Morgenausgabe
Nr. 51
A 26
48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Sonnabend 31. Januar 1931
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Ein neues Osthilfeprojekt. Derpolnische Bollsproteſt.
Landbund und Industrie gegen Reich und Staat.
Der Sejm hat über die moralischen und physischen Tor turen im Politikergefängnis von Brest - Litowst gesprochen. Er
Obwohl seit Mitte Dezember ein fertiger Gesezentwurf über| lassen und über die Lage der Reichsfinanzen größere Klarheit hat es fo getan, wie von einem Abgeordnetenhaus zu erwarten die Osthilfe vorliegt, der nach grundsätzlicher Billigung durch alle besteht.
in Frage kommenden Instanzen jederzeit vom Reichskabinett dem Reichstag zugeleitet werden fönnte, find in den letzten Wochen, insbesondere seit der Rückkehr des Reichskanzlers von seiner Ostreise, immer neue Osthilfeprojekte von den Inter effenten aufgestellt worden.
Im Vordergrund des Interesses steht ein Entwurf, der gewisse industrielle und agrarische Wünsche miteinander verknüpft. Nach diesem Entwurf soll das Aufkommen aus der Aufbringungsumlage der Industrie im Jahre 1932 zum größten Teil und vom Jahre 1933 ab in vollem Umfange einem 3 med nermögen zugeführt werden, das von der Bant für Deutsche Industrieobligationen verwaltet werden soll. Etma vier Fünftel Dieses Zwedvermögens sollen für landwirtschaftliche Um. schuldungshypothefen ausgeliehen werden. Träger der Umschuldungsaktion sollen sogenannte Haftungsverbände der um geschuldeten Landwirte werden, die einen Teil des Ausfallrisitos der Umschuldungshypotheten tragen und die erforderlichen Leistun gen durch eine Umlage von ihren Mitgliedern erheben sollen. Bet der Durchführung der Umschuldung sollen die staatlichen Stellen weitgehend ausgeschaltet werden. Dagegen soll das Reich die gesamte Zinslast für die umgeschuldeten Landwirte übernehmen, während deren eigene Leistungen ausschließlich der Tilgung der ihnen gewährten Umschuldungsdarlehen angerech net werden sollen.
Mit Hilfe einiger zunächst noch in teiner Weise in ihrer Durch führung gesicherten Finanztransaktionen, für die der Kredit des Reichs eingesetzt werden soll, sollen Anlethebeträge aufgebracht merden, die teils mit Hilfe von Sonderleistungen des Reichs, teils aus dem in den nächsten Jahren zu erwartenden Aufkommen aus der Industriebelastung getilgt und vom Reich verzinst werden sollen.
Dieses Projekt, das im Gegensatz zu dem noch vor sechs Wochen vom Reichskabinett grundsätzlich gebilligten Gesezentwurf steht, wird von einigen Reichsstellen im Augenblid ernsthaft diskutiert. Obwohl zuzugeben ist, daß die Beschränkung der mit der Osthilfe verbundenen agrarpolitischen Maßnahmen auf das gegenwärtige Ofthilfegebiet im wesentlichen nur finanzielle Gründe hat, und bei einer Erweiterung der gegebenen finanziellen Möglichkeiten eine Einbeziehung weiterer Teilgebiete des deutschen Ostens in die Osthufe notwendig ist, so erscheint es angesichts der ernsten Finanzlage des Reichs unmöglich, schon heute auf Reichseinnahmen in Höhe von sechshundert Millionen Mart für die Zwecke der landwirt schaftlichen Osthilfe zu verzichten. Bielmehr erscheint es zweckmäßig, die Ausdehnung erst dann vorzunehmen, wenn sich die Erfahrungen aus der gegenwärtig im Gange befindlichen Osthilfe übersehen
Deutscher Flieger in Polen gelandet.
Gefahr eines neuen Konflikts.
Warschau , 30. Januar. Heute vormittag ist bei Wollstein in Posen ein deut sches Flugzeug, das von Schneidemühl nach Breslau unterwegs war, notgelandet. Die Maschine war nur mit dem Piloten Hans Gruze befeht. Die polnischen Behörden haben die Maschine bis auf weiteres beschlagnahmt und den Flugzeugführer unter Aufsicht gestellt.
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Zwischen der Notlandung polnischer Flieger bei Oppeln und diesem Ereignis bestehen sehr wesentliche Unterschiede. Die Polen , die vor das Oppelner Gericht kommen, find Militärflieger Gruze steuerte ein Berkehrsflugzeug. Militärfliegern ist es verboten, ohne besondere Erlaubnis über deutsches Reichsgebiet zu fliegen, dagegen besteht ein deutsch - polnisches Luftfahrtabkommen, das die grenznahen Berkehrslinien aufzählt und Straflosigkeit unabsichtlicher oder notgedrungener Luftgrenzverlegung verbürgt. Schon die Festhaltung des deutschen Piloten und seiner Maschine ist nicht Recht, sondern Gewalt. Würde Bolen aber, wie die TU." einem polnischen Hezblatt entnimmt, das Oppelner Gerichtsurteil über die polnischen Militär flieger zur Grundlage entsprechender Behandlung des deutschen Verkehrs fliegers machen, so mürde es damit einen neuen und schweren Konflitt herbeiführen.
Jedenfalls aber ist ein Verzicht auf Reichseinnahmen zugunsten eines Sondervermögens der Industrie nicht zu verantworten.
Mit Recht haben maßgebende Politiker bürgerlicher Parteien fürz lich davon gesprochen, daß der Pluralismus der politischen und wirtschaftlichen Mächte öffentlich- rechtlichen Charakters in Deutsch land unerträglich werde und die Durchführung einer einheitlichen Staatspolitit mehr und mehr unmöglich mache. In dieser Zeit, in der die wirtschaftliche und politische Lage Deutschlands so ernst ist wie noch nie, sollten neue Träger großer mirtschaftlicher Macht befugnisse außerhalb des Bereiches der Staatspolitit nicht ins Leben gerufen werden. Gegen die Schaffung eines solchen 3wed vermögens der Industrie spricht insbesondere auch die Tatsache, daß das agrarische Vorbild dieses Zwedvermögens, die Deutsche Rentenbank- Kreditanstalt, feineswegs die anfangs vielfach in fte gefeßten Erwartungen erfüllte.
Auch die andere, in dem erwähnten Osthilfeprojekt vorgesehene Neufchöpfung, die öffentlich- rechtlichen Haftungsverbände umgeschuldeter Landwirte, kann schon unter diesem Gesichtspuntt nicht ge billigt werden. Ihre Ueberflüssigkeit bedarf kaum eines Beweises, bestehen doch in allen preußischen Provinzen und außerpreußischen Ländern öffentlich- rechtliche Verwaltungsförperschaften der Landwirtschaft und freie landwirtschaftliche Verbände und Vereine privaten Charafters in großer 3ahl. Neben die Ueberzahl landwirt schaftlicher Organisationen noch eine neue Organisation zu sehen, deren Konstruktion offensichtlich nur den einen Zweck hat, der Reichs- und Staatsregierung berechtigten Einfluß zu verwehren und Funktionen zu übernehmen, die besser von bereits bestehenden Behörden von Reich und Staat ausgefüllt würden, ist weber unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsreform noch unter dem einer Konzentration der Regierungsgewalt in den Händen der Reichs- und Staatsregierung vertretbar.
Offenbar handelt es sich hier um ein Gegenseitigkeitsgeschäft zwischen dem Reichsverband der Deutschen Industrie und dem Reichslandbund, die die Vielzahl der öffentlichen Gewalten in Deutschland um zwei neue Organisationen bereichern wollen, in denen die gegenwärtig in beiden Organisationen einflußreichen Gruppen sich für die Dauer Stühen ihrer Macht sichern wollen.
Abgesehen davon, daß es für die Reichsregierung schwierig fein sollte, einem solchen privaten Interessentenpatt ihre Sanktion zu geben, bleibt es unverständlich, wie ein solches Projekt die Zustimmung der ausschlaggebenden Länder und eine Mehrheit im Reichstag finden soll!
Ueber Feuerland tödlich verunglückt.
Nach füdamerikanischen Zeifungsberichten ist Günther plüschow , der Flieger von Tsingtau", bei einem Flug über dem Feuerland mit dem Flugzeug abgestürzt und getötet worden. mit ihm soll auch sein Begleiter, dessen Name noch nicht bekannt ist, ums Leben gekommen fein.
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Günther Plüschom ist als der Flieger von Tsingtau" befannt Nach dem Krieg unternahm Plüschom mehrere Forschungsfahrten nach Südamerika . Im Feuerland drehte er den bekannten Film Silberfondor über Feuerland". Erst im Vorjahr trat er eine neue Expedition nach Patagonien, dem ,, Land seiner Sehnsucht", an.
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Die
Finnland entfchu'digt sich.
Für die Abschiebung von Kommunisten. Moskau , 30. Januar.
wiederholten Vorstellungen des Sowjetgesandten in Helsingfors wegen der gewaltsamen Vertreibungen finnländischer Kommunisten über die Sowjetgrenze fowie wegen Kundgebungen gegen Import von Sowjetwaren haben dazu geführt, daß der finn ländische Außenminister dem Sowjetgesandten das Bedauern wegen diefer Borfälle ausgesprochen und Borsorge, um ähnliche Borfälle in Zukunft zu verhindern, versprochen hat.
war, dessen Mandate die Regierung der Bevölkerung geraubt, erpreßt und erschwindelt hat. Das die Sejm - Mehrheit, wie es Knechten geziemt, alles schlucken wird, was die Regierung ihr vorsetzt, hatte niemand bezweifelt; dazu wurden diese ,, Volksvertreter" ja gekauft. Unentschieden war nur, ob Pilsudski eine Gerichtskomödie veranstalten werde, die mit der Freisprechung seiner Bluthunde und mit der gerichtlichen Feststellung enden würde, daß die gefolterten Oppofitionsführer sich die Wunden in boshafter Weise selbst beigebracht hätten und daß sie nur deshalb Stroh aus den Strohfäden gefaut hätten, um Hunger vorzutäuschen und ihre Henker effektvoller zu verleumden! Manche sahen den mächti gen Eindruck dieser Folterungen auf das bisher indifferente Publikum und glaubten, daß die gemeinsten Folterknechte leicht bestraft und dafür entsprechend entschädigt würden; hat doch der oberste Henfersknecht kostet Bjernazki das Kreuz der Unabhängigkeit mit den Schwertern erhalten.
Die Kenner der Verhältnisse waren dessen gewiß, daß der 3ynismus der jetzigen Machthaber keinerlei Konzessionen machen werde. Um der steigenden Protestwelle zu begegnen, hat die Regierung durch ihre Presse und ihre sonstigen Propagandamittel stets wiederholt, man müsse das Urteil abwarten, die Schuldigen würden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Der jetzige Sejm aber hat jedem Gerichtsverfahren einen Riegel vorgeschoben. Pilsudski erklärte in einem Interview, er befäme genaue Berichte über die Vorgänge in Brest - Litowst. Der Kriegsminister Konarzewski, ein noch heute schwer polnisch sprechender russischer General, hat durch Armeebefehl allen Offizieren verboten, den Brester Hentersknechten verächtlich entgegenzutreten, da sie alles auf strikten Befehl ihrer Vorgesetzten getan haben. Die Henfer selbst erklärten ihren Opfern, sie würden alles ausführen, auch Morde, wenn Pilsudski es ihnen befehle. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Supinski, erklärte im Juristenverband, er verdamme zwar die ganz unerhörten Quälereien von Brest , er sei aber gegen einen Beschluß des Verbandes, den gewesenen Justizminister Car als höchsten Richtertommandanten während der Folterzeit von Brest und den da= maligen Staatsanwalt und jetzigen Justizminister Mid) a= Iomsti vor das Verbandsgericht zu stellen, um ihre Ausschließung zu bewirken; der oberste Richter Bolens begründete diese Stellungnahme damit, daß nicht die Justiz, sondern der Kriegsminister( Pilsudski ) die oberste Leitung des Militärgefängnisses von Brest innegehabt habe.
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Danach müßte vor allem Pilsudski auf die Anklagebant, aber er hat sich selbst als oberste Autorität proklamiert, er verweigerte sogar Generälen, die er in unflätigfter Weise beschimpft hat, die standesübliche Genugtuung. So schloß er einen Schimpfbrief an den General Josef Haller das Original wurde im Sejm herumgereicht mit den Worten: Grundsatz, daß Gewalt vor Recht gehe und sagt mit altrömischen Kaifern: Sic volo, sic jubeo"( So will ich's, so befehle ich's). Die Straflosigkeit der Verbrecher von Brest ist einer solchen Weltanschauung ebenso selbstverständlich wie die Auflösung des Juristenverbandes und alle anderen Ge= walttaten.
Der amtierende Justizminister Michalowski mußte sich in öffentlicher Sejmfizung von dem jüngsten Brester Häftling, dem sozialistischen Abgeordneten Dubois, der Lüge überführen lassen, da er als Staatsanwalt die Anwälte und die Angehörigen seiner Opfer frech angelogen hat. Pilsudski aber gibt sich über seine Stellung im Staate jetzt feiner Täuschung hin. Mit den Rechtsauffassungen der Zaren hat er auch ihre grenzenlose Angst geerbt. Im verhängten und verschlossenen Salonwagen fuhr er durch Europa . In Warschau wird er raffinierter geschützt als früher selbst die russischen Generalgouverneure und der Selbstherrscher. Auf der befestigten Insel Madeira wohnt er in einer von hoher Mauer umgebenen Villa, und er hat sie erst ein einziges Mal verlassen, um den Festungskommandeur zu besuchen. Zutritt zu dieser Villa haben sich bisher nur zwei polnische Handelsjuden verschaffen können, vorgelassen tlärten sie, sie wollten Pilsudski für den zu erwartenden wurden fie freilich nicht. Dem sie empfangenden Arzt erlärten sie, sie wollten Pilsudski für den zu erwartenden Besuch in Balästina ihren Dant abstatten, denn sie schreiben der angeblichen Einladung des polnischen Diktators durch die britische Regierung nach Palästina große Bedeutung zu.
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Als die Wahrheit über Breft noch nicht genug durch