Nr. 17 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 11. Januar 1931
HIRI
wird das Wetter
Kelmen
Wer kann eigentlich eine Wetterkarte lesen oder roer versteht mit einem Barometer etwas anzufangen?" Meteorologie ist die scupache Seite des Großstädters. Dabei brauchen mir gar nicht einmal an Asthma oder an Rheuma zu leiden, um Dom Wetter so stark wie diese Kranken beeinflußt zu sein: Der erste Blick am Morgen in den Himmel genügt auch für den Kerngesunden, sein Gemüt für den kommenden Tag auf Dur oder auf Moll zu stimmen. Aber der der Natur entrückte Städter ist nur allzuleicht geneigt, aus seiner Unkenntnis der Witterungserscheinungen heraus das Wetter quasi als eine Fügung des Schicksals hinzunehmen. Regnet es, dann dürfen mir eben den Regenschirm nicht vergessen. Basta. Doch es brauchte so nicht zu sein.
Jedem Tag sein Sprüchlein.
im Anmarsch auf einen der strengsten Winter, den wir in unseren Breitengraden erlebten, waren Mitte Oftober alle unsere Laubbäume schon vollformen entblättert. Im vorigen Jahr dagegen, mit seinem milden Winter, trugen die Laubbäume bis in den November ihr Laubfieid. Ebenso einfache wie sinnfällige Vorbereitungen der Natur für den Winter; wir brauchen nur gut Obacht zu geben. Auch die jungen Knospen, die sich vor eisigen Kälteperioden immer mit einem filzigen, schützenden Haarfleid umgeben, paben im vergangenen, erträglichen Winter lange fein so dichtes Haarkleid angefest wie sonst. Andere sehr vorsorgliche und sehr empfindliche Pflanzen lassen ihre Wurzeln oder Knollen slets so weit ins Erdreich wachsen, wie sie denken", der Boden fönnte gefrieren. Deshalb gingen vor zwei Jahren die Zwiebeln der Herbstzeitlose Eis zu 80 Zentimeter tief in die Erde, im vorigen Jahr aber nur 30 bis 40 Zentimeter. Noch wunderlicher oder wohl richtiger gesagt noch zutreffender sind die Zeichen in der Tierwelt. Tiere haben eine feine, untrügliche Witterung; wenn es nur auf die Sinne anfäme, wären sie uns hundertfach überlegen. Menschen zum Beispiel werden kaum jemals den Ortsfinn einer simplen Brieftaube erreichen. Tiere sehen und riechen eben anders als Menschen. Wir haben dies, und die Tiere haben das; Hunde können besser riehen ols die Menschen, aber bedeutend schlechter sehen. Ziehen die Schwalben nicht schon sehr früh, so gegen Ende August, nach dem warmen Süden, wenn wir einen Winter vor uns haben, daß uns Nasen und Ohren erfrieren? Und im vergangenen Jahr? Bis in den Oktober tummelten sich die Schwalben bei uns. Oder die Feldmäuse. Noch im Spätherbst sahen die Förster und die Jäger bei ihnen junge Nachkommenschaft, währenddessen Vertreter der Sonnenfleckentheorie famen die ihre Ansicht auf die Wiederholung der Witterung nach immer neun Sonnenfledenperioden 100 Jahre gründen und prophezeiten uns einen bitterbösen Winter. Aber die Mäuse behielten recht, wir brauchten unsere Pelze, die wir gar nicht haben, nicht hervorzuholen. Und wenn die Gärtner im Herbst ihre Scholle umgraben, stoßen sie auf die Vorratskammern anderer agetiere. Jahrzehntelang beobachten diefe der Natur aufs engste verbundenen Männer diese Berräte, die sich die Tiere für den Winter hinlegen, und immer ergibt sich das gleiche Bild: harter Winter große Borräte; milder Winter= geringe Vorräte. Im vorlegten Winter konnten die Nager nicht genug Körnerfrüchte aufstapeln, für den letzten Winter sorgten sie sich nicht weiter. Aber naß wurde der hinter uns liegende Winter, und die Landleute be-| richteten von vorsorgenden Bauten der Hamster und Maulwürfe, wie sie die Eingänge ihrer Höhlen alle nach oben gerichtet hatten: aus Furcht vor Ueberschwemmungen. Und die Ameisen taten ein übriges und zogen mit auf die Hügel. Schade, daß wir Großstädter, die wir eingespannt sind in den zermalmenden Trott unseres Berufslebens, nicht die gleichen Beobachtungen machen können. Aber unter den Asphaltdeden unserer Fahrdämme niften ja feine Mäuse,
Ein Bauer begegnet einem auf einer Wanderung und sagt: ,, Gehen Sie nicht weit, es regnet heute noch!" Und auf das erstaunte Warum meinte er: Weil heute kein Tau gefallen ist." Am Nachmittag goß es dann in Bächen. Dabei stimmt die Tatsache, daß kein Tau fällt, wenn Regen nahe ist, völlig mit den wissenschaftlichen meteorologischen Beobachtungen überein. Sind nämlich die oberen Luftschichten trocken, dann lann sich die untere warme und feuchte Luft abfühlen; es fällt Tau. Sind die oberen Luftschichten aber selbst mit Feuchtigkeit gesättigt, fönnen sie feinen Wasserdampf mehr aufnehmen, dann bleibt es bei uns schwül. Kein Tautropfen glitzert am Morgen und nicht lange, dann fällt der oben verdichtete Wasserdampf als Regen hernieder. Der Bauer hat das ous jahrzehntelanger Naturbeobachtung auch so gewußt, ohne Meteorologie studiert zu haben. Zweifellos liegt in den sogenannter Bauernregeln", die sich auf die mannigfaltigsten Naturerscheinungen stützen, wie Färbung des Himmels, Formen der Wolken, Rich iung des Windes, Funkeln der Sterne, Sichtbarkeit ferner Gegenstände, Berhalten der Tiere und noch vieles mehr herunter bis zum Summen der Telegraphenstangen, viel Wahres. Und wir könnten eine ganze Spalte von Meteorologen anführen, die diese Ansicht teilen. Als fich jedoch in diese bäuerlichen Wettervorhersagen aber gläubische Borstellungen mischten, als man aus dem Auffauchen von Mandhöfen, Nebenjonnen, Regenbogen und Stern schnuppen mehr das Schicksal zu deuten als das Wetter zu prophezeien fuchte, arteten viele dieser hausbackenen Bauernregeln zu mystif dem Unfug aus, wozu man auch den Hundertjährigen Kalender ", den der Abt des Klosters Langheim bei Kulmbach , Mauritius Knauer , im Jahre 1655 erfand, rechnen kann.
Aber wenn wir auch die Spreu vom Weizen scheiden, bleiben noch genügend Erfahrungen einer schon mehr als feinfühligen, beirahe scharfsinnigen Naturbeobachtung übrig; Erfahrungen, die aufs tieffte im Bolte verwurzelt und länger als alle Bücher lebendig geblieben sind. Wenn der Bauer jetzt in diesen Tagen sagt: Im Januar muß der Frost nur so knacken, dann wird im Sommer das Korn gut sacken", dann ist dieser grobe Reim wohl feine überragende Weisheit, aber immer noch hinreichend gut, um von dem tief die Erdscholle lockernden Frost auf ein fünftiges gutes Erntejahr schließen zu lassen. Ein paar Wochen trennen uns noch vom Februar, dann mag der Bauer vors Haus treten und überlegen, was an dem Wort: ,, Hat die Gans im Februar Wasser, hat das Schaf im Mai Gras" noch Wahres ist. Ein dunkler, wolfenverhangener, aber milder Februar, wo fein Frost die Teiche und Pfützen mehr gefroren hält
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und wenn dreift da oder dort welche wären, dann dürfen wir noch lange feine hace nehmen und die Straßen aufpiden, um nady zusehen, wie groß die Vorräte der Mäuse sind.
Zwischen Tau und Regen.
In einem schönen alten Liede heißt es: Wacht auf! Es triefen die Dächer. / Den Frost zerschlug in der Nacht Ein Best mit tlirrendem Fächer." Hier sagt es der Dichter, wie der Westwind wärmeres, wenn auch meist feuchtes Wetter mitbringt. Landleute und Seefahrer kennen den Wind. Auch wir müßten öfter nach
est en sehen: wenn dort abends eine hohe, dichte Wolkenschicht liegt, über der der Himmel dunkelrot von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet ist, dann kommt Regen und Wind. Oder wenn vom Westen her, falls am Morgen kein Tau gefallen ist, dünne Federwolfen heraufziehen und schließlich den ganzen Himmel verdüstern, cach dann wird es regnen. Tann ein paar kleine Winke für die Erwartung schönen Wetters: leichte Abendröte, Wolken mit goldigem Rand oder am Morgen ein großer rotglühender Sonnenball, alles Zeichen schönen Wetters; im Winter eines flaren, frostigen Tages. Oder erschrecken wir nicht über den starten Dunst, der an vielen Tagen über der Erde liegt, freuen wir uns, denn er verkündet cinen warmen Tag. Und wenn wir an einen Kanal vorübergehen, wollen wir immer schnuppern. Stinkt das Wasser und geht dazu die Sonne fahlgelb unter, dann ist der Wind schon unterwegs. Stinkende Kanäle bedeuten nämlich sinkenden Luftdruck, weil aus dem Wasser die Sumpfgase aufsteigen. Und sinkender Luftdruck heißt immer Wind und Regen. Wir könnten das auch am Barometer ablesen. Könnten es, wenn wir erst einige Erfahrungen gesammelt haben. Denn die Einteilungen an unseren Barometern beständig, schön, veränderlich, Regen, viel Regen, Sturm" haben wirklich keinen Sinn Gewiß, sinkt das Barometer schnell, folgt Sturm, aber nur im Sommer; im Winter ist es gerade umgekehrt, da bedeutet schnelles Sinten wärmeres Wetter. Die Masse sieht auf das Barometer und sagt:„ Das stimmt doch alles nicht." Nebenbei gesagt, jeht ja auch das Vorhersagen der Witterung aus dem Barometerstand ein fortwährendes Ablesen und Bergleichen voraus; ein Barometer ist fein Chronometer, das uns fofort fagt, mie spät, und fein Thermometer, das uns verkündet, wie warm es im Augenblick ist. Ganz abgesehen davon, daß eine ernstzunehmende Wettervorhersage faum mit einem der uns befannten Metallbarometer durchzuführen ist, Wetterwarten haben natürlich hochempfindliche Quecksilberinstrumente.
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Diese guten Ratschläge und weisen Lehren nühen in der Großstadt wenig. Der Tautropfen auf dem Alexanderplaß ist sicher eine Kuriosität. Und jeden Morgen nach dem Grunewald spazieren, um nachzusehen, wie es mit dem Tau steht, das können wir leider nicht. Wir sind doch arme Leute.
Eifersuchtstragödie in Spandau .
-die Gänse also Wasser haben, läßt den nahen Frühling ahnen, Schüsse auf einen amerikanischen Studenten.
aber ein heller, sternenklarer und falter Februar wird den Winter noch lange im Lande halten, und die Schafe werden erst spät auf die Weide gehen können. So hat jeder Monat sein leines Sprüchlein, ja jogar jeder Tag hat eins. Der Mai das auch uns bekannte: ,, Mai fühl und naß, füllt dem Bauer Scheun' und Faß." Vom Juni hat sich folgende Regel überliefert: Schreit der Kuckuck noch lange nach Johanni( 24. Juni), dann kommt ein falter Winter. Uebrigens, mas gibt es nicht alles für Reime auf die Vögel, auf den Kudud, den Storch, den Kiebig und die Gans. Denn weiter in den Herbst hinein: Biel Eicheln im September, viel Schnee im Dezember", und wenn um diese Zeit die Zugvögel ihre Reise nach dem sonnigeren Süden antreten, dann sieht der Bauer den Störchen nach und denkt:" Fliegen die Störche hoch, wird es im Frühjahr Hochwasser geben, streichen sie niedrig, wird die Flut nur gering sein." Was ist hier Wahrheit, und was ist Dichtung?
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Stumme Propheten.
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Selbstmordverfuch der Täterin.
Eine blutige Tragödie, deren Gründe bisher noch nicht| ziehungen stand und in einem Anfalle von Eifersucht nach einem einwandfrei geflärt sind, spielte sich gestern abend in der vorausgegangen Streit auf ihn geschossen hat. Bolle Klarheit Genzenbergstraße 11 in Spandau ab. wird jedoch erst die Vernehmung Barels erbringen, der zur Zeit noch vernehmungsunfähig daniederliegt.
Zugfatastrophe- 120 Tote.
mit seiner 33jährigen Frau Lina. Bei den Eheleuten logiert seit Im zweiten Stockwerk wohnt dort der Bollziehungsbeamte P. etwa einem Jahr der amerikanische Staatsangehörige Harry Barel, der aus New York stammt und an der Universität in Berlin studiert. Am Sonnabend nachmittag war der Ehemann fortgegangen. Eisenbahnzug in Südamerika durch Erdrutsch verschüttet Bald darauf hörten Hausbewohner mehrere Schüsse fallen. Der Student stürzte aus der Wohnung auf den Treppenflur hinaus und rief laut:„ Ich bin geschossen worden!" Dann brach er bewußtlos zusammen. Hausbewohner trugen ihn in die Wohnung hinein und fanden dort Frau P. mit einem Kopfschuß auf der Erde schwer verletzt auf. Durch die Feuerwehr wurden die Berletzten ins Spandauer Krankenhaus gebracht. Frau B. ist so schwer verlegt, daß an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. Bei dem Studenten wurde von den Aerzten ein Brustschuß festgestellt, man hofft, ihn am Leben zu erhalten.
New York , 10. Januar. Wie ,, Associated Pres" aus Guayaquil ( Ecuador ) berichtet, wurde auf der etwa 115 Kilometer von Guaya quil entfernt liegenden Station Huigra ein Eisen. bahnzug durch einen Erdrutsch verschüttet, wobei 170 Personen den Tod fanden. Huigra hat etwa 500 Einwohner und ist eine kleine Eisenbahnstation, wo die Züge gewöhnlich längere Zeit halten, um
Bir wollen noch ein wenig zu den Förstern und den Gärtnern gehen. Auch sie vermögen mandjes zu sagen über jene Zeichen in der Natur, die auf das Wetter deuten. Nehmen wir Die Gründe zu dieser Tat sind noch nicht ganz geflärt. Es den Passagieren Gelegenheit zur Einnahme von Mahlnur das Laub der Bäume im Herbst. Bor zwei Jahren, wird vermutet, daß Frau P. zu dem jungen Ameritaner in Be-| zeiten zu geben.
Der
INVENTUR
Beginn 5. Januar
AUSVERKAUF
geht weiter!- In allen Abtellungen rücksichtslos herabgesetzte Preisel