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Iwan Heilbut

:

Ein Besuch auf dem Lande

Der Zug stampfte durch die Ebene. Weiden , Felder, in der Ferne eine kleine Ansammlung von niedrigen Häusern, Bäume an einer Chaussee. Der Himmel hing tief und grau. Die Dame stand am Fenster des Abteils und sah mit einem Lächeln hinaus. War ihr der Anblick so fremd? Erschien er ihr so bezaubernd? Ein junger Volksschullehrer, der für die Zeit seiner Ferien auf Besuch zu seinen Eltern reiste, sah sie im Profil, und fah dies sonderbare Lächeln. Er unterhielt sich immerfort mit seinem Nachbarn, einem Landsmann, aber er dachte immer nur an die Dame am Fenster. Für alle stand es fest, daß die Dame in einen Badeort an der Nord­see wollte; und alle fragten sich: warum sie wohl dritter Klasse reiste? Sie war kostbar gekleidet, trug an verfeinerten Fingern auffallende Ringe und war offensichtlich gepudert.( Nicht alle im Abteil hatten schon mit einer gepuderten Dame zwischen vier Wänden gesessen, ja, um die Wahrheit zu sagen, einige hatten solch eine Dame bisher überhaupt noch niemals gesehen.) Und diese Erregung, die als Lächeln in ihrem Gesicht geschrieben stand! Der Volksschullehrer hätte es leicht gewagt auf ihre freundlichen Mienen hin-, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen; aber, wie gesagt, in Haltung, Be­wegung und Kleidung, dieser deutlich gezogene Trennungsstrich hielt ihn immer wieder davon zurück. Als aber das majestätische Bild eines breitblizenden Kanals in das Blickfeld des Fensters fiel und in den Augen der Dame ein entzückendes Ah! hervorrief, sprang er auf, stand direkt hinter ihr und sagte:

-

,, Das ist einmal ein schöner Kanal, wie?"

auch zweimal zufammengeflappt bin, ich tomme schon wieder richtig hoch..."

Sie hielt mit den Armen die Knie umschlungen, es war später Nachmittag, ein Wind spielte mit Kleid und Haar.

Meine Heimat? Ist es denn meine Heimat? Ich sehe sie heute zum erstenmal. Ich bin nicht einmal hier geboren. Und doch meine Heimat? Ja, mein Fleisch und mein Blut ist von hier..."

Als es dämmerig wurde, stand die Dame auf, ging eilig den Weg zur Station und fragte einen herumstehenden alten Mann nach dem Bauern Markussen. Er wies ihr den Weg, und sie hörte ihm zu, als würde sie einer großen Ehre gewürdigt. Diese ruhige Etimme, das dichte weiße Haar, diese Art, wie er die Pfeife vom Munde nahm... Ruhe und Kraft, die sie mit Stolz auf ihre Heimat erfüllte. Um zu dem Hause des Bauern zu gelangen, brauchte sie nicht durch den Flecken zu gehen, sie nahm den Weg zwischen Weiden und Eisenbahndamm. Eine flatternde Krähe, ein fernher bellender Hund, vereinzelte niedrige Häuser in der Ferne, selbst­bewußtes Ausruhen der Arbeit und Frieden.

-

In furzer Entfernung sah sie einen Wagen herankommen, der Bauer oben, wohlhabend gekleidet, ließ die Beitsche sacht auf den Rücken des Pferdes wippen. Offenbar wollte er zu Besuch auf einen anderen Hof oder zur Geselligkeit in ein Gasthaus. Er trug den runden Hut ein wenig aus der Stirn gerückt, und die Dame, aus lauter Bergnügen und Freude an diesem kräftigen, wenngleich be: johrten Mann, beschloß, ihre Frage nach dem rechten Weg zu wieder:

Die Dame sah sich zu ihm um, sie sah ihn mit so freundlicher holen. Neugier an, daß er fast zusammenzudte.

,, Ja", sagte sie dann und sah wieder hinaus.

,, Sie reisen gewiß an die See?" fragte der Volksschullehrer. Sie sah ihn wieder mit diesem eigentümlichen Interesse an, die hohe, flargezeichnete Stirn, das ruhige Blau seiner Augen... Der Lehrer war frappiert und beglückt. So deutlich gab sie ihm zu er­fennen und im ersten Moment wie sehr er ihr gefiel? Donnerwetter, dachte er, als Frau möcht ich ja lieber eine, wie sie hierzulande sind, zurückhaltend und treu; aber wie nett, wenn eine so aufgeschlossen ist wie diese...

-

Aber da sah er zu seiner Verblüffung, daß die Dame, die nun mit dem Rücken zum Fenster stand, alle Insassen des Abteils mit dieser warmen Neugier betrachtete. Ihr Blick war groß und die Nasenflügel ein wenig gebläht, als atmete sie diese Atmosphäre. Dann erschien ein mädchenhaftes Lächeln auf ihrem Gesicht, das neben den Mundwinkeln zwei Grübchen hervorrief. Sie 30g aus dem bunten kostbaren Täschchen ein spizzenbesäumtes Tuch und drückte es an die Lippen, um den glücklichen Ausdruck zu verbergen, und saß wieder in ihrer Fensterede, und sah hinaus.

Auch der Volksschullehrer war rot geworden und setzte sich. Er tam sich blamiert vor; offenbar, er hatte sich übernommen. Plötzlich sah die Dame ihn an und fragte:

,, Wie heißt die nächste Station?"

Das ganze Abteil rief sofort mit lebhafter Stimme den Namen der Kleinstadt aus, und die Dame hob ihr Lederföfferchen vom Netz herunter. Der Lehrer war von seinem Mißgeschick, das er soeben erlebt hatte, noch zu sehr verwundert, als daß er, feiner innersten Absicht folgend, hilfreich dazugesprungen wäre. Die Dame machte sich zum Aussteigen fertig. Das heimliche Laden bildete wieder zarte Schattierungen in ihrem Gesicht. Will die zu uns? dachten diejenigen, die in der fleinen Stadt ansässig waren; mas mill fie, dozu wem, men fennt fie bei uns im Drt?

-

Nach dem Aussteigen hielten sich alle in ihrer Nähe; man meinte, fie würde sich mohl nach einem Namen, nach einer Straße, einer Ortschaft oder nach einer Zugverbindung erkundigen. Genau so geschah es. Und nun wußten alle: Sie wollte nach einer Station,

,, Markussen?" sagte er ,,, dat bin ich."

O

Die Dame wurde ganz blaß. Die letzte Helle des Abends be= Icuchtete ihr in Lächeln erstarrtes Gesicht. ,, Würden Sie nicht einmal heruntersteigen?" fragte fie, bittend und heiser.

Der Bauer kletterte gehorsam vom Bock. Von unten her sah sie ihm mit dem großen blauen Blick ins Gesicht. Wie schön er ist, welche Kraft. Sie war dunkelrot bis ans blonde Haar. ,, Ich bin Ihre Tochte", sagte sie. Bewegungslos stand der Mann, sah ihr steif in die Augen. ,, Wat?" fragte er dann.

die

if in die Auger

,, Meine Mutter heißt mit Mädchennamen Chriftine Boß", sagte Dame.

Der Bauer tat einen Schritt rückwärts, noch einen so daß er eine Stüze am Wagenrad fand. Unwillkürlich setzte er sich auf das Rad. Die Dame sah sein vorher braunrotes breites Gesicht wie im Augenblick eingefallen. Seine Augen gingen in ihren Augen herum. Dann hefteten sie sich an einen Punkt irgendwo in der Ferne.

Meine Augen... dachte die Dame.

Freuen Sie sich nicht, daß ich gekommen bin?" fragte sic. Ich bin gekommen, weil ich Ihnen eine Freude damit machen wollte." Der gute Blick, mit dem sie ihn ansah, nahm dem Bauer jeden Argwohn, daß sie einen Vorwurf gegen ihn aufgespart hielte.

,, Wollen Sie nicht mit mir nach Hause fahren?" fragte er. Sie sah ihn nur an. Dann machte sie sich ans Aufsteigen. Aber ihre Kleidung war für solche Bemühungen nicht gemacht, ersichtlich mußte sie nicht, wie sie hinaufkommen sollte. Der Vater, der für einen Augenblick die schlanken angespannten Glieder betrachtet hatte, machte sich am Rad zu schaffen.

,, Willst du mir nicht helfen? fragte fie d Da hob er sie hinauf.

bie als vierte auf der Kleinbahnstrece lag. Die Leute kannten den Paul 7. Schmidt: Karl v. Gontard

Flecken und seine Bewohner genau. Sie stierten dumm vor Er­staunen. Zu wem dort wollte die Dame nur?

Die Dame fah mit leuchtenden Augen die Menschen, die Station, die Weiden , den Himmel.

Der Bolksschullehrer mußte auch mit der Kleinbahn fahren. Jetzt, auf der Bahnsteigbank neben ihr sitzend, fand er seinen Mut

wieder.

,, Wollen Sie eine Erfrischung?"

"

Wenn Sie so gut sein wollen..."

Er sprang zum Büfett der Bahnhofswirtschaft und brachte ihr ein hohes Glas; andächtig oder wie ein Kind sah sie aus, als sie trant.

,, Haben Sie Verwandte im Dorf?" fragte der Lehrer. Ihr Kopf machte antwortend eine Bewegung, die aber keine Antwort war. Sie mar rot geworden. Man riecht hier schon die See", sagte sie.

Trotzdem machte der Lehrer noch einen Versuch. ,, Nämlich meine Eltern wohnen eine Station vorher, wir fennen die Leute rundherum alle gut."

Aber die Dame wollte nicht. Jetzt schien es ihr sogar Spaß zu

machen, wieder auf ein anderes Thema zu springen.

Sie hält mich für einen ungebildeten Menschen, dachte der Lehrer und gab seine Versuche auf.

In der Kleinbahn tam er gleich mit einigen von früher be­fannten alten Frauen ins Gespräch.

Wohin will denn das feine Mädchen da?" fragten die Frauen. Er gab Auskunft. Aber zu wem sie gehört, jagt sie nicht." Sie hat Farbe ins Geficht gemalt", sagte eine der Alten. 3 mem die mohl gehört? Zur Erholung tommen Fremde doch nie­mals hierher. Ob sie sich bloß nicht verlaufen hat, in den falschen Sug?"

Mütterlich- neugierig fragte eine der Frauen vorsichtig an. Die Dame betrachtete mit ihren leuchtenden Augen dies einfache Geficht. Dann nickte sie freundlich, das war ihre Antwort.

Kurz bevor er ausstieg, stellte sich der Lehrer nody einmal neben fie ans Fenster. Unendliche Weiden unter tiefen Wolken; Kühe lagen reglos ftill.

,, Wie schön ist dies alles", sagte die Dame.

F.

Zum 150. Geburtstage

Als der Architekt Gontard starb, am 23. September 1791, war der Klassizismus seiner Schüler und Nachfolger, der Genz ,. Lang­hans und Gilly in siegreichem Vordringen. Er selber hotte schon in seiner Jugend etwas von dem strengeren Geiste gespürt, der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts durch die europäische Baukunft zu wehen begann. Am 13. Januar 1731 in Mannheim geboren, hatte Gontard 1750 bei Blondel in Paris das Aufkeimen des Klaffi­zismus miterlebt. Aber er selbst war seiner ganzen Natur nach Bertreter der älteren, der zur Neige gehenden Richtung des froh und schwungvoll bewegten Barock; seine Hauptwerke beweisen es alle: die Eremitage in Bayreuth , die Communs im Neuen Palais und das chinesische Teehaus im Park von Sanssouci , die Spittel­und Königskolonnaden in Berlin . Und wenn er an den beiden Türmen des Gendarmenmarktes, seinem schönsten und berühmtesten Wert, mit den Tempelfassaden und Säulenstellungen unter den Kuppeln stärker an klassizistische Allüren erinnert, so mag man dabei wohl an seine Lehre bei Blondel denken; als Ganzes aber sind auch diese merkwürdigen Borsatzbauten baroden Geistes, nämlich eine prächtige aber inhaltlose Deforation, eine architektonische Geste voller liebenswürdiger Heuchelei. Denn in ihnen gibt es feine 3wedräume, fie sind den vorher entstandenen fleinen Zwillingsfirchen lediglich als Vorhallen vorgesetzt, und wenn sie mit ihren gewaltig empor strebenden, das Stadtbild Berlins so pompös bereichernden Kuppeln Die eigentlichen Kirchen so ganz in den Schatten steilen und beinahe unsichtbar machen, so liegt in dieser Verkehrung baulicher Funk­tionen eine durchaus barode und ganz und gar nicht klaffiziſtiſch­moderne Gefinung.

Gie beweisen aber, daß Karl v. Gontard wohl nur eines andern Bauherrn bedurft hätte, um zum Vorläufer der reinen Klassizisten zu werden. Seine reiche und schmiegsame Begabung stand im Dienste eines Herrschers, der in all seinen fünstlerischen Reigungen cbenso undeutsch wie rückständig war. Friedrich II. übernahm Gontard von seiner Schwester, der Marfgräfin Wilhelmine ; schon bei dieser hatte er sich in Bayreuth im wesentlichen in den heiter­prunkvolien Dekorationsbauten des Schlosses und der Eremitage versucht. In Potsdam , wohin er 1764 berufen wurde, fand er ähn­

Ich muß jetzt aussteigen, ich wünsche Ihnen gute Erholung", liche Aufgaben vor: die Communs hinter der langen Front des jagte der Lehrer und verbeugte sich.

Eine Station weiter stieg die Dame aus. Zwei Frauen aus demselben Abteil, die in diesen Ort gehörten, folgten ihr auf dem Fuß. Vom Bahnhof ging es in eine Straße hinein, in der ver­Die Dame einzelte fleine Häuser standen, von Gärten umgrenzt Berlangsamte unmerklich den Schritt plöglich blieb sie stehen... und die beiden Berfolgerinnen mußten an ihr vorüber. Mit schnellen Schritten ging fie zurück zur Station, über die Gleise und dann ein Stüd Weges zwischen den Wiesen. Neben einen Telegraphenmast setzte sie sich an den Abhang des Grabens.

-

,, Dies ist also meine Heimat... wie schön sie ist... Wie ein fach die Menschen... ihre Sprache so herzlich... Die Gesichter so fest, so gesund ihr Wesen... Ich habe eine gute Heimat, ich habe einen guten Fundus von Hause her... Mit solch einer Heimat im Blute brauche ich mich vorm Leben nicht zu fürchten-wenn ich

Neuen Palais sind mit ihrer großartig leeren Säulenkolonnade, ebenso wie die reizenden im Park verstreuten Antifen-, Freund­schafts- und Chira- Tempelchen zweckbefreite Kulissen von einer sorg­losen Beschwingiheit, die ihre Bestimmung vollkommen aus der Rotokogefinnung Friedrichs erhielt. Des Königs Geschmack war nicht dem Modernen zugewandt, sondern der baroden Vergangen heit. Darum hatte er sich mit Knobelsdorff entzweit, der ernsthafter und gerader dachte, und darum war ihm das gefällige Barocktalent Bontards so überaus willkommen. Man möchte nicht sagen, daß er es mißbraucht habe. Alles, was Gontard für ihn baute( und erst recht, was er für Private scs), ist fünstlerisch von höchstem Reiz. so daß wir es als wahre Bereicherung der Residenzer und der Bau­tradition empfinden. Vielleicht aber hätte er unter einem moderneren Bauherrn, der nicht bloß auf den dekorativen Prunk seiner Schöpfungen fah, eine fegensreichere und wahrhaftigere Tätigkeit

Als fie oben waren, sagte sie:

,, Bitte, fahre recht langsam, ich möchte recht viel sehen.- Du wolltest mohl gerade zu Besuch bei Bekannten?"

"

Ja."

Wie schön alles hier ist. Das hübsche Pferd. Wie heißt es?" Stine."

,, Stine?"

Ja."

,, Hast du ein tüchtiges Stüd Bauerngut?"

,, ja." Nam einer Bause schluckte er. Er fragte: ,, Und wie geht es ihr?"

Sie verstand ihn falsch. O, mir geht es gut. Ich habe das Glück gehabt, vom Film entdeckt zu werden. Dabei verdient man viel Geld."

,, Nein, ihr?"

,, Seitdem geht es Mutter auch gut. Weißt du, daß Vater lange ohne Stellung war? Nein, du hast ja so lange nichts von uns Wir wußten gehört. Damals waren wir alle schrecklich in Not. nicht, was aus den kleinen Geschwistern werden sollte. Vater war sehr verbittert. Am meisten aber hatte ich zu leiden, weil Mutter mich ja mit in die Ehe gebracht... Ach so..." Sie wurde rot, Das ist mußte nichts zu sagen. Der Bauer sagte auch nichts. meine Tochter, dachte er, der Donner, ein feines Mädchen, böse ist sie mir nicht wegen ihrer Mutter.

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Es war ganz dunkel geworden, als der Wagen langsam ins Gehöft einbog. Der Hofhund bellte. Irgendwoher murrte eine Kuh. Als sie, auf seine Schulter gestützt, herabgestiegen war, hielt sie die starken Finger fest in ihrer Hand, und als sie so zu­sammen das Haus betraten, fühlte sie sich neben ihm wie eine Braut.

-

Die Wirtschaftsfrau machte riesenrunde Augen; der Bauer ließ sie in der Küche das Abendbrot zubereiten, aber in die gute Stube trug er es selbst, einen Krug mit Milch, weißes und dunkles Brot, Käse, Schinken und gelbe Butter.

Sie stand am Fenster, atmete, Weiden , Nacht und die ferne See.

, Du mußt lange bei uns bleiben", sagte der Bauer. ,, Morgen früh reise ich weiter", sie nannte ihm einen Badeort, ,, ich wollte nur meine Heimat gesehen haben, und dich."

Später verließen sie beide das Haus, er trug eine Laterne und leuchtete nach links und rechts. Vom wolkenschweren tiefen Himmel tam schwaches Licht.

,, Hier sind die Ställe... Bis an den Damm hinaus reicht meine Weide... Das Vieh ist unruhig, fie fürchten Gewitter... Komm... Sieh hier, dieser Nußbaum..." Er stand still und sah seine Tochter an. Die Laterne flackerte hin und her und warf Schatten von unten nach oben. Sie sah ihn an. Komm..." Sie gingen. Dieser Nußbaum... deine Mutter fennt ihn auch... Wenn sie gut an mich denkt und gut von mir spricht, tannst du ihr nur sagen, ich size noch manchmal unter dem Nußbaum und hab Gedanken an früher."

Sie schritten den ganzen Besitz des Bauern ab; er kannte jeden Stein, der im Wege lag.-

Am nächsten Vormittag spannte er Stine ein und fuhr seine Tochter zur Kleinbahnstation. Ihr Gesicht, ungepudert, mar rosen­rot von Sonne und Luft. Der Wagen hielt an der weißrotgestreiften Schranke neben der Station, der Bauer saß oben wie von Erz. Seine Tochter, am Fenster des Abteils, jah zu ihm herüber. Als der Zug sich vom Bahnsteig löste, stand er auf und legte die Beitsche an den Hut. Dann nahm er den Hut vom Kopf und streckte ihn breimal zur Seite. Noch schwach und minzig sah er das rosenrote Kleid und das weiße flatternde Sud) Die Schranke war in die Höhe gegangen und Stine trottete langsam nach Haus,

entfalten können, so wie es später der ethisch fundierte Klassizismus Schinkels vollbracht hat.

Man darf bei dieser meist zu wenig beachteten Seite der Gon­tardschen Architektur und der Kunstpflege Friedrichs II. überhaupt etwas nachdrücklicher verweilen, weil sie den ungeheuren Einfluß des Bauherrn offenbart, der letzten Endes stärker ist als das besondere Talent des Künstlers, und das eigentliche Baugesicht der 3eit intensiver bestimmt als alles andere. Der trübe Anblick der wilhelminischen Aera ist fast ausschließlich von der unglücklichen Phantasie des obersten Bauherrn und seiner Geschmacksdespotie ver ursacht; ebenso wie auf der anderen Seite die erfreuliche und tröst­liche Gegenwart durch die fortgeschrittene Gesinnung der Gewerk­schaften und gemeinnüßigen Baugesellschaften, die sich die modernsten Architekten für ihre großen Gebäude aussuchen.

Gontards Bauten hat das Glück, das eigentlich mit dem langen Unglück der Berliner Baugeschichte identisch ist, auch nicht immer gelächelt. Es ist da zu erinnern an den Abbruch seines Oranien­ burger Tors, seiner Spittel- und Königskolonnaden, die eine schnöde Gegenwart zerstört oder versetzt hat. Die Königskolonnaden haben im Kleistpart, halb erdrückt und halb beglückt von der Nachbarschaft des Kathreiner- Hochhauses Bruno Pauls noch ein relativ günstiges Altersheim gefunden; die Spittelkolonnaden merden es hoffentlich, nach dem Vorschlag der Bau- und Finanzdirektion, ähnlich gut im Part von Niederschönhausen finden. Gut, daß der Verkehrsgöhe wenigstens die Anwesenheit der Türme auf dem Gendarmenmarkt erlaubt und den Park von Sanssouci nicht antasten darf, in dem Contards tostbare Dekorationen die Jahrhunderte überdauern.

Wie die Posaunen von Jericho wirklen Der bekannte englische Archäologe Prof. J. Garstang , der die Ausgrabungen an der Stätte des einstigen Jericho in Palästina geleitet hat, begibt sich wieder an Ort und Stelle, um weitere Forschungen durchzuführen. Aber bereits jetzt glaubt er angeben zu können, wie die Mauern Jerichos tatsächlich umgefallen find.. Nach der biblischen Schilderung waren es nämlich die Posaunen und das Feldgefchrei, die dabei eine wichtige Rolle spielten. Garstang hielt vor seiner Abreise in Liverpool einen Vortrag, in dem er zunächst betonte, daß er Dutzende von biblischen Stätten ausgegraben habe, aber niemals feststellen konnte, daß die Darstellungen in der Bibel tatsächlich unrichtig gewesen seien. Dies bestätigt sich auch nach seiner Ansicht bei der Geschichte des Falles von Jericho . Nach dem Befund der Grabungen", so führte er aus ,,, scheint es, als ob die äußere Mauer von den Angreifern unterminiert war. Diese Sprengungen waren also die Ursache ihres Zusammensturzes, und nicht die Posaunen, aber diese wurden während des Falles der Mauern ge­blajen, und darauf ist die Erzählung zurückzuführen. Es finden sich Spuren eines riesigen Feuers: zerborstene Steine, vertohlte Hölzer, Asche und Mengen von Holztohle. Nach meinen früheren Grabungen ist es sehr wahrscheinlich, daß die Hauptbefestigung Jerichos um das Jahr 1400 v. Chr. aus zwei parallelen Mauern bestand, von denen die äußere etma 2 Meter und die innere 3% Meter did waren. Die äußere Umwallung hat von dem Feuer am meisten gelitten und stürzte über den Abhang nach außen herunter. Dię innere Wauer ist nur an den Stellen erhalten, wo sie die eigentliche Burg in einer Höhe von 6 Meter umgab."