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Morgenausgabe gabe

Nr. 65

A 33

48.Jahrgang

Böchentlich 85 ẞf, monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Bostbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bf. Boftzeitungs- und 72 Bf. Bostbestellgebühren. Auslands. abonnement 6,- M. pro Monat; für Länder mit ermäßigtem Drudfachen. porto 5,- M

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Der Borwarts" erscheint mochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Abend" Illustrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenstimme", Technit"," Blid in bie Büchermelt", Jugend- Borwärts" u. Stadtbeilage

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Sonntag

8. Februar 1931

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Die etnipalttge Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart. Kleine Anzeigen das ettge brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwet fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erfte Bort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme im Haupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr

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Etatsmehrheit im Reichstag Barum und wieso?

Notwehrmaßnahmen gegen Obstruktionsversuche.

Klare Situation im Reichstag.

Der Reichstag hat gestern mit starken Mehrheiten Miß­trauensanträge gegen die Regierung abgelehnt und den Etat der Reichskanzlei in zweiter Lesung angenommen. Die Minderheit bestand aus Nationalsozialisten, Kommunisten,

Der Reichstag hat gestern mit 293 gegen 221 Stim-| eine lange Sikung werden. Am Dienstag folgt die De Deutschnationalen und teilweise auch Landvolkleuten, die men bei 13 Enthaltungen, also mit einer Mehrheit von batte über die auswärtige Politik.

72 Stimmen, die Mißtrauensanträge gegen das Kabinett Brüning abgelehnt und mit 308 gegen 207 Stimmen den Antrag der Hakenkreuzler, den Reichstag aufzulösen, verworfen.

Um nun die Beratung der Geschäftsordnungsreform und der zahlreichen Anträge auf Genehmigung von Strafverfahren gegen Reichstagsmitglieder möglichst hinauszuschieben, griff die Koalition Hitler- Hugenberg Thälmann zur Obstruktion. Sie führte über jede einzelne Position des vorliegenden Etatskapitels und die dazu gestellten Streichungsanträge namentliche Abs stimmungen herbei.

Der ausschließliche Zweck dieser zeitraubenden Me­thode, nämlich die Verhandlung zu verschleppen, war um sp klarer, als ja soeben erst die namentlichen Abstimmun gen über die Mißtrauens- und Auflösungsanträge das Kräfteverhältnis über jeden Zweifel dargetan hatten. Schließlich ris der Mehrheit die Geduld und sie beschloß auf Antrag des Zentrumsabgeordneten Esser mit 301 gegen 218 Stimmen, über die Aenderungsanträge zur Tagesordnung überzugehen und den Etats­

abschnitt anzunehmen.

Die Abstimmung im Reichstag.

Wirtschaftspartei gespalten.

Mehrheit aus Sozialdemokraten, Zentrum und den übrigen Parteien.

I Die Entscheidung lag bei der Sozialdemokratie., Stimmte diese mit der Opposition, dann verwandelte sich die Mehrheit in eine Minderheit von etwa 160 Mann. Die Opposition mit rund 350 Stimmen wäre zu einer Zweidrittelmehrheit ge­worden. Einen Beschluß gegen die Regierung Brüning herbeizuführen, war für die Sozialdemokraten eine Kleinigkeit. Ja, kinderleicht war es für die Sozialdemokratie, gemein­fam mit Hitler , Hugenberg und Thälmann zu

bloß, was sie und die andern ,, Sieger" nachher mit ihrem ,, Sieg" angefangen hätten, das ist die große Frage! Weil mit diesem Sieg absolut nichts anzufangen war, hat die Sozialdemokratie die Mißtrauensanträge abgelehnt.

Nach dem endgültigen Abstimmungsergebnis ist das von den Nationalsozialisten und Kommunisten beantragte Mißtrauens votum gegen das. Kabinett Brüning vom Reichstag mit 292 gegen 220 Stimmen bei 13 Enthaltungen abgelehnt worden. Der Stimme enthalten haben sich 10 Mitglieder der Wirtschaftspartei, nämlich die Abgg. Borrmann, Drewiß, Hömberg , Dr. Jörissen ,,, fiegen" Röster, Lauterbach, Luce, Mollath, Schneidewind und Siller somie die drei Deutschhannoveraner. Die fünf übrigen in der Sigung anwesenden Mitglieder der Wirtschaftspartei, Dunkel, Freidel, Hermann, Holzammer und Pezold, haben gegen das Miß­trauensvotum gestimmt, ebenso die anwesenden Mitglieder der christlich sozialen und konservativen Frattions: gemeinschaft mit Ausnahme der schon erwähnten Hannove raner. Die Mitglieder des Landvolks stimmten für das Miß trauensvotum; von dieser Fraktion fehlten jedoch die Abgg. Baur , Dingler, Dr. Gereke und Schlange- Schöningen.

Krach beim Landvolk.

Den Protesten jener Parteien, die zwar selbst grund. In der Landvolkfraktion des Reichstags hat es am gestrigen sätzlich den Parlamentarismus verneinen, ihn unaus Sonnabend überaus heftige Auseinanderseßungen gesezt zu ruinieren trachten, aber sich zu Schütern der wegen der Haltung dieser Fraktion bei den Abstimmungen gegeben. Parlamentsrechte aufwerfen, hielt Präsident 2öbe Obwohl der Fraktionsredner Döbrich in der Debatte angekündigt vor, daß man doch auch der Mehrheit nicht verwehren hatte, daß seine Leute für das Mißtrauensvotum gegen das Gesamt­könne, den Etat rechtzeitig zu erledigen; er hoffe bei der tabinett stimmen würden, haben sich bei der namentlichen Abstim­weiteren Etatsberatung sowohl die Opposition von dem mung mehrere Landvolkleute der Stimmabgabe enthalten, darunter Wege der Obstruktion wie die Mehrheit dann auch von Abg. Schlange- Schöningen. Er hat nachher auch gegen den dem Wege der Brechung der Obstruktion abzubringen und Antrag der Kommunisten gestimmt, die Gehälter des Reichstanzlers die normale Arbeit zu ermöglichen. und des Ministers Treviranus zu streichen; sein Freund Geride hätte ebenso gestimmt, wenn er nicht durch Krankheit von der Sigung ferngehalten worden wäre. Gegen Schlange Schöningen wurden deswegen heftige Angriffe gerichtet.

Die Beratung der Geschäftsordnungsreform und der Immunitätsanträge beginnt am morgigen Montag, nach mittags 3 Uhr. Es wird, wie der Präsident ankündigte,

Desterreich im Defizit.

Finanziell noch mehr moralisch.

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Zum erstenmal seit 1923, wo das Genfer Sanierungs-, Kontroll­und Abbauroert zu wirken anfing, legt die Bundesregierung dem Nationalrat einen Staatsvoranschlag mit einem Fehlbetrag vor. Das ist vor allem der furchtbaren Weltwirtschafskrise zuzuschreiben, die natürlich auch in Deutschösterreich die Einnahmen aus Steuern, Zöllen und staatlichen Berkehrsmitteln verringert und den lebens wichtigen Export inländischer Erzeugnisse noch tiefer drückt als schon in Konjunkturzeiten die Zölle der anderen Staaten tun. 500 000 Arbeitslose bei einer Gesamtbevölkerung von Millionen der gleiche Boltsteil erwerbslos wie in dem wirtschaftlich ungleich fräftigeren Deutschen Reich!

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Das Defizit des Staatshaushalts ist gewiß der Kreditfähigkeit Deutschösterreichs nicht förderlich; aber es hat noch größere Beträge der jüngsten Anleihe verfügbar und schließlich lassen die Groß. mächte, die der fleineren deutschen Republit die Selbständigkeit" aufzwingen, um ihr die natürliche Vereinigung mit dem größeren Deutschland zu verwehren, ihre so verunglückte Schöpfung nicht

verfrachen.

Biel mehr gefährdet ist aber das Ansehen Deutschösterreichs als eines Landes von alter Kultur durch die empörenden Zustände und Borgänge an den Wiener Hochschulen. Was im Reiche den Hitler - Jungen untersagt worden ist, sich nämlich als die Stu dentschenschaft auszugeben, das haben ihnen die Universitätsbehörden drüben gestattet. Man besteuert alle Studenten, soweit sie nicht rechtzeitig gewarnt waren und daraufhin sich vorfahen, zugunsten dieser legal" gemachten Parteiorganisation, die allein als offizielle Bertretung der Studentenschaft anerkannt ist, deren Fürsorgeämter ihr auch überlassen sind. In diese Deutsche Studentenschaft " werden nur solche aufgenommen, deren Deutschstämmigkeit" die Hafen freugler anerkennen. Sie verlangen denn auch von Berdächtigen" die Taufscheine nicht nur der Eltern, sondern auch der Groß­eltern. Jüdische oder für Juden gehaltene Hörer werden aus den Borlesungen hinausgeprügelt, unliebsame Lehrer niedergebrüllt. Das alles unter einer Verfassung, die jede Benachteiligung der Bürger wegen ihrer Abstammung oder Konfession ausschießt.

Die fozialistischen Studenten proflamieren Wahlenthaltung für bie studentische Bertretungswahl. Unter Dufbung, ja Zustimmung der Hochschulbehörden wird diesen und allen Gegnern der herrschen

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den Terroristen jede Propaganda auf Hochschulboden gewaltsam ver­wehrt. Selbst einen Kiost, den sich die Sozialisten auf der Straße vor der Technischen Hochschule Wien mit Erlaubnis der Gemeinde errichtet haben, durften die Hitler- Buben, ungehindert von der Polizei, zertrümmern und verbrennen. Ein französischer Student. der für französische Blätter schreibt, wurde in der Aula der Uni­verfität von einer ganzen Horde mißhandelt. Täglich geht es auf den einst so berühmten Wiener Hochschulen ungleich schlimmer zu als in den dunkelsten Vorstadttaschemmen. Dieses Bild zeigen, ohne daß die Regierung dagegen einschreitet, die Stützen der Geisteskultur Desterreichs heute der Welt, die sich daraus ein für das Land verteufelt unangenehmes Urteil bildet.

Zaleski daheim.

Wie er über Genf berichtet.

Warschau , 7. Februar.( Eigenbericht.) Der sozialistische Robotnit" wendet sich gegen die Rede des Außenminister 3a lesti im Ausschuß des Senats und bezeichnet die Zalestische Interpretation des Ratsberichts als merkwürdig. Es beständen nämlich eine Reihe von Abweichungen zwischen dem Text des Ratsberichts und der Zalestischen Auslegung. ,, Robotnik" erklärt weiter, daß er ja schon von allem Anfang mit

der Niederlage Polens gerechnet hätte, und so sei es auch eingetroffen. Die wahren Ursachen der polnischen Niederlage müßten in der Innenpolitik gesucht werden. Herr Baleffi aber spiele Diplomatie dort, wo niemand ihm glaube, statt die Dinge beim rechten Namen zu nennen.

Der rechtsstehende Kurjer Warszawiti" schreibt, daß Baleffi versucht habe, die Ergebnisse der Genfer Erörterungen über Oberschlesien weiß zu tünchen. Das sei sein gutes Recht. Denn sich zu den Genfer Mißerfolgen zu befennen, wäre gleich bedeutend damit gewesen, die innere Politik der Regierung zu ver­urteilen, der er angehöre.

Sejmfitten.

Nach der Rede eines Kommunisten im Sejm stürzte ein auf der Regierungsliste gewählter Utrainer auf den Kommunisten zu und versetzte ihm unter dem Ruf: Hier hast Du es für die Behand lung der Utrainer in Sowjetrußland" einen Schlag auf ben Ropf. Der Sejmmarschall Switalsti schloß beide(!) Abgeordnete von der Sigung aus.

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Die Mehrheit, die sich dazu entschloß, die Regierung Brüning mangels einer bessern im Amte zu belassen, reicht von den Bolkskonservativen" bis zu den Sozialdemokraten. Sie ist so bunt zusammengeflicht, daß es beinahe schon komisch wirft. Aber diese bunt zusammengeflicte Mehrheit ist noch ein Wunder an Einheitlichkeit, gemessen an der Mehrheit, die sich aus einem Hinzutritt der Sozialdemokratie zur Oppo­fition ergeben haben würde.

Landauf, landab formieren sich Partei und Reichs­banner zur Gegenoffensive gegen den Ungeift der Hakenkreuzler. Hunderttausende von Sozialdemokraten stehen im aftiften, im leidenschaftlichsten Abwehrkampf gegen den Faschismus. Und in dieser Situation sollte die Sozialdemo fratie im Reichstag mit den Faschisten gemeinsame Sache. machen? Den tämpfenden Genossen im Lande wäre das als der vollkommenste Widersinn erschienen; wie ein Keulenschlag hätte es auf sie gewirkt. Und wäre es dann gar so gekommen

und das war die allergrößte Wahrscheinlichkeit, daß in­folge einer solchen Abstimmung eine extrem rechte Re­gierung zustande gekommen wäre, so hätten sie mit Recht über Berrat geflagt.

Die Kommunisten können vielleicht für eine Weile ohne große Gefahr die Schrittmacher des Faschismus spielen. Aber in dem Augenblick, in dem sich die Sozialdemokraten diesem törichten Berhalten anschlössen, wäre auch schon der Kladde­radatsch da.

In Gemeinschaft mit Deutschnationalen und National­fozialisten versuchen die Kommunisten das Zustandekommen eines Reichshaushaltsgefeges für 1931 zu ver­eiteln. Machen die Sozialdemokraten mit, so gibt es fein Haushaltsgesetz für 1931. Sie brauchen nur ein paarmal rote Karten statt weiße oder umgekehrt weiße statt rote ab­zugeben, und das ganze Reichshaushaltsgesetz fact ab wie ein torpediertes Schiff.

Also, das Haushaltsgesetz taputt zu machen, seine Ber abschiedung im Reichstag zu vereiteln, das macht gar keine Schwierigkeiten. Die Frage ist nur, was daraus wird, wenn das Haushaltsgesetz unerledigt bleibt. Können wir mit Nationalsozialisten, Kommunisten und Deutschnationalen ein anderes Haushaltsgesetz, vielleicht gar ein besseres schaffen? Und wenn wir das nicht können, wenn im Reichstag über­haupt gar nichts zustande kommt. was wird die Folge sein?

Was ist das überhaupt, der Reichshaushaltsplan? Das ist ein Plan, der Schäzungen der kommenden Einnahmen ent­hält und Vorschriften darüber, wie das Geld ausgegeben werden soll. Kommt kein Haushaltsplan zustande, so hören die Einnahmen nicht zu fließen auf, auch wird für den Staat an der Notwendigkeit, für unzählige Dinge Geld auszugeben, gar nichts geändert. Kann also dann jeder Bürokrat so viel Geld ausgeben, wie er will? Nein, um das zu verhindern, um überhaupt etwas Ordnung in den Reichs­finanzen aufrechtzuerhalten, wird dann der Reichs präsident eine Berordnung über den Reichshaus halt auf Grund des Artikels 48 erlassen müssen. Ob ein solcher vom Reichspräsidenten defretierter Haus­haltungsplan viel schöner sein wird, als ein vom Reichstag beschlossener?

Gin Haushaltsgeseh besteht aus Zehntausenden von Po fitionen. Viele zehntausend Anträge fönnen dazu gestellt