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Morgenausgabe

Nr. 35

A 18

48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag

22. Januar 1931

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Haushaltsausschuß aufgeflogen. 3m Schatten von Breft- Litowsk

Grobe Parteilichkeit des nationalsozialistischen Vorsitzenden.

oroneter!

Am Dienstagnachmittag kam es im Haushaltsaus. Igungen feien erst die Folge der Beleidigung des Parteiführers Adolf schuß des Reichstags bei der Beratung des Etats des Hitler durch Abg. Dr. Rosenfeld gewesen. Reichsjustizministeriums infolge der parteiischen Ge Abg. Laudsberg( S03.): Adolf Hitler ist kein Reichstagsabge schäftsführung des stellvertretenden Vorsitzenden, des Abg. Reinhardt( Natioz.) zu einem schweren konbeleidigt, beleidigt uns. Borsigender Reinhardt: Das ist gleichgültig. Wer Adolf Hitler flikt, in dessen Verlauf die Situng aufflog. Abg. Beil( Soz.) fragt noch einmal, ob ein Ordnungsruf an den nationalsozialistischen Beleidiger erfolgen solle. Borsigender Reinhardt: Nach dem Gesagten sehe ich hierzu feinen

Abg. Rosenfeld führte als Sprecher der Sozialdemokratie u. a. aus, daß sich in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Hochverrat bisher trotz aller Kritik nichts geändert habe. Endlich habe man einmal einen Prozeß wegen nationalsozialistischer hochverräterischer Betätigung eingeleitet. Aber wie ganz anders habe sich dieser Prozeß abgespielt als die üblichen Hochveratsprozesse gegen Kommunisten. Zunächst habe man die Zahl der Angeklagten auf drei beschränkt. Diese drei, man möchte sagen, unglücklichen Offiziere feien doch offensichtliche Werkzeuge in den Händen von

Drahtziehern der Nationalsozialistischen Partei. In diesem Prozeß feien selbst des Hochperrats Verdächtige als Zeugen pernommen worden. Der Höhepunkt sei gewesen, als man dem och ver­räter Hitler das große Wort gestattet habe.

( Juruf von nationalsozialistischer Seite: Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen.") Abg. Biedermann: Was soll das heißen?"

Das seien die üblichen Drohungen, die man schon gewohnt sei und

über die man sich schon gar nicht mehr aufrege. Mit fast der­felben Begründung wie in den üblichen Kommunistenprozeffen fönne man ohne weiteres auch Nationalsozialisten verurteilen, weii deren aufreizende Redewendungen noch schärfer seien als die der Kommunisten. Trotzdem geschehe nichts. Auch dem Herrn Goebbels nicht, der erst vor wenigen Tagen, wenn auch in versteckter Form, zu Gewalttätigkeiten aufgefordert habe. Es zeuge nicht von beson derem Mute, wenn Goebbels feine Aufforderung zur Gewalttätig feit in die Form gekleidet habe, er fordere zwar niemanden auf, aber er könne auch nicht kontrollieren, was geschehe. Auch die Recht sprechung in Landesverratssachen zu beklagen. Der Fall Buller­jahn sei noch nicht geklärt. Beim Reichsgericht scheine sich weder innerlich noch äußerlich etwas geändert zu haben.

Anlaß.

Die Sozialdemokraten verlassen den Saal. Abg. Beil( Soz.) erklärt hierauf, daß die sozialdemokratischen Ausschußmitglieder unter diesem Borsitzenden nicht mehr tagen und den Saal verlassen würden. Die fozialdemokratischen Mit­glieder verließen darauf den Saal.

Nunmehr versuchte Abg. Dr. Gerede( Landvolk) dem Borsigen­den eine Brücke zu bauen. Er führte aus, daß es sich hier um einen Parallelfall zu dem Borfall im Auswärtigen Ausschuß handele und daß der Vorsitzende doch auch die sozialdemokratischen Zwischenrufer mit Ordnungsrufen belegen müsse, die auf die Beleidigung des natio. nalsozialistischen Abg. Schwarz mit Beleidigungen geantwortet hätten. Abg. Schelter( 3.) und Abg. Stöder( Komm.) erklärten, daß ihre

Frattionen die Ausschußverhandlungen nicht mehr mitmachen wollten. Abg. Cremer( Bp.) erklärte nunmehr, daß sich der Borsigende einer so gröblichen Berlegung der ihm obliegenden Pflichten als objettiver Borsigender schuldig gemacht habe, daß feine Freunde genötigt seien, sich den Erklärungen der Vertreter des Zentrums anzuschließen.

Hierauf ruft der Vorsitzende, Abg. Reinhardt( Nat.- Soz.), den Abg. Dr. Rosenfeld( S03.), den Abg. Rohmann( S03.) und den Abg. Schwarz ( Nat.- Soz.) zur Ordnung. Auch der Abg. Dr. Cöwenthal( Komm.) erhielt wegen einer Beleidi­gung Hitlers (!) einen Ordnungsruf vom Borsitzenden. Ein Vertreter der Wirtschaftspartei ersucht nunmehr den Vorsitzenden, der sozialdemokratischen Fraktion mitzuteilen, daß der Abg. Schwarz zur Ordnung gerufen worden sei und daß die Be­ratungen fortgefeßt werden könnten.

Der Terror vor dem Genfer Gericht.

V. Sch., Genf , 21. Jamiar.( Eigenbericht.) Die Institution des Bölkerbundes ist heute gewiß noch sehr unvollkommen. Aber mer fann noch mit gutem Glauben bestreiten, daß seine Eristenz schon einen fühlbaren Fortschritt darstellt! Selten empfand man dies deutlicher als in der heuti gen Sigung, in der sich der Vertreter der polnischen Regierung vor aller Welt für den Terror verantworten mußte, mit dem das Regime Pilsudski bei den Novemberwahlen seinen Sieg der Gewalt und des Betruges über alle Oppositions­parteien erfochten hat. Ohne Bölkerbund wäre es nicht mög­lich gewesen, diese Gemeinheiten vor einem internationalen Tribunal zu enthüllen und zu brandmarken. Daß das über­haupt möglich war, verdankt man dem Bestehen der Minder­heitenschußperträge, die ebenso unvollkommen sind wie der Böllerbund selbst, die aber eine solche Erörterung gestatten, ohne daß sie mit dem üblichen reaktionären Argument der " Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souve­ränen Staates" verhindert werden können.

Scheinbar stand nur die Verfolgung der deutschen Minderheiten zur Debatte. Aber ein jeder fühlte: Hier steht das ganze Regime Pilsudski unter An= flage. Der deutsche Vorstoß fommt aud) den übrigen natio­nalen Minderheiten und überhaupt allen Opfern der Ver­folgungswut Pilsudskis zugute. Es muß deshalb besonders begrüßt werden, daß Dr. Curtius in seiner Anklagerede, die zweifellos tiefften Eindruck hinterließ, in einer geschickten Nebenbemerkung ausdrücklich die Notwendigkeit für den Rat betonte, sich auch der mißhandelten ukrainischen Minder­heit anzunehmen.

Während er sprach und die Gewalttaten und Schikanen aufzählte, denen die Deutschen in Bolen ausgesetzt gemesen find, mußte ein jeder daran denken, daß die polnischen Sp= zialisten, die demokratischen Bauern, die Ukrainer und sogar die Nationaldemokraten ähnlichen, ja viel schlimmeren Drangjalierungen ausgeliefert waren. Der Schatten von Brest Litomst schwebte über dem Saal, obwohl kein deutscher Führer von den dortigen sadistischen Henkern des franken Marschalls gepeinigt worden ist.

Polens Außenminister Zalesti war in einer wenig be­

Der nationalsozialistische Abg. Schwarz- Memmingen namnte Rosenfeld einen margistischen Juden, der einer Partei Es wurde eine Bause von 5 Minuten verabredet, um feftzu­angehöre, die seit Jahrzehnten systematisch hochstellen, ob die Sozialdemokraten in den Ausschuß zurückkehrten. Nach Derrat gegen das Deutsche Reich betrieben habe, Ablauf dieser 5 Minuten stellte sich heraus, daß die Sozialneidenswerten Lage, wie überhaupt der polnischen Regierung wie das schon in den verschiedensten Prozessen festgestellt worden sei. demokraten es ablehnen, unter dem national sozialistischen Borsigenden weiter zu tagen.

Ein parteiischer Borsitzender.

Als der Borfihende nicht einfchrift, wurde ihm von dem sozial­demokratischen Abg. Roßmann zugerufen: Hören Sie denn gar nicht? Wiffen Sie nicht, was Ihre Pflicht als Vorsitzender ist?" Als Reinhardt wieder nicht reagierte, bezeichnete Roßmann die Ausführungen von Schwarz als Verleumdung.

Abg. Kell( Soz.) fragte zur Geschäftsordnung den Vorsitzenden, warum er den Abg. Schwarz wegen seiner Beleidigungen nicht zur Ordnung gerufen hätte, die darin bestanden hätten, daß er den Abg. Dr. Rosenfeld beschimpfenderweise einen marristischen Juden genannt habe und der Sozialdemokratischen Partei vorgeworfen habe, daß fie planmäßig jahrzehntelang Hodhyperrat getrieben habe. Vorsitzender Abg. Reinhardt( Natsoz.) erwidert, diese Beleidi­

Die Schande von Brest .

Die Angst vor der Untersuchung. Warschau , 21. Januar. ( Eigenbericht.) Die Regierungsmehrheit der Rechtskommission des

Abg. Wegmann( 3.) stellte den Antrag, die Sigung abzu brechen und die Beratungen am Donnerstag vormittag fortzu­jezen.

In der Abstimmung hierüber stimmten die Nationalsozialisten, die Christlich- Sozialen, das Landvolk und die Kommunisten gegen eine Bertagung, wodurch der Antrag auf Bertagung mit 13: 9 Stim men abgelehnt wurde.

Die Gihung aufgeflogen.

Als nunmehr der Borsitzende die sachliche Beratung fortführen wollte, verließen die Bertreter der Deutschen Volkspartei , des Jen-| trums, der Bayerischen Volkspartei und der Wirtschaftspartei den Saal, so daß die Sihung wegen Beschlußunfähigkeit a gebrochen werden mußte.

! Auskunft darüber, was sie dort gemacht haben und erklären, felbst dem Staatsanwalt und dem Gericht nichts zu sagen. Als man weiter in sie drang, teilten sie mit,

wer ihnen das Schweigen auferlegt habe und seither wagt fein Borgesetzter mehr, auf Aussage zu dringen.

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die öffentliche Erörterung dieser Vorgänge außerordentlich peinlich ist. Es ist das Recht eines jeden Angeklagten, sich zu verteidigen, so gut er fann. Zaleskis Verteidigungsrede war relativ nicht ungeschickt, indem er zwar manches zuzu= war relativ nicht ungeschickt, indem sie zwar manches zuzu­geben und zu verurteilen schien, aber die Vorkommnisse doch gewissermaßen als unvermeidliche Begleiterscheinungen eines jeden Wahlkampfes hinstellte und dabei auf die Gewalttätig­feiten bei den deutschen Reichstagswahlen hinwies.

Es war freilich eine schwere Zattlosigkeit, daß er, um den Wojwoden Graczynski, den Ehrenvorsitzenden der Aufständischen Verbände in Schuß zu nehmen, bemerkte, daß Reichspräsident von Hindenburg den Ehrenvorsiz im Stahlhelm führe und doch nicht für jeden Ge­waltatt der Stahlhelmer verantwortlich gemacht werden fönne. Dr. Curtius hat diesen Vergleich in seiner Nach­mittagsrede mit Recht und in schärfster Form zurückgewiesen. Auch in französischen und englischen Delegationsfreisen hat man diese willkürliche Hineinziehung des deutschen Staats­oberhauptes als wenig taktvoll empfunden. Es wäre aber nicht objektiv, wollte man behaupten, daß diese undiplomatische Erwähnung Hindenburgs ihren Eindruck bei weiten Kreisen vollkommen verfehlt habe. Denn für die Stellung Deutsch­

Sejm hat den rechtsoppositionellen und den ukrainischen Der Robotnit" fagt nicht, weffen Name so gefürchtet wird aber lands in der Welt, selbst in den Augen seiner aufrichtigsten Antrag auf Untersuchung der Vorgänge in Brest- Litowsk jeder weiß es. und Bestrafung der Schuldigen abgelehnt.

In der vorher geführten Debatte war der sofortige Rücktritt des Justizministers Michalowski gefordert worden, der als der ver­antwortliche Staatsanwalt von Brest - Litomst jetzt seine eigenen Verbrechen als Minister vor der Ahndung schützt. Der greife Nationaldemokrat, Dr. v. Trompczynski, ehemaliger Senatsmarschall, bis 1918 polnischer Fraktionsführer im Preußischen Landtag, führte aus, daß der Kampf um die Untersuchung von Brest , falls sie nicht erfolge, zur Cofung für einen Bürgerkrieg in Polen werden könne. Der Sozialist 3ulawski, Führer der freien Gewerkschaften, mies auf Pilsudski als den Urheber der Bor­tommnisse hin, den man zur Verantwortung ziehen müffe.

Den Vorsitz führte der frühere Justizminister Car , der für Brest mitverantwortlich ist. Die Aufforderung der Opposition, als Angeklagter den Borsiz niederzulegen, lehnte er ab!

Bie der Robotnik" berichtet, verweigern die aus Brest in thre Dienftorte zurückgekehrten Gendarmen auch ihren Borgesezten jede

Freunde, ist dies ein wunder Punkt, der auf die ganze Pro­blematik der gegenwärtigen Zustände in Deutschland ein be=

Franzen bewaffnet Bürgerwehr bentliches Licht wirft. Der Verſuch Zaleſtis, gewiſſermaßen

Bewaffnung einer staatsfeindlichen Organisation.

Braunschweig , 21. Januar. ( Eigenbericht.) Die Aufforderung der republikanischen Bevölkerung nach fo­fortiger Auflösung der faschistischen Bürgerwehr in Belpte, die fich dort prompt nach einem mysteriösen, bisher ungeklärten Dynamitanschlag bildete, beantwortete der braun­fchweigische Polizeiminister Franzen damit, daß er durch die ihm unterſtellte Kreisdirektion in Helmstedt der Bürgerwehr kosten­los Waffenscheine besorgen ließ, mithin die ungefehliche Be­waffnung einer ftaatsfeindlichen Organisation förderte. Der republi­tanischen Bevölkerung hat sich angesichts dieser Provokation eine große Erregung bemächtigt.

als Retourkutsche, die Lage der polnischen Minderheiten in Deutschland in den schwärzesten Farben zu malen, war zu erwarten. Er ist vollkommen mißglückt. Es war für Dr. Curtius ein leichtes, in seiner Replik am Nachmittag diese Gegenklage eindrucksvoll zu widerlegen. In der zweiten Rede hat er an Hand der ausgezeichneten Denkschrift des Deutschen Bolfsbundes für Oberschlesien den Wahlterror noch stärker unterstreichen können als am Vormittag. Mag die Replik etwas zu lang und mit manchen überflüssigen Einzelheiten beschwert gewesen sein, fie fonnte die Wirkung nur verstärken. Baleffi fonnte diesen Ausführungen nichts entgegenseßen. Was wird nun geschehen? Bestimmt formulierte For­derungen hat Dr. Curtius bisher nicht erhoben, mohl aber der Deutsche Voltsbund, der am Schluß seiner Eingabe an den Rat die Feststellung beantragt, daß die durch die Genfer Kon­