Cs geht nicht an, Reiseberichte über(£hina abzuschließen, ohne einige Worte über die kommunistische Frage zu sagen. Osfensichtiich vermag sich die 3. Internationale von der Vernichs tenden Niederlage nicht zu erholen, die sie im Jahre 1927 selbst heraufbeschwor, als sie den wahnwitzigen Versuch unternahm, China zu bolschewisieren. Joffe, der erste außer- ordentliche Gesandte, den Moskau nach Peking entsandte, hatte die Dinge viel klarer gesehen, als er 1924 in Schanghai mit Sun- y a t s e n zusammentraf. Was ihm der Begründer des Kuomintang damals über die Mentalität der chinesischen Massen auseinander- setzte, die den kommunistischen Theorien vollkommen abgeneigt seien, leuchtete ihm so ein, daß er mit ihm eine gemeinsame Er- k l ä r u n g unterschrieb, die anerkannte, daß der Kommunismus in China nicht eingeführt werden könnte. Unter dem Vorbehalt dieser Erklärung sicherte Joffe Sowjet- rußland eine sehr starke Stellung in China . Es durfte der Ratio- nalistenpartei zivile und militärische Berater zur Verfügung stellen und eigene Vertrauensleute in das Zentralkomitee des Kuomintang entsenden: die Russen galten in den Augen der Chinesen als die einzige Großmacht, die ihren nationalen Forderungen günstig gesinnt waren, und dadurch verschafften sie sich eine ungeheuer starke Opera- tionsbasis in dem Weltkampf, den sie namentlich gegen den britischen Imperialismus führen. Von dieser Politik, die in ihren Anfängen von kühnen und geschickten Männern geleitet wurde, die daraus große Ergebnisse erhofften, bleibt heute, das muß man wohl sagen, überhaupt nichts übrig. Die Kommunisten, die der Z e l l e n b i l d u n g überführt wurden, flogen au? dem Kuomintang hinaus. Auch mit dem linken Flügel des Kuomintang haben sie ebenso vollkommen gebrochen wie mit Tschanokaischek und dem rechten Flügel. Die Affäre der o st- chinesischen Eisenbahn und das Eindringen der Sowjets in die Mongolei haben Jungchina davon überzeugt, daß der Moskauer Imperialismus nicht weniger gefährlich sei als der Jmperialisnms der anderen Mächte. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der chinesischen Republik und der USSR. sind abgebrochen, das russische Generalkonsulat in Schanghai ist ein leeres, zerfallenes Haus, das ehemalige Hauptquartier von Borodin in Kanton ist einer Amerikanerin oermietet, die russischen Instruk- tvren der Militärschule von Wampeu sind durch deutsche Ossi- ziere ersetzt, die„roten Kadetten", die den Aufstand von 1927 leiteten, sind in die Provinzen des Inneren geflüchtet, die G e- werkschaften haben sich von kommunistischen Einflüssen befreit und scheinen sich dem IGB. zuzuwenden. Mit einem Worte: ge- rode in den Industriebezirken, wo eine proletarische Be- wegung Zlussichten hat, ist die rote Jlul unzweifelhaft vollständig verebbt. Man hört zwar noch in den Fremdenkonzefsionen von Schanghai von einer kommunistischen Gefahr, von unterirdischen Fortschritten der kommunistischen Propaganda unter den Massen des Proletariats: aber man erfährt bald, daß in Wirklichkeit das Wort.Fbmmunismus " absichtlich gebrauäst wird, um alle mehr ofstr' minder so ziäklsk'ische n Absichten zu diskreditieren und z« bekämpfen, die der Regierung nicht genehm sind. Wenn in einer Stadt wie Schanghai ein politischer Gegner beseitigt, eine Zeitung unterdrückt, eine Gruppe aufgelöst werden soll, dann behaupten ein- fach die Behörden, sie seien„tonmmnistisch". Das gilt jedenfalls für die Städte an der Küste. In den Gebieten im Innern, südlich des Jattgtsefwsses, mag es_ wohl anders sein. Dort werden wohl im Zeichen des Kommunismus Gewalttaten verübt. Aufstände versucht und manchmal auch ganz gewöhnliche Banditenaktionen unternommen, die man bisher nicht wirksam zu unterdrücken vermocht«. Und sicher ist auch, daß es dort einen sehr starken Jndustriebezirk gibt, den die beiden Zwillingsstädte H a n k a u und W u h a n bilden, wo es immer noch aktive kommunistische Elemente gibt. In diesem Bezirk freilich herrscht„Ordnung" und die wird durch grausame Präventiv- maßnahmen aufrechterhalten, die die Todesstrafe für bloße Meinungsvergehen vorsehen. Es ist mehr in den Agrarbezirken van Hunan und Hupeh , in Ktangtsi und Fullen, daß sich in den letzten Monaten „rote Armeen" gebildet haben, d. h. zahlenmäßig starke Bon. den, die mehr oder minder gut bewaffnet und diszipliniert sind, deren Führer unzweifelhaft Kommunisten und sogar bekannte, meist aus Kanton stammende Kommunisten sind, deren Masse aber aus armen Bauern, aus Hungerleidern aller Art besteht, die durch den Bürgerkrieg runiert, durch die Requisitionen und Steuerlasten erdrückt und durch buchstäbliche Hungersnot zum Aeußersten getrieben worden sind. Man darf nämlich nicht glauben, daß überall in China die Bauern kleine Grundbesitzer sind, zwar arm, aber wenigstens Eigen- tümer ihres Ackers. In Wirklichkeit leidet die Agrarbevölkerung im Gebiet der Reisplantagen— d.h. gerade jener Gebiete, wo die kommunistischen oder angeblich kommunistischen Aufstände vor- konnnen— entsetzlich unter der dreifachen Plag« der enormen Steuern, der W u ch e r z i n s e n, die oft weit mehr als 29 Proz. betragen, und der Pachtzinsen in Geld oder in Naturalien, die ihnen den größten Teil der Früchte ihrer Arbeit rauben. Daher weist der chinesische Professor Tatschen von der Amerikanischen Universität von Honolulu aus die Bildung von Pächterorgan i« s a t i o n e n hin, ähnlich wie die Arbeitergewerkschaften, aber viel zahlreicher und mit dem Ziel einer Agrarrevolution, die er für eine nahe Zukunft voraussogt. Unterdessen agitieren in den Gebieten, die am meisten leiden, die Kommunisten und zetteln wahre Bauernaufstände mittelalterlichen Charakters an, von denen die Ereignisse in T s ch a n g t s a, der Hauptstadt der Provinz Hunan , ein typisches Beispiel waren. Wenn man den Berichten über dies« Vorgänge Glauben schenken darf, sind die Kommunisten bei dieser Gelegenheit wie auch bei manchen anderen nicht gerade sanft vorgegangen. Während ihrer kurzen Herrschaft über Tschangtsa sollen die Verwalllmgs- gebäude in Brand gesteckt, die Beamten, die nicht rechtzeitig flüchten konnten, geköpft, die wohlhabenden Viertel ausgeraubt und die Kulis requiriert haben, um ihre Beute außerhalb der Stadt zu bringen, wo das Gros ihrer Truppen lagerte. All das läßt aller- dings einen einheitlichen Plan vermisien und man sollt« in diesen Aufständen keinen Versuch erblicken, regelrechte Sowjetrepubliken zu errichten. Tatsächlich sind die bewaffneten Banden, die man, reichlich übertrieben, als„rote Armeen" bezeichnet, sehr lockere Gebilde, die kommen und gehen, die sich zerstreuen, sobald regu- läre Truppen auftauchen, und die letzten Endes ihre örtlichen Teil- erfolg« nur dem Versagen der Regierungstruppen verdanken, die übrigens anderswo durch den Kampf gegen Feng und Pen in An-
spruch genommen waren. Deshalb muß man damit rechnen, daß, sobald die Regierung von Nanking nach dieser Seit« entlastet sein wird, sie bald dieser Aufstände Herr werden wird, deren Grausam- keit die Bevölkerung mit Schrecken erfüllt. Uebrigens ist schon jetzt überall dort, wo die Regierung das Feld behauptet hat, der Abwehrlerror genau so barbarisch gewesen, wie der kommunistische Angrifssterror. Die„Chinesische Nationalruirdschau" hat kürzlich geschildert, wie verhastete Kommu- nisten rethenweise hingerichtet werden: Ein Soldat nähert sich den angebundenen Opfern und jagt ihne aus einer großkalibrigen Pistole eine Kugel in den Nacken. Dieser Vorgang wiederHoll sich in kurzer Reihenfolge, bis der letzte Körper leblos zu Boden gefallen ist. Jeden Abend drängt sich gegenüber dem Hinrichtungsfeld eine dichte Menschenmenge zusammen, in der Hoffnung, einer solchen Hin- richtungsszen« wenigstens aus der Ferne beiwohnen zu können. Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht um Aufftändige, die etwa mit der Waffe in der Hand gefangen genommen wurden, sondern um Männer und Frauen, deren einziges Verbrechen darin besteht, Kommunisten zu sein oder als Kommunisten denunziert worden zu sein, oder schlimmstenfalls kommunistische Flug- blatte r oerbreitet zu haben! Unter solchen Umständen ist es anzunehmen, daß die Kommunisten, nachdem die Regierung von Nanking wenigstens vorläufig mit den Rebellen im Norden fertig geworden ist, in Hantau und Tschangtsa genau so niedergeworfen werden dürsten, wie es mit ihnen bereits in Kanton und Schanghai geschehen ist. Aber die U r s a ch e n, die die kommunistische Welle erzeugt haben, bleiben zumeist be- stehen. Daher ist die Frage von entscheidender Bedeutung für die nächste Zukunft Chinas , ob die Bewegung der Arbeiter- und Bauern- masien die rohen Formen einer elementaren Reaktion gegen die Mißstände und Mißhandlungen behalten wird, denen sie ausgesetzt sind, oder ob diese Bewegung sich nach der Richtung eines Klassen- t a m p f e s entwickeln wird, mehr oder minder ähnlich den Methoden in jenen Ländern, wo Demokratie und politische Freiheiten kein leeres Wort sind. Zum Schluß möchte ich betonen, daß die Sympathie, die ich vor meiner Reis« für das chinesische Volt empfand, durch meinen sechswöchigen Aufenthalt in seiner Mitte nur gesteigert worden ist. Ich weiß, daß man mir entgegnen wird, daß ich nur mit einer Elite zusammengekommen sei, daß ich von Leuten freundlich empfangen wurde, die ein offenkundiges politisches Interesse daran hatten, mich gut zu behandeln. Man wird mir unter diesen Um- ständen entgegnen, daß mein Urteil leicht wiege im Vergleich zu dem von Männern, wie Dr. Legendre oder Rodney Gilbert, dem maßgebenden Wortführer des berühmten englischen Klubs von Schanghai . Letztere, die jahrelang in China gelebt haben, die die Chinesen gründlich kennen, haben sich in stark dokumentierten Büchern bemüht, nachzuweisen, daß die traditionelle Politik Chinas fremden- feindlich und orientalisch-hinterhällig fei, und daß obendrein die Chinesen vollkommen unfähig seien, sich selbst zu regieren. Aber es gibt auch andere Zeugen, die ganz anderer Ansicht sind. Das sind vor allem die M i s s i o n a r e, die trotz aller Ge- fahren, denen sie dauernd ausgeätzt sind, übereinstimmend die tiefe Sympathie bekunden, die sie für die Chinesen, namentlich für das „kleine Volk", empfinden. Auch gibt es z. B. Geschäftsleute und Bankdirektoren in Schanghai , die das alt« Regime gekannt, und die keineswegs nur gute Erfahrungen mit dem neuen Regime gemacht haben, und die dennoch ganz anders über China urteilen als es in Europa üblich ist. Alle bestätigen, daß trotz alledem da» neue China ungeheure Fortschritte macht. Alle loben dieses geduldige und arbeitsame Volk, das in feinen Reden durchaus friedlich und ehrlich ist, und das nur das Eine wünscht: sein bißchen Reis in Ruhe genießen zu können und nicht dauernd ausgehungert und ausgeplündert zu werden durch Gewaltmenschen, die meist gleicher Farbe sind. Wenn man bedenkt, was die Chinesen seit einem Jahrhundert erduldet haben, dann
müßte man eigentlich bei ihnen noch einen viel größeren Fremden- haß erwarten. Die Wahrheit ist, daß China sich gegenwärtig sozusagen in den Wechseljahren befindet. In diesem Reich, das größer und stärker bevölkert ist als Europa , beginnt das national« Gewissen zu erwachen. Und es wird sicher noch lange dauern, bis die neue Ordnung endgültig gegründet sein wird. Aber der g e i st i g e und moralische Wert der Führer Jung-Chinas steht nicht hinter dem der europäischen Staatsmänner zurück. Es mögen im Kuomin- tang tiefe Gegensätze über soziale und polllische Fragen und Methoden herrschen. Allen Führern gemeinsam ist aber die absolute Uneigennützigkell, die Treue zu den Grundsätzen Sunjatsens und der Wille zur Entwicklung Chinas in der Richtung der Demo- kratie. In etwa zwanzig Jahren wird man aus der größeren Perspektive der Geschichte allgemein anerkennen, daß sich diese Männer um die Sache der Revolution verdient gemacht haben.
Die Llkrainergreuel. Wie einst gegen die Armenier. London , 2. Januar. „Times" veröffentlicht Ausführungen der aus Ostgalizien zurückgekehrten Miß Sheepshanks, in denen es u. a. heißt: Ich habe gefunden, daß die Polizei- und Militärüberfälle auf Hun- derte Dörfer gemüßt eines vom Hauptquartier ausge- gebenen Planes erfolgten, daß ein allgemeines und brutales Aus» peitschen der männlichen Bevölkerung ohne vorheriges Ver- fahren geübt wurde, daß Sachlieferungen erhoben, daß Kaufläden und Bibliotheken sowie Werkzeuge, Maschinen und Hausgerät in großem Maße z e r st ö r t und Priester geschlagen wurden. Die Behörden haben strenge Maßnahmen getroffen, um zu ver- hindern, daß Einzelheiten über die Vorgänge bekannt wer- den. Jeder, der Ausländern Informationen erteilt, kann zu fünf Iahren Gefängnis verurteilt werden. Nichts vom pilsudski! Der sozialistische„Robotnik" meldet, daß der ehemalige Präsi- dent der polnischen Republik Wojciechowsti mit dem Un- abhängigkeitskreuz ausgezeichnet worden sei, dieses jedoch nicht angenommen habe. Der Orden sei mit einem entsprechenden Anschreiben unverzüglich zurückgesandt worden. Auch der päpstliche Nuntius soll den ihm verliehenen Orden nicht an- genommen haben. Dem vor einigen Jahren verstorbenen Abg. Perl, Chef- rcdakteur des„Robotnik" schon in der Zeit des illegalen Erscheinens unterm Zarismus, sollte jetzt der Unabhängigkeitsorden„verliehen" werden. Frau Perl hat das Zeug sofort zurückgeschickt.
Tausch Eurtius-Henderson. CurtiuS hat freie Hand für den Minderheitenkampf. Mit dem englischen Außenminister Henderson ist der Tausch des Ratsvorsitzes vollzogen worden. Während Henderson den Vor- sitz der I a n u a r- Ratstagung übernimmt, wird Reichsaiißenminister Curtius der nächsten Ratstagung präsidieren.
Mohammedanerschuh in Indien . Hindus Bereitschaft für eigene Wahlregister. - London , 2.-Januar.(Eigenbericht.) Auf der Indienkonferenz führte der Lordkanzler Lord Sankey aus, daß man sich in der kurzen zur Versügung stehenden Zeit nicht mit allen Einzelheiten der Verfassung Indiens beschäftigen könne. Man müsse sich damit begnügen, die allgemeinen Grund» linien zu umreißen. Diese Aeußerung erfolgte, nachdem sich die Hindus grundsätzlich damit einverstanden erklärt haben, daß die Mohammedaner die von ihnen gewünschten eigenen Wahl- reg ist er erhalten sollen. Die Frage, ob es gesonderte Wahlkörper für einzelne Gruppen in Indien geben sollte, oder ob das Wahlrecht durchweg ein allgemeines gleiches sein sollte, war bisher die Haupt- fchwierigkeit, über die die Verhandlungen nicht hinwegkommen tonnten. Man muß abwarten, ob die Zustimmung der Hindus nicht mit irgendwelchen Einschränkungen begleitet ist, die den Wert der grundsätzlichen Bereitschaft entwerten.
Hugenbergs pleiteladen.
Hugenberg:„Meine schönsten Neujahrsaufrufe ziehen nicht. Die Stammkundfchast laust trotz allem zur Konkurrenz!"