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Morgenausgabe

Rr. 45

A 23

48. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch

**** 28. Januar 1931

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einfpaltige Monpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart. Aleine Anzeigen das ettge brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zmei fettgedruckte Worte), jedes meitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jebes meitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt. geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Vorwärts Verlag G. m. b. H.

Lavals Rechtsregierung.

Tardieu- Kabinett in schwacher Neuauflage.

Paris  , 27. Januar.  ( Eigenbericht.)

Das neue Rabinett 2apal ist trok aller Bemühungen und Segenswünsche der bürgerlichen Drahtzieher nur ein Kabinett der 2üdenbüßer geworden.

Mit Schmerz stellt die kapitalistische Presse am Dienstag fest, daß die erwähnte Konzentration der Republikaner   oder besser gesagt die Unterjochung der bürgerlichen 2inten nicht ge­Iungen ist. Diesmal aber hat Laval, anstatt nach der Beigerung der Radikalen wie im Dezember seinen Auftrag zur Regierungs­bildung zurückzugeben, sich dazu bestimmen lassen, eine

Regierung um jeden Breis

Unter den 12 Unterstaatssekretären Lavals sind zwei interessante Persönlichkeiten vorhanden. Der erste ist der Unterstaatssekretär im Kolonialministerium Diagne, ein raffereiner Senegalneger, der sich des Refords rühmen darf, als erster Farbiger einer europäischen  Regierung anzugehören. Der zweite ist der Unterstaatssekretär im handelsministerium Frey, der Chefredakteur der Straßburger Neuesten Nachrichten", der in der Borkriegszeit als elfäffischer Korrespondent für mehrere deutsche Zeitungen tätig war.

Das Kabinett Laval dürfte in der Kammer über die

alte Tardieu- Mehrheit von höchstens 320 Stimmen perfügen. Diese Stimmenzahl genügt, um ihm menigstens für und unbekümmert um ihre parteipolitische Zusammenſegung auf den Anfang die Existenz zu sichern. Später aber, wenn der Tag die Beine zu stellen. Was aus diesen verzweifelten Bemühungen der Stammerneuwahl in bedrohliche Nähe rückt, dürfte es manchem geworden ist, ist nichts anderes als eine verwaschene Neu- Abgeordneten der Mitte schmerfallen, für das Rechtskabinett Laval zu stimmen, da die Haltung der Wählerschaft sich in der letzten Zeit feineswegs nach rechts hin entwickelt hat.

auflage der alten reaktionären Kabinette Tardieus. Ein Unter­

schied gegen früher ist nur darin zu erblicken, daß Tardieu sich anstatt des Innenministeriums sich mit dem bescheideneren Land­mirtschaftsministerium und sein treuester Helfer Reynaud   anstatt des Finanzministeriums fich mit dem Kolonialministerium begnügen muß. Maginot aber hat trok seiner jenjationellen Betehrung zur internationalen Friedenspolitik Briands das Kriegsministerium behalten dürfen. So hat er jetzt Gelegenheit, durch die Tat zu be­weisen, daß die Sicherheit Frankreichs   nicht durch eine Uebersteige rung der Rüstungen, sondern nur durch Abrüstung und internationale Verständigung garantiert werden kann. Bezeichnend für die Rechts­einstellung des Kabinetts ist übrigens auch die Tatsache, daß Laval auf die Mitarbeit von Chéron und Germain Martin   verzichtete, die

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Pierre Laval   ist zwar zum ersten Male Ministerpräsident geworden, aber er ist fein Neuling in der französischen   Bolitik. Biederholt hat er als Justizminister, Innenminister oder Minister für öffentliche Arbeiten in verschiedenen Kabinetten der Nachfriegs zeit gewirkt.

Seine politische Laufbahn ist nicht gerade erfreulich: vor dem Kriege war er Sozialist und gebärdete sich sehr revolutionär. Ais folcher wurde er Bürgermeister eines Arbeitervorortes in der Pariser   Bannmeile. Zur Zeit der Spaltung schien er jogar mit den Sommunisten zu sympathisieren. Bald danach fand man ihn aber als Sozialrepublikaner" unter den engen Freunden Caillaus', schon als Boincarés und nun ist er glücklich das Haupt einer ausgesprochenen Rechtsregierung geworden! Das zeugt für seine Geschicklichkeit und Anpaffungs­fähigkeit, aber nicht für seinen Charakter.

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Budgetrechtdes Reichstags

Seine Anwendung früher und jetzt.

Von Hugo Heimann  .

Das Budgetrecht gilt von alters her als eines der wich tigsten Rechte der Parlamente. Die Beratung und Festlegung des Haushalts, durch den die Exekutive die Richtschnur für ihr Handeln im kommenden Jahr erhält, ist daher auch immer als eine ihrer vornehmsten Aufgaben angesehen worden. Trozdem murde lange Zeit hindurch in Deutschland   dieser Auf­gabe nicht die Beachtung zugewendet, die ihr zukommt. Die breitere Deffentlichkeit, ja selbst die eigentlich dazu Berufenen, standen der Gestaltung des Reichshaushaltes im einzelnen mehr oder minder intereffelos gegenüber. Das hatte innere und äußere Gründe.

Die Ausgabenseite der Borfriegszeit setzte sich in der Hauptsache zusammen aus den Aufwendungen für die hoheitsverwaltungen, die Heeresbedürf nisse und die Berzinsung und Tilgung der Reichsschuld. Auf der Einnahmeseite wurde dementsprechend nur ein ver­hältnismäßig geringer Teil des Bolkseinkommens für die Reichskaffe beansprucht. Der verlorene Weltkrieg mit seiner Bernichtung ungeheurer Werte, die drückenden Reparations­zahlungen an die Siegerstaaten und vor allem die nach der Umwälzung allmählich einsetzende Wandlung des früheren Obrigkeitsstaates zu einem Wohlfahrts- und Sozial it a at haben diese Verhältnisse von Grund auf geändert. Heute ist jeder einzelne Staatsbürger in der Formung des eigenen Lebens an die Gestaltung der Einnahme- und Aus­gabefeite des Reichshaushalts aufs engste gefettet.

Es fam ferner früher hinzu, daß, ein Eindringen in Einzel­heiten des Etats für alle, die sein Studium nicht zu ihrer Spe­zialaufgabe gemacht hatten, ausgeschlossen war. Unübersichtlich­feit und Berschiedenheit in der Aufstellung aller Einzelpläne,

zwar parteipolitisch zur Rechten gehören, ihrer lleberzeugung nach also immerhin noch als Mann der bürgerlichen Linfen. Nach wenigen Fehlen auch nur des geringsten Wegweisers durch das Laby­

aber start nach links tendieren. Diese Politiker waren in feinen Augen dadurch kompromittiert, daß sie in der Linksregierung Steeg  mitgearbeitet haben.

Lockrufe der Faschisten.

Italien   und Deutschland   gegen Frankreich  ?

weil der Faschismus auf die Unterdrückung der deutschen   Südtiroler  und der Slowenen nicht verzichten kann.

Rom  , 27. Januar.  ( Eigenbericht.) Außenminister Grandi ist am Dienstag aus Genf   zurück gefehrt. Bon zuverlässiger Seite erfährt der Korrespondent des Goz. Pressedienst" in Rom  , daß Mussolini   und Grandi die Genfer   Zusammenarbeit mit Deutschland   sehr be­grüßen. Man hofft, in Zukunft noch besser als bisher zu fammenarbeiten zu können. Diese zusammenarbeit sei Döllig unabhängig von den verschiedenen innen politischen Systemen der beiden Länder. Man habe auch nicht die ge­ringste Absicht", innerpolitische Rückwirkungen in Deutschland   hervor­zurufen, d. h. auf die Erstarfung des Nationalsozialismus zu rechnen. Das ganze sei für Italien   eine Frage der außenpolitischen Tattit. In den letzten Genfer   Berhandlungen sehe man den erfien taftischen Beweis für die Notwendigkeit eines Zusammengehens zwischen Deutschland   und Rom  . Das sei der einzig mögliche Weg, ein Gegengewicht gegen das bisherige Uebergemight Außerdem versprechen wir uns von einem solchen Zusammen­Frankreichs und seiner Gefolgsstaaten zu schaffen. Die Hinzugehen nichts Gutes für Deutschland  . Frankreich   ist jederzeit in der ziehung Rußlands   und der Türkei   werde diese Situation noch Lage, Italien   mit einer Anleihe oder mit einer Dase an der lybisch bedeutend verbessern. Daß man in der Minderheitenfrage feine offene Unterftüßung 3taliens habe erzielen fönnen, erkläre fid) tunefifchen Wüstengrenze zu födern. aus der besonderen Lage der eigenen italienischen Minderheiten. Aber in allen anderen Fragen fönne Deutschland   auf Italien   rechnen. Die Anregung für dieses Genfer   Zusammengehen fei von Italien   ausgegangen und es sei kein Zweifel, daß die deutsche  Regierung fie gern aufgegriffen habe.

Unterrichtete deutsche   Kreise bestreiten entschieden, daß eine wesentliche Aenderung der Außenpolitik des Reiches eingetreten sei. Die italienische Presse aber fährt fort, die angebliche Schwenkung Deutschlands   zu feiern. Der Zweck dieser Stimmungsmache ist durchsichtig: man will uns vor der übrigen Welt kompromittieren, um uns noch fefter an den Karren des Duce zu fetten.

Die Versicherung, daß der italienische   Faschismus damit keine Stärkung des Hitlerismus beabsichtige, steht im Widerspruch zu den bisherigen Tatsachen. Die offene Unterstützung des deutschen  Faschismus durch den italienischen ist unbestreitbar. Als Gegen­leistung tritt Hitler   für die moralische Preisgabe der Südtiroler   ein. Bezeichnend ist übrigens das Eingeständnis, daß in der minder heitenfrage Italien   Deutschland   nicht unterstützen fönne: eben

rinth der Tausende von Titeln, riesige Sammelfonds ohne genau umgrenzte 3wedbestimmungen, Berdunklung des Etatsbildes durch Uebertragsmöglichkeit der bewilligten Mittel von einem Jahr ins andere und zahlreiche andere Ermächti­gungen versperrten den Weg zu allgemeinerer Kenntnis des Etats. Diese Verhältnisse wurden durch den Krieg und die Inflation noch verschärft und gaben der hohen Bürokratie die Möglichkeit, die Reichsgelder fast ohne jede Kon= trolle durch den Reichstag zu bewirtschaften.

Die Sozialdemokratie ist es gewesen, die als erste und Jahre hindurch als einzige den Kampf gegen diese Zu­stände aufgenommen hat, die, je länger, je mehr, das Budget­recht des Reichstags zugunsten der Ministerialbürokratie aus­meitete. Wer heute den nach einheitlichem Plan aufgestellten, straff gegliederten, mit Sachregistern und dergleichen ver­sehenen Haushaltsplan zur Hand nimmt, wer in den bei­gegebenen 255 Quartseiten und Dutzende von Tabellen um­fassenden Ueberblick blättert und auf jede Frage mit leichter Mühe die Antwort findet, der kann sich keine Borstellung von der Mühe und Arbeit machen, die ein Studium des Etats noch vor einigen Jahren erforderte.

Daß der italienische   Faschismus bei seinen außenpolitischen Be ziehungen sehr großzügig" ist, zeigt die immer engere Freundschaft zwischen Rom   und Moskau  , die Mussolini   nicht im geringsten daran hindert, die Kommunisten im eigenen Lande ohne Erbarmen zu verfolgen. Daß die Bolschewiki so charakterlos find, dennoch mit der italienischen Regierung einträchtig zusammenzugehen, ist nur ein neuer Beweis ihrer Charakterlosigkeit. Bir Sozialdemokraten lehnen es aber entschieden, ab, daran ein Beispiel zu nehmen. In unseren Der Kampf der Sozialdemokratie ging aber nicht nur Augen ist das italienische Regime verächtlich und es schiene gegen alle inneren und äußeren Berdunklungsversuche des uns würdelos, im Intereffe angeblicher nationaler Leiftungsaushaltsplans, sondern er wandte sich mit gleicher erfolge einem engen Zusammengehen zwischen der deutschen   Re- Energie dem zweiten Teil des Budgetrechts zu, der gänzlich publik und dem Lande Mussolinis zuzustimmen. vernachlässigten Rechnungsprüfung. Diese Rech nungsprüfung war früher bestenfalls rein talkulatorisch ge­wefen. Dazu kam, daß unter dem Druck des Krieges und der Nachkriegszeit dem Reichstag die Zügel der Finanzherrschaft mehr und mehr entglitten waren. Das trat besonders fraß nung gelegt wurde. Nicht nur erfolgte eine Rechnungslegung utage, als über den ersten Goldetat des Jahres 1924 Rech­erst zwei Jahre nach Abschluß des Rechnungsjahres 1924, sondern sie zeigte auch in Einnahme und Ausgabe Ueber­fchreitungen von zwei Milliarden und mehr. Statt solche ungeheuerlichen Ueberschreitungen auf das pein­lichste zu begründen, glaubten einzelne Verwaltungen, den Reichstag mit vollkommen inhaltsleeren Bemerkungen: es hat sich als Bedürfnis erwiesen", mußte sofort angeschafft werden" usw. abspeisen zu können.

Es mag zwar vorkommen, daß es Fälle geben kann, in denen

sich der deutsche und der italienische Standpunkt begegnen, weil Frankreich   in einer bestimmten Frage von seiner egoistischen These nicht abgehen will. Auch die englische Arbeiterregierung ist vor einem Jahre gezwungen gewesen, in der Flottenfrage den italie­nischen gegen den französischen   Standpunkt zu unterstützen. Aber zwischen einem einmaligen, zufälligen Zusammengehen in einer bestimmten Angelegenheit und jener grundsäglichen Optierung für Italien   gegen Frankreich  , zu der uns die faschistische Preſſe Italiens  und die nationalistische Presse in Deutschland   verleiten wollen, ist ein himmelweiter Unterschied. Gerade die jüngsten Vorgänge in Genf   haben gezeigt, daß wir bei diesem Spiel allzu leicht das Objekt der diplomatischen Strategie Mussolinis werden. Dafür ist uns Deutschland   zu gut, als Schachiigur in dem tonfusen Spiel Mussolinis gegen Frankreich   mißbraucht zu werden.

Den ersten Erfolg zur Besserung dieser unmöglichen Zu­stände erzielte die Sozialdemokratie mit der Aufhebung des früheren Rechnungsausschusses und der Berlegung der Rechnungsprüfung in den Haushalts­ausschuß. Dieser bildete für die Zwecke der Rechnungs­prüfung einen ständigen Unteraussch u B, dessen Vor­Der italienische Boffchafter in Washington   legte im Staats- sigende der frühere Zentrumsfinanzminister Dr. Köhler, departement Berwahrung ein gegen un höfliche Bemerkundessen Generalberichterstatter der Genosse Heinig wurde. gen, die der General Smedley Butler vom Marineforps Insbesondere der unermüdlichen, vom gesamten Reichstag an­über Mussolini   gemacht haben soll.