Nr. 51 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, 31. Januar 1931
Grüne Woche wird heute eröffnet.
Deutschlands größte landwirtschaftliche Ausstellung in den acht Berliner Messehallen.
Heute vormittag wird in den acht Ausstellungshallen am Kaiserdamm die bisher größte und bedeutendste landwirtfchaftliche Hallenausstellung der Reichshauptstadt, die sechste ,, Grüne Woche Berlin 1931", und damit gleichzeitig die erste große deutsche Ausstellung dieses Jahres eröffnet werden.
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Die riesige Ausstellung, die unter tatkräftiger Mitarbeit aller zuständigen Reichs- und Staatsbehörden zustandegekommen ist, will vor allem die Gegenwartsprobleme der Agrarwirtschaft einer Lösung näherführen. Die große landwirtschaftliche Schau, die mit ihren vielen Sonderveranstaltungen, fo die Lehrschau ..Technik in der Landwirtschaft", eine große Naturschutzausstellung, die Deutsche Jagdausstellung, sowie zahlreiche Tierschauen- man sieht ausgezeichnete Geflügel, Brieftauben, Kaninchen- und Rassehundschauen ninunt insgesamt eine Ausstellungsfläche von rund 55 000 Quadratmetern ein. Wie man bei der gestrigen Vorbesichtigung, an der auch als ter zuständige Magistratsdezernent für das Messewesen, der sozialdemokratische Stadtrat Czeminsky teilnahm, feststellen konnte, ist die schwierige Aufgabe, eine so gewaltige, umfassende Schau verständlich und stets interessierend darzubieten, hervorragend gelungen. Für die gewaltige Arbeit gebührt dem Berliner Meffeamt hohe Anerkennung.
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FUNKTURM- GARTEN
AUTORUE
AUTO
PARK
PLATZ
KÖNIGIN ELISABETH STRASSE
AUTO PARK PLATZ
MASUREN- ALLEE_
REICHSKANZLERPLATZ
HAUS DESSER
STRASSENBAHN 53,72,93 AUTOBUS A7
ZUM
KAISERDAMM
STRASSENBAHN $ 8,75 U- BAHN KAISERDASIM
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HAUPTEINGANG
AUTORUS
LAGEPLAN NACH DEM RUNDGANG GEORDNET Haile 1. Sonderausstellungen: Produktionsumstellung und Absatzförderung/ Technik in der Land. wirtschaft/ Milch-, Butter- und Käse- Schau. Industrieschau für die Abteilungen: Landwirtschaft/ Milch Gartenbau / Imkerei. Halle 2. Internationales Reit- und Fahrturnier: Übergang( Obergeschoß) Kaninchencusstellung. Freigelände: Industrieschau. Halle 3. Die Abteilungen: Geflügelzucht und ländliche Hauswirt. schaft. Halle 8. Vom 31. 1.- 3. 2. Geflügelausstellung| Brieftaubenschau/ Eler- und Schlachtgeflügel wettbewerb. Vom 7. 2.- 8. 2. Rassehundeausstellung. Halle 7. Allgemeiner Bedarf. Halle 6. Natur. schutzausstellung/ Angelsport. Industrieschau für die Abteilungen: Jagd Forstwirtschaft/ Angelsport, Halle 5. Deutsche Jagdausstellung 1931. Halle 4. Festhalle( Hauptrestaurant).
In einer furzen Ansprache an die Presse vertreter mies der Direktor des Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrsamt der Stadt Berlin , Dr. Schick, darauf hin, daß die 6. Grüne Woche Berlins , die an Umfang, wie an Vielseitigkeit und Bedeutung alle ihre Vorgängerinnen übertreffe, ein großes Berliner Ausstellungsjahr einleite. Die Ausstellung habe die in der gegenwärtigen Notzeit doppelt wichtige Mission zu erfüllen, einerseits zur Wiederanturbelung der daniederliegenden Wirtschaft und andererseits der Aufklärung der weitesten Boltsschichten über die möglichen Wege, die aus der deutschen Wirt schaftsnot herausführen, beizutragen. Die Begrüßungsworte des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft überbrachte Ministerialdirigent Dr. Bose. Die große Ausstellung wind heute vormittag feierlich eröffnet werden. Mehr noch ais in früheren Seiten wird die 6. Grüne Woche Berlins auch ganz besonders das Snteresse der arbeitenden Bevölkerung beanspruchen dürfen und auch finden werden. Die Ausstellung dauert bis zum 8. Februar. Was zu sehen ist.
Ein Rundgang zeigt, daß tatsächlich, sowohl auf die Besucher aus der Stadt, wie auch vom Lande, zahlreiche Ueberraschungen warten. In der ersten Halle bietet sich den Eintretenden, in lichten, aber ruhigen Farben gehalten, der architektonisch schön ausgestaltete Ehrenhof. In seiner Mitte erhebt sich ein riesiger Bau, das sogenannte„, 20 Milliarden Modell". Am Beispiel des letzten Wirtschaftsjahres soll gezeigt werden, weiche Summen in Deutschand für die wichtigsten Lebens- und Genußmittel von der Bevölkerung ausgegeben worden sind, und wieviel davon den deutschen und ausländischen Landwirten zufielen. Das Erfreuliche und Besondere an der 6. Grünen Woche ist, daß man
V.Seemann
O.Wöhrle
Unternehmer.
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Seine Brüder?!... Eigentlich hatte er mit ihnen nichts Gemeinsames. Gewiß, sie waren seine nächsten Blutsverwandten. Aber hatte sich je einer um ihn gekümmert, als es ihm dreckig ging? Nein, alle hatten ihn getreten und gehänselt und mißachtet in seiner Knabenzeit, weil er klein und still war. Später waren sie ihren Weg gegangen, er den seinen. Wenn er alles in allem berechnete, so war er wohl noch der brüderlichste der Brüder, indem er sie beschäftigte. Sonst würden sie sicherlich längst schon auf der Straße liegen.
Er dachte an seine Arbeiter. Ben kannte er eigentlich von all den vierhundert Leuten? Fast niemanden. Es waren alles fremde Gesichter. Halt, drei kannte, er, menn's hoch fam. Seinen guten alten Stelzbein- Heinrich, einen jungen stillen Menschen, den alle den Evangelisten nannten, und dann Müller, einen seiner alten Leute aus der Zeit her, da er noch ein fleiner Meister gewesen war. Ja, damals, da war es anders gewesen. Da hatte er jeden einzelnen von feinen Gesellen gefannt, ihre Familienverhältnisse, fah ihre Frauen, die das Mittagessen brachten und dann wartend bei ihren Männern an den Hobelbänken jaßen. Er feierte Geburtstage und Kindtaufen mit ihnen. Es war wie in einer großen zusammengehörenden Familie gewesen.
fich feineswegs mir der graphisch lesbar gemachten Statistit bedient. Sehr lebendige Darstellungen zeigen beispielsweise in einer der Gruppen, wie das Ausland bemüht ist, seine Arbeit zu schützen. Wir finden weiter einen richtigen, nach den moderniten hygienischen Ansprüchen aufgebauten großen Biehstall, lebende Kühe und Schweine. Daneben wird demonstriert, wie das richtig gemästete Bieh geschlachtet werden muß, um später allen Anforderungen der Sygiene zu genügen. In einer der großen Hallen ist die große Industries chau untergebracht, die in diesem Jahr besonders stark beschickt worden ist. Die einzelnen Hallen sind jetzt weit beffer miteinander durch Rolltreppen und unterirdische Ladenstraßen verbunden. Sie führen uns in die neue Autohalle, in der die große Kaninchenschau untergebracht ist. Das Erdgeschoß ist der Schauplatz des internationalen Reittourniers, das bis zum Schluß der Ausstellung andauert. In der dritten Halle tönt uns ein chrenvetäubendes Geschnatter und Gegacker entgegen. Hier ist die Lehrschau„ Geflügelzucht" untergebracht. Sie dürfte für zahlreiche Besucher und gerade auch für Laubenbesitzer vielerlei Bissenswertes bringen. Mehr als 5000 Brachteremplare unferes Federoichs sind hier in fünf Abteilungen zur Ausstellung gebracht. In einer der nächsten Hallen finden wir eine große Naturschußausstellung, veranstaltet von der Staatlichen Stelle für NaturDenkmalspflege in Preußen. Es ist dies die erste Veranstaltung dieser Art. Dank der Mitarbeit des Zoologischen Gartens der Stadt
treibender und hungert und vegitiert und begnügt sich, noch unter dem Standard des Arbeiters zu leben. Franz und Ischa suchten nach ihm.
Er sah sie kommen und verkroch sich hinter eine Zeitung, die er hastig vom Tisch nahm.
Sie gingen an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Erft auf dem Rückweg entdeckten sie ihn.
Ischa setzte sich neben ihn und verlegte sich aufs Bitten: ,, Papa, du darfst doch nicht einfach davonlaufen. Man ver= langt nach dir. Was sollen denn meine Schwiegereltern und mein Mann von dir denten? Du wolltest doch auch noch eine fleine Rede halten, Papa! Komm doch!"
Er machte sich von ihrem Arm frei: ,, Laß mich, Ischa, ich fühl mich nicht recht wohl. Ich fann eine so große Gefellschaft nicht mehr vertragen."
Er sah, als er dies sagte, tatsächlich leidend aus. Sein Geficht war wie verfallen.
Franz beobachtete ihn einen Augenblid. Dann zog er Ischa fort:„ Laz Vater in Ruhe! Siehst du denn nicht, daß er frank ist?!"
Ifcha konnte das nicht begreifen. ,, Ausgerechnet an meinem Hochzeitstag mußt du krank sein, Papa!" sagte sie vorwurfsvoll.
Dann gingen feine Kinder.
Sobald er sah, daß sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, zahlte er, ließ sich seine Garderobe holen und fuhr in einem Tori nach Hause. Kaum zu Bett, fiel er in einen schweren, totenähnlichen Schlaf.
Plötzlich fuhr er hoch, als ob ihn ein Schuß getroffen hätte. Ein Strom ungeheurer Angst flutete durch seinen Körper. Er meinte, sein Herz sehe aus. Flackernd, cbgehadt ging der Puls.
Er griff nach der Uhr.
Jede Bewegung, die er machte, fostete ihn Anstrengung. Das Glashütter Präzisionswert repetierte: Drei Uhr! Seine Angst stieg; die Schmerzen in der Herzgegend nahmen zu.
Und heute? Kaum grüßten ihn die Gesellen, wenn sie ihn fahen. Blickten nicht einmal von der Arbeit auf, wenn er durch die Säle ging. Das Arbeitsverhältnis gestattete so etwas nicht mehr. Heute heißt es Arbeitskraft gegen Geld. Da ist kein Plaz mehr für Gefühle, die wohl das Leben verschönen, aber nichts einbringen. Die Zeit ist verrüdt. Sie verlangt von ihm das Letzte. Er muß noch mehr von seinen Leuten verlangen. Ihre Ansprüche? Ist ja gar nicht wahr, die seinen sind gestiegen! Er muß sie ausbeuten, muß, muß, Er rief nach der Schwiegermutter; dann als diese nicht muß! 3mangsläufig! Früher war das nicht so nötig, da hieß tam, nach dem Mädchen. es noch: Leben und leben lassen! Aber heute entweder Niemand hörte ihn. Sein Ruf hatte nicht einmal Kraft, mon ist ganz groß und Kapitalist oder man ist Kleingewerbe bis ins übernächste Zimmer zu bringen.
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Berlin ist es möglich gewesen, auf einem fast 100 Quadratmeter großen, fünstlich angelegten Teich die unter Schutz gestellten Vogelarten durch lebende Exemplare ihrer Gattung den Besuchern vorzuführen. Nicht vergessen wollen wir die AngelSportausstellung, die Jagdausstellung und por allem die Runst ausstellung.
Die große Funthalle hat ein ganz besonders freundliches Gesicht erhalten Sie ist in ein lichtes, festliches Gewand gekleidet. Sie soll eine riesige Soststube, Huhn und Ei" darstellen. Hier wird man auch tanzen können. Gestern waren die Arbeiter noch damit beschäftigt, zwei riesige, spiegelglatte Tanzflächen aufzubauen.
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Die Eröffnung der vom 31. Januar bis 8. Februar 1931 dauernden 6. Grünen Woche Berlin " findet heute, 10 Uhr, im Empfangsraum der Halle I statt. Bei dem von musikalischen Darbietungen umrahmten Eröffnungsakt nehmen nach einer Begrüßung durch den Leiter der ,, Grünen Woche Berlin ", Hans Jürgen von Hafe, die Herren Reichsminister Dr. h. c. Schiele, Staatsminister Dr. h. c. Steiger und Bürgermeister Scholg das Wort. Die Eröffnungsfeier wird auf den Rundfunk übernommen imo auch im Tonfilm festgehalten. Die Ausstellung ist täglich, auch am Eröffnungstag, von 9 Uhr vormittags bis 7 Uhr abends, Sonnabends und Sonntags bis 8 Uhr abends geöffnet.
Neue Notstandsaktion.
6,5 Millionen für Arbeiten der Stadtentwässerung.
Der Magistrat legt der StadtverordnetenversammTung in einer Vorlage zur Beschlußfassung ein Notstandsprogramm auf dem Gebiete der Stadt= entwässerung vor, um auch hierdurch der immer weitergehenden Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitsmarkt zu steuern. Gegenüber 346 400 Arbeitslosen im September v. J. ist diese Zahl nach dem Stande von Anfang Januar auf 438000 gestiegen. Vor allem hat sich die Zahl der der Stadt allein zur Last fallenden Wohlfahrtserwerbslosen innerhalb des gleichen Zeitraumes von 99 000 auf 120 000 erhöht. Magistrat hält es deshalb für dringend notwendig, die bereits im Gang befindliche Notstandsaktion auf dem Gebiete des Straßenbaues durch weitere Maßnahmen anf dem Gebiete der Stadtentwässerung zu erweitern.
Der
Die zur Ausführung vorgesehenen Arbeiten betreffen vor allem die Erweiterung und Berbesserung des Leitungsnees der Stadtentwässerung in denjenigen Gebietsteilen, in denen bisher eine ordnungsmäßige Entwässerung fehlte. Diese Arbeiten sind vor allem wegen des hohen Anteils der Löhne an den Gesamtkosten zur Ausführung als Notstandsarbeit besonders geeignet und bieten Gelegenheit, für die Leistung von rund 225 000 Tagewerke, von denen wiederum rund 180 000 von Erwerbslosen geleistet werden können.
Mit Rücksicht auf die schwierige Finanzlage der Stadt sind Verhandlungen mit dem Oberpräsidium und dem Landesarbeitsamt Brandenburg geführt worden, um die Unterſtüßung n Reich und Staat zu sichern. Aus den Haushaltsmitteln der Stadtentwässerung und der Allgemeinen Wohlfahrtspflege sind rund 3 Millionen aufzubringen, während der Rest gedeckt werden soll aus einem auf längere Sicht gegebenen Darlehn aus Reichs- und Landesmitteln und einem Zuschuß aus Mitteln der Reichsanstalt.
Dann, mit letzter Kraft, tastete er nach dem Schalter und knipste das Licht an.
Erschöpft fant er in die Kissen zurück und stöhnte. Wieder schlief er ein. Beim zweiten Aufwachen fand er sich über und über in Schweiß gebadet.
Darauf wechselte er die Nachtwäsche, so gut es ihm bei seinem Zustande noch möglich war, wühlte sich wieder in feine Riffen zurecht und verfiel in eine Art Dämmerschlaf. Am Morgen, nach neun Uhr, betraten Mia und Franz das Zimmer.
Sie standen am Fußende seines Bettes.
Er wachte auf und sah sie mit gehetzten, irren Augen an. Sein Gesicht war das eines Toten. Die Hand, die er hob, bebte.
,, Ich werde sofort einen Arzt holen!" sagte Franz ängstlich und lächelte dem Vater mitleidig zu.
,, Aha, wieder die Anfälle!" fagte Mia, ich kenne das schon an Bater! Es ist nicht halb so schlimm, wie es aussieht!" Es riß ihr die Kinnbacken auseinander vor Müdigkeit, so sehr mußte sie gähnen.
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Es stand aber doch schlimmer, als Mia angenommen hatte. Ludwig Eisermann war frant, schwerkrant, frank auf den Tod.
3mar sagte ihm niemand, daß seine Tage gezählt feien; im Gegenteil, alle, die in der ersten Zeit an sein Bett traten, machten ein zuversichtliches Gesicht und sagten: ,, Na, sieh an, es geht ja schon besser!"
Täglich in den Vormittagsstunden erschien der Arzt, fühlte Ludwig den Puls, sah ihm in die Augen und schüttelte immerklich den Kopf. Hie und da schrieb er auch ein Rezept aus, das fofort besorgt wurde, und verabschiedete sich dann mit einigen fonventionellen Worten von der Herrin des Hauses.
Ludwigs Zustand verschlimmerte sich. Seine Nerven wurden überempfindlich. Jedes Geräusch, jedes laute Wort erschreckte ihn und riß an seinen Nerven. Er fand keinen richtigen Schlaf mehr.
Manchmal dämmerte er für wenige Stunden leicht ein. Aber selbst diese fümmerliche Ruhe war ihm nicht gegönnt; denn unaufhörlich schrillte die Flurflingel oder Mias Stimme lang scharf ander irgendeine Tür wurde zugeworfen. Fortsetzung folgt.)|