Morgenausgabe
Nr. 49
A 25
48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Freitag
30. Januar 1931
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Filmoberprüfftelle verbietet sozialdemokratischen Trickfilm.
Eine außerordentlich folgenschwere Entscheidung, die praktisch Schließlich wurde gegen dieses luftige Raritaturenspiel auch noch das Verbot aller politischen Filme bedeutet, fällte am Donnerstag das schwere Geschütz der Diplomatie aufgefahren. 3 mei Berdie Filmoberprüfftelie unter dem Borsiz des Oberregierungsrats treter des Ausmärtigen Amtes bemühten sich im Beder. Sie verhof einen Tridfilm mit dem Titel„ ns Dritte Schweiße ihres Antlizes um den Nachweis, daß dieser Film die Reich", den die Film- und Werbeabteilung der Sozialdemokra- Beziehungen Deutschlands zum Auslande gefährde, tischen Partei hergestellt hat. Der Film, der in seinem Wesen verlebendigte Karikatur ist, zeigt in humoristisch- satirischer Weise, wie ein Unternehmer, durch den Streif seiner Arbeiter in Berlegenheit gesetzt, nach einer Hilfe gegen das Streifen der Arbeiter sucht. Er findet diese Hilfe nach italienischem Beispiel in den deutschen Faschisten, den Nationalsozialisten. Es wird gezeigt, wie ein Agitator der Nazis einen Arbeiter für das Dritte Reich befehrt, bis dieser den Schwindel durchschaut und zur Republik zurüdkehrt.
Die untere Instanz hatte den Film zugelassen für Veranstal. tungen, die von der Sozialdemokratischen Partei ausgingen. Die Oberprüfstelle erklärte eine solche beschränkte Zulassung für unmöglich, obwohl die Hersteller mit vollem Recht darauf hinwiesen, daß dieser Film für Geschäftstinos weder gedacht sei, noch von solchen zur Aufführung gebracht werden würde. Mit der Begründung, daß die Sozialdemokratische Partei eine so große Anhängerschaft zähle, daß eine beschränkte Zulassung bei diesem Personenkreis nicht mehr in Frage käme, verneinte die Oberprüfſtelle die rechtliche Zulässigkeit einer solchen beschränkten Zulassung.
Ergebnis: Nur fleine Parteien dürfen ihre Filme in ihrem Anhängerfreis aufführen!
Die allgemeine öffentliche Zulassung aber lehnte die Oberprüfstelle ab,
weil nämlich bei der Erwähnung des italienischen Faschismus einen Augenblick auch ein Mussolini gezeigt wird, dem ein gefesselter Arbeiter zu Füßen liegt.
Da dies Argument immerhin mur zum Verbot eines Teils geführt hätte, so verstieg sich der Vertreter des Ausmärtigen Amtes zu der weiteren Begründung: Der Film polemisiere gegen eine Partei, trage dadurch zur Zerklüftung des deutschen Volkes bei und bitte gefährde dadurch das Ansehen Deutschlands im
nicht zu lachen
Auslande.
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Der Vertreter der Hersteller erklärte darauf allerdings sarkastisch: Wenn das Ausland nicht erfahren dürfe, daß es in Deutschland verschiedene sich bekämpfende Parteien gäbe, dann müsse wohl statt des Filmes eher der Reichstag und die gesamte deutsche Preise verboten werden. Aber was geschieht nicht alles, wenn man aus Liebe zu den Nazis einen Film um jeden Preis verbieten will: auch diesen an den Haaren herbeigezogenen Argumenten schloß sich die Oberprüfstelle bereitwilligst an. Der stammelnden Art, wie sie vorgetragen wurde, an, daß es fich Der ganzen Begründung des Vorsitzenden merkte man schon an um ein reines Berlegenheitsprodukt handelte. Der nadte Tatbestand war einfach der,
die Mehrzahl der Mitglieder der Oberprüfstelle fympathisierte mit den Nazis und wollte auf keinen Fall einen Film zulassen, der das Treiben dieser Gesellschaft durch Karikatur und Satire an den Pranger stellt.
abgelehnt werden aus Gründen, die außerhalb seines Inhalts
weil der Film die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Die Begründung für diesen Standpunkt ist ein einziger Standal. Die Hersteller hatten darauf hingewiesen, daß der Film für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sogar Bropaganda mache, indem un sagt allerdings das Lichtspielgesetz mit absoluter Deutlichkeit er die Gesezlosigkeit und die Egzesse der radikalen im§ 1, daß wegen einer politischen Tendenz die Zulassung eines Parteien scharf kritisiere, während die Organe des Films nicht abgelehnt werden darf. Ebenso darf ein Film nicht Staates und die Staatsform durch den Film in Schutz geliegen. Man wollte aber diesen Film wegen seiner politischen Demgegenüber hat die Filmoberprüfstelle ihren bisherigen Tendenz verhindern und verbot ihn deshalb aus dem außer Standpunkt völlig preisgegeben, wonach die Gefährdung der öffent- halb feines Inhalts liegenden Grunde, daß die Standpunkt völlig preisgegeben, wonach die Gefährdung der öffent lichen Ordnung und Sicherheit aus dem Film selber erwachsen müsse. Herren Nazis sich durch ihr Porträt getroffen Ausdrücklich betonte der Vorsitzende, daß hier eine neue prinzipielle Entscheidung gefällt ſei. Diese Entscheidung beruht auf der Erwägung,
nommen werden.
daß Andersdenkende, in diesem Falle die durch den Film beleuchteten Nazis, mit Gewalttätigkeiten gegen den Film vorgehen könnten.
Hier enthält die Begründung Argumente, die mit dem Wortlaut und Sinn des Filmgesezes nichts mehr zu tun haben. So führte der Borsitzende in großer Breite aus, daß der Polizei Ruhe zu gönnen sei, wenn Vorkommnisse wie beim Remarque - Film zur Regel würden, so würde die Polizei zu stark belastet werden.
fühlen tönnten.
Nachdem der ungeheuerliche Spruch ergangen mar, gab der Vertreter der Hersteller dem wahren Sachverhalt dadurch Ausdruck, daß er zu dem Vorsitzenden der Oberprüfstelle gewandt sagte: 3hre Begründung ist etwas lang, fürzer und einfacher wäre gewesen: Die janze Richtung paßt uns nicht!"
Besprechung beim Reichskanzler.
Der Reichstanzler empfing am Donnerstag in Anbetracht des Wiederzusammentritts des Reichstags die sozialdemokratischen Abgeordneten Breitscheid , hers, Sifferbing und Bisher hatte die Oberprüfstelle den gegenteiligen Standpunkt Müller zu einer Aussprache über die politische vertreten, daß es nämlich Sache der Polizei sei, einen an fichage. zulässigen Film gegen Störungen und Erzesse zu beschirmen. Indem fie diesen Standpunkt erst umfehrt,
fordert die Oberprüfftelle geradeswegs dazu heraus, alle Filme, die einer bestimmten Richtung nicht passen, durch Skandal und Gewalttätigkeiten zu stören.
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Dann müssen sie im Interesse der Ruhe oder vielmehr des Ruhe bedürfnisses der Polizei verboten werden. Ist sich die Oberprüfstelle über diese Konsequenz flar geworden, ist sie sich flar geworden, daß aus einem solchen Standpunkt auch die Republikaner ihre Konsequenz ziehen und ihr Verhalten gegenüber monarchistischen Filmen entsprechend einrichten müssen?!
Zum Standal wurde die Begründung, als dann der Bor: fizende die karikierten Nazis liebevoll in Schutz nahm und erklärte: fizende die, farifierten Nazis liebevoll in Schutz nahm und erklärte: der Staat müffe auch eine solche Partei, die ihn verneinte, gegen öffentliche Angriffe in Schuh nehmen
( wo steht das im Filmgeset?). Diese Inschuhnahme ergab dann die grotestesten Blüten. Im Film wird gezeigt, wie ein Nazi eine Fensterscheibe einwirft. Der Vorsitzende erklärte hierzu: Derartiges sei zwar den Nazis vorgeworfen worden, aber es sei doch nicht erwiesen, daß die Fenstereinwerfer Ratio nalsozialisten gewesen feien!( Die Gerichtsurteile gegen nationalsozialistische Fenstereinwerfer braucht die Oberprüf
ftelle ja nicht zu fennent.
Russisches Verkehrselend. Strafdrohungen sollen helfen.
Mostau, 29. Januar.
haben ein Defret erlassen, welches folgendes bestimmt: Jede BerDas Zentralexekutivkomitee und der Rat der Volkskommissare leßung der Dienstordnung und Disziplin im Transportmesen, wie z. B. Nichteinhaltung der Verkehrsvorschriften, ungenügende Ausbesserung der Verkehrswege, des Eisenbahnmaterials usw. wird, wenn sie eine Schädigung des Bahndamms, der Wagen und dergleichen hervorgerufen hat bzw. hätte hervorrufen fönnen, mit Gefängnis bis zu 10 Jahren bestraft. Unter dieselbe Ratastrophen führen, nachlässige Handhabung des Dienstes, die zu Bestimmung fallen Dienstvergehen, die zu llnglücksfällen und Transporiftocungen führt u. a. In allen Fällen, in welchen der artige Bergehen offensichtlich nicht nur Nachlässigkeit und d. h. die Todesstrafe, angewendet werden. Faulheit, sondern auch böse Absicht zeigen, soll das höchste Straina,
vorgenommen werden sollte, ist auf deutschnationalen Antrag verDie Oberbürgermeisterwahl in Dresden , die am Donnerstag tagt worden, und zwar auf den 9. Februar. Gegen die Bertagung ſtimmten mit den Sozialdemokraten die Staatspartei und das Zentrumsmitglied. Als aussichtsreicher Kandidat galt bisher der frühere Reichsinnenminister Dr. Külz . Der Vertagungsantrag ist offenfundig eine Demonstration gegen diesen Kandidaten.
der Filmoberprüfstelle.
Die Filmoberprüfstelle hat einen sozialdemokratischen Propagandafilm gegen die Nationalsozialisten verboten. Glatt verboten. Er darf nicht in öffentlichen Filmvorstellungen gezeigt werden, aber auch nicht einmal in Mitgliederversammlungen der Sozialdemokratischen Partei. Was ist das für ein gefährlicher Film? Reizt er zum Verbrechen auf? Ist er unsittlich?
Der Film zeigt in bewegten Karikaturen einige Grundtatsachen des politischen Lebens von heute: Lohndrud, gegen die Arbeiter. Die Nationalsozialisten als letzte Hoffnung der Unternehmer. Den Mut der Hafenkreuzler gegen Fensterscheiben und ihre Feigheit gegenüber der Polizei. Den Tod der Freiheit unter dem Stiefel Mussolinis. Die Sehnsucht der Hakenkreuzler, nach rollenden Köpfen. Aber dann: den be geisterten Marsch sozialdemokratischer Arbeitermassen für Demokratie und Freiheit, und den Triumph der Republik.
Wahrhaftig, sie haben den Triumph der Republik über ihre nationalsozialistischen Feinde verboten!
Niemand wird uns zumuten, in der Filmoberprüfstelle, die diese perverse Entscheidung gefällt hat, noch eine objettive Bediese perverse Entscheidung gefällt hat, noch eine objektive Behörde zu erblicken. Hier ist eine Zelle der Feinde der Republik !
Die Herren, die den Stahlhelmfilm zugelassen, den Film gegen die Feinde der Republit aber verboten haben, haben sich um eine Begründung bemüht. Diese Begründung ist das Verbot angeblich erfolgt, sondern weil Protestdemonfrönt der Spruch: nicht um des Inhaltes des Filmes willen ftrationen gegen den Film zu Störungen der öffentlichen Ordnung führen fönnten.
Eine saubere republikanische Behörde, die von der Annahme ausgeht, daß Propaganda für die Republik , für die Verfassung, für die Ordnung, für die Polizei, für die Legalität zu Störungen der öffentlichen Ordnung führen werde, und deswegen zu verbieten sei!
Das ist die neueste Errungenschaft: Legalität reigt die Feinde des Gesetzes zu Protest und Widerstand auf, also ist die Legalität zu verbieten!
gibt, wer ist daran schuld? Die Republik ist schuld. Warum ist Wenn es Ruheſtörung, ja Bürgerkrieg in Deutschland gibt, wer ist daran schuld? Die Republik ist schuld. Warum ist sie schuld? Weil sie provoziert. Und warum provoziert sie? Schon durch ihr Dasein!
Es gibt fein Symbol der Republik , das die Nationalsozialisten so sehr hassen und beschimpfen wie die schwarzrotgoldenen Reichsfarben. Wie wäre es mit einem Verbote, die Reichsfarben zu zeigen?
Denn nicht wahr, meine Herren, das ist doch ganz logisch: wer schwarzrotgold zeigt, provoziert Proteste Andersdenkender und verursacht somit Störungen der öffentlichen Ordnung- und der einfachste Weg zur Verhinderung der Störung der öffentlichen Ordnung ist, die Provokation" durch Schwarzrot gold zu verbieten.
Oder: die Nationalsozialisten fühlen sich manchmal durch jüdische Fensterscheiben provoziert. Wie wäre es mit einem Verbot: jüdische Geschäfte dürfen keine Fensterscheiben mehr haben. Noch besser: jüdische Geschäfte sind überhaupt verboten.
Der Reichstag ist die Zielscheibe wüstester hakenkreuzle rischer Angriffe. Sein Zusammentritt hat zu schwersten Ordnungsstörungen durch Nationalsozialisten geführt. Also: fort mit dem Reichstag; denn er ist eine provokatorische Angelegenheit!
Schließlich: wer sich zur Republik bekennt, provoziert Andersdenkende, darum verbietet alle Republikaner, sperrt sie ein, macht sie unschädlich, rottet sie aus!
Ist das alles nicht klar und logisch, ist es nicht ebenso gut begründet, wie der Spruch der Oberfilmprüfstelle?
Herr Reichsinnenminister, was gedenken Sie fassung, die Gesetzlichkeit so offen verhöhnt? Was gedenken Sie gegen diese Behörde zu unternehmen, die das Recht, die Vergegen den Beamten Ihres Ministeriums zu tun, der zu diesem Spruch diese infame Begründung geliefert hat?
Das wahre Wesen von Spruch und Begründung dürfte danach hinlänglich flar sein. Aber das Verbot gilt ja nicht nur für die Oeffentlichkeit, sondern auch für geschlossene sozialdemokratische Mitgliederversammlungen! Denn so folgert die Oberprüfstelle: wenn Nationalsozialisten erfahren, daß in geschlossenen sozialdemo fratischen Bersammlungen dieser Film läuft- den sie ebensowenig fennen mie seinerzeit ben Remarque - Film, so