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Morgenausgabe

Nr. 29 A 15

48.Jahrgang

Böchentlich 85 Pf., monatlich 3,60 m. im varaus zahlbar, Boftbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bf. Bostzeitungs- und 72 Pf. Boftbestellgebühren. Auslands abonnement 6,-M. pro Monat; für Länder mit ermäßigtem Drucksachen­porto 5,- M

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abend ausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend". Illustrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenftimme", Technit", Blick in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" u., Stadtbeilage

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonntag

18. Januar 1931

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Die ein paltige Nonpareillegeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5, Reichs. mart. Kleine Anzeigen das lettges Drudte Bort 25 Pfennig( zuläffig zwei fettgebrudte Morte), jedes weitere Bort 12 Pfennig Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich pon 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Tag

Genfer   Wirtschaftsdebatte Las der Befinnung.

Unterausschuß für die Rußlandfrage.

Genf  , 17. Januar.  ( Eigenbericht.) Im Europa  - Ausschuß traten am Sonnabend Deutschland   und Italien   für fofortige Einladung Rußlands   und der Türkei   ein, England will für die Behandlung der Wirtschaftsfragen nicht nur Rußland   und die Türkei  , sondern alle bisher nicht vertretenen Staaten der Welt eingeladen haben. Die Schweiz  , Holland   und Belgien   sind entschieden gegen die Einladung Rußlands   und der Türkei  , während Frankreich   und Rumänien   durch das Sekretariat bei Rußland   und der Türkei   anfragen lassen wollen, ob sie zur Mitarbeit bereit sind. Ein Komitee, das aus je einem Vertreter Deutschlands  , Italiens  , Rumäniens  , der Schweiz   und England mit Briand   als Borsitzenden besteht, soll munmehr versuchen, eine Gini gungsformel vorzuschlagen. Sie ist wahrscheinlich Montagnach mittag Gegenstand der Aussprache.

In der öffentlichen Sitzung wurde die Wirtschaftsdebatte fortgesetzt. Nach einem wirkungsvollen Appell von Henderson an die europäischen   Regierungen, die Geduld der Freihandelsstaaten nicht zu überspannen, hielt Marinkovitsch- Jugoslawien eine aus­gezeichnete Rede, in der er hauptsächlich den Vortrag von Colijn  ergänzte. Er fagte, man dürfe nicht von entweder Freihandel oder Schutzzoll" sprechen, sondern müsse die verschiedenen Systeme neben einander bestehen lassen. Auch fönne man nicht ein einheitliches Netz von Abkommen über ganz Europa   ziehen.

Treviranus gegen Curtius.

Ein harter Kritiferaber auch ein Berufener? Die Boltstonservativen Stimmen", das Organ von Minister Treviranus, üben außerordentlich heftige Kritik an der Haltung oder vielmehr der Haltungs­losigkeit des Auswärtigen Amts. Sie fritisieren zugleich die Selbsttäuschung der bürgerlichen Presse über die außenpoliti­schen Möglichkeiten für Deutschland  .

Wir lesen:

Wenn man einmal ein paar Tage außerhalb der Grenzen Deutschlands   gewesen ist, andere Zeitungen gelesen, andere Sorgen tennengelernt hat, und dann nach Deutschland   zurückkehrt, ist man betroffen durch die Stimmung, die man in Deutsch  land vorfindet. Besonders an den großen national liberalen Blättern fällt einem eine neue Art von höchst fofettem, im Grunde aber timiden Optimismus unangenehm auf, ein Rauschzustand, hervorgerufen durch die Narkota der national­sozialistischen Wählermassen. Dieselbe Stimmung findet man auch in den Stuben, Büros und auf der Straße. Man hat nicht den Findrud, als stünden uns noch viel Nervenreserven zur Verfügung. Das treibt die Leitartikler dazu, Erwartungen zu meden, die in absehbarer 3eit nicht befriedigt werden können. Die Schreiber wissen das selber ganz genau.

Bir sahen es alle als Verheißung an, daß die in Deutschland  angesponnene Revisionsdebatte so rasch auch im Ausland um fich griff. Es ist aber eine schwere Sünde unserer außenpolitischen

Polen   erwacht.

Steigende Empörung.

Warschau  , 17. Januar.  ( Eigenbericht.) In der Etatsberatung des Sejmausschusses forderte Njedzialkowski( Soz.) Rechenschaft über Brest- Litowsk  und Luzk  . Da der Justizminister Michalowski, der Staatsanwalt von Brest  , die Rechenschaft verweigerte, verließ die Opposition den Ausschuß.

Die Warschauer   Sektion des polnischen Juristen verbandes nahm eine Entschließung an, in der die Brester Vorkommnisse gebrandmarkt werden und gegen die Ver­antwortlichen, den früheren Justizminister Car   und seinen Nachfolger Michalowski, als Mitglieder des Juristenverbandes, ein Verfahren vor dem Standes­gericht des Verbandes beschlossen wurde.

In der Debatte erklärte der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Supinski, daß er die Brester Vorfälle aufs schärfste mikbillige. Die Haltung der gesamten polnischen Gesellschaft müsse derartige Vorfälle für die Zukunft unmöglich machen. Er schäme sich angesichts der öffentlichen Meinung des Auslandes und vor seinem eigenen Gewissen.

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Reichsverteidigung, nicht Reichsgründung!

Das politische Bürgertum unter Führung der Reichsregie rung der Republik feiert heute den Sechzigjahr- Tag der Reichsgründung. Gibt es da einen besonderen Anlaß Colijn   machte nochmals auf die Bedeutung des Zollwaffen zur Feier oder des feicrlichen Gedenkens. Hat die Gegenwart stillstandes aufmerksam, ohne den es feinen Fortschritt in Europa   überhaupt noch eine unmittelbare Verbindung mit jenen gebe. Aber er fügte hinzu, daß daneben die Vielfältigkeit der Frage Stunden, da man im Spiegelsaal zu Versailles   unter steter eindeutig sei und Produktionsbeschränkungen bei der Landwirtschaft Furcht, die belagerten Pariser   könnten durch einen Ausfall die ganze Aktion stören, den alten widerstrebenden Preußen­sowie Agrarkredite der nächste Schritt sein müßten. Man weiß noch nicht, ob ein Unterkomitee für die praktischen könig zum deutschen   Kaiser machte und damit einer nächsten Schritte gebildet werden soll, oder ob die verstedte durch preußisch- innerdeutsche Eroberungs­englische Anregung der Einberufung einer Weltwirtschaftsfriege gegebenen Tatsache den äußeren Abschluß gab? tonferenz der Regierungen durchgeführt wird.

Brüning und Curtius besuchen Wien  .

Genf  , 17. Januar.

Die deutsche   Abordnung gab folgende Berlautbarung ans: Der österreichische Vizekanzler und Bundesminister für die aus­wärtigen Angelegenheiten, Dr. Schober, hat den deutschen   Reichs­außenminister besucht. Er fiberbrachte eine Einladung der österreichischen   Regierung nach Wien   für den Reichskanzler und den Außenminister. Der Reichsaußenminister nahm diese Einladung nach Verständigung mit dem Reichskanzler dankend an Der Besuch wird im Februar erfolgen. Die Zusammenkunft gab Gelegenheit zu einer Aussprache über die im Rahmen des europäischen   Studier komitees Deutschland   und Desterreich besonders berührenden Fragen. Sie stellten vollständige lle bereinstimmung der Auffassung fest.

Führung, daß diese Debatte sich später vollkommen plan- und ziel los auf alles und jedes verbreiterte. Außenpolitische, territoriale Revision alles auf einmal!

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Man wird sich bemühen müssen, der deutschen   Oeffentlichkeit Sinn und Berständnis für die Etappen beizubringen, in denen mir vorgehen fönnen, um nicht alle Welt auf ein mal gegen uns aufzubringen und das, was sich eben an schickte, auseinanderzulaufen, wieder zusammenzuschließen. Man hat fich bisher sogar nicht einmal bemüht, flarzustellen, daß auf der be­vorstehenden Tagung über eine Revision gar nicht geredet werden

fann."

Das ist alles durchaus richtig gesehen und schwerwiegend. Nur muß man hinzufügen, daß gerade Herr Treviranus ein gerüttelt Maß von Schuld trägt an der optimistischen Berblendung, in der große Teile des deutschen   Bürgertums heute befangen sind. Er hat durch seine Rede jenen furz­fichtigen Nationalismus der Phrase mit aufgepulvert, der sinnlose Erwartungen hervorruft und schließlich aschgrauen Razenjammer zur Folge haben wird.

Herr Treviranus hat sich selbst benommen wie der Leit­artifler eines großen nationalliberalen Blattes, der Erwar tungen wedt, an die er nicht glaubt. Er hat vom Standpunkt Dieses höchft fofetten, aber im Grunde timiden Optimismus" Herrn Curtius außerordentlich scharf kritisiert. Das war vor Genf  .

Jezt zielt seine Kritik wieder auf Curtius, diesmal aber gerade von der entgegengesetzten Seite her. Jetzt fritisiert er, daß in der Haltung von Curtius die Komponente Treviranus zu starf sichtbar wird!

Deutsche   Lehrer gemaßregelt.

Satfowih, 17. Januar. Die Disziplinarkommission beim Kattowizer Appellationsgericht hat die Entlassung von 52 deutschen   Lehrkräften bestätigt. Lehrer im Gange sein. Es handelt sich um die Annahme von Weitere Untersuchungen sollen noch gegen 125 deutsche  Unterstügungen deutscher   Minderheitsschullehrer in Oftoberschlesien von einer reichsdeutschen Lehrerorganisation, die von den polnischen Schulaufsichtsbehörden als Nebengehälter für die deutschen   Lehrkräfte angesehen wurden. Die entlassenen Lehrer haben bei der Disziplinarfommission des Ministeriums in Warschau  Berufung eingelegt.

Wahlfieg in Bristol  .

Der Justizminister gewählt.

London  , 17. Januar.

Bei der Parlamentsnachwahl in Oft- Bristol   wurde der Kandidat der Arbeiterpartet, der Solicitor- General Sir Stafford Cripps  , gewählt. Auf ihn entfielen 19 261 Stimmen. Der fon­fervative Randidat erhielt 7937 und der liberale 4010 Stimmen. Bei der letzten Wahl hatte der Arbeiterkandidat 24 197 und der libe­rale Kandidat 12.576 Stimmen erhalten.

Zwischen den Problemen, die die Welt von 1871 bewegten, und denen von heute liegen nicht nur sechzig normale Jahre. Sie sind getrennt durch eine rasende Entwicklung aller gesell­schaftlichen Beziehungen, getrennt vor allem durch welt­geschichtliches Geschehen, wie den Bölferfrieg von 1914-18, hinter dessen Ausmaßen und Folgen die ,, Blut­und Eisenpolitik" des Junkers Bismarck weit zurücktreten muß.

Reichsgründung! Ein Wort, das geschichtliche Geltung und Wertung beansprucht, wenn es wieder einmal mit be­tonter Gegenfäßlich feit zur Republif in den Vordergrund gedrängt wird. Das Kleinstaatenelend, durch Dutzende von Dynastien aufrechterhalten, hatte Jahrzehnte vor der Reichsgründung den Widerwillen der besten Geister des Volkes wachgerufen. Der Drang nach Einheit und damit nach innerer Freiheit war aus der Tiefe des Volfes immer stärker hervorgedrungen. Aber die von Gottes Gnaden" haßten den Einheitsgedanken wie die Pest. Ihre Unter­tanen", die den schwarzrotgoldenen Einheitsträumen nach­hingen, murden durch Polizei und Gerichte immer wieder daran erinnert, daß diese Träume Träume bleiben müßten.

Was sich am 18. Januar in Bersailles abspielte, war ein Fürstentheater, nichts weiter. Die Vorgänge, die hinter den Kulissen dieses Theaters sich abspielten, sind viel inter­effanter als das öffentliche Schaustüd. Weiß man doch, daß essanter als das öffentliche Schauftück. Weiß man doch, daß der alte Preußenkönig, der 1848 als Lehmann" vor dem Berliner   Bolt flüchtete und 1849 als ,, Rartätschenpring" in die Geschichte einging, von dem Einigungszauber absolut nichts wissen wollte, daß er den Titel Deutscher Kaiser" immer abgelehnt hat mit der kennzeichnenden Begründung: Was soll mir der Char aftermajor?"

Kriegsministers von Roon bereits vergessen, daß nun ,, das Wie er, so seine Paladine. Ist das historische Wort des Raiserhühnchen aus dem Ei gefrochen" sei? Ist jene Perle preußisch- junterlicher Gesinnung ganz aus der Erinnerung verschwunden, die sich in dem Worte ausprägte:

,, Wir wollen Preußen bleiben Der Teufel hol das Treiben, Das Deutschland   fabriziert Und Preußen ruiniert..."?

Und soll man in diesen Stunden aufgepeitschter ,, nationaler" Begeisterung noch besonders daran gedenken, daß der alte Hohenlohe nach einer Festsizung mit norddeutschen Adligen-in seinem Tagebuch vermerkte, die preußi­schen Junter pfeifen alle auf das Reich!"?

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Der Sechzigjahr- Tag der Reichsgründung gibt keinen An­laß zum Feſtefeiern. Waren doch die Träger des Einheits­gedankens nicht die Fürsten   und ihr junterlicher Troß, sondern das damals liberale Bürgertum und die in ihren Anfängen steckende Arbeiterbewegung. Das liberale Bürgertum die Nationalliberalen marschierten in den ersten Wahlen zum neuen Reichstag mit 119 Mandaten von 397 weitaus an der Spize aller Parteien, im Jahre 1874 schnellten sie gar auf 152! Wo find sie geblieben? In den Reichstag von 1931 brachten ihre Nachfolger ganze 30 Ab­geordnete, von denen zwei auch nur durch Liftenverbindung mit den Demokraten erlangt wurden.

So ist die ,, Partei der Reichsgründung", wie sie sich gern nannte und nennt, zusammengeschrumpft zu einem be= deutungslosen Häuflein, das bei den Fabrikanten betteln geht, um auch nur den Schein einer Parteiorganisation aufrecht­zuerhalten.

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Reichsgründung! Da gibts heute nichts mehr zu feiern. Und was als Feier heute von Scholz bis Hugenberg ausge= geben wird, ist wieder nur Schauftüd, um die Aufmerksamkeit abzulenten von der Tatsache daß heute Reichsverteidi gung gegen die inneren Feinde des neuen Reiches das Ge­