Morgenausgabe
Nr. 61 A 31
48.Jahrgang
Böchentlich 85 Bf., monatlich) 3,60 m. im voraus zablbar, Postbezug 4,32 M. einschließlich 60 Bf. Bostzeitungs- und 72 Bf. Boftbeſtellgebühren. Auslands abonnement 6,-M. vro Monat; für Länder mit ermäßigtem Drudiachen vorto 5,- M
*
Der„ Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend" Illustrierte Beilage Bolt und Zeit" Ferner Frauenstimme", Technit", Blid in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" u..Stadtbeilage
Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Freitag
6. Februar 1931
Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
Die ein paltige Nonpareillezetle 80 Pfennig. Reflame eile 5,- Reichs mart. Kleine Anzeigen das ettge brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgebruckte Borte), jedes meitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben Arbeitsmarkt zählen für zwei Borte. Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr
Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Telegramm- Adr: Sozialdemokrat Berlin .
Vorwärts- Verlag G. m. b. H.
Boftschecktonto: Berlin 37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Lindenstr. 3, Dt. B. u. Disc.- Ges., Depofitent., Jerusalemer Str. 65/66.
Rede.
Eine ergänzungsbedürftige Rede.
Sollmann gegen die Nationalsozialisten.
Gollmann gegen
Der Kanzler rechnet mit nationalistischen Demagogen ab.
Die Rede des Reichskanzlers Brüning , mit der am Donnerstag die politische Aussprache eröffnet worden ist, hat zwar feine leberraschungen gebracht, aber doch wesentlich zur politischen Klarheit beigetragen. An die Spitze seiner Ausführungen stellte der Reichskanzler die Notwendigkeit, den Etat parlamentarisch zu erledi= gen. In diesem Zusammenhang erklärte der Reichskanzler ferner, daß die Reichsregierung aus ähnlichen Erwägungen möglichst wenig vom Artifel 48 Gebrauch machen wolle, und daß sie den Plänen auf Errichtung einer Diktatur, von denen in den letzten Tagen mehrfach gesprochen worden sei, restlos ablehnend gegen überstehe. Durch die weitere Erklärung, die Reichsregies rung werde sich Tempo und Zeitpunkt für die Revision der Reparationsverpflichtungen Deutschlands nicht diftieren lassen, sondern von fachlichen Boraussetzungen abhängig machen, rundete der Reichstanzler das Gesamtbild der allgemeinen politischen Absichten der Reichsregierung ab. Soweit Bernunft die Haltung des Boltes bestimmt, wird man diesen Teil der Rede des Reichskanzlers durchaus billigen. Er ist die Konsequenz aus dem Wahlergebnis vom 14. September. Das Wahlergebnis hat Deutschland nicht gemußt, wie die nationalsozialistische Opposition behauptet, fondern ungeheuer geschadet. Die zwei Milliarden Mart, die Deutschland seit dieser Zeit an Krediten eingebüẞt hat, hat nicht nur eine weitere halbe Million Menschen arbeitslos gemacht, sondern auch zahlreiche selbständige Existenzen weiter geschwächt. Weit notwendiger als vorher ist deshalb jetzt eine Politik, die das Bertrauen zu Deutschland wieder stärkt, die dem In- und Auslande zeigt, daß das deutsche Volk noch genügend vernünftige Kräfte besitzt, um der nationalsozialistischen Verleumdungsflut, die im Chaos ihren Sieg zu erringen hofft, Einhalt zu gebieten.
Allerdings werden über die Methoden zur Ueberwindung der jetzigen Vertrauenskrise Meinungsverschieden heiten bestehen und nicht immer leicht zu überwinden sein. Es erscheint uns als ein sehr beachtliches Zeichen, daß die Abfichten auf Aenderung der Geschäftsordnung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Reichstages anscheinend von einer großen Mehrheit beschlossen werden. Ob das aber bei den wirtschaftlichen Maßnahmen in gleicher Weise der Fall sein wird, muß einstweilen dahingestellt bleiben. Der Reichskanzler hat Vorlagen der Regierung zur Hilfe für die Landwirtschaft angekündigt. Welche Maßnahmen die Regierung vorschlagen wird, hat er allerdings nicht gejagt. Daß gesetzgeberische Maßnahmen allein nicht ausreichen, und daß die Selbsthilfe der Landwirtschaft in erster Linie erforderlich ist, hat der Reichskanzler anerkannt. Man wird aber einen Schritt weitergehen und darauf hinweisen müssen, daß gesetzgeberische Eingriffe zugunsten der Landwirtschaft auch unendlichen Schaden hervorrufen fönnen, wenn durch sie die handelspolitischen Beziehungen zu anderen Ländern gestört und das Heer der Arbeitslosen auf diese Weise vergrößert wird.
Ueberhaupt ist der Teil der Rede des Reichskanzlers der schwächste gewesen, auf den die großen Massen des Bolles gewartet haben. Wird er das Versäumnis in einer zweiten Rede durch Ergänzung seiner Erflärungen vom Donnerstag nachholen? Nichts hat der Reichskanzler gesagt über das Mißlingen der Absichten, Preise und Löhne in Uebereinstimmung zu bringen. Die Löhne sind mit Hilfe der Regierung gesenkt worden, die Preise aber folgen nicht, weil sich die Monopole und Kartelle der Industrie stärker erwiesen haben, als Macht und Wille der Reichsregierung. Kein Wort ist gefallen gegen die Anschläge auf das Schlichtungswesen und die Lohnentwicklung, obwohl gerade in der letzten Zeit die Schwerindustrie ihre neuen Absichten unverhüllt verkündet hat. Dagegen hat der Reichskanzler ausdrücklich betont, daß die Regierung wegen der Verabschiedung des Etats mit der Deutschen Boltspartei zu einer Meinungsüberein ftimmung gefommen wäre, und daß sie den Reichstag um eine Ermächtigung bitten werde, im Laufe des Etatsjahres
Der Reichstag beginnt am Donnerstag um 15 Uhr mit der zweiten Beratung des Reichshaushalts. Das Haus ist voll besetzt, die Tribünen find überfüllt, die Reichsregierung ist vollzählig anwesend.
Abg. Stöder( Komm.) beantragt, mit der Tagesordnung die Beratung einer Interpellation zu verbinden, die Auskunft verlangt über angebliche Staatsstreichpläne der Deutschen Volkspartei und anderer Regierungsparteien( Auflösung des Reichstags mit Artikel 48, Verschlechterung des Wahlrechts, Einberufung einer neuen Nationalversammlung zur Schaffung einer neuen Berfaffung mit stärkeren Rechten des Reichspräsidenten und einem Zweifammersystem).( Heiterkeit in der Mitte und linfs.) Präsident Cöbe: Eine Verbindung der Interpellation mit der Tagesordnung ist nur möglich bei einstimmigem Verlangen des Reichstags. Da die Einstimmigkeit nicht zustande kommt, hat die Reichsregierung zwei Wochen Frist zur Erklärung über die Interpellation.
Abg. Stöder( Komm.): Die Interpellation fann mitberaten werden, wenn sich der Reichstanzler zur Beantwortung bereiterklärt. Reichskanzler Brüning erflärt seine Bereitwilligkeit zur Beantwortung( Algemeine Heiterfeit. Lärm der Kommunisten.) der Reichstanzlei. Die Beratung beginnt mit dem Etat des Reichsministeriums und
Reichsfanzler Dr. Brüning:
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weniger als je haltsplanes die Bedeutung einer Beratung über technische Fragen, hat in diesem Jahre die Beratung der zweiten Lesung des Haus fondern über politische Fragen. In dem Stadium einer politischen und wirtschaftlichen Krise, in der sich Deutschland befindet, ift die parlamentarische Erledigung des Etats eine Frage erffen Ranges.
Die Beratung des Haushalts fällt in eine Zeit schwerster Krise. leber die Gründe dieser Krise ist wiederholt von der Reichsregie rung gesprochen, find Ausführungen gemacht worden. Sicherlich ist diese Krife zu einem großen Teile bedingt durch weltwirtschaftliche Wirkungen, aber sie ist auch eine Krise des Vertrauens in die Stabilität der deutschen Politik und der deutschen Wirtschaft.
Aus diesem Grunde hält es die Reichsregierung für außerordentlich wichtig, für die weitere finanzielle und wirtschaftliche Entwidlung, daß der Etat auf dem normalen parlamentarischen Wege verabschiedet wird.
|
Es ergeht deshalb der Appell der Reichsregierung an biefes Hohe Haus, alles daran zu setzen, um dem Etat auch durch parlamenta rische Berabschiedung rechtzeitig bis zum 31. März Gesezestraft zu verleihen.( 2bg. Scheller( Komm.): 3war miserabel, aber rechtzeitig.) Es ist teine Frage, daß In- und Ausland diesmal mit beson derem Interesse auf die Beratungen und auf die Art der Verabschiedung des vorliegenden Haushalts blicken.
Herr Abg. Stöder hat eben eine Interpellation eingebracht über angebliche Diktaturpläne. 3ch fann versichern, daß die Reichs. regierung solchen Plänen, sollten sie überhaupt bestehen, rest. los ablehnend gegenübersteht. Und der beste Beweis dafür ist die Tatsache, daß die Reichsregierung gerade den größten Wert darauf legt, den Haushalt parlamentarisch zu verabschieden. Die Reichsregierung hat wiederholt in den vergangenen Monaten zu dem Hilfsmittel des Artifels 48 3uflucht nehmen müssen. ( Buruf der Natsoz.: Also doch Diktatur!) Es ist nicht ihre Absicht gewesen und wird es nicht sein, etma zu versuchen, namentlich in folchen Fragen auf die Dauer und häufiger von dem gleichen ver jeffungsmäßigen Mittel Gebrauch zu machen. Sie ist der Ansicht, daß es im Intereffe der Reichsregierung sowohl wie dieses Hohen Hauses liegt, daß möglichst wenig vom Artitel 48 über haupt Gebrauch gemacht wird. Sie hofft, daß es bei gutem Willen und bei vollem Berantwortungsbewußtsein es der gemeinsamen Arbeit von Reichsregierung und Reichstag möglich sein muß und möglich sein wird, auch auf parlamentarischem Wege die schwebenden gesetzgeberischen Aufgaben zu lösen.
Kreditficherheit und Artifel 48.
Wir legen um fo mehr Wert darauf, weil vielfach im Auslande von den Möglichkeiten und dem Ausmaß des Artikels 48 eine falsche Vorstellung herrscht.( Lachen bei den Kommunisten und bei den Nationalsozialisten.) Eine falsche Vorstellung, die gelegentlich auch durch einige Oppositionsparteien ganz besonders genährt wird.( Sehr richtig! bei der Mehrheit.) Wir legen deshalb Wert darauf, auch weil wir im Interesse der Kreditsicherheit wünschen müssen, daß überhaupt die parlamentarische Beratung unter allen Umständen die Regel bleibt. Wir haben den Etat ohne daß ich auf Einzelheiten eingehen will, denn der Finanzminister hat bereits fo wiederholt vor der Deffentlichkeit über den Etat gesprochen aufgestellt( Buruf bei den Kommunisten: daß für soziale 3mede nichts übrig bleibt!), daß er den Erfordernissen weitgehender Eparsamkeit und vorsichtiger Schägungen entspricht. Wir sind uns von vornherein darüber klar gewesen, daß die Richtig-, wie die weitere wirtschaftliche Entwicklung verläuft. Nach dieser
-
( Ruf bei den Kommunisten: Was für ein Etat?) Der vorliegende. feit unserer Schäzungen bei gewissen Einnahmen davon abhängig ist, ( Heiterkeit.)
weitere Ersparnisse vorzunehmen, damit der Etat ausgeglichen sei und Steuererhöhungen oder Schuldenvermehrung nicht erforderlich sind. Diese Ermächtigung wird man der Regierung aber nur geben fönnen, wenn einwandfreie Garantien vorhanden sind, daß die Ausgabekürzungen nicht zu einer weiteren Berschärfung der Not der Massen führen!
*
Hätte Adolf Hitler der gestrigen Debatte beigewohnt, die sich an die Ausführungen des Reichskanzler anschloß, dann hätte die Rede des jungen Dr. Goebbels vermutlich bei ihm sehr gemischte Gefühle ausgelöst. Bei den Nazis kommt es bekanntlich nicht darauf an, was man redet, sondern wie man redet. Deshalb galt Hitler bisher in seiner Partei unumstritten als der Führer, an dessen Worten sich die Massen be rauschen, obwohl ihr geistig- politischer Inhalt 0,0 ist. Mit seinem geftrigen Auftreten hat Goebbels seine Kandidatur für die Führerstellung angemeldet, die bisher Hitler für sich allein beansprucht hatte. Auch der kritischste Zuhörer wird feststellen müffen, daß Goebbels durch seine Rhetorit, obgleich sie nur Rhetorit war, das Interesse des start besetzten Hauses erzwang, das an dem flüssigen Bathos dieses Etstatiters und an seinen oft geschliffenen Formulierungen einen gewissen ästhetischen Gefallen fand. An demagogischer Geschwäßigkeit ist Goebbels dem Adolf Hitler ebenbürtig, dessen Name er bezeichnenderweise in seiner einstündigen Rede nicht ein einziges Mal erwähnte, an Wirkung auf den Zuhörer dürfte der Rheinländer dem Desterreicher bereits überlegen sein.
Aber auch in anderer Hinsicht wird Hitler seinem Berliner Leutnant nach dieser Rede nicht grün sein. Während sich der bisherige Führer der Nazi- Bewegung seit dem 14. September bemüht hat, etwaige Regierungsmöglichkeiten für die nächste Bukunft nicht zu verbauen, war Goebbels offenbar bewußt und planmäßig bestrebt, die Kluft zwischen seiner Partei und dem
|
|
3entrum zu vertiefen, ja unüberbrückbar zu machen. Seine Rebe war eine einzige persönliche Anpöbe lung des Reichskanzlers Brüning , wie sie sich die ganz still und vergnügt zuhörenden Kommunisten bestimmt nicht besser hätten leisten können. Sie war auch fast ausschließlich eine Rampfanfage an das Zentrum, und der Marrismus" fiel dabei auffallend leer aus. Was der große Adolf Hitler seit den Reichstagswahlen durch vorsich tiges Lavieren und durch planmäßige Fühlungnahme anzu bahnen bemüht war, nämlich die legale Herbeiführung einer Rechtskoalition, das hat der fleine Goebbels in einer Stunde mit sadistischem Vergnügen furz und flein zerschlagen. Für den sozialdemokratischen Redner, Genossen Sollmann, war es danach ein leichtes, die politische Geistesarmut dieser nationalsozialistischen Phrasenschinderei zu enthüllen und ihr die zielbewußte Aufbaupolitik der republikanischen Arbeiterschaft entgegenzuhalten, die angesichts der faschistischen Gefahr aufgerüttelt ist und sich im ganzen Reich fräftig zur Wehr setzt. Die gesamte Rechte hatte zu Beginn dieser Rede den Saal verlassen, so daß es den Kommunisten überlassen blieb, durch Zwischenrufe die Wirkung dieser Abrech= nung mit dem Faschismus zu stören.
In dem Oberschlesier Kleiner haben die Deutschnationalen ihren anerkannt unanständigsten Redner gegen Brüning vorgeschickt. Der Reichskanzler hielt es für notwendig, diesem Manne ausführlich zu antworten, und er tat dies in energischen und erregten Worten. Die Nationalsozialisten quitterten Dr. Brünings Feststellung, daß die Hugenberger nur die Wählerreihen der äußersten Rechten und der äußersten Linten verstärken, mit freudigem Beifall.
Aber mögen sie tatsächlich am Ende die gesamte Hugenberg- Partei auffreffen, gegen die Sozialdemokratie und das Zentrum wird der Faschismus vergeblich anrennen!