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BERLIN Donnerstag 8. Januar

1931

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendaurgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Erpedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3

Spätausgabe des Vorwärts

Zwei Mörder!

10 Pf.

Nr. 12

B6 48. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillegeile 80 Vf.. Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Borwärts- Verlag G. m. b... Berlin Nr. 87536. Fernforecher: Dönhoff 292 bis 297

Ergebnis der Untersuchung der Mordgeschosse

Die beiden Mordgeschoffe, die aus den Körpern des von Hafen­freuzlern ermordeten Reichsbannerkameraden Schneider und des Parteigenoffen Graf entfernt wurden, sind von Professor Brüning eingehend untersucht worden. Bei beiden Geschossen handelte es fich um kaliber 6,35. Es galt nun festzustellen, ob die Kugeln aus einer oder zwei Waffen abgefeuert wurden. Die Untersuchung hat jetzt ergeben, daß die Geschosse aus zwei ver­schiedenen Waffen abgegeben wurden, daß also für den doppelten Meuchelmord 3 wei Hatentreuzler als Täter in Frage fommen.

Dietrichs Geheimnis.

Der Reichsfinanzminifter spricht in Rätseln. Der Reichsfinanzminister Dr. Dietrich hat neulich in Stutt gart eine Rede gehalten, in der er durchblicken ließ, daß er im Befige eines neuen Mittels gegen die Arbeitslosigkeit sei. Da aber Herr Dietrich nicht verriet, worin dieses neue Mittel besteht, sich vielmehr nur in sehr vagen Andeutungen erging, gab es ein allgemeines Köpfezusammenstecken und Kopfzerbrechen. Manche lafen aus den vieldeutigen Säßen des Ministers die Absicht einer neuen Subventionspolitik heraus, andere meinten sogar, Herr Dietrich wolle den Arbeitslosen alles wegnehmen und es den Indu striellen in den Rachen stecken. Man verwahrte sich, man entrüstete fich, aber niemand wußte so recht, was der Minister eigentlich gefagt haben sollte.

Verschollen im Packeis.

Helsingfors , 8. Januar.

Nun hat Herr Dietrich seiner Stuttgarter Rede in Heilbronn einen Kommentar folgen lassen. Er erklärte gestern abend dort, daß seine Vorschläge mit Subventionspolitit nichts zu tun hätten. Es sei selbstverständlich, daß er niemals etwas mitmachen würde, wobei man die Leistungsfähigen zugunsten der Schwachen zerstören würde. Er habe ausdrücklich gesagt: Bei 23 Fischer und zwei Frauen im Finnischen Meer abgetrieben. der lebenswichtigen Produktion" sei einzusehen und nicht etwa bei einem einzelnen Unternehmen eines solchen lebens­wichtigen Produktionszweiges. Daß er den Rückgang des selb ständigen Unternehmertums als einen der Gründe der Schwierige feiten betrachte, bedeute noch längst nicht, daß er etwa einen Angriff auf die gegenwärtigen Leiter der großen Konzerne machen wolle. Im übrigen sei er sich klar, daß die Beschäftigung der Arbeitslosen weniger eine Frage der Produktion als des Ab: sates sei, und gerade deshalb habe er die Gestaltung der Preise in den Kreis seiner Vorschläge einbezogen. Die Behauptung, daß er durch seine Pläne die Finanzwirtschaft erschüttere, sei ein Vor­murf. für den keinerlei Beleg beigebracht werden könne. Wie könne ein Schaden für die Wirtschaft entstehen wenn man, statt die Arbeitslosen zu unterstützen, das Geld dazu auf wende, sie zu beschäftigen? Er denke nicht daran, die Arbeitslosenversicherung abschaffen zu wollen. Wenn das Gegen­teil der Fall wäre, würde in Deutschland am nächsten Tage Revo­lution sein. Sein und der Reichsregierung Ziel sei, den Arbeits­ losen Beschäftigung zu geben.

Liest man diese Heilbronner Rede, so ist man versucht, zur Stuttgarter zurückzugreifen, weil man den Eindruck hat, daß diese eigentlich doch flarer gewesen sei. Aber man mag beide Terte nebeneinanderlegen und betrachten trog aller Worte bleibt das Gedankenreich des Herrn Ministers völlig verschlossen. Dringender als zuvor erhebt sich die Frage: Was will er denn eigentlich?

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Herr Dietrich ist heute nach Berlin zurückgekehrt. Hoffentlich findet er nun die Muße, seinen Plan so klar zu entwideln, daß man über seinen Wert oder Unwert ein Urteil fällen kann. In Stuttgart hat er gesagt, daß Maßnahmen jetzt nötiger find als Theorien. Richtig, aber was wir am wenigsten brauchen können, weil davon längst ein Ueberangebot vorhanden ist, das sind un­ausgegorene Projekte.

Brüning unterwegs.

Heute Reise nach Oberschlesien . Der Reichskanzler weilte am Mittwoch im weiteren Berlauf seiner Reise durch das Ostgebiet in Lyd, Allenstein und Deutsch Eyla u. Reichsbankpräsident Luther, der den Weg von Königsberg nach Allenstein mit dem Automobil zurücklegte, erfitt einen Unfall. Der Wagen des Reichsbankpräsidenten wurde stark beschädigt, der Reichsbankpräsident selbst blieb unverletzt.

M

Am Donnerstagnachmittag wird der Reichstanzler mit seiner Be. gleitung Ostpreußen verlassen und Oberschlesien einen Besuch abftatten.

Durch einen starken Sturm im öfflichen Teil der Finnischen Bucht ist das Eis aufgebrochen und hat in der Nacht zu Mittwoch eine Menge Fischergeräte im Werte von 150 000 m. ins Meer hinausgetrieben. Zwei Fischerboote begaben sich sofort auf die Suche nach ihren Geräten in die eisgefüllte Bucht. In dem einen Boot faßen sechzehn Fischer, in dem anderen sieben und zwei Frauen. Mittwoch gegen Mittag bemerkte man von einem Feuerturm aus das eine Boot. Das Fahrzeug verschwand aber schnell in dem Padeis. Kurze Zeit darauf sah man, wie der ruffische Eisbrecher kraffin" mit Kurs auf Leningrad Bord des Eisbrechers genommen worden sind. an der fraglichen Stelle vorbeifam. Man hofft, daß die Fischer an

Die Boote hatten teine Nahrungsmittel an Bord, ebensowenig warme Kleider, so daß die Fischer nicht imstande gewesen sein können. sich eine Nacht auf dem Meere aufzuhalten. Man befürchtet daher vorläufig das Schlimmste für das Schicksal der Verschwundenen. Mehrere Flieger, die von Helsingfors aufgestiegen sind, haben bisher auch noch feine Spur der Abgetriebenen gefunden.

Italien verheimlicht Flugunfälle. 3wei Ozeanflugzeuge verunglückt. Fünf Zote. Paris , 8. Januar. ( Eigenbericht.)

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Wie das Journal" meldet, waren bei dem Start des italieni­schen Fluggeschwaders zur Ueberquerung des südlichen Ozeans zwei schwere Unfälle zu verzeichnen, die aus Prestigegründen von den Italienern verheimlicht wurden.

Die Agenzia Stefani" gibt darüber folgenden Bericht aus: Nach dem Start der Wafferflugzeuge in Bolama zum Transozeanflug mußte das von Kapitän Recagno gesteuerte Flugzeug, nachdem es eine Höhe von etwa fünfzig Meter erreicht hatte, aufs Meer niedergehen. Der rechte Schwimmer wurde dabei start be­Schädigt Der Mechaniker Fois, der sich auf diesem Schwimmer befand, fand den Tod. Die drei übrigen Mitglieder der Be­sagung dieses Flugzeuges blieben unversehrt. Ein zweites Flugzeug unter dem Kommando des Kapitäns Boer jah sich nach einem Fluge von zehn Minuten genötigt, mit großer Geschwindig feit niederzugehen. Bei dem Aufprall auf das Wasser geriet ein Teil des Flugzeuges in Brand. Hierdurch wurden die beiden Piloten, Kapitän Boer und Leutnant Barbicinti, ferner der Mechaniker Nensi und der Funter Imbastari getötet.

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Willi Schneiders letzter Weg

Der Sarg wird ins Krematorium getragen

Die beiden schweren Unfälle sind Folgen des Risikos eines Starts mit schwerer Belastung, wie sie für einen Transozeanflug ere forderlich iſt.

Der Remarque - Film in Wien . Vorführung trotz Brandstiftungsversuch.

In der Nacht zum Montag wurde ein Einbruch in das Wiener Schwedentino verübt. Bei genauer Absuchung des Raumes fand man dort feuergefährliche Substanzen, die genügt hätten, um den ganzen Saal in Flammen aufgehen zu lassen und eine Katastrophe zu erzeugen, die an den Ring- Theaterbrand vom 8. Dezember 1881 erinnert hätte. Es gelang, vier Hafenkreuzler als Täter dieses vet suchten Schwerverbrechens festzunehmen suchten Schwerverbrechens festzunehmen einer darunter ist der 27jährigen Bundeswehrmann Johne. Dieser Wergernisnehmer hat während des Weltkrieges noch die Schulbant gedrückt ist also höchst sachverständig zur Beurteilung der Wahrheit der Kriegsdarstellung im Remarque - Film.

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Als Radaubanden die Gastvorstellung im Apollotheater stören wollten, beteiligten sich wie die Arbeiter- Zeitung " berichtet- auch Wehrmänner in Zivil daran. In zwei Kaffeehäusern saßen die leitenden Obernazis und Offiziere, Ordonnanzen liefen und wegen Straßenradau verhaftete Wehrmänner wurden auf Telephongespräche hin freigelassen.

Die ersten beiden Borführungen im Schwedentino find unter dem Schutz der Polizei ruhig verlaufen. Außerhalb der Absperrungslinie sammelte sich zunächst verhältnismäßig wenig Publikum, dessen Zahl jedoch mit fortschreitender Abendstunde durch Zuzug von Demon­stranten start anwuchs. Die hauptsächlich auf dem Franz- Josef- Quai gegenüber der abgesperrten Schwedenbrüde versammelten National­sozialisten lärmten und fingen an zu pfeifen, als sie von der Polizei abgedrängt wurden. Nach einiger Zeit sammelten sich die Demon­stranten von neuem und setzten die Kundgebungen fort.

Sprechfilms Interviews.

Paris , 8. Janur.( Eigenbericht.) Die For- Filmgesellschaft läßt augenblicklich hier einen Sprech film laufen, der das erste politische Interview im Film darstellt. Als Filmheld wurde dabei ausgerechnet Mussolini ausgewählt. Mussolini zeigt sich in dem Film zwar in recht füdlicher leidenschaft­licher Gebärdensprache, doch in recht frieblichen Absichten: ,, Niemals", so erklärte er, wird Italien die Initiative zu einem Krieg ergreifen. Italien ist zur sofortigen Abrüstung bereit unter der Bedingung, daß die anderen Länder das gleiche tun". Die Filmzenfur und das Aus­wärtige Amt überlegten drei Tage lang, ob sie das Filminterview Mussolinis zulassen könnten, zumal es in Italien verboten ist, famen aber zu dem Schluß, daß man angesichts der frieda lichen Sprache Muffolinis nichts dagegen einwenden fönne. Die For- Filmgesellschaft beabsichtigt, in der nächsten Zeit eine Reihe anderer Filminterviews mit politischen Persönlichkeiten aufzunehmen.