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Morgenausgabe

Nr. 51

A 26

48.Jahrgang

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend" Illustrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenstimme", Technit", Blick in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" u. Stadtbeilage

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonnabend 31. Januar 1931

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einipalttge Nonpareillegeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart. Kleine Anzeigen das ettge brudte Bort 25 Pfennig( zuläffig zwei fettgedruckte Borte), jebes weitere Wort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Mort 15 Pfennig, jebes weitere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

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Ein neues Osthilfeprojekt. Derpolnische Bollsproteſt.

Landbund und Industrie gegen Reich und Staat.

Pilsudski   ist gründlich erkannt.

Man schreibt uns aus Polen  :

Der Sejm   hat über die moralischen und physischen Tor turen im Politikergefängnis von Brest  - Litowst gesprochen. Er

Obwohl seit Mitte Dezember ein fertiger Gesezentwurf über| lassen und über die Lage der Reichsfinanzen größere Klarheit hat es fo getan, wie von einem Abgeordnetenhaus zu erwarten die Osthilfe vorliegt, der nach grundsätzlicher Billigung durch alle besteht.

in Frage kommenden Instanzen jederzeit vom Reichskabinett dem Reichstag zugeleitet werden fönnte, find in den letzten Wochen, insbesondere seit der Rückkehr des Reichskanzlers von seiner Ost­reise, immer neue Osthilfeprojekte von den Inter effenten aufgestellt worden.

Im Vordergrund des Interesses steht ein Entwurf, der gewisse industrielle und agrarische Wünsche miteinander verknüpft. Nach diesem Entwurf soll das Aufkommen aus der Aufbringungsumlage der Industrie im Jahre 1932 zum größten Teil und vom Jahre 1933 ab in vollem Umfange einem 3 med nermögen zugeführt werden, das von der Bant für Deutsche Industrieobligationen verwaltet werden soll. Etma vier Fünftel Dieses Zwedvermögens sollen für landwirtschaftliche Um. schuldungshypothefen ausgeliehen werden. Träger der Umschuldungsaktion sollen sogenannte Haftungsverbände der um geschuldeten Landwirte werden, die einen Teil des Ausfallrisitos der Umschuldungshypotheten tragen und die erforderlichen Leistun gen durch eine Umlage von ihren Mitgliedern erheben sollen. Bet der Durchführung der Umschuldung sollen die staatlichen Stellen weitgehend ausgeschaltet werden. Dagegen soll das Reich die gesamte Zinslast für die umgeschuldeten Landwirte übernehmen, während deren eigene Leistungen ausschließlich der Tilgung der ihnen gewährten Umschuldungsdarlehen angerech net werden sollen.

Mit Hilfe einiger zunächst noch in teiner Weise in ihrer Durch führung gesicherten Finanztransaktionen, für die der Kredit des Reichs eingesetzt werden soll, sollen Anlethebeträge auf­gebracht merden, die teils mit Hilfe von Sonderleistungen des Reichs, teils aus dem in den nächsten Jahren zu erwartenden Auf­kommen aus der Industriebelastung getilgt und vom Reich verzinst werden sollen.

Dieses Projekt, das im Gegensatz zu dem noch vor sechs Wochen vom Reichskabinett grundsätzlich gebilligten Gesezentwurf steht, wird von einigen Reichsstellen im Augenblid ernsthaft diskutiert. Obwohl zuzugeben ist, daß die Beschränkung der mit der Osthilfe verbundenen agrarpolitischen Maßnahmen auf das gegenwärtige Ofthilfegebiet im wesentlichen nur finanzielle Gründe hat, und bei einer Erweiterung der gegebenen finanziellen Möglichkeiten eine Einbeziehung weiterer Teilgebiete des deutschen   Ostens in die Ost­hufe notwendig ist, so erscheint es angesichts der ernsten Finanzlage des Reichs unmöglich, schon heute auf Reichseinnahmen in Höhe von sechshundert Millionen Mart für die Zwecke der landwirt schaftlichen Osthilfe zu verzichten. Bielmehr erscheint es zweckmäßig, die Ausdehnung erst dann vorzunehmen, wenn sich die Erfahrungen aus der gegenwärtig im Gange befindlichen Osthilfe übersehen

Deutscher   Flieger in Polen   gelandet.

Gefahr eines neuen Konflikts.

Warschau  , 30. Januar. Heute vormittag ist bei Wollstein   in Posen ein deut sches Flugzeug, das von Schneidemühl   nach Breslau  unterwegs war, notgelandet. Die Maschine war nur mit dem Piloten Hans Gruze befeht. Die polnischen Behörden haben die Maschine bis auf weiteres beschlagnahmt und den Flugzeugführer unter Aufsicht gestellt.

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Zwischen der Notlandung polnischer Flieger bei Oppeln  und diesem Ereignis bestehen sehr wesentliche Unterschiede. Die Polen  , die vor das Oppelner Gericht kommen, find Militärflieger Gruze   steuerte ein Berkehrsflugzeug. Militärfliegern ist es verboten, ohne besondere Erlaubnis über deutsches Reichsgebiet zu fliegen, dagegen besteht ein deutsch  - polnisches Luftfahrtabkommen, das die grenznahen Berkehrslinien aufzählt und Straflosigkeit unabsichtlicher oder notgedrungener Luftgrenzverlegung verbürgt. Schon die Fest­haltung des deutschen   Piloten und seiner Maschine ist nicht Recht, sondern Gewalt. Würde Bolen aber, wie die TU." einem polnischen Hezblatt entnimmt, das Oppelner Gerichts­urteil über die polnischen Militär flieger zur Grundlage entsprechender Behandlung des deutschen   Verkehrs fliegers machen, so mürde es damit einen neuen und schweren Konflitt herbeiführen.

Jedenfalls aber ist ein Verzicht auf Reichseinnahmen zugunsten eines Sondervermögens der Industrie nicht zu verantworten.

Mit Recht haben maßgebende Politiker bürgerlicher Parteien fürz lich davon gesprochen, daß der Pluralismus der politischen und wirtschaftlichen Mächte öffentlich- rechtlichen Charakters in Deutsch  land unerträglich werde und die Durchführung einer einheitlichen Staatspolitit mehr und mehr unmöglich mache. In dieser Zeit, in der die wirtschaftliche und politische Lage Deutschlands   so ernst ist wie noch nie, sollten neue Träger großer mirtschaftlicher Macht befugnisse außerhalb des Bereiches der Staatspolitit nicht ins Leben gerufen werden. Gegen die Schaffung eines solchen 3wed vermögens der Industrie spricht insbesondere auch die Tatsache, daß das agrarische Vorbild dieses Zwedvermögens, die Deutsche Rentenbank- Kreditanstalt, feineswegs die anfangs vielfach in fte gefeßten Erwartungen erfüllte.

Auch die andere, in dem erwähnten Osthilfeprojekt vorgesehene Neufchöpfung, die öffentlich- rechtlichen Haftungsverbände umgeschul­deter Landwirte, kann schon unter diesem Gesichtspuntt nicht ge billigt werden. Ihre Ueberflüssigkeit bedarf kaum eines Beweises, bestehen doch in allen preußischen Provinzen und außerpreußischen Ländern öffentlich- rechtliche Verwaltungsförperschaften der Land­wirtschaft und freie landwirtschaftliche Verbände und Vereine pri­vaten Charafters in großer 3ahl. Neben die Ueberzahl landwirt schaftlicher Organisationen noch eine neue Organisation zu sehen, deren Konstruktion offensichtlich nur den einen Zweck hat, der Reichs- und Staatsregierung berechtigten Einfluß zu ver­wehren und Funktionen zu übernehmen, die besser von bereits be­stehenden Behörden von Reich und Staat ausgefüllt würden, ist weber unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsreform noch unter dem einer Konzentration der Regierungsgewalt in den Händen der Reichs- und Staatsregierung vertretbar.

Offenbar handelt es sich hier um ein Gegenseitigkeits­geschäft zwischen dem Reichsverband der Deutschen Industrie   und dem Reichslandbund, die die Vielzahl der öffentlichen Gewalten in Deutschland   um zwei neue Organisationen bereichern wollen, in denen die gegenwärtig in beiden Organisationen einflußreichen Gruppen sich für die Dauer Stühen ihrer Macht sichern wollen.

Abgesehen davon, daß es für die Reichsregierung schwierig fein sollte, einem solchen privaten Interessentenpatt ihre Sanktion zu geben, bleibt es unverständlich, wie ein solches Projekt die Zu­stimmung der ausschlaggebenden Länder und eine Mehrheit im Reichstag   finden soll!

Günther Plüschow   abgestürzt.

Ueber Feuerland tödlich verunglückt.

Nach füdamerikanischen Zeifungsberichten ist Günther plüschow  , der Flieger von Tsingtau", bei einem Flug über dem Feuerland mit dem Flugzeug abgestürzt und getötet worden. mit ihm soll auch sein Begleiter, dessen Name noch nicht bekannt ist, ums Leben gekommen fein.

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Günther Plüschom ist als der Flieger von Tsingtau" befannt Nach dem Krieg unternahm Plüschom mehrere Forschungsfahrten nach Südamerika  . Im Feuerland drehte er den bekannten Film Silberfondor über Feuerland". Erst im Vorjahr trat er eine neue Expedition nach Patagonien, dem ,, Land seiner Sehnsucht", an.

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Die

Finnland entfchu'digt sich.

Für die Abschiebung von Kommunisten. Moskau  , 30. Januar.

wiederholten Vorstellungen des Sowjetgesandten in Helsingfors   wegen der gewaltsamen Vertreibungen finnländischer Kommunisten über die Sowjetgrenze fowie wegen Kundgebungen gegen Import von Sowjetwaren haben dazu geführt, daß der finn ländische Außenminister dem Sowjetgesandten das Bedauern wegen diefer Borfälle ausgesprochen und Borsorge, um ähnliche Bor­fälle in Zukunft zu verhindern, versprochen hat.

war, dessen Mandate die Regierung der Bevölkerung ge­raubt, erpreßt und erschwindelt hat. Das die Sejm  - Mehrheit, wie es Knechten geziemt, alles schlucken wird, was die Regierung ihr vorsetzt, hatte niemand bezweifelt; dazu wurden diese ,, Volksvertreter" ja gekauft. Unentschieden war nur, ob Pilsudski   eine Gerichtskomödie veranstalten werde, die mit der Freisprechung seiner Bluthunde und mit der gericht­lichen Feststellung enden würde, daß die gefolterten Oppo­fitionsführer sich die Wunden in boshafter Weise selbst bei­gebracht hätten und daß sie nur deshalb Stroh aus den Stroh­fäden gefaut hätten, um Hunger vorzutäuschen und ihre Henker effektvoller zu verleumden! Manche sahen den mächti gen Eindruck dieser Folterungen auf das bisher indifferente Publikum und glaubten, daß die gemeinsten Folterknechte leicht bestraft und dafür entsprechend entschädigt würden; hat doch der oberste Henfersknecht kostet Bjernazki das Kreuz der Unabhängigkeit mit den Schwertern erhalten.

Die Kenner der Verhältnisse waren dessen gewiß, daß der 3ynismus der jetzigen Machthaber keinerlei Konzessionen machen werde. Um der steigenden Protestwelle zu begegnen, hat die Regierung durch ihre Presse und ihre sonstigen Pro­pagandamittel stets wiederholt, man müsse das Urteil ab­warten, die Schuldigen würden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Der jetzige Sejm aber hat jedem Gerichtsverfahren einen Riegel vorgeschoben. Pilsudski   erklärte in einem Interview, er befäme genaue Berichte über die Vorgänge in Brest  - Litowst. Der Kriegsminister Konarzewski, ein noch heute schwer polnisch sprechender russischer General, hat durch Armeebefehl allen Offizieren verboten, den Brester Hentersknechten verächtlich entgegenzutreten, da sie alles auf strikten Befehl ihrer Vorgesetzten getan haben. Die Henfer selbst erklärten ihren Opfern, sie würden alles ausführen, auch Morde, wenn Pilsudski   es ihnen befehle. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Supinski, erklärte im Juristen­verband, er verdamme zwar die ganz unerhörten Quälereien von Brest  , er sei aber gegen einen Beschluß des Verbandes, den gewesenen Justizminister Car   als höchsten Richter­tommandanten während der Folterzeit von Brest   und den da= maligen Staatsanwalt und jetzigen Justizminister Mid) a= Iomsti vor das Verbandsgericht zu stellen, um ihre Aus­schließung zu bewirken; der oberste Richter Bolens begründete diese Stellungnahme damit, daß nicht die Justiz, sondern der Kriegsminister( Pilsudski  ) die oberste Leitung des Militär­gefängnisses von Brest   innegehabt habe.

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Danach müßte vor allem Pilsudski auf die Anklagebant, aber er hat sich selbst als oberste Autorität proklamiert, er verweigerte sogar Generälen, die er in unflätigfter Weise beschimpft hat, die standesübliche Genugtuung. So schloß er einen Schimpfbrief an den General Josef Haller   das Original wurde im Sejm   herumgereicht mit den Worten: Grundsatz, daß Gewalt vor Recht gehe und sagt mit altrömischen Kaifern: Sic volo, sic jubeo"( So will ich's, so befehle ich's). Die Straflosigkeit der Verbrecher von Brest  ist einer solchen Weltanschauung ebenso selbstverständlich wie die Auflösung des Juristenverbandes und alle anderen Ge= walttaten.

Der amtierende Justizminister Michalowski mußte sich in öffentlicher Sejmfizung von dem jüngsten Brester Häft­ling, dem sozialistischen   Abgeordneten Dubois, der Lüge überführen lassen, da er als Staatsanwalt die Anwälte und die Angehörigen seiner Opfer frech angelogen hat. Pilsudski   aber gibt sich über seine Stellung im Staate jetzt feiner Täuschung hin. Mit den Rechtsauffassungen der Zaren hat er auch ihre grenzenlose Angst geerbt. Im verhängten und verschlossenen Salonwagen fuhr er durch Europa  . In Warschau   wird er raffinierter geschützt als früher selbst die russischen Generalgouverneure und der Selbstherrscher. Auf der befestigten Insel Madeira   wohnt er in einer von hoher Mauer umgebenen Villa, und er hat sie erst ein ein­ziges Mal verlassen, um den Festungskommandeur zu be­suchen. Zutritt zu dieser Villa haben sich bisher nur zwei polnische Handelsjuden verschaffen können, vorgelassen tlärten sie, sie wollten Pilsudski   für den zu erwartenden wurden fie freilich nicht. Dem sie empfangenden Arzt er­lärten sie, sie wollten Pilsudski   für den zu erwartenden Besuch in Balästina ihren Dant abstatten, denn sie schreiben der angeblichen Einladung des polnischen Diktators durch die britische Regierung nach Palästina große Bedeutung zu.

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Als die Wahrheit über Breft noch nicht genug durch