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Morgenausgabellomleddok

Nr. 59

A 30

48.Jahrgang

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Der Borwärts erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend Illustrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenstimme", Technit", Blick in die Büchermelt", Jugend- Borwärts" u..Stadtbeilage

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag

5. Februar 1931

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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50 Prozent Reparationsnachlaß? Lavals Zwittergestalt

Gleichzeitige Einschränkung der Rüstungsetats.- Eine Anregung aus Frankreich  

Paris  , 4. Februar.( Eigenbericht.)

Die zahlreichen Stimmen aus Amerifa und England, die den einzig möglichen Weg zur Lösung der Weltwirtschafts frife in einer Herabfezung und Neuordnung der Kriegs- und Reparationsschulden sehen, sind nun um einen französischen   Vorschlag bereichert worden, der von dem b tannten französischen   Publizisten Graf d'Ormesson ausgeht und in der Zeitschrift ,, Europe Nouvelle veröffentlicht ist.

Der Vorschlag basiert darauf, daß

Deutschland   für die beiden nächsten Jahre fünfzig Prozent seiner Young- Zahlungen erlassen

merden sollen. Deutschland  , das inmitten schwerster Krisen energische Anstrengungen gemacht habe, um seine Finanzen in Ordnung zu bringen, würde so nach der Berechnung d'Ormessons alljährlich 840 Millionen Goldmark weniger zu zahlen haben. Es fönnte diese Mittel zur Arbeitslofenunterstügung, zum Abbau der Steuern und zur Ankurbelung der Wirtschaft verwenden. Gleichzeitig würde durch den vorübergehenden Schuldennachlaß sein Kredit so gestärkt werden, daß es thm leichter sein würde, lang fristige Kredite im Ausland zu erhalten. Frankreich  , das die Initiative zu dieser finanziellen Solidaritätsaktion ergreifen müsse, tönne fich gleichzeitig

an die Bereinigten Staaten wenden,

von diesen einen Nachlaß der interallierten Schulden zahlungen am ebenfalls 50 Broz für zwei Sahre zu erreichen. Bürden die Bereinigten Staaten fich dazu bereit finden, dann

würde der Zahlungsausfall für Frankreich   rund 160 Millionen be­tragen, während England und die übrigen Alliierten in feiner Weise betroffen würden.

Um den Vorschlag für die öffentliche Meinung in Frankreich  und Amerita schmackhaft zu machen, fügt Graf d'Ormesson eine wichtige Ergänzung hinzu:

Deutschland   und Frankreich   müßten ein Abrüffungsabfommen dalmi eux miteinander abschließen

Sozialist, Kommunist und jetzt Mann der Rechten. Paris  , im Februar.( Eigenbericht.)

Pierre Laval  , der vor dem Krieg zum antimilitaristi fchen Flügel der französischen   sozialistischen   Partei gehörte, während des Krieges mit der sogenannten ,, Opposition" mar. schierte, die vom Durchhalten" nichts wissen mollte, später mit den Mostauern liebäugelte und anläßlich des Spaltungsprozesses von Tours  , aus Sympathie für Marcel Cachin  , die Sozialistische Partei verließ, später bei den Wahlen an der Spize einer Liste des Linkskartells in der Bariser Umgebung stand, ist heute, 47jährig, französi Ministerpräsident.

fraft dessen sie ihre Budgetausgaben für Rüstungsscher 3wede während der beiden Jahre des Zahlungsnachlasses um je ein 3 mölftel verminderten. Für Deutschland   mürde diese Herabsetzung 48 Millionen Mart, für Frankreich   rund 150 mil. ausmachen. Frankreich   würde auf diese Weise den Ausfall aus seinen Reparationsansprüchen wieder einsparen und hätte es nicht nötig, die Steuerschraube anzuziehen. Außerdem würde dieses Abrüstungsabkommen, zu dem auch die übrigen eruopäischen Nationen eingeladen werden könnten, der bevor stehenden Abrüstungskonferenz von vornherein ihren Erfolg sichern.

Graf d'Ormesson verspricht sich von der Annahme seines Vor­schlages eine wesentliche Besserung nicht nur in den Beziehun gen zwischen Deutschland   und Frankreich  , fondern auch eine all gemeine Entspannung in der internationalen Atmosphäre. Er betont im übrigen, daß sein Projekt nicht das Wert einer Improvisation sei, sondern daß er sich mit allerlei Persönlichfeiten aus allen Lagern und Bar. feien in Frankreich   reiflich besprochen habe.

Neue ukrainische Anklagen.

Denkschrift an den Völkerbundsrat.

Genf  , 4. Februar.

Der Nationalrat der Ukrainischen   Minderheit in Polen   hat in der letzten Woche dem Völkerbunde eine neue umfangreiche Beschwerdeschrift eingereicht, in der 183 namentlich angeführte Fälle von

neuen Gewalttaten der polnischen Behörden gegen mehrlose Ufrainer dargestellt werden. Bezeichnenderweise find noch während der Berhandlungen in Genf   und in der darauffolgenden Zeit neue Straferpeditionen" durch polnische Ulanen und Gendarmen durchgeführt

worden.

Entgegen den Versprechungen des polnischen Justiz ministers ist die Lage der 200 jugendlichen Gefangenen im Festungs­gefängnis von Luc in feiner Weise gebessert worden. Die Ge­fangenen, die sämtlich im jugendlichen Alter von 16 bis 24 Jahren stehen, werden dort seit über zehn Bochen festgehalten, ohne mit ihren Rechtsvertretern die Verbindung aufnehmen zu dürfen. Man hat die Gefangenen durch die furchtbarsten Foltern zu Geständnissen" zwingen wollen. Während man die männlichen Gefangenen durch

gewaltsames Eingießen von Wasser und Petroleum und durch Ausknuten

peinigte, wurden die weiblichen Inhaftierten fast durchweg peinigte, wurden die weiblichen 3nhaftierten fast durchweg pergewaltigt, wobei bezeichnenderweise die die Untersuchung führenden Polizeikommissare sich besonders hervortaten. Die 35jährige Marfa Matholina wurde dreimal vergewaltigt und aus­gepeitscht, woraufhin sie sich die Pulsadern aufschnitt. Die 18jährige Olga Stifta wurde zweimal vergewaltigt. Als sie einen Selbstmord­versuch beging, sperrte man sie in die Gummizelle. Verschiedene Ge­fangene sind durch die furchtbaren Mißhandlungen wahnsinnig geworden. Ihre Rechtsanwälte, denen man nach wie vor den Zutritt verwehrt, wurden mit Berhaftung bedroht. Angesichts diefer brutalen Methoden der polnischen Behörden, die alle Bestimmungen des Bölkerbundes zum Schutze der Minderheiten boykottieren, hat der Ukrainische Nationalrat nochmals dringend um

fofortige Entfendung einer Untersuchungskommiffion des Bölkerbundes gebeten Gleichzeitig hat der Ukrainische National­rat das Rote Kreuz um Einleitung einer internationalen Hilfs­attion ersucht.

Bei aller Vorsicht, die man grundsäglich allen Greuel berichten gegenüber üben muß, vermag man diese neue Anklage nicht mit einer Handbewegung abzutun, denn, was neutrale Bericht­erstatter bereits im November über die Straferpedition in der Iraine festgestellt haben, läßt das schlimmste befürchten.

Daß das Böllerbundssekretariat von sich aus dem Antrag auf fofortige Entfendung einer Untersuchungstommiffion Folge geben fönnte, erscheint uns allerdings leider zweifelhaft. Das deutsche

Auswärtige Amt   wird indessen gut tun, möglichst im Einvernehmen mit London   und Paris   zu prüfen, was sich eventuell schon jetzt unternehmen läßt, um diese Fortsetzung der Pilsudski  - Schandtaten gegen die ukrainische Minderheit zu verhindern.

3aleffi vor dem Geim- Ausschuß.

Im auswärtigen Ausschuß des Pilsudsti- Sejms hat der polnische Außenminister Zaleski   Bericht über die Genfer   Tagung erstattet. Er war gewiß um diese Aufgabe ebensowenig zu beneiden wie vor zwei Wochen in Genf  , als er vor dem Völkerbundrat Rede und Antwort stehen mußte. Denn in den Augen der ganzen un parteiischen Welt hat Bolen in Genf   eine schwere moralische Nieder lage erlitten, während Zaleski nun versuchen mußte, das Genfer  Ergebnis vor seinem eigenen Parlament in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen. Infolgedessen war sein historisches Erposé im höchsten Grade tendenzios, sowohl bezüglich der Vorgänge in Oberschlesien   selbst, wie auch bezüglich der Entscheidung des Rates. Fast könnte man meinen, daß Bolen einen Erfolg erzielt habe, weil der Ratsbeschluß weder eine internationale Untersuchungs­fommission, noch Personalveränderungen, noch Sondergarantien für die Zukunft vorschreibe. Die wirkliche Bedeutung dieses Be schlusses, der eine unmißverständliche Berurteilung des Wahlterrors und der polnischen Behörden, insbesondere des Bojwoden, enthält und der Bolen zwingt, bis zum Mai Rechenschaft abzulegen, verschwieg zalesti seinen Hörern.

Wenn sich die Sejmabgeordneten mit dieser Lesart 3alestis begnügen, dann fann man sie um ihre Bescheidenheit nur beneiden. An dem Urteil der übrigen Welt wird diese Geschichts flitterung für den innenpolitischen Gebrauch nichts ändern. Vor allem aber wird daran nichts geändert, daß Bolen im Mai über die getroffenen Maßnahmen wird berichten müssen. Die jetzige Rede Balestis wird für den Völkerbundsrat mur ein Grund mehr sein, diesen Rechenschaftsbericht um so tritischer zu

prüfen.

Hafenkreuzmörder verhaftet.

Einer der Täter aus der Hufelandstraße bei München  feffgenommen.

In der Nähe von München   würde gestern auf Grund der groß angelegten Fahndungsmaßnahmen ein Mann verhaftet, der im Verdacht steht, der wegen des Mordes an den beiden Parteigenossen in der Hufelandstraße ge­juchte Hans Kollacz zu sein.

Ein Beamter der Berliner   Polizei ist nach München  gefahren, um die Identität festzustellen und das Nähere zu veranlassen.

000 001 201

,, Laval hat angesichts seiner 47 Jahre noch Zeit, sich pöllig zu uns herüber zu entwideln", erklären die Wort- uno Federführer der Rechten, die ihm noch nicht ganz trauen und ihn doch als neuen Mitstreiter begeistert begrüßen. Er ist noch jung genug, um den Weg zu uns wieder zurückzufinden", erwidern einflußreiche Leute der Linken, die ihn noch nicht verloren geben möchten und die aller Welt begreiflich zu machen versuchen, daß Laval das Ministerium, mit dem er sich der Kammer vorstellte, ja ursprünglich gar nicht zu bilden plante, sondern eine völlig andere, die Radikale Partei mit einschließende Kombination im Kopf hatte. In Wirklichkeit dürfte es selbst den scharfsinnigsten Propheten schwerfallen, sich bei dem Versuch, die zukünftigen Wege des gegenwärtigen Ministerpräsidenten zu erkennen, auch nur einigermaßen sicher zu fühlen. Rein Charakter doch Talent! Das war von jeher die treffende Kennzeichnung Lavals. Man darf hinzufügen: piel Talent, doch nichts gelernt. Ein Durchschnittsjurist, ein Advokat ohne größeres Format, ein gerissener Wahlstratege, ein guter Redner; aber ohne jene tiefere fulturelle Bildung, durch die sich im allgemeinen die führenden französischen   Politiker auszeichnen.

Man hat Laval oft mit Briand   verglichen und hat damit Briand   unrecht getan, menigstens was dessen Leistungen betreffen. Denn als Briand   das Alter Lavals hatte, fonnte er sich rühmen, auf verschiedenen gesetz­geberischen Gebieten schon erstklassige Arbeit geleistet zu haben, während man in den Annalen der Kammer, in die Laval   im Frühling 1914 einzog, oder in den Annalen des Senats um­sonst Beweise dafür suchen würde, daß er, ehe er Minister murde, irgendwelche nützliche Arbeit vollbracht hat. Lavals Fall" gehört überhaupt zu den seltsamsten der modernen französischen   Parlamentsgeschichte. Nicht im offenen Kampf, sondern im Halbdunkel der Couloir- Kombi= nationen ist Laval langsam von Stufe zu Stufe in die Höhe gestiegen. Nur weil er seine ehemalige Partei verlassen hat, ist er so rasch emporgetragen worden. Deshalb konnte der Sozialist Paul Faure   gegenüber der Rechten während der Debatte über die Regierungserklärung in der Kammer feststellen, daß die Linke dem neuen Mann, den sich die Herren von rechts zum Führer erforen haben, niemals den­selben Respekt entgegenbringen werde, wie sie es tun würde, wenn die Reaktion den Mut aufbrächte, Männer ihrer Klasse, die wirkliche Ueberzeugungen hätten, an die Spizze zu stellen. Insofern hat der Fall Laval  " eine Bedeutung, die über den unmittelbaren Rahmen der jüngsten französischen   Minister­frise hinausgeht: er zeigt, daß das rechtsstehende Bürgertum in Frankreich   an Röpfen immer ärmer wird und gezwungen ist, sich sozusagen mit dem Abfall" der Linken zu begnügen.

Praktisch hat Pierre Laval   bisher noch nichts getan, was

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der Rechten erlaubte, von ihm ohne weiteres eine Verwirk­lichung ihres Programms zu erwarten. Er hat die Sozialver­ficherungsgesetzgebung, als er Arbeitsminister war, in zähester Weise verteidigt und zur Durchführung gebracht, während sie von der gesamten Rechten leidenschaftlich bekämpft wurde; er hat von jeher als ein Anhänger der Außenpolitik Briands ge= golten, die von der gesamten Rechten, wenn auch nicht im Parlament, so doch im Land als Berrat" hingestellt wird, er hat sich bei allen Gelegenheiten für die strengste Weltlich­feit des Staats und den Ausbau der weltlichen Schule aus­gesprochen, die von der gesamten Rechten mit bitterem Haß beehrt werden. Trotzdem hat ihm die Rechte neuerdings geschlossen ihr Vertrauen gewährt, wie sie es vorher André Tardieu   schenkte, obwohl auch dieser sich als Be­fürworter der Weltlichkeit und der Außenpolitik Briands präsentierte. Darüber ging die Preffe der Rechten in ihren Siegestommentaren über die große Mehrheit, die das Ka­binett Laval   gefunden hat, natürlich hinweg. Blätter der Zinken 30gen daraus jedoch den Schluß, daß numerisch zwar Die alte Tardieu Mehrheit wiederherge

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