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Nr. 61 48. Jahrgang

3. Beilage des Vorwärts

Im Reiche der Königin von Saba

Mittelaller und Neuzeit in Abessynien

Die Königin von Saba hat einen würdigen Nachfolger erhalten. Mit biblischem Brunt fanden in den letzten Wochen des Jahres 1930 zu Addis Abeba die Feierlichkeiten der Krönung Ras Taffaris zum König der Könige von Abessynien, siegreichen Löwen Judas und Auserwählten Gottes" statt. As Kaiser Haile Selassie I. gedenkt er, sein Land mit der Weisheit König Salomos , von dem er in diretter Linie abstimmen will, neuer Blüte entgegenzuführen.

Seine Herrscherträume wurzeln durchaus nicht im Alten Testas ment. Er träumt von riesigen Dämmen, durch die der Oberlauf des Blauen Nils gezwungen werden soll, viele tausende Morgen un­fruchtbaren Landes zu bewässern, von breiten Autostraßen, die von feiner Hauptstadt Addis Abeba in alle Teile Aethiopiens führen, von Autotolonnen, die Rohstoffe in die Hauptstadt und Industriegüter, die seine Untertanen nie zuvor gesehen haben, in die grünenden Täler seines Reiches bringen, ja von Passagierflugzeugen, die eine regelmäßige Verbindung der Hauptstadt mit der Küste aufrechterhalten sollen.

Die Geschichte seines Aufstiegs ist eine Geschichte von Revo. Tutionen, Blutvergießen, Intriguen und Anachronismen; sie scheint fast zu phantastisch, um geglaubt zu werden.

Es war im Jahre 1916. Eine Revolution hatte den Herrscher

Lij Yaser abgesetzt und Zauditu, eine Tochter des früheren Kaisers Menelit, wurde zur Kaiferin gewählt, nachdem sie sich von ihrem vierten und legten Gatten Ras Gutja hatte scheiden lassen. R15 Gukja konnte nämlich, da er nicht königlichem Blute entstammte, nie­mals Herrscher werden. Hier sah Ras Laffari seine Chance, und er setzte es durch, daß er zum Reichsverweser ernannt wurde. Dies war sein erster Trumpf. Im Jahre 1928 mußte Kaiserin Zauditu zustimmen, daß er zum König von Schoa , der Hauptprovinz Abessyniens, gekrönt wurde. Sie blieb zwar Kaiserin; aber Ras Zaffari untergrub von Tag zu Tag mehr die Grundlagen ihrer Stellung. Die Kaiserin wurde ängstlich und verband sich mit ihrem geschiedenen Gatten Ras Guffa, der bald mit einer Rebellenarmee gegen die Hauptstadt marschierte. Er stellte Ras Taffari ein Ulti­matum, in dem er forderte, daß dieser abdanke und seine Machtbefug: nisse dem im Jahre 1916 abgesezten Lij Fraser abgab. Ras Taffari gelang es, eine Armee Don 20 000 Mann zu sammeln, und es schien, als sollte es bei Debra Zebit, eita 70 Meilen östlich vom Tjana- See, zu einer Schlacht kommen, die schwertbewaffnete Krieger und Lanzen reiter aufeinandertreffen lassen würde.

Aber Ras Taffari hatte seine besonderen Maßnahmen getroffen. In das meltabgelegene Abessynien waren vor kurzem seitsame, mäch tige Kriegsmaschinen gekommen, völlig unbekannt den Rittern und Kriegern Ras Gutfas. Drei französische Kampfflugzeuge maren in aller Gile erworben worden, die nun unter Führung André Maillets, des Oberbefehlshabers der Kaiserlich Abessynischen Luftflotte, in dea Kampf eingriffen. Am 1. April 1930 erschienen die Aeroplane über den Stellungen der Rebellenarmee. Bomben abwerfend und aus Maschinengemehren Tod und Bernichtung speiend flogen fie in einer Höhe von 3000 Fuß über das Hauptquartier Res Gutsas. Dann rudtet bie Streiffraffe Ras Laffaris heran, und als die Nacht herein. Frach, bebatten 10 000 Zofe das Schlachtfeld. Tur 300 von den 2euten des Königs von Sdpa" maren gefallen.

In diesem ereignisreichen Tage wurde in der St.- Georgs- Kirche in Apdis Abeba ein religiöjes est gefeiert; die Bornehmen des Reiches, umgeben von ihren Bajallen, hatten sich in der Kirche per­fammelt. Plötzlich gab die Stanone vor dem Balaste der Kaiserin eff Schüsse ab. In den mittelalterlichen Abessynien ist jeder Mann, der eine Waffe tragen fann, entweder ein Soldat des Königs oder eines der mächtigen Lehnsherren, die ihre Abstammung direft von König Salomo und der Königin von Saba ableiten. So griff jedes männliche Wesen in Addis Abeba beim Klang der Kanonenschüsse nach seiner Waffe, nach einem Gewehr, einem Speer oder einem Schwert und lief zum Königspalaste. Widersprechende Gerüchte durchschwirrten die Luft. Die Rebellen hätten die Stadt erreicht, die Königin sei ermordet, Ras Taffari habe sie persönlich gefangen genommen.... Die Läden wurden in aller Eile gesperrt, die Bauern, die ihre Waren auf den Markt gebracht hatten, flohen und ließen ihre Bündel im Stich, und die Tore und eisernen Gitter der Le­gationen schlossen sich. Da wurde plötzlich die Nachricht bekannt, daß des Königs Flieger dessen Feinde besiegt und den Rebellenführer Ras Gutja getötet hätten. Dann kam ein weiterer Bericht. Der Ferandji", der fremde Flieger, sei mit seinem Aeroplan auf dem Bege, um nach altabeffynischer Sitte den Kopf des Feindes in die Hauptstadt zu bringen.

Tatsächlich zog ein Aeroplan seine Kreise über Addis Abeba und landete. Ihm entstieg André Maillet und wurde sogleid zum König geführt, der in aller Eile eine mit prächtigen Teppichen bedeckte Estrade hatte errichten lassen. Ras Taffari, umgeben von den staat­lichen und firchlichen Würdenträgern, überreichte ihm den Menelit

orden und ein Gelbgeschenk von 50 000 Franken.

Während dieser impropisierten Feierlichkeit blieb Kalferin 3au­ditu in ihrem Palaste. Seit ihrer Thronbesteigung war sie zum Mittelpunkt der reaftionären Bewegung geworden. Ihre Ratgeber entstammten durchweg der aethiopischen Geistlichkeit. An diesem Abend fragte sich ganz Addis Abeba : Wie wird nun der König mit der Kaiserin verfahren? Er hat alle Karten in der Hand; welche

wird er ausspielen?"

Die Nacht fant hernieder, und die Menge suchte ihre stroh tebeckten Häuser auf; denn in Addis Abeba darf eine Stunde nach Sonnenuntergang niemand mehr auf der Straße sein! Und am nächsten Tage, dem 2. April, war das Unglaubliche wahr geworden: Die Kaijerin war gestorben! Selbstmord oder Schlimmeres? Nichts von alledem. Die Kaiserin hatte sich erfältet, bestand aber darauf, jede Nacht in ihrer falten, feuchten Rapelle zu beten. Die Nachrichten von Guffas Tod und der Vernichtung der Rebellen hatten sie wie ein Blitzschlag geiroffen. Ihr geistlicher Raigeber hatte ihr nahe gelegt, durch ein Bad in heiligem Wasser die Mächte des Bösen zu bannen. Dieser Rat und seine Ausführung hatten eine Lungen entzündung zur Folge, an der Bauditu in der Nacht des 2. April starb. Sie war zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt gewefen; fein Mensch mußte ihr genaues Alter. Mit ihrem Tode war das größte Hindernis des Fortschritts in Abessynien aus dem Wege geräumt. Noch am folgenden Tage ließ sich Ras Taffari zum Negusa Regaft", zum König aller Könige von Abessynien ausrufen. Sein Reich ist von allen Seiten von britischen, franzöfifchen und italie­nijchen Kolonien umgeben, die durchaus nicht verschwenderisch mit natürlichen Reichtümern ausgestattet find, während Abeffynien ein Land der Zutunft ist! Die Mutterländer der angrenzenden Kolo wien haben bereits begonnen, das Reich des Negusa Negast an allen

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Eden zu beschneiden, und aus Abesiynien ist ein Binnenstaat ohne Sugang zum Weer geworden. Wenn es ihm gelänge, Mitglied des Bölterbundes zu werden, so dachte Ras Laffari, so tönnte er wohl sicher sein, fein Staatsgebiet ungeschmälert zu erhalten. So bat er den Völkerbund um Zulassung; aber dieser war nicht in der Lage, einen Staat unter seine Mitglieder aufzunehmen, der auf seinem Gebiete noch die Stfaverei gestattete. Ras Taffari sah sich zwar außerstande, die Staperei mit einem Schlage abzuschaffen; aber er verpflichtete fid), für die Zukunft den Handel mit Menschen als un­gesetzlich zu erklären, so daß in naher Zeit die Sflaverci in Abessynien ausgestorben sein würde. Dieser Vorschlag erschien dem Bölkerbund annehmbar, und so murde Abessynien Mitglied des Bölkerbundes!

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Addis Abeba , die Hauptstadt Abessyniens, liegt genau in der Mitte des Landes. Heute wird es mit der übrigen Welt durch eine Eisenbahnlinie verbunden, die, 500 Meilen lang, von Addis Abeba nach Jibuti , dem Hafen Französisch- Somalilands, führt. Die Reise dauert drei Tage; bei Nacht verfehren die Züge nicht. Taffari will durch Aeroplane eine Verbindung herstellen, die nur 5 Stunden in Anspruch nimmt.

Wird sein Plan verwirklicht, so daß es den Reisenden tatsächlich möglich ist, durch einen regelmäßigen Flugverkehr innerhalb vier bis fünf Stunden von der Küste in die Hauptstadt des Reiches der Königin von Saba zu gelangen, dann wird sicherlich für dieses inter effante und so wenig bekannte Land der Anfang der Neuzeit ge­fommen sein.

Ruth A. Weeks.

( Ueberfekt von 2co Korten.)

P

Freitag, 6. Februar 1931

massen nach allen Seiten wie feiner Staub aus der Dampfwolfe hernieder, stürzen die Fontänen in sich zusammen. Danche bc­fonders hervortretende Eigenarten sind mit Namen belegt worden, wie der Champagner Kessel, ein Beden von 43 Meter Umfang mit dampfendem und brodelndem Baffer von über 80 Grad: mäßigen Abständen spielenden Bairatei- Gepfir, der eine neun bis Celsius an der Oberfläche. Bald darauf steht man an den in regel­zwölf Meter hohe Wasserfäule emportreibt, oder man blidt in den Brei- Topf", einen tochenden Schlammpfuhl, an dessen Oberfläche Blasen entstehen und zerplagen, als ob es sich um einen fochenden Topi voll Brei handle. Ueberall ist die Bildung von Sinter- Terrassen im Gange, und oft tann man beobachten, wie Baumäste sich mit einer Kruste überziehen, als ob sie einem schweren Rauhreif ausgesetzt wären. Nicht weit davon steigt die große Dampf- Fumarole, bas Karapiti Blowhole, auf, die dauernd in Tätigkeit ist, und schließlich stürzen die Wasser des Weitato- River schäumend über die Huka­Fälle und in einem 100 meter langent Kanal ungeftüm vorwärts, als wollten sie all den geisterhaften Erscheinungen entrinnen.

So geht es fort, bis man an den märchenhaften Ufern der Bultan- Seen von Rotorua steht. Die unvergleichlichen Kiefel­Sinter- Terrassen sind im Jahre 1886 der Eruption des Tarawera zum Opfer gefallen; es bildete sich damals eine Spalte von neunzehn Kilometer Länge und 400 Meter Breite, in der der See Rotomahana mitjanit den riesiegen Sinter- Terrassen verschwunden war. Der See bildete sich wieder, aber die Landschaft um ihn war völlig verändert. Eine dide Decke von Felsstücken und vulkanischer Asche hatte nicht nur die Vegetation bedeckt, sondern auch eine Anzahl von Maori­Dörfern zerstört. Am steilen Westufer des Sees steigen noch heute heiße Quellen auf, so daß der ganze Hang dauernd in Dampf gehüllt ist. Nach dieser Eruption war auch der größte Geniir entstanden, der aber 1905 wieder ruhig wurde; dieser Weimangu­Geysir hat sein tintenschwarzes Wasser, von Schlamm und Steinen begleitet, 90 bis 150 Meter hoch geschleudert. Ja, manche Eruption soll eine Höhe von 450 Meter erreicht haben.

Im Lande der Riefen- Geysire müssen wir uns ins Gebiet von Rotorua begeben; der Wairoa,

Die furchtbare Erdbebenkatastrophe auf der Nordinsel von Neu­ seeland lenkt die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Wunderland, beffen geheimnisvoll unterirdische Kräfte von den Bewohnern wieder einmal schwere Opfer gefordert haben. Das Erdbeben ging von der Hamfe- Bucht aus, an der die beiden am schwersten heimgesuchten Städte Napier und Hastings liegen. Der eigentliche Herd der Kata­strophe ist aber in der hinter dem östlichen Hügelland" der Küste gelegenen Bullangebiet zu suchen, zu dem die von den legten Urein wohnern der Insel, den Maori, bewohnte Gebirgswaldwildnis führt. Hier erheben sich die großen schneebebetten Bulkane mit ihren emigen Rauchfahnen, und rings herum breitet sich das Gebiet der Riesen Geysire, das Prof. Walter Geister in dem Handbuch der geo­graphischen Wissenschaften" anschaulich beschreibt.

,, Wohin wir uns auch wenden, immer wieder stoßen wir auf neue Rätsel, merden wir von der Fülle der Erscheinungen über­rascht. Im Genfir- Tal des Weitato- River fieht man überall von den Hängen zwischen den mattgrünen Büschen und Sträuchern die heißen Dämpfe aus der Erde aufsteigen, und ganz dicht am Ufer fpringen ab und zu in regelmäßigen Abständen die Waffergarben der Genfire sentrecht in die Luft, fallen die zersprengten Wasser

Bollen wir die größten der noch tätigen Genjire sehen, so das Lange Wasser" der Maori, schoß seine Wassersäule vor dem Ausbruch von 1886 60 Meter hoch; die beiden größten Genfire find heute der Pohutu und der Waifite, die etwa 30 Meter Höhe erreichen. Das Gebiet um Rotorua ist dadurch zum Mittelpunkt der ganzen Vulkanzone geworden, daß die Regierung dort in der Nähe der prächtigen Seenlandschaft einen modernen Kurort errichtet hat, an dem sich bereits ein reges internationales Leben entwickelt. Einen besonderen Ruf haben Rotorua die Reste der Maori verschafft, die dort noch leben. Es ist zwar kein urwüchsiges Volkstum mehr, aber man hat hier Gelegenheit, diesen hochintelligenten Bolksstamm der polynesischen Rasse fennenzulernen. Man muß sich dergegen­wärtigen, daß die Leute, die in dem Maori- Dorf Whatarewarewa. in den heißen Quellen ihre Wäsche waschen oder auch fochen, mehr oder weniger Theater spielen und dafür von den Fremden bezahlt werden. Sie sprechen ein vorzügliches Englisch. Das Maori- Dorf zeigt deutliche Spuren der Künstlichen Nachhilfe. Noch an, anderer Stelle fizzen die Maori, und zwar etwas näher an Rotorua selbst, am Ufer des Sces, von heißen Quellen umgeben. Dort liegt Dhine­mutu, die alte Stadt", wo das ansprechende Versammlungshaus, das Tama- te- fapua, bie Blicke auf sich fenft. Hier gibt es noch manches alte Schnißwert, allerdings auch viel Nachgemachtes."

3. Obert: Zwei Groschen fehlen noch

H.

| sich

Sie haben also das Geld nicht?" vergewisserte Herr Bunam zu allem Ueberflusse.

,, Das ist alles", sagte der andere schüchtern. ,, Dann können Sie aber das Brot nicht kaufen", flärte Herr Bunam ihn mißbilligend auf. So gibt wohl ein Lehrer dem Schüler 5, menn er ihm sagt: einen Verweis, der erklärt hatte: 2+ 2 2+ 2= 4". Dabei stredte er die Hand nach dem Brote aus und legte es an seinen Ort zurück.

Der Eigentümer, Ferdinand Bunam, Kolonialmaren, fiand in 1 fagen würde: Der Hund ist der Wächter des Hauses", oder eine der blauen Schürze hinter der Theke seines Ladens in der Bader ebenso gleichgültige Tatsache. straße und bediente die Kunden. Er fragte sie mit seiner stets ver- Der junge sammalwangige Mensch zudte hilflos mit den fetteten, etwas quarrenden Stimme und wog darauf das Geforderie Schultern; er stand immer noch da und wartete. haarscharf, mit plierenden Augen den Waagebalfen verfolgend, ab. Er war sich der Redlichkeit und Ladellosigkeit seines Wandels sehr bewußt und galt den Hausfrauen als Muster knaufernder Genauig feit. Bis ins fünfzigste Jahr hinein hatte er sein Junggesellen­leben wohlbehütet gebracht, ohne irgendeine nennenswerte Er. schütterung seiner festgegründeten Weltanschauung zu erleiden. Er ftand morgens pünktlich zur Minute auf, öffnete ebenso pünktlich feinen Laden, betrog seine Stunden auch nicht um das Bruchteil eines Grammes, zahlte stets rechtzeitig die auferlegten Steuern, ging jeden Sonntag zur Kirche, furzum, er bildete sich ein, das Musterbild eines guten Christen und Staatsbürgers zu sein. So geregelt und wohlgemeffen wie sein Lebenswandel, nahm er an, müßten auch die Beziehungen der Menschen untereinander auf der ganzen Welt fein.

Es gab einfach feine Probleme für ihn. Wollte man ein Biertel Käse zu 28 Pfennig, nun, so gab der Käufer das ent­sprechende Geld und erhielt dafür sein Quantum, nicht mehr und auch nicht weniger. Es war einfach kein Platz mehr dazwischen für ein Wenn oder Aber.

Eines Tages. Frau Martha Schneider aus Nr. 36 war gerade abgezogen, als ein junger Mensch eintrat. Borher hatte er fange mit einem Batetchen Telltatas, einem Brot und einem Pfund Salz zögernd vor dem Auslagefenster gestanden und wieder und wieder die sauber in Reihen neben und übereinander ausgerichteten Lebensmittel hungrig beschaut.

Endlich, als er jah, daß Frau Schneider gegangen war, faßte er einen Entschluß und trat langfam ein. Die Ladenglode binmelte dünn. Geduldig wartete der junge Mann, bis Herr Bunam, der gerade die Konserven oben auf den Regalen ordnete, herunterſtieg und nach seinen Wünschen fragte. Der junge Mann war sauber aber dürftig angezogen, schmalbackig und hatte verhungerte Augen. ,, Ein Brot, bitte", wies er mit dem Finger auf die geschichteten Brote hinter der Theke.

Herr Bunam nahm eines von ihnen, rollte es sorgfältig in Papier ein und legte es auf den Tisch:" Macht sechzig Pfennig." Der andere schluckte ein wenig. Db verschreckt oder aus Bec legenheit war schwer zu unterscheiden, und während er langfam übers ganze Gesicht errötete, zog er die geschlossene Hand aus der rechten Hosentasche und ließ die von der Hand heißen Münzen auf den Tisch fallen. Es waren Fünfer und Zweier und ein Zehner. Dann wartete er verlegen.

Herr Bunam zählte das Geld und bemerkte daraufhin: Das find bloß vierzig- zwei Groschen fehlen noch." Dabei sah er den Jüngeren forschend an, als fuche er bei jenem das fehlende Geid irgendwie zu entdecken.

Der schluckte ein paarmat und sagte dann puterrot: Mehr habe ich aber nicht."

Rühl erstaunt, jedoch nicht unwillig sah Herr Bunam ihn an. ie, der hatte nicht das Geld und wollte doch kaufen? Das ver­stand er einfach nicht, so wiederholte er nur: 3wet Grojden fehlen noch."

Der junge Mann stand immer noch wartend. Da schob er ihm auch stumm das fleine Münzenhäuflein zu­rüd. Als jener immer noch wie betäubt stand und bem verschwun­denen Brot hoffnungslos nachfah, schüttelte er den Stopf, dachte bei sich, daß jener sich wohl wieder erholen würde und endlich doch einsehen müßte, daß 2+ 2= 4 und nicht 5 seien, wandte ihm den Rüden und wollte zum Salzfaß gehen, um in Pfundstücken davon abzuwiegen.

Wie der junge Mann sah, daß der Händler sich wandte und jo jede Hoffnung auf das Brot erfterben machte, kam plöblich Leben in ihn. Mit lautlosem Sah sprang er ihn von hinten an und gab ihm mit aller Gewalt feiner geballten Hand einen Schlag der Jüngling fich um, langte gierig nach dem Brot und stürzte auf den Schädel.

Herr Bunam fant sofort zusammen. Verstört und gehegt jah

davon.

Da der Schlag nicht sehr start gewesen war, tam nach furzer Beit Herr Bunam wieder zu sich, ohne daß um diese stille Stunde am frühen Morgen ein Käufer eingetreten wäre. Als er sich mit bumpfem, brummendem Schädel auf dem Fußboden liegen fand, wußte er zum ersten Male in feinem Leben nicht anzugeben, wo er mar. Er bemerkte, daß ein Brot fehlte, und zugleich sah er das armselige Häuschen kleiner Münzen, welches der Räuber zurück­

gelassen hatte.

Herr Bunam war nicht etwa wütend oder verärgert, sondern nur maßlos erstaunt über das Borgefallene. Er rannte auch nicht zur Polizei, sondern strich ohne weitere Worte das Geld ein. Aber er war durch die Tatsache, daß ein Käufer ein Sechzigerbrot für vierzig fich angeeignet hatte, derart außer Faffung gebracht, daß er heute zum ersten Mtale nicht genau wog.

Und am Abend saß er sorgenvoll über der Tagesbilanz, zer­brach sich den Kopf und fonnte es nicht ins reine bringen, daß er ein Sechzigerbrot für vierzig verkauft hatte. Den Schlag an sich verschmerzte er leicht und trug ihm den jugendlichen Räuber nicht weiter nach. Aber das Problem, daß in diesem Falle nicht der Lehrer recht behielt, sondern der Schüler, der behauptet hatte: 2+ 2= 5, das erschütterte seine Welt. Das war der Riß, der fie zersprengen würde.

Er zergrübelte fich den Ropf heiß und wirr und erschrat immer mehr, daß er die Aufgabe nicht lösen konnte.

Denn, wie gesagt, er war ein rechtlich denfender, durchaus moralischer Mensch, der sich ernsthaft, wie es in seinen Kräften stand, um sein Seelenheil abmühte. Stur, daß er, abgleich er Chrift mar, das, was der Christ unter Liebe versteht, infolge seiner feeli

Er sagte das gar nicht unfreundlich, sondern so, wie man etwa i schen Vertünmerung nicht besaß.