor einem hellerleuchteten Kino erschraf der Fremde, eine weiße Maus war ihm über den Wea gelaufen.„ weh," dachte er, jetzt kommt mir etwas weg, Mäuse sind ein schlechtes Zeichen." Aber er kam nicht weiter zum Denken, eine Horde Halbwüchsiger fam aus dem Kino gestürzt, umzingelte den Fremden und schrie:„ Du Rabenaas, dir werden wir schon die Flötentöne beibringen!" Als der Fremde sich der tosenden Menge entwinden wollte es war schon ein Biertel nach 11 Uhr, und um 12 Uhr mußte er seinen Dienst antreten suchte man ihn mit den Worten:., Fier ist er ja! Freundchen, du bist unser!" in das Auto zu zerren. Doch plötzlich schrie jemand:, Berduften, verduften, die Rasierpinsel sind da!" und in wilder Hast stieb alles auseinander.
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Zehn Minuten später hatte die Straße wieder ihr friedliches Aussehen. Alle Fenstern in den Häusern waren erleuchtet, von den Straßenbahnmasten flatterten die ersten Papierschlangen, ein junges Mädchen überschüttete den Fremden mit Konfetti, Trompeten begannen zu bläten, Radauplatten zu knallen, überall warteten die Menschen gespannt auf den ersten befreienden Glockenschlag. Der Fremde lief aus Leibeskräften, von einer Schiffersfrau. am Mühlendamm borgte er sich noch schnell einen Besen aus, viel Unrat iſt wegzuräumen, sagte er vor sich hin, und genau auf den ersten Glockenschlag stand er oben auf dem Rathausturm und entbot den Berlinern ein gutes und gesundes Neujahr!
Im Zweikampf erschossen.
wegs und immer noch im Beften. Dann bat et um eine Beitung, Von dem Geliebten bedroht.- Verzweifelter Kampf in der Wohnung.
bezahlte, las unb erreichte mit dem rechten Arm gerade noch einen Baum, um fich festzuhalten. So war ihm der Schred in die Glieder gefahren. Mittag sollte es schon sein, wo die Uhr eben noch halb
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Husum , 31. Dezember.( Eigenbericht.)
Am heutigen Mittwochnachmittag ereignete sich hier ein aufohnung in der Süderstraße im Verlaufe eines Handgemenges den 28jährigen Arbeiter milli Bannert aus Friedrichstadt , der hier
dem Hause Goldsteinstraße 36 wurde der 21jährige Heinrich rämer tot und zmei meitere junge Leute bewußtlos aufgefunden. gestellt werden.
Meeresbeben fündigt sich an.
Sanfiago de Chile, 31. Dezember.
fich der Fremde die heiße Stirn zu fühlen. Er schleppte fich zu ben adt gezeigt hatte? Mit dem talten Rücken seiner linken Hand begann cegender Borfall. Der hiesige Polizeibeamte Holm erichoß in einer Wie die Gasvergiftung zustande fam, fonnte bisher noch nicht festZeitungsmann zurüd und schrie ihn an: Was soll das heißen, mi am Morgen schon eine Mittagszeitung zu geben!" Watt denn, matt denn, Herr, Sie scheinen noch neu in Berlin zu sein, tominen Eie mal ein paar Stunden später und Sie tömmen bei mir die Zeitungen vom nächsten Tag haben", beluftigte sich der Händlerie mit einem Messer bedroht. Die Frau rief darauf die über den unwillenden Fremden. Aber dieser Fremde sat nur alle feine bisherigen, einfachen, terngefunden Zeit- und Raumbegriffe ins Wanken kommen. Wenn die Morgenzeitungen schon am Abend femmen, welchen Sinn hat dann noch die Mitternacht, diese Frage legte er sich immer wieder vor. Schließlich wurde es ihm grün, gelb und rot vor Augen und aus den Nebenstraßen schoffen fortgesezt bunile Ungetüme heraus, die einen glühend roten Finger vorzeigten, wenn sie um eine Ede bogen. Der Fremde glaubte, alle diese roten Finger wiesen auf ihn.
Er begann zu laufen, nur fort von hier, und, ehe er fid) verfchen hatte; fland er mitten in bem Wirbel des Karussellverkehrs nor
zu Besuch bei seiner Geliebten weilte. Pannert war mit seiner Geliebten, einer verheirateten Frau Boß in Streit geraten und hatte Polizei um Hilfe. Als der Polizeibeamte Holm in der Wohnung in der Süderstraße erschien, tam es zwischen ihm und Bannert zu einem verzweifelten zweifampi. Der Beamte griff in der Notwehr zur Schußwaffe und fölete Panuert durch drei Schüffe in den Obertörver. Holm erhielt eine tiefe Stich wunde im Oberarm und mußte ins Krankenhaus gebracht werden.
Drei junge Menschen vergiftet.
dem Brandenburger Tor . Er mußte durch, tomme. mas miitog ein schweres Inglüd durch ausströmendes Gas. In
Die Bewohner zahlreicher Küstenstädte Chiles befinden fich in einem Zustand großer Aufregung und Bestürzung. In den letzten Tagen ist in diesen Städten ein unterirdisches Rollen wahrgenommen
worden, das angeblich von einem heftigen Meeresbeben im Bozifik herrühren soll. Das Meereswasser hat an der Küste Chiles eine eigenartige grüne Färbung angenommen und einen unnatürlichen Geruch. Man glaubt das darauf zurückführen zu können, daß Millionen von Fischen durch das Beben getötet worden sind. Eine Untersuchung hat ergeben, daß das Meereswafer ungewöhnlich niel Fishtadaner enthält.