Nr. 31 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Schiffahrt auch im Winter
Berlins Bedeutung als Binnenhafen ist von Jahr zu Jahr mehr in die Erscheinung getreten, und die vom Magistrat geplanten großzügigen neuen Schleusenanlagen zeigen, wie günstig in maßgebenden Kreisen die Zukunftsentwicklung der ,, Hafenstadt" Berlin beurteilt wird. Auf Spree und Havel ruht der für die Versorgung der Viermillionenstadt so wichtige SchiffahrtsDerkehr auch im Winter nicht. Unser Bild zeigt einen Don Hamburg kommenden Schleppzug auf der Havel von der Heerstraßenbrücke aus gesehen. Die Havel führt noch Hochmasser, ihr Wasserspiegel ist aber gegenüber dem Stande im Herbst erheblich zurückgegangen. Gleichwohl sind die vor Spandau gelegenen Tiefroerderwiesen noch ein einziges Ueberschwemmungs
gebiet. Während die stillen Buchten der Havel auf dem Wege nach Potsdam alle zugefroren sind, ist der Strom selbst zurzeit noch völlig eisfrei
Frau Florian hat die Wahrheit gesagt
Also bleibt es bei der früheren Strafe
Im weiteren Verlauf der Verhandlung gegen den Stadtamt-| ihrem Erlebnis mit einem Herrn auf einem Kindertransport, von mann Schwarz aus Brandenburg werden noch einige Zeugen| den Hosen, die sie angezogen, und anderes mehr." Dann kommt darüber vernommen, ob die Schwester Florian nicht mit be- der Oberstaatsanwalt auf die Kneiperei im Branden sonderer Vorliebe einen lagen und freien Ton gegenüber den burger Ratsteller, an der Beamte und Beamtinnen des Beamten des Wohlfahrtsamtes angewandt hat. Wohlfahrtsamtes teilgenommen haben und wo eine Dame, und zwar die Schulschwester Florian, 10 bis 12 Liköre trant. Er geht auch auf die Waldpromenaden des Angeklagten mit der Schulschwester ein. Aber alles das gibt dem Angeklagten noch nicht die Berechtigung, die Schulschwester so zu beleidigen, wie er es am 17. September 1929 im Schwesternzimmer durch seine unfittlichen Anträge getan hat. Zahlreiche Schuldbeweise sprechen nach Ansicht des Anklagevertreters für den Angeklagten, so daß er bestraft werden müsse. Der Angeklagte habe sich als hoher Beamter an einer Angestellten vergangen. Der Staatsanwalt beantragt wie der einen Monat Borderrichter megen tätlicher Beleidigung Gefängnis. Geine Berufung, die auf versuchte Nofzucht hinausging, ließ der Anklagevertreter fallen.
Es wird dann der Sachberater für Jugendsachen, Magistratsbeamter A., vernommen. Diesem Zeugen ist der freie Ton der Schulschwester Florian gegenüber dem Angeklagten Stadtamtmann Schwarz besonders aufgefallen. Eines Tages fehrte Frau Florian von einem städtischen Kindertransport, den fie nach Schreiberhau begleitet hatte, zurüd; fie begab sich sofort in das Amtszimmer des Angeklagten und renommierte damit, daß fie in Schreiberhau tüchtig den Rodelsport betrieben hätte. In ihren Kleidern habe sie allerdings ben Sport nicht ausüben tönnen, doch habe sie die Bekanntschaft eines 56jährigen Herm gemacht, beffen Hosen fie auf dem 3immer dieses Herrn angezogen habe. Damit habe sie den Schneesport tabellos ausüben tömen. Auch hatte Schwester Florian gesagt, daß der Herr, dessen Sporthosen fie fich geliehen hatte, sie heiraten molle. 2s ber Angeklagte sie fragte, weshalb fie den Herrn nicht wolle, habe Frau Florian geantwortet: Wenn ich heiraten follte, fämen nur Sie, Herr Schmarz, in Frage.
Am späten Nachmittag wird dann die Beweis aufnahme geschlossen. Oberstaatsanwalt Tezlaff fommt dann auf den Ton zu sprechen, der zwischen den Beamten im Wohlfahrtsamt herrschte. Er sagt wörtlich: Wahrlich, ein wunderbarer Ton herrscht auf dem Brandenburger Wohlfahrtsamt. Da werden Wige geriffen und Beamtinnen getrabbelt. Da erzählt eine Schulschwester von
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10.Seemann
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Q.Wöhrle
Unternehmer.
Was finge der Arbeiter ohne Unternehmer an? Krepieren würde er, elend vor die Hunde gehen. Tausend Bei spiele bewiesen das. Also gibt es nur eines, um das Wirtschaftsleben in Schwung zu halten: die Kraft des Unternehmertums zu stärken. Dann hat der Arbeiter Brot und die sozialen Nöte verschwinden.
An dieser seiner neuen Ueberzeugung, die den Unternehmer sozusagen als Werkzeug der Borsehung stabilisierte, fonnte niemand rütteln. Selbst sein alter Vater nicht, der ihm von seinem sozialistischen Standpunkt aus flar zu machen versuchte, daß das Mißverhältnis zwischen Kapital und Arbeit auf ganz andere Art zu beseitigen und wegzuräumen sei.
Ludwig blieb hartnäckig.
Die fonntäglichen Diskussionen mit seinem alten Herrn steigerten sich oft zu solcher Lautstärke, daß die Barzellennach barn aufhorchten und sagten:
Die Eisermannschen haben wieder mal ihren politischen Lautsprecher aufgestellt!
Ludwig versuchte, die theoretischen Ausführungen feines Baters mit Beispielen aus seiner Praris als Großunternehmer zu schlagen.
Zu einem gemeinsamen Endergebnis tamen die beiden Streithähne nie; aber die Diskussionen befruchteten beide.
Wenn dann Ludwig an den Sommersonntagabenden pon den Eltern Abschied nahm, freute er sich, mit seinem Bater ordentlich zusammengeraten zu sein. So ein Schuß Streitfucht tat gut, das frischte sein etwas träge gewordenes Blut auf. Ohne es zu mollen, nahm er doch manches von den Ansichten seines alten Herrn an.
Seine Verhandlungen mit dem Betriebsrat zum Beispiel hatten längst die frühere Schärfe verloren. Je besser es ihm materiell ging, desto mehr hängte er als Unternehmer die menschliche Seite heraus. Wenn es nicht zu seinem Schaden, ausschlug, war er auch gefühlsmäßigen Erwägungen zugäng fich, nicht nur rechnerischen.
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Dienstag, 20. Januar 1931.
geklagten dagegen hat das Gericht nicht vollen Glauben schenten können, da er sich in vielen Puntten wider= sprochen und oft nicht die Wahrheit gesagt hat.
Flugunglück in England.
Das fünfte im neuen Jahr.- 3 Offiziere getötet. Condon, 19. Januar. Schon wieder wurde die englische Militärfliegerei von einem schweren Unglück betroffen.
Am Montag nachmittag stürzte auf dem Flugplay Worthy Down bei Winchester während des Landungsmanövers ein großes Bombenflugzeug ab. Der Apparat wurde vollkommen zertrümmert. Dabei fanden drei Offiziere die zur Besatzung des Flugzeuges gehören, den Tod, während a cht wei tere Personen zum Teil schwer verletzt werden.- Seit Beginn des neuen Jahres ist dies bereits der fünfte schwere Un= glücksfall in der englischen Militärfliegerei. Die Zahl der seit dem 1. Januar tödlich verunglückten Militärflieger ist damit auf zehn angewachsen.
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Der Ueberfall in der Hufelandstraße. Boruntersuchung gegen 11 Perfonen ist eingeleitet worden.
Wegen Berdachts der Teilnahme an jenem schweren Zusammenstoß vor dem Hause Hufelandstr. 31, bei dem der Reichsbannerkamerad Willi Schneider und unser Parteimitglied Herbert Graf ermordet wurden, wurde foeben auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Boruntersuchung gegen den Privatförster Kurt Bressel und zehn Genossen eröffnet. Bressel wird außerdem die Abgabe eines Schuffes, durch den aber niemand verletzt ist, vorgeworfen. Er befindet sich zur Zeit in Untersuchungshaft. Der Angeschuldigte Beder steht in dem Verdacht, den tödlichen Schuß auf Schneider mit Ueberlegung abgegeben zu haben. Er ist flüchtig und gegen ihn ist Haftbefehl und Stedbrief erlaffen, ebenso gegen die flüchtigen Angeschuldigten, Maler Hauschke and Maurerlehrling kollacz.
Von der Straßenbahn überfahren.
Schwerer Unfall eines Landgerichtsdirektors. Am Montagabend ist der 67jährgie Landgerichtsbirektor August Wetzel aus der Gieselerstr. 15 in Wilmersdorf das Opfer eines schweren Straßenunfalles geworden.
Der alte Herr wollte an der Ecke der Gieselerstraße und Hohenzollerndamm die Straßenbahngleise überschreiten. Er überfah dabei einen herankommenden Wagen der Linie 92 und wurde überfahren. Bezzel erlitt einen Schädelbruch und schwere innere Verlegungen. Der Berunglückte, der im Wilmersdorfer Krankenhaus in der Achenbachstraße Aufnahme fand, liegt bedentlich danieder.
Unfall eines Reichsbanner: Autos.
In den späten Abendstunden fam das Gericht zu folgendem Bea schluß: Die Potsdamer Straftammer verwirft die Berufung des 20 Teilnehmer stürzen ab.- 4 Schwer und 8 Leichtverlette. Stadtamtmannes Schwarz aus Brandenburg , der vom Branden burger Schöffengericht wegen tätlicher Beleidigung der Schulschwester Frau Hedwig Florian zu einem Monat Gefängnis verurteilt worden ist. Dem Angeklagten ist jedoch Strafaussetzung auf die Dauer von drei Jahren zugebilligt mit der Maßgabe, daß er an die Gerichtskaffe 300 Mart zahlt. In der Begründung führte der Vorsitzende aus, daß das Gericht die volle Ueberzeugung erlangt habe, daß Frau Florian die Wahrheit gesagt hat. Sie ist weder sexuell ausschweifend noch neigt sie zur Hysterie. Dem An
Er hielt darauf, daß die Löhne, die er seinen Leuten zahlte, ftets über die tariflichen Bestimmungen hinausgingen. Das tat er mit Bedacht. Nichts aus Sentimentalität, sondern aus der richtigen Erkenntnis seines geschäftlichen Nuzens. Dadurch hielt er seine Arbeiter bei der Stange; sie waren ihm durchwegs geneigt und willig, trozdem er durch sein System ein Höchstmaß von Leistung von ihnen forderte und auch herausholte.
Die ursprünglichen Spannungen im Betrieb, durch die Einführung des Teilsystems hervorgerufen, hatten sich längst gelöst.
Er sah keine Probleme mehr.
Zufrieden mit sich und der Welt, wie sie war, verdichteten sich seine Anschauungen über sich selbst im besonderen und über das Unternehmertum im allgemeinen dahin, daß die Not aus der Welt geschafft werden könnte, wenn alle Unternehmer so menschlich dächten wie er.
Ja, wenn...!
Als am Sonntag etwa 35 Reichsbannerleute in einem Laftzuge von Hamburg nach Harburg unterwegs waren, um dort an einer Rundgebung teilzunehmen, löfte sich plötzlich die Seitenwand des Borderwagens; über 20 3nfassen stürzten aus dem fahrenden Wagen auf die Straße. 12 mußten mit Berlegungen ins Krankenhaus geschafft werden, von denen acht inzwischen wieder entlaffen werden konnten.
Zu seiner weltmännischen Erscheinung wollten die Vorstadtausdrücke, die er in verschwenderischer Fülle hinwarf, gar nicht recht passen.
Himmelsbach kam dieses Wutgespuce Ludwigs poffierlich vor. Er genoß es, wie einen Auftritt im Theater.
Amüsiert lehnte er sich in seinen breiten Klubsessel zurück, tatschte mit beiden ringgeschmückten Mumienhänden das glänzende Leder und lachte dem zornigen Besucher geradwegs ins Gesicht.:
Wenn Sie mit ihrem Wortschwall fertig sind, Eisermann, tönnen Sie mir ja' ne Depesche schicken!" Diefer unverhüllte 3ynismus stoppte tatsächlich Ludwigs Rede. Er schwieg, schritt aber erregt von einer Ede des Brivatkontors zur andern. Nun legte Himmelsbach los. Aus ist es, mein lieber Freund, vollkommen aus. Mein Export nach dem Westen ist völlig lahmgelegt. Das Ausland hat sich völlig an unserer Ware fattgesaugt. Kein Interesse mehr daran. Eine sture Gesellschaft, diese Holländer. Wenn
Es sollte ein utopischer Traum sein, aus dem er bald auf- fie's nicht zur Hälfte geschenkt bekommen, diese Mijnheers, geschüttelt wurde.
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Die Firma Ludwig Eisermann, Möbelfabrik, erhielt troß aller Prosperität, einen gehörigen Knacks. Himmelsbach hielt wieder einmal, ohne jede vorherige Anfündigung, mit einem plötzlichen Ruck, alle Aufträge zurück.
Diesmal war es dem Großhändler wirklich nicht um einen Preisdruck zu tun. Der Grund lag tiefer. Der alte, elegante Herr konnte tatsächlich keine Ware mehr anbringen, trok seiner glänzenden geschäftlichen Verbindungen und trotzdem er in feinen Breisen unerhört billig war.
Absahstockung bösester Art, trotzdem die Geldscheine nur so flogen und man schon nach Billionen rechnete. Ludwig geriet in die alte Wut.
,, Lohnt mir der Schurkte so das blinde Vertrauen, das ich ihn jeste?! Meine Leute wollen doch arbeiten! Nun, ich will bem alten Gecken ordentlich den Kopf waschen!"
in
Er warf sich in seinen Wagen und fuhr in rasendem Tempo zur Prinzenstraße, wo ihn die beiden gelben Pefineferhündchen entgegenkommend bereits an der Kontortüre erwarteten.
Ludwig versuchte gar nicht erst in der ihm widerlich gewordenen zerknitterten Faltenmaste des andern zu lesen, son= dern überschüttete ihn vom ersten Augenblick seines Eintretens an mit einer Flut von Vorwürfen, die nicht besonders gewählt flangen.
taufen sie lieber im eigenen Land. Ich habe es fatt, Möbel zu verhandeln, Eisermann! Das Geschäft ist auf mindestens Jahre hinaus versaut. Mögen sich andere damit plagen! Jüngere, Kouragiertere! Ich werde mich zur Ruhe sehen, Eisermann!" Ludwig unterbrach einen Moment seine Wanderung und schaute Himmelsbach überrascht in die Augen.
,, Ihr Ernst, Himmelsbach?"
Die Hände des Möbelhändlers waren völlig zur Ruhe gefommen und lagen da wie opalisierendes Wachs. Mein völliger Ernst, Eisermann!" ,, Und Ihr Geschäft hier?"
" Das wird mein Neffe übernehmen!" ,, Dann werde ich eben mit ihrem Herrn Neffen Geschäftsbeziehungen anknüpfen müssen!" sagte Ludwig troden.
Damit werden Sie fein Glück haben, Eisermann! Der hat bereits seine eigenen Lieferanten!"
Himmelsbach grinste schadenfroh. Wieder setzten sich seine Hände in Bewegung, freudig erregt darüber, den schärfsten Pfeil aus seinm Köcher abgeschossen zu haben.
Ludwig schien es, als ob ihm der Boden unter den Füßen hinweg glitte. Aber nur für eine Sekunde. Dann hatte er sich wieder vollkommen in der Gewalt.
Instinktiv begriff er Himmelbachs Rache. Dieser tödlich verwundende Satz war die Quittung für den Hinausschmiß da mals in der Gürtelstraße vor... wie lange war es doch her? weiß der Teufel, nor fünfundzwanzig Jahren, Gorj. folgt.)